Pressemitteilung

Predigt im Ökumenischen Bittgottesdienst

Manuskript von Präses Nikolaus Schneider

  • 10.3.2008

Predigt im Ökumenischen Bittgottesdienst in der Kirche St. Ludwig am Großen Markt in Saarlouis am 9. März 2008  


Predigttext


„Gott, schaffe mir Recht und führe meine Sache!
Gott, sende dein Licht und deine Wahrheit, dass sie mich leiten!
Harre auf Gott, meine Seele, denn ich werde ihm noch danken, dass er meines Angesichts Hilfe und mein Gott ist (Psalm 43,1a und 3a und 5b).


Liebe Gemeinde,


„Gott, schaffe mir Recht und führe meine Sache wider das unheilige Volk und errette mich von den falschen und bösen Leuten!“
Dieser fordernde Schrei nach Gottes Macht und Parteilichkeit – das ist der Beginn des Psalmgebetes. Die Erfahrungen von Unrecht, Ignoranz und Unverständnis, das Erleben und Durchleiden von Bosheit und Feindseligkeit bedrückten und bedrängten unseren Psalmbeter im fernen Israel vor mehr als 2000 Jahren. Deshalb ruft er nach Gottes Eingreifen und Gottes Parteinahme für ihn: „Steh an meiner Seite und nirgendwo sonst!“ Auch viele von Ihnen fühlen sich von Gott und Menschen unverstanden, verraten und verlassen. Viele haben Wut im Bauch. Viele haben Ängste. Sie misstrauen den Zukunftsplänen und den Verheißungen, wie es anders und besser werden soll. Und wie der Psalmist aus der fernen Vergangenheit erwarten und erhoffen wir in diesem Gottesdienst Gottes Zuspruch und Zuwendung für unsere Anliegen, für unser Recht.
Wie der Psalmist will jeder und jede von uns, dass Gott sich als „Mein Gott“ erweise. Parteinahme Gottes wollen wir, nicht politische Ausgewogenheit und unbefriedigende Kompromisse. Was damals galt, das gilt auch heute:
Wer Angst hat, der hat auch das Recht zu schreien.
Wer Sorgen hat, der darf und soll sie vor Gott und den Menschen zum Ausdruck bringen.
Wer bedroht wird, weil die Erde bebt und die Hauswände reißen,
weil der Beruf verloren geht und die Raten für das Haus unbezahlbar werden,
weil er nicht mehr weiß, wie es weiter gehen und was werden soll,
der braucht Verständnis und Schutz. In diesem Gottesdienst vertrauen wir uns Gott an, der uns mit unseren persönlichen Sorgen und Nöten nicht allein lässt. So mag auch unsere Seele in diesem Gottesdienst zu Gott und den Menschen schreien: „Schafft mir Recht und führt meine Sache! Meine Würde als Mensch ist bedroht: verteidigt sie!“ „Gott, sende dein Licht und deine Wahrheit, dass sie mich leiten!“ Der Schrei nach Gottes uneingeschränkter Solidarität für mich und meine Anliegen befreit und entlastet mich.
Das ist kein Selbstbetrug, das ist keine psychologische Manipulation. Das ist keine Therapie nach dem Motto: Luft ablassen und dann fühle ich mich besser – obwohl nichts besser ist.
Denn Gott hört wirklich. Darauf kann ich mich verlassen. Er verlässt mich nicht – auch wenn viele treulos werden. Er steht in Treue zu mir. Das ist ganz gewiss.
Und es geschieht noch mehr: er sendet sein Licht und seine Wahrheit! Diese Gewissheit: Gott hört mich und meinen Schrei, Gott wendet sich mir zu, er sendet sein Licht und seine Wahrheit,
diese Gewissheit schenkte damals und schenkt heute neuen inneren Freiraum.
Ich werde frei, mich mit meiner Lage, mit meinen Gefühlen und Reaktionen auseinander zu setzen.
So gewinne ich Freiheit – auch mir selbst gegenüber.
Das Gefängnis meiner Sorgen, meiner Ängste, meiner Wut wird geöffnet.
Ich bin nicht länger der Knecht meiner Wut, meiner Angst, meiner Sorge.
Ich bin nicht mehr nur Wut – ich werde wieder ich. Allerdings: die neue Perspektive durch das Wort Gottes, Gottes Licht und Gottes Wahrheit, ändert nicht einfach die äußeren Umstände unseres Lebens.
So, wie dieser Gottesdienst nicht einfach die ungeklärte, schwierige und bedrückende Situation des Bergbaus im Saarland verändern wird. Aber Gottes Licht und Gottes Wahrheit schenken uns große innere Freiheit und Kraft zur Geduld.
Sie schenken uns Mut – sanften Mut.
Gottes Licht und Wahrheit verleihen Mut, Kraft und Freiheit, wenigstens eine begrenzte Zeit ungeklärte Situationen auszuhalten.
Sie geben uns die Kraft, nicht unbedachte oder gar gewaltsame Lösungen „jetzt und sofort“ oder „alles oder nichts“ zu verlangen.
Die neue Perspektive durch das Wort Gottes, Gottes Licht und Gottes Wahrheit schenkt uns die Fähigkeit zur Kritik – auch uns selbst gegenüber;
