Pressemitteilung

Presseerklärung zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts:

Körperschaftsrechte für Jehovas Zeugen?

  • 2.4.2002

Düsseldorf – Das Bundesverfassungsgericht (BVG) nahm am 19.12.2000 zur Verfassungsbeschwerde der „Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas“ vom 26. Juni 1997 Stellung und entschied, dass das Berliner Bundesverwaltungsgericht sein abweisendes Urteil zum Verlangen der Zeugen Jehovas, Körperschaft des öffentlichen Rechts zu werden, überprüfen muss. Im Vorfeld dieser Entscheidung hatten die Zeugen Jehovas das Verbot der Teilnahme an Wahlen abgemildert, das entscheidend für das ablehnende Urteil des Bundesverwaltungsgerichts gewesen war. Auch das Verbot der Ableistung von Wehrersatzdienst wurde praktisch aufgehoben.


Das BVG entschied nun, dass die Ablehnung demokratischer Wahlen noch durch das Grundrecht der Religionsfreiheit gedeckt ist und nicht ausreicht, um den Zeugen die Körperschaftsrechte zu verweigern. Es wies außerdem darauf hin, dass eine Religionsgemeinschaft nicht nach ihrer Selbstdarstellung, sondern nach ihrem tatsächlichen Umgang mit den Mitgliedern zu beurteilen ist. Die Verletzung von Grundrechten könne ein Grund für die Verweigerung der Körperschaftsrechte sein. Das Bundesverwaltungsgericht habe hierzu den Sachverhalt nicht hinreichend geprüft, insbesondere den Umgang der Zeugen mit Kindern sowie den Umgang mit ausstiegswilligen Mitgliedern.


Damit stellte das BVG erstmals fest, dass für die Verleihung der Körperschaftsrechte nicht nur formale Kriterien (Größe und Beständigkeit einer religiösen Organisation etc.) gelten, sondern auch die tatsächliche Respektierung von Grundrechten nach innen und außen. Die Prüfung dieses Sachverhalts durch das Bundesverwaltungsgericht, die nun ansteht, könnte sich als schwieriger und schmerzlicher Prozess für die Zeugen Jehovas erweisen. Sie könnte Aussteigern eine Möglichkeit bieten, ihre Erfahrungen vor Gericht darzustellen. Jedenfalls bleibt die Diskussion um die „Organisation Jehovas“, wie sich die Zeugen gerne nennen, vorerst offen und öffentlich. Das BVG setzte möglicherweise mit seiner Entscheidung für die Zukunft Maßstäbe beim staatlichen Umgang mit dem sogenannten Sektenproblem. Auch für die Verleihung von Körperschaftsrechten an muslimische Organisationen werden Grenzen gesetzt. Die Aufklärungs- und Beratungsarbeit der Kirchen kann und wird diese Impulse aufnehmen, sowohl was die hohe Wertung der Religionsfreiheit betrifft, als auch was den Vorrang des tatsächlichen Tuns vor Lehre und Propaganda einer Gruppe angeht. Darüber hinaus zielte und zielt weiterhin die kirchliche Aufklärung über die Zeugen Jehovas, ebenso wie die praktische Beratung, jedoch auf Glaubens- und Lebensfragen, die der weltanschaulich neutrale Staat nicht zu behandeln hat. Der willkürliche Umgang mit der Bibel, die aufgeheizte Endzeiterwartung bei den Zeugen, ihre autoritäre Struktur, Gemeinschaftsentzug für Zweifler, die soziale Isolierung der Anhänger und insbesondere ihrer Kinder, die Ablehnung von Bluttransfusionen und die Abwertung aller anderer christlichen Kirchen als „Hure Babylon“ sind Themen, die von den Kirchen ins Gespräch gebracht werden müssen – wie auch immer die Frage der Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts letztlich entschieden werden wird.