Pressemitteilung

„Unsere Lehre war eine Lehre der Verachtung“

Präses Schneider zur Schuld der Kirche an der Judenvernichtung

  • Nr. 147
  • 28.10.2005
  • 8892 Zeichen

Sperrfrist heute, 15 Uhr – Es gilt das gesprochenen Wort!


Eine „tiefgreifende Wende in der Theologie“ bedeute der Beschluss 39 „“Zur Erneuerung des Verhältnisses von Christen und Juden“, gefasst im Januar 1980 von der Landessynode der Evangelischen Kirche im Rheinland. Das unterstrich Präses Nikolaus Schneider im Eröffnungsreferat zum Symposion „Gemeinsame Bibel – gemeinsame Sendung“, das heute um 15 Uhr anlässlich des 25jährigen Jubiläums des rheinischen Synodalbeschlusses in der Kirchlichen Hochschule Wuppertal, Missionsstraße 9 b, 42285 Wuppertal, begann.


Mit dem Beschluss bekannte sich zum ersten Mal eine Synode verbindlich zur Schuld der evangelischen Kirche und einzelner ihrer Mitglieder im Verhältnis zu den Juden. Sie stellte sich damit nicht nur der Schuldfrage für das Verhalten der Kirche während des Dritten Reiches, sondern auch „der geschichtlichen Notwendigkeit“, ein neues Verhältnis der Kirche zum jüdischen Volk zu gewinnen und in den eigenen Reihen jahrhundertealte Vorurteile und Unkenntnisse über das Judentum abzubauen. Die wichtigste Folgerung für das grundlegende Selbstverständnis der Kirche zog die rheinische Synode 1996 durch die erstmalige Veränderung des Grundartikels ihrer Kirchenordnung. Am Ende des ersten Abschnitts wurden die Sätze angefügt: „Sie (die Evangelische Kirche im Rheinland) bezeugt die Treue Gottes, der an der Erwählung seines Volkes Israel festhält. Mit Israel hofft sie auf einen neuen Himmel und eine neue Erde.“


Präses Schneider erläuterte die theologischen Gründe des Synodalbeschlusses. Es gehe „um die Mitverantwortung und Schuld der Kirche und nicht nur einzelner Glieder der Kirche“ an der nationalsozialistischen Ermordung des jüdischen Volkes sowie um „eine grundlegende Änderung der Theologie und nicht nur um die Auseinandersetzung mit den Verfehlungen einzelner“. Es gehe ebenso um den Staat Israel. „Wir müssen in der Tat erschüttert feststellen, wohin unsere Theologie, die dem jüdischen Volk das Existenzrecht absprach, geführt hat. Es geht hier um mehr als ein moralisches Versagen; es geht um die furchtbaren Folgen eines Jahrhunderte alten theologischen Fehlers,“ so Schneider, und weiter: „Die Ermordung und das bewusste Sterben lassen der sechs Millionen Jüdinnen und Juden ist keine Niederlage des Judentums, sondern eine des Christentums – und ein vernichtendes Urteil über unsere theologische Lehre, die eine Lehre der Verachtung war.“


Nicht Antisemitismus, aber Antijudaismus sei einer der Gründe gewesen, warum die evangelischen Landeskirchen im Verhältnis zum Judentum erst ab 1970 zu „Umkehr und Neuanfang“ gefunden hätten, erläuterte im Anschlussreferat Prof. Dr. Johann Michael Schmidt. Nach 1945 sei die evangelische Kirche zunächst „mit sich selbst beschäftigt“ gewesen. Zum anderen habe es „eine Abschottung von Kirche und Theologie gegen Gefühle, gegen das Entsetzen über das, was geschehen war – ohne den entschiedenen Widerstand der Kirchen“ gegeben, so der Theologe. Auf der Landessynode 1965 der rheinischen Kirche sei der Anstoß gegeben worden, die strikte Trennung von Antijudaismus und Antisemitismus theologisch zu überwinden. Den vier Gründen für die Notwendigkeit des Synodalbeschlusses von 1980 (Mitverantwortung und Schuld am Holocaust, neue biblische Einsichten, die Rückkehr Israels in das Land der Verheißung und die Gründung des Staates Israel „als ein Zeichen der Treue Gottes“, die Bereitschaft von Juden zu Begegnungen und gemeinsamem Lernen trotz des Holocausts) fügte er den fünften Grund hinzu: „Die Einsicht, dass die Jahrhunderte alte Judenfeindschaft der Kirche selbst zutiefst geschadet hat – von dem Unheil, das sie über das jüdische Volk gebracht hat, einmal zu schweigen.“


Für die Zukunft betonten beide Referenten, dass noch viel zu tun sei. Schmidt hob hervor, die Aussagen des Synodalbeschlusses von 1980 seien noch stärker in den Alltag der Gemeinden zu bringen. Präses Schneider unterstrich die Notwendigkeit, die Gottesdienstpraxis weiter zu entwickeln: „Wir streben eine Veränderung der Perikopenordnung und damit der Predigttexte an, denn wir brauchen mehr Predigttexte aus dem Alten Testament. Wir brauchen Lieder, die diesem Prozess der letzten 25 Jahre Rechnung tragen.“ Außerdem sei die Rede vom „Zeichen der Treue Gottes gegenüber seinem Volk“ im Zusammenhang mit der Errichtung des Staates Israel noch einmal zu thematisieren. „Es geht um eine Explikation, um eine weitere Erläuterung und eine Aktualisierung nach 25 Jahren“, nicht aber um eine Revision des 1980 Gesagten, so der Präses.