die Fähigkeit zu einer nüchternen und realistischen Betrachtung unserer eigenen Positionen und Reaktionen. Ja, sogar noch mehr: nämlich Zugang zu den Positionen und Reaktionen der „Anderen“.   Gottes Licht und Gottes Wahrheit sind so etwas wie eine Brille vor unseren Augen, um den Blick zu schärfen für die Achtung voreinander,
für ein friedliches Umgehen miteinander,
für Respekt und Achtung vor Gegnern und Andersdenkenden! Denn meine Würde als Mensch zu wahren und zu verteidigen gelingt nur, wenn auch die Würde des anderen gewahrt bleibt. Dazu leiten Gottes Licht und Gottes Wahrheit an.
Treue und Zuverlässigkeit, Halten des gegebenen Wortes und verlässliche Erklärungen sollen und werden daraus erwachsen. Gottes Licht und Gottes Wahrheit verhindern, dass wir in Sprachlosigkeit und Unversöhnlichkeit abgleiten,
uns zu Hass und Gewalt hinreißen lassen. Aus dem Schrei nach Gottes Parteilichkeit für uns allein wird unsere Parteinahme für ein Leben in Gemeinschaft mit den anderen erwachsen.     „Meine Seele, harre auf Gott. Ich werde Gott danken, dass er meine Hilfe und mein Gott ist!“ Zu Beginn unseres Psalms war der gequälte und fordernde Schrei nach Gottes Machterweis und Parteilichkeit.
Am Ende des Psalm steht die Selbstaufforderung zu innerer Festigkeit, die Dankbarkeit und die Gewissheit: Gott ist meine Hilfe. Er ist bei mir, mitten in meinen Ängsten und Sorgen. Wie kam es zu diesem Wechsel der Stimmung und der Lebenshaltung?
Von einer neuen, veränderten Lage wird uns im Psalm nichts berichtet. Das steht noch aus. Das soll und das wird aber noch werden.
Verändert haben sich zunächst nicht die äußeren Umstände, sondern das Seelenleben des Psalmbeters.
Und diese innere Veränderung lässt schon jetzt einen neuen Blick auf die Situation zu. Wie kam es dazu? Menschliches Reden zu Gott und Gottes Wort an Menschen haben eine verändernde Kraft.
Sie verändern Menschen wirklich.
Aus dieser Kraft des Wortes Gottes gewinnen dann Menschen die Kraft, ihre Lage zu verändern.
Damals, beim Psalmbeter war das so.
Geht das auch heute? Notwendig wäre es.
Wir werden mit diesem Gottesdienst zwar nicht die Frage nach der Fortführung oder dem sofortigem Stopp des Bergbaus in dieser Region beantworten.
Das soll im Rahmen der Vereinbarungen zwischen Landesregierung und DSK nüchtern, sachlich und fair geklärt werden.
Aber es gibt andere Fragen, auf deren Beantwortung wir heute Einfluss nehmen können. Und das sind die elementaren Fragen nach dem zukünftigen Zusammenleben der Menschen in diesem Land:
die Fragen nach der Achtung der Würde des anderen,
die Frage der Selbstachtung und der Zuverlässigkeit von gegebenen Worten.
Denn es steht viel auf dem Spiel.
Für die Existenz vieler Menschen und ihrer Familien,
für das Zusammenleben von uns allen. Deshalb beten und bitten wir darum, dass Signale von diesem Gottesdienst ausgehen und dass wir, die wir uns in diesem Gottesdienst zusammengefunden haben, Signale aussenden: Angst, Sorge und Wut dürfen sich nicht in Hass und Gewalt entladen! Unversöhnlichkeit in der Sache darf nicht zu Verunglimpfungen und Maßlosigkeit beim Einsatz für die eigene Sache führen! Die Formen des Protestes müssen die Würde und Privatsphäre des anderen achten! Familienangehörige, vor allem Kinder und Jugendliche dürfen nicht in den Streit hineingezogen, aufgehetzt oder zu Zielen von Hass und Gewalt werden!
Wir wenden uns an Gott mit unseren Klagen und unseren Sorgen, mit unserem Schrei nach Recht und Gerechtigkeit. Wir lassen uns ermutigen und stärken durch Gottes Wort und durch unsere Gemeinschaft vor Gott,
damit unsere Seele fest werde und wir selbstbewusst und geduldig nach Wegen des sozialen Friedens und der Gerechtigkeit suchen. Wir lassen uns verändern vom Licht und von der Wahrheit Gottes und durch die Gewissheit von Gottes Weggeleit, damit wir unsere Probleme hier vor Ort nicht gegeneinander, sondern miteinander lösen!
Deshalb lasst uns Gottes Gegenwart und Beistand nicht allein für uns persönlich, sondern für unsere Gemeinschaft erbitten:
Gott,
schaffe uns Recht und führe unsere Sache!
Gott,
sende dein Licht und deine Wahrheit, dass sie uns leiten!
Harre auf Gott, meine Seele,
denn wir werden ihm noch danken,
dass er unseres Angesichts Hilfe und unser Gott ist!


Amen