Pressemitteilung

Oberkirchenrat Klaus Eberl: Von Jeremia lernen, wie Gott die Kirche formt

Kirchenleitende predigen am Reformationstag (1)

  • Nr. 172 / 2007
  • 31.10.2007
  • 15339 Zeichen

In besonderen Gottesdiensten wird heute der Reformationstag überall in der evangelischen Kirche gefeiert. Aus diesem Anlass predigen Kirchenleitende der rheinischen Kirche mit unterschiedlichen Schwerpunkten in Gemeinden, so Oberkirchenrat Klaus Eberl, Mitglied der Kirchenleitung und Leiter der Abteilung IV Erziehung und Bildung im Landeskirchenamt der rheinischen Kirche predigt am Vormittag im Soldatengottesdienst im Altenberger Dom zu Jeremia 18,1ff.. Der Gottesdienst beginnt um 10 Uhr.

Mitwirkende sind Militärgeistliche, Ortsgeistliche, Pfarrhelfer und Soldaten aus rheinischen Standorten. Als ökumenischer Gast spricht der kanadische Chaplain Padre Major Jim B. Hardwick das Tagesgebet. Der Domorganist Andreas Meisner, das Kammerorchester des Musikkorps der Bundeswehr (Leitung: Martin Jankowsky) und der Luftwaffenchor der Bundeswehr Köln-Wahn (Leitung: Markus Wolters) gestalten den Gottesdienst musikalisch. Der Soldatengottesdienst beginnt um 10 Uhr. Er findet traditionell seit Jahren anlässlich der Wiederkehr des Reformationstages im Altenberger Dom statt. Verantwortet wird er in diesem Jahr von Militärdekan Ulrich Brates, Mainz, federführend organisiert von Militärdekan Reinhard Gorski, Aachen.

Nachfolgend stellen wir Ihnen das vorliegenden Originalmanuskript der Predigt von Oberkirchenrat Klaus Eberl zur Verfügung. Hier der Text:

„Dies ist das Wort, das geschah vom HERRN zu Jeremia:

Mach dich auf und geh hinab in des Töpfers Haus; dort will ich dich meine Worte hören lassen. Und ich ging hinab in des Töpfers Haus, und siehe, er arbeitete eben auf der Scheibe. Und der Topf, den er aus dem Ton machte, missriet ihm unter den Händen. Da machte er einen andern Topf daraus, wie es ihm gefiel. Da geschah des HERRN Wort zu mir: Kann ich nicht ebenso mit euch umgehen, ihr vom Hause Israel, wie dieser Töpfer? spricht der HERR. Siehe, wie der Ton in des Töpfers Hand, so seid auch ihr vom Hause Israel in meiner Hand. Bald rede ich über ein Volk und Königreich, dass ich es ausreißen, einreißen und zerstören will; wenn es sich aber bekehrt von seiner Bosheit, gegen die ich rede, so reut mich auch das Unheil, das ich ihm gedachte zu tun.

Liebe Schwestern und Brüder,

früher war alles besser. Früher konnte man sich darauf verlassen, dass rechts rechts ist und links links. Da stand die Kirche im Dorf. Die Leute waren höflich und pünktlich und pflichtbewusst. Und ich hatte meinen Platz in der Welt – und du auch, und eigentlich jeder. Man hatte etwas vorzuweisen. Da waren die Feinde noch wirkliche Feinde und die Freunde echte Freunde, auf die man sich verlassen kann. Die Welt war aufgeteilt in gut und böse, so dass man sich orientieren konnte. Niemand kam auf die Idee, dass sich hinter jedem Koffer und jedem abgestellten Auto eine Bombe verbergen konnte. Die Marktwirtschaft war sozial und der Pfarrer war immer erreichbar, immer. Zumindest, wenn man ihn brauchte. Und wenn man heimkam nach langem Tag, war da jemand, der einem ein Butterbrot schmierte. Der Wertekanon war noch im Lot – und jeder wusste – im Grunde – was richtig ist und was falsch. Es war die Zeit, als das Abendland sich noch christlich nannte. Die Kinder durften Kinder sein – und nicht kleine Erwachsene. Und wenn sich einer die Knie aufschlug, war sofort jemand da, der mit einem Pflaster alles wieder gut machte. Sofort. So war das. Denn: Früher war alles besser.

