Pressemitteilung

Ausstellung in Kaiserswerth mit ehemaligen Zwangsarbeitern eröffnet

„Dienen unter Zwang“

  • Nr. 77 / 2006
  • 9.5.2006
  • 6098 Zeichen


In Anwesenheit ehemaliger ukrainischer Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter ist heute die internationale Schülerausstellung „Dienen unter Zwang“ in der Mutterhauskirche der Kaiserswerther Diakonie eröffnet worden. Die Ausstellung entstand im Rahmen des Begegnungs- und Versöhnungsprojekts der Evangelischen Kirche im Rheinland. Ehemalige Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter, ukrainische Studierende, Schülerinnen und Schüler der Kreuznacher und der Kaiserswerther Diakonie sowie Freiwillige der Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste recherchierten die Schicksale der im Zweiten Weltkrieg nach Deutschland verschleppten Menschen. Neben der Zwangsarbeit in Einrichtungen von Kirche und Diakonie im Rheinland ging es dabei auch um die Zeit nach der Befreiung, die Rückkehr in die ukrainische Heimat und die Lebensschicksale in der ehemaligen Sowjetunion.



„Unser Begegnungs- und Versöhnungsprojekt ist ein einmaliges Projekt der Erinnerungskultur“, so Landeskirchenrat Jörn-Erik Gutheil während der Pressekonferenz zur Ausstellungseröffnung. Es gehe darum, Kontakte zu den noch lebenden ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und -arbeitern aufrechtzuerhalten und ihnen medizinische Hilfen zu bieten. Es gehe aber auch um die historische Aufarbeitung – und um Erinnerungen für die Zukunft: „Wir schauen nach vorne“, so der Theologe und Ausländerdezernent der Evangelischen Kirche im Rheinland. „Es geht z.B. um den Aufbau diakonischer Strukturen in Osteuropa. Jugendliche aus der Ukraine werden in unseren diakonischen Einrichtungen ausgebildet. Zudem arbeiten wir vor Ort gegen die Zwangsprostitution mit russischen Frauen in Deutschland, das ist eine moderne Form der Sklaverei, die nicht nur in Zeiten der Fußballweltmeisterschaft Aufmerksamkeit verdient.“ Pfarrer Matthias Dargel, Vorstand der Kaiserswerther Diakonie, kündigte ein weiteres neues Projekt an: Schülerinnen und Schüler des Kaiserswerther Internats werden sich mit den Biografien der ukrainischen Gäste beschäftigen und daraus eine Internet-Seite für die in Kaiserswerth ansässige Fliedner-Kulturstiftung gestalten.



Was ist in der Ausstellung zu sehen? Es sind Ausschnitte aus Interviews mit ehemaligen ukrainischen Zwangsarbeiterinnen und -arbeitern, begleitet von einer Vielzahl von Privatfotos. Ziel ist es, den Menschen in ihrer Individualität näher zu kommen – z.B. Demjan Saworotnew. 1923 in Makeevka geboren, wurde er 1942 nach Deutschland verschleppt und musste in Mülheim/Ruhr in einer Mechanikerwerkstatt bei Thyssen arbeiten, anschließend 1943 in einem Arbeitslager in Hunswinkel bei Dortmund. „Wir wurden oft geschlagen, viele wurden erschossen“, so der 83-jährige auf der Pressekonferenz. „Essen gab es einmal pro Tag, allerdings nur Wasser mit Kräutern. Waschen durften wir uns einmal im Monat.“ Irgendwann flüchtete der damals 21-jährige, wurde erneut verhaftet und schließlich ins Evangelische Krankenhaus in Mülheim/Ruhr verfrachtet. Dort blieb er als Hilfspfleger bis zum Ende des Krieges – nachdem er erst einmal selbst zwei Wochen im Krankenhaus versorgt worden war, unterernährt und geschwächt durch Zeit im Arbeitslager.



Das Schicksal des alten Mannes, eines der letzten Zeitzeugen, ist auf einer der Ausstellungstafeln festgehalten. Ein statistischer Überblick über die Zunahme ausländischer Arbeitskräfte im Rheinland während der Kriegszeit wird von einer Übersicht über die in evangelischen Einrichtungen festgestellten Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter ergänzt. Eine andere Tafel führt in das Verhältnis von Kirche, Nationalsozialismus und der Beteiligung an der Zwangsarbeit ein. Die Deportation im Güterzug nach Deutschland als das einschneidende Erlebnis der Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter ist zu sehen, es folgt eine Übersicht von Biografien. Vorgestellt werden auch die Einsatzorte der nationalsozialistischen Zwangsarbeit im kirchlichen und diakonischen Bereich (zum Beispiel große diakonische Einrichtungen, Landwirtschaft und Hauswirtschaft etc.) und die konkreten Erlebnisse einzelner. Befreiung und Rückkehr in die damalige Sowjetunion wie auch die weiteren Lebenswege der ehemals Zwangsverschleppten finden sich ebenso dokumentiert – eine seltene Präsentation. „Die zurückgekehrten Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter wurden keineswegs freundlich zu Hause empfangen oder gar als Opfer behandelt. Im Gegenteil: Man hat sie der Kollaboration verdächtigt. Viele mussten ihr Schicksal verschweigen,“ so Gutheil. „Bei unseren Besuchen erlebten wir immer wieder Erstaunen und Dankbarkeit, ‚dass Sie sich erinnern und nach uns gesucht haben‘ – wie auch der Titel unserer Dokumentation.“


Unter diesem Titel ist die Begegnungsreise der deutschen Gruppe nach Kiew im vergangenen Jahr in Wort und Bild dargestellt, inklusive eines umfangreichen Begleitkatalogs zur Ausstellung. Die 80-seitige Dokumentation ist zum Preis von zwölf Euro über die Evangelische Kirche im Rheinland zu beziehen. Dr. Uwe Kaminsky schildert die Geschichte des Begegnungs- und Versöhnungsprojektes seit dem Jahre 2000. Anika Walke gibt einen Überblick über die Rückkehr und Behandlung sowjetischer Zwangsarbeiter. Außerdem: Deutsche und ukrainischen Teilnehmer und Teilnehmerinnen des Kiewer Workshops im April 2005, der zu der vorliegenden Ausstellung geführt hat, geben ihre Eindrücke von der Begegnung genauso wieder wie die Geschwister Haarbeck, in deren elterlichen Haushalt eine ukrainische Haushaltshilfe tätig war. Im Frühjahr 2005 hatten die Haarbecks ein Wiedersehen mit der überlebenden Maria Pukas. Zum Abschluss sind alle
19 Ausstellungstafeln im Katalog (Format DIN A 4) abgedruckt.



Bestelladresse:


Landeskirchenamt der


Evangelischen Kirche im Rheinland


Herrn LKR Jörn-Erik Gutheil


Hans-Böckler-Straße 7


40476 Düsseldorf


0211 / 4562-348


E-Mail joern-erik.gutheil@ekir-lka.de