Den Einführungsreferaten von Nikolaus Schneider und Prof. Dr. Johann Michael Schmidt schließt sich heute um 20 Uhr schließt im Josef-Neuberger-Haus, Dietrich-Bonhoeffer- Weg 1, 42285 Wuppertal, ein Festvortrag von Rabbiner Prof. Dr. Dr. Jonathan Magonet mit dem Titel „Dialog mit Israel und der Dialog mit den Religionen“ an. Bundespräsident a.D. Dr. Johannes Rau musste den Festvortrag aus Krankheitsgründen leider absagen. Dr. Magonet ist promovierter Theologe, Rabbiner und Rektor des Leo Baeck Colleges für Jüdische Studien in London. Als Vizepräsident der World Union for Progressive Judaism leistete er Pionierarbeit in der literarischen Annäherung an biblische Texte. Die Kirchliche Hochschule gestaltet am Samstag, 29. Oktober, um 18 Uhr zur Verleihung der Ehrendoktorwürde an Prof. Dr. Magonet einen Festakt.


Am morgigen Samstag Vormittag, stehen in der Kirchlichen Hochschule von 9 bis 12 Uhr Einführungsvorträge auf dem Programm. Nach der Mittagspause werden von 14.30 bis 18 Uhr in neun Workshops unterschiedliche Perspektiven zu der Frage aufgezeigt: Was bedeutet die gemeinsame Sendung von Christen und Juden heute, angesichts einer sich im Prozess der Globalisierung rasant wandelnden Gesellschaft?


Hier die Themen der Workshops, die mit jeweils zwei Fachreferentinnen bzw. Fach-referenten und einem Moderator bzw. einer Moderatorin besetzt sind:




  • Biblische Landverheißungen und politische Realitäten


  • Das jüdisch-christliche Menschenbild angesichts der Herausforderungen der Bioethik und der neurologischen Forschung


  • Zeugen Gottes voreinander – Judenmission?



  • Fundamentalismus in Christentum, Judentum und Islam



  • Dialog mit Israel und Dialog mit dem Islam



  • Heilige Schrift und ihre Bedeutung im christlich-jüdischen Dialog



  • Die Präsenz Israels im christlichen Gottesdienst



  • Bildung und Erziehung im Angesicht Israels



  • Judenfeindschaft – alte Gesichter – neue Gewänder


Die Veranstaltung endet am Sonntag, 30. Oktober, mit einem feierlichen Gottesdienst in der Citykirche Barmen-Gemarke, Zwinglistraße 5, 42275 Wuppertal, der um 10.30 Uhr beginnt. Die Predigt hält Präses i.R. Manfred Kock. Über. 170 Personen haben sich zu dem Symposion angemeldet, das von ca. 40 Expertinnen und Experten gestaltet wird.


Zu dem Symposion soll es in Kürze eine ausführliche Dokumentation gegen, erstellt von der Kirchliche Hochschule, Wuppertal.


 


Weitere Informationen zu dem Symposion sind im Internet im Anhang zu dieser Pressemitteilung unter www.ekir.de abrufbar, z.B. den Beschluss der Landessynode 1980 „Zur Erneuerung des Verhältnisses von Christen und Juden“, das genaue Tagungsprogramm der Veranstaltung am 28. – 30. Oktober 2005 in Wuppertal, den Sonderdruck eines Beschlusses der Landessynode 2005 zur Würdigung des Beschluss der Landessynode der Evangelischen Kirche im Rheinland von 1980 (mit Zusammenfassung, Rückblick und Ausblick) sowie einen link zu einer jüdischen Stellungnahme zu Christen und Christentum (http://www.jcrelations.net/de/?id=895) und einen link zu einem Pressefoto von Prof. Dr. Jonathan Magonet (http://gtvh.de/r3/openjunixx.php?parent=5&sub=yes&idcat=
27&idart=76&lang=1&idau=51).


 


Wichtiger Hinweis für Journalistinnen und Journalisten:


Als Journalistinnen und Journalisten sind Sie herzlich zur Berichterstattung eingeladen. Pressemappen gibt es am Freitag, 28. Oktober, vor Ort beim Auftakt der Veranstaltung (ab 13 Uhr bei Eva Schüler, stellv. Pressesprecherin).


Die Pressemappen enthalten Informationen über Referentinnen und Referenten, das Klezmer-Trio Nehama (Musik)sowie die zur Verfügung stehenden Redemanuskripte (mit Sperrfristen – es gilt das gesprochene Wort). Die Texte dürfen zur Bericht-erstattung und Zitation verwendet werden. Eine Gesamtveröffentlichung oder eine Veröffentlichung in Auszügen ist nicht gestattet, da die og. Dokumentation des Symposions geplant ist.