Pressemitteilung

Christi Himmelfahrt und der 1. Mai: Wo Himmel und Arbeit zusammenkommen

Gemeinsame Erklärung der evangelischen Kirchen und des DGB

  • Nr. 55/2008
  • 29.4.2008
  • 8600 Zeichen

Für einen existenzsichernden Mindestlohn setzen sich die evangelischen Landeskirchen und der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) in Nordrhein-Westfalen ein. „Vollzeitbeschäftigte müssen von ihrem Lohn leben können“, fordern sie in einer gemeinsamen Erklärung zum 1. Mai. Der Tag der Arbeit fällt in diesem Jahr mit Christi Himmelfahrt zusammen.

Dieses Fest verstehen Kirchen und Gewerkschaften als Erinnerung daran, dass sich kein Mensch den Himmel erarbeiten könne: „Christus hat uns den verschlossenen Himmel geöffnet. Deshalb sollen wir nicht in den Himmel starren, sondern die irdischen Verhältnisse menschlicher gestalten.“

Nur mit genügend Arbeitsplätzen gebe es soziale Stabilität und gesellschaftliche Integration aller Menschen. Da der Markt alleine versagt habe, fordern Gewerkschaften und Kirchen „verstärkt öffentlich geförderte Arbeit“. Gemeinsam mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund NRW erklären die Evangelische Kirche im Rheinland, die Evangelische Kirche von Westfalen und die Lippische Landeskirche: „Wir nehmen nicht billigend hin, dass mehr als 800.000 Menschen in NRW die umfassende Teilhabe am gesellschaftlichen Leben durch ihre Arbeitslosigkeit verwehrt ist.“ Die Erklärung räumt ein, dass sich die Arbeitsmarktpolitik bisher durch Qualifizierungsmaßnahmen auf die Arbeitslosen konzentriert habe. Aber: „Gleichzeitig wurde nicht dafür Sorge getragen, dass auch eine entsprechende Anzahl von Arbeitsplätzen entsteht.“ Mehr als 43 Prozent der Erwerbslosen in NRW sind Langzeitarbeitslose.

Thema des 1. Mai, so die gemeinsame Erklärung, sei das Recht auf Arbeit als Teil des menschlichen Lebens und seiner Würde. Der Himmelfahrtstag halte die Einsicht wach, dass aller Einsatz für menschenwürdige Arbeit weit über das Materielle hinausgehe. „Kirchen und Gewerkschaften wissen: Menschliche Arbeit kann niemals allein als Kostenfaktor betrachtet werden.“

Das kalendarische Zusammentreffen von Christi Himmelfahrt und dem Tag der Arbeit kam zuletzt 1913 vor. Erst in 160 Jahren wird das christliche Fest wieder auf den 1. Mai fallen. Der Termin hängt vom Osterfest ab, das immer am Sonntag nach dem ersten Frühlingsvollmond gefeiert wird, in diesem Jahr also am 23. März. Christi Himmelfahrt folgt 40 Tage nach Ostern.

Nachfolgend die gemeinsame Erklärung im Wortlaut:

 

Wie Himmel und Arbeit zusammenkommen

(Gemeinsame Erklärung der drei Landeskirchen in Nordrhein-Westfalen und des DGB Nordrhein-Westfalen zum 1. Mai 2008)

Christi Himmelfahrt und 1. Mai, der Tag der Arbeit, werden erst in 160 Jahren wieder zusammen fallen. Angesichts dieses seltenen Zusammentreffens von zwei traditionell unterschiedlich besetzten Feiertagen ist deutlich: In diesem Jahr schenkt uns der Kalender eine besondere Gelegenheit, Arbeit und Himmel miteinander zu verknüpfen. Das Fest „Christi Himmelfahrt“ erinnert daran, dass sich kein Mensch den Himmel erarbeiten kann. Christus hat uns den verschlossenen Himmel geöffnet. Die Frage, wie man in den Himmel kommen kann, muss darum nicht mehr unsere Sorge sein. Deshalb sollen wir nicht in den Himmel starren, sondern die irdischen Verhältnisse menschlicher gestalten.

So kann die Agenda für menschenwürdige Arbeit von der Bibel inspiriert werden, und die Kirchen können bei der Verwirklichung der grundlegenden Prinzipien menschenwürdiger Arbeit als Partner der Gewerkschaften und der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eine wichtige Rolle spielen. Umgekehrt ist die Teilhabe an menschenwürdiger Arbeit für die Spiritualität der Menschen von zentraler Bedeutung. Unsere christliche Tradition betont von der Schöpfungsgeschichte an, dass Arbeit eine Möglichkeit dafür ist, die von Gott geschenkte Würde aktiv zu gestalten.

Der 1. Mai erinnert an das Recht auf Arbeit als integralen Bestandteil des menschlichen Lebens und der menschlichen Würde innerhalb der Gemeinschaft. Der Himmelfahrtstag hält die Einsicht wach, dass das Menschsein und alle Bemühungen um menschenwürdige Arbeit weit über die materielle Dimension hinausgehen. Kirchen und Gewerkschaften wissen: Menschliche Arbeit kann niemals allein als Kostenfaktor betrachtet werden.