Spüren Sie auch, liebe Schwestern und Brüder, manchmal diese Sehnsucht? Dass die Welt gut ist? Dass das Leben gelingt? Dass es in den Wirrnissen und Unübersichtlichkeiten unserer Gegenwart Halt gibt? Ein Geländer, an dem man sich festhalten kann? Wenn wir zwischen Selbstzufriedenheit und Zukunftsangst taumeln, wünschen wir uns Gott als eine Art Ordnungshüter herbei, der Verbindlichkeit herstellt, der die chaotische Welt zusammenhält. Ein feste Burg ist unser Gott, haben wir gesungen. So eine Burg brauchen wir. Und die Kirche könnte in diesem Szenario die Rolle einer Festungsmauer spielen.

Solche Sehnsucht ist alt. Sie wird gespeist durch verklärte Erinnerung. Sie nährt sich an unserer Angst oder unserer Selbstüberschätzung. Von alten Bildern, die in Kopf und Herz gespeichert sind, sucht sie die schönsten aus. Alle anderen werden in die Schublade des Vergessens gesteckt.

Aber die schönen Bilder schlagen sich an der harten Wirklichkeit eine blutige Nase. Der Prophet Jeremia kennt sich aus mit hilflosen Traumreisen. Ein weltloses Heil für eine heillose Welt ist seine Sache nicht. Die hebräische Bibel erzählt, dass er eines Tages einen Krug in die Hand nimmt und ihn spektakulär vor den Augen der Mächtigen der zerschmeißt. So wird eure Sicherheit zerbrechen, sagt er. So werden Selbstverständlichkeiten ihre Plausibilität verlieren! Welt und Kirche werden den Boden unter den Füßen verlieren, wenn die Bruchstücke nicht mehr zu einem Ganzen zusammenzufügen sind.

Ein Gegenbild bietet der Prophet an. Da ist eine Töpferwerkstatt. Ton auf der Scheibe. Der Künstler formt und gestaltet. Man braucht keine große Phantasie, um zu ahnen: Der Töpfer ist Gott, der Ton ist die Israel, die Kirche, ja die Welt. Es geht um Scheitern und Gelingen. Gott, der Künstler, ist souverän gegenüber seinem Werk. Er formt. Er gestaltet. Die Kirche – wird geformt, wird gestaltet. Sie muss Gottes Wirken eigentlich nur geschehen lassen. Soll nicht hart werden, trocken, rissig. Die bewährte Form ist kein Argument gegen die Freiheit Gottes. Die Vergangenheit kein Faustpfand für die Zukunft. Sonst könnte es der Kirche so gehen wie dem Krug, der zerschmettert wird. Oder Gott nimmt den weichen Ton in die Hand, um anderes daraus zu schaffen. Möglich wäre es. Deshalb lautet der Leitsatz der Reformation: ecclesia semper reformanda – die Kirche ist immer im Wandel, in der Veränderung.

Luther, Calvin und die vielen Namenlosen der Reformation haben das gewusst. Um der Freiheit Gottes willen haben sie alte Töpfe und Porzellan zerschlagen. Mit der Bibel in der Hand, einem gnädigen Gott im Herzen und den gekreuzigten Christus vor Augen hielten sie fest an der Veränderbarkeit der Kirche. Eine schwierige Probe. Denn ihre Theologie musste sich bewähren an den Umbrüchen ihrer Zeit, Veränderungsprozesse, die unserer Gegenwart verblüffend ähnlich sind. Die Schlagworte der Reformation klingen erschreckend modern: neue Ökonomie, soziale Ängste, Macht der Medien. Verunsicherung machte sich breit in der Zeit von Luther und Calvin: Tauschwirtschaft wurde durch Geldwirtschaft abgelöst, Fugger und Medici wurden machtvolle Tänzer auf dem neuen Parkett. Der Ritterstand wurde funktionslos, die Bauern verarmten, über die Zünfte bildete sich eine kleine bürgerliche Schicht der Gewinner heraus. Die Erfindung des Buchdrucks trug das Wissen der Welt durch ganz Europa. Wehe dem, der da nicht mithält! Höllenqualen der Gottverlassenheit warten auf ihn.

Auch heute löst der Dreiklang von neuer Ökonomie, sozialer Frage und Medienmacht Ängste aus. Nur die Überschriften haben sich verändert. Sie heißen Globalisierung und weltweiter Verteilungskampf, Spaltung in Arm und Reich oder auch Informationsflut im WorldWideWeb. Aber die Verunsicherung ist ähnlich.