Deshalb melden wir uns an diesem gemeinsamen Feiertag als Evangelische Kirchen und als DGB in NRW miteinander zu Wort.

Wir fordern gemeinsam verstärkte politische und wirtschaftliche Anstrengungen, gerade auch für die Menschen, die seit Jahren von Arbeitslosigkeit betroffen sind. Nur mit einer ausreichenden Zahl von Arbeitsplätzen kann die soziale Stabilität und gesellschaftliche Integration der Menschen in einem spürbaren Ausmaß wachsen. Wir nehmen nicht billigend hin, dass mehr als 800.000 Menschen in NRW die umfassende Teilhabe am gesellschaftlichen Leben durch ihre Arbeitslosigkeit verwehrt ist.

Wir brauchen verstärkt öffentlich geförderte Arbeit, weil der Markt alleine versagt und nicht genügend Arbeit für alle bereitstellt. Der Anteil der Langzeitarbeitslosen in NRW liegt nach den Daten des Sozialberichts NRW bei 43,7 Prozent der Erwerbslosen. Die Arbeitsmarktpolitik der letzten Jahre hat sich durch Qualifizierungs- und Weiterbildungsmaßnahmen auf die von Arbeitslosigkeit betroffenen Menschen konzentriert. Gleichzeitig wurde nicht dafür Sorge getragen, dass auch eine entsprechende Anzahl von Arbeitsplätzen entsteht. Die jüngste Untersuchung des Diakonischen Werks der Evangelischen Kirche im Rheinland zum arbeitsmarktpolitischen Instrument der sog. 1-Euro-Jobs zeigt: Nicht die Arbeitslosen sind das Problem, sondern die fehlenden Arbeitsplätze vor allem im Bereich der niedrigschwelligen Angebote. Wir brauchen dauerhafte Beschäftigung für langzeitarbeitslose und gering qualifizierte Menschen und nicht länger entwürdigende und demotivierende Erfahrungen von befristeten Maßnahmen, auf die keine dauerhafte Beschäftigung folgt.

Nach den Daten des Sozialberichts NRW erhalten 12,8 % der sozialversicherungspflichtig Vollbeschäftigten einen Niedriglohn; das ist weniger als die Hälfte eines durchschnittlichen Bruttomonatsverdienstes. Manche dieser Menschen üben deshalb mehr als ein Beschäftigungsverhältnis aus. Wir brauchen einen existenzsichernden Mindestlohn. Vollzeitbeschäftigte müssen von ihrem Lohn leben können.

Immer mehr Menschen werden durch Arbeitsverdichtung und Dauerbelastung krank. Die Daten des BKK-Gesundheitsreports 2007 belegen, dass psychische Störungen die viertwichtigste Krankheitsgruppe darstellen. Ein zentrales Problem sind dabei heutzutage die Arbeitszeiten. Das Sabbatgebot weist uns darauf hin, dass Arbeit eine Grenze braucht, wenn sie human sein will. Dies gilt für den arbeitsfreien Sonntag bzw. das Wochenende ebenso wie für die täglichen Arbeitszeiten. Zu guter Arbeit gehören für uns deshalb Arbeitszeiten, die klar begrenzt sind.

Der Wunsch nach einem festen, verlässlichen Einkommen, nach einem sicheren und unbefristeten Arbeitsverhältnis ist für uns unaufgebbare Voraussetzung von guter Arbeit. Deshalb fordern wir gemeinsam, nicht länger allein auf die Zahl der vorhandenen Arbeitsplätze zu schauen, sondern auch auf ihre Qualität. Gute Arbeit ist nicht nur eine individuelle und private Angelegenheit, sondern eine politische und ökonomische Herausforderung.

In diesem Jahr verbindet das Zusammentreffen von 1. Mai und Christi Himmelfahrt die Forderung nach menschenwürdiger Arbeit mit der Verheißung des Himmels, die ein menschenwürdiges Leben für alle verspricht. Durch menschenwürdige Arbeit hat jeder Mensch Teil an Gottes schöpferischer Kraft. Die Menschen setzen mit ihrer Arbeit fort, was Gott in seiner Schöpfung begonnen hat und woran die Männer von Galiläa erinnert werden: „Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr da und seht in den Himmel?“ (Apostelgeschichte 1,11). Es geht unter dem offenen Himmel darum, mehr Menschlichkeit auf der Erde zu verwirklichen. Um dieses Ziel zu erreichen, brauchen wir ein kulturelles, ethisches und spirituelles Umfeld, das von dem Geist der Integration und Gleichberechtigung getragen ist. Eine sich gegenseitig fördernde Gemeinschaft ist durch Mitfühlen und Teilen geprägt.

Dafür setzen wir uns weiterhin ein – heute, und nicht erst in 160 Jahren.