Wer bin ich in diesem Spiel? Wo liegt der Sinn? Wie finde ich Liebe, die mich trägt? Welche Antwort habe ich auf die Tagesordnung der Welt? Wie reagiert die Kirche? Kann sie Antworten geben, die die Probe auf’s Exempel bestehen? Kann sie Menschen auf der Suche nach neue Wegen begleiten? Kann sie Gottes Wort so sagen, dass ihnen darüber Herz und Verstand aufgeht?

Jeder und jede hat die eigene Angst im Handgepäck und wird sie nicht los.

Was bin ich wert, wenn ich meine Arbeit verliere? sagt der 54jährige Hilfsarbeiter, dessen Job wegrationalisiert wird.

Was wird aus mir? spekuliert die Theologiestudentin, die angesichts der EKD-Pläne um eine „Kirche der Freiheit“ 2030 keine Chancen auf eine Pfarrstelle sieht.

Wie schwer ist es, das Wort „gerechter Friede“ so zu buchstabieren, dass darüber Zukunft entsteht, denkt der Bundeswehrsoldat in Afghanistan und der Zivildienstleistende in der Asylunterkunft, wie schwer?

Und die alleinerziehende Mutter weiß schon lange, dass niemand vor ihr den Hut ziehen wird, nur weil sie trotz Harz IV ihrem Kind ein liebevolles Zuhause bietet, auch wenn ihr jeden Tag alles über den Kopf zu wachsen droht.

Wir haben die eigene Angst im Handgepäck und werden sie nicht los. Der Blick in eine verklärte Vergangenheit hilft nicht weiter. Nicht dem Volk Israel, nicht den Christen in Wittenberg und Genf vor fast fünfhundert Jahren. Und auch nicht uns! Nein, früher war nicht alles besser!

Ecclesia semper reformanda – die Kirche ist immer im Wandel, in der Veränderung Wird vielleicht morgen alles besser? Statt verklärter Rückblicke – Fluch nach vorn? Da wird schnell eine Wette auf die Zukunft abgeschlossen. Der Lottoschein ersetzt manchen Traum von einer besseren Welt. Alles wird gut! Auch die Kirche plant sich die Hoffnung wund an Konzepten und Strategiepapieren. Und der wieder erstarkte wirtschaftliche Aufschwung lässt in Deutschland zarte Pflanzen eines fast vergessenen Optimismus sprießen. Aber für den Propheten geht es nicht um den konser-vativen Blick in die Vergangenheit oder um progressive Visionen. Es geht ihm um Gott – und um uns.

Die Reformation gibt einen realistischen Blick auf uns frei:

Wir strengen uns an – und schaffen es nicht.

Jemand will lieben – aber es gelingt nicht.

Jemand achtet auf seinen Körper, treibt regelmäßig Sport, plötzlich reißt ihn eine Krankheit aus allen Träumen.

Wir treten für Frieden und Gerechtigkeit in der Welt ein – und tanzen doch auf einem Vulkan.

Wir wollen mit der Kirche Gott loben und den Menschen dienen – und beschäftigen uns nur mit uns selbst.

Ein Riss geht durch unser Leben. Wir sind getrennt vom Ursprung, vom Mitmenschen, von Gott. Diese Trennung nennt die Bibel Sünde. Bei aller Anstrengung überwinden wir den Riss nicht. Weder im Blick zurück noch in ungenauen Visionen. Weder konservativ noch progressiv. Nur Gott selbst kann den Riss überwinden. Der Prophet Jeremia hat Jesus Christus nicht im Sinn, als er von Gottes Reue spricht. Obwohl Reue Gottes doch ein ungeheuerlicher Gedanke ist. Er ahnt nichts von einer Liebe, die Menschen, Kirche und Welt verwandelt, ohne eine Vorleistung zu verlangen. Er kennt nur die Freiheit Gottes, der mit seinem Werk machen kann, was ihm gefällt – wie der Töpfer mit dem Ton auf seiner Scheibe.

Aber der freie Gott bindet sich. Gott bindet sich selbst ans Kreuz. Er setzt auf die Liebe. Er nimmt den Sünder in den Arm. Er wischt die Tränen ab. Er rechnet damit, dass wir unserem Dasein nicht aus eigener Kraft Sinn verleihen können. Er macht sich keine Illusionen über uns – wir bleiben ihm alles schuldig. Wir haben leere Hände, wenn Bilanz gezogen wird. Wir haben nichts vorzuweisen. Wir stammeln uns etwas zusammen, wenn es gilt, den Hass aus der Welt zu vertreiben und die Angst zu besänftigen. Wir stehen nicht an seiner Seite. Wir stehen nicht bei unserem Nächsten. Wir stehen nicht einmal bei uns selbst. Weder gestern noch heute noch morgen.

Darum weiß der durch Luther und Calvin geschärfte Glaube: Ich bin ganz und gar und restlos und dauernd und ohne Wenn und Aber auf Gnade angewiesen. Gnade mit Hand und Fuß. Jesus Christus ist die Antwort auf Gottes Reue, mit der der Prophet Jeremia rechnet. Was sollte die Kirche der Reformation anderes sein als ein Gefäß, ein Werkzeug in der Hand Gottes? Randvoll mit seinem Wort. Bis obenan gefüllt mit Liebe. Fragt man bei den Weltkindern nach, was denn protestantisches Profil sei, so bekommt man erstaunlich andere Antworten: die einen betonen die liberale Grundhaltung, die anderen die diakonischen Erfolge, dritte vielleicht Bescheidenheit evangelischer Kirche, wem nichts besseres einfällt, schätzt auch die Versöhnung von Kirche und Kultur. Das Wort Gnade fällt selten. Sola gratia, sagten die Reformatoren. Die Gnade allein zählt und schafft neue, unverhoffte Anfänge. Der Töpfer betrachtet das Gefäß auf der Scheibe. Es ist nicht schön. Es ist nicht einmal brauchbar. Da nimmt er die graue, weiche Masse in die Hand. Neues entsteht. Dessen kann sich der Ton nicht rühmen. Dem Künstler gebührt das Lob.

Neu anfangen dürfen. Manchmal denke ich, dass dies eine Art moderner Übersetzung des Wortes Gnade ist. Gott schenkt gnädige Neuanfänge. Für die Kirche, für die Gesellschaft, für dich und mich. Seine Kreativität ist uns immer voraus. Und wir hinken ungeschickt seiner Liebe hinterher.

In der vergangenen Woche hat der Rat der EKD diesen unauflöslichen Zusammenhang von Schöpfer und Geschöpf mit einer Friedensdenkschrift konkretisiert. Sie hat den Titel „Aus Gottes Frieden leben – für gerechten Frieden sorgen“. Zuspruch und Anspruch sind aufeinander bezogen, der Ruf Gottes und die Antwort der Menschen. „Wer aus dem Frieden Gottes lebt, tritt für den Frieden in der Welt ein“, sagt die Denkschrift und beschreibt in diesem Zusammenhang auch Möglichkeiten und Grenzen internationaler bewaffneter Friedensmissionen. Nicht nur die Kirche ist im Wandel, auch die Bundeswehr, die ihr Friedensmandat bewähren muss an globalen Bedrohungen wie dem Zerfall staatlicher Rechtsordnungen, dem Terrorismus sowie den Weltproblemen des Hungers und der Umweltzerstörung. Das ist nicht einfach. Denn dem Leitmotiv „gerechter Friede“ entsprechen wir im Kalkül der Weltpolitik nur selten. Sünder sind wir, das ist wahr.

Aber vor die Alternative gestellt, die guten alten Zeiten zu beschwören oder sich in Wolkenkuckucksheime zu träumen, halten wir uns lieber an der Gnade fest und gehen über den Balken, den der Gekreuzigte über den Riss gelegt hat, der Gott und Mensch, Mensch und Mitmensch trennt. Wir balancieren tapfer über die Abgründe, weil wir glauben:

Gott schafft neue, gnädige Anfänge.

Wie der Töpfer den Ton formt mit seiner Hand.

breitet er aus den weiten Raum der Freiheit,

und führt heraus aus alten Wegen und falschen Träumen,

aus Bequemlichkeit und Eigensucht,

aus der Unfähigkeit zu lieben,

aus der Selbstverständlichkeit bewährter Konzepte,

aus Fehlern, die quälen,

aus Angst, zu versagen

aus Ärger, täglich zusammengekehrt in den Abfalleimer des Tages,

aus Enttäuschung und Einsamkeit

aus Unfrieden und Gewalt.

Gott schenkt seine Gnade.

Durch den Gekreuzigten und Auferweckten,

durch den, der sagt:

Siehe, ich mache alles neu!

Hoffentlich singt die Kirche am Reformationstag sein Lied.

Hoffentlich wagt die Welt seinen Frieden.

Hoffentlich traue ich seiner Liebe.“