Pressemitteilung

Predigt im Trauergottesdienst am 18. August 2000 im Kölner Dom für die Opfer des Concorde-Absturzes

Präses Manfred Kock - Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland

  • 25.3.2002

Predigttext: 1. Korinther 13, 8-12


Der Friede Jesu Christi sei mit euch!


Liebe Trauergemeinde:


(1) Unser Leben ist Stückwerk


Unser Erkennen, unser Reden ist Stückwerk. Stückwerk bleibt, was immer Menschen entwickeln, konstruieren, bauen und betreiben.


Millionen haben die Maschine gesehen mit ihrem Schweif aus Feuer und Rauch und die anschließende Explosion und die Trümmer in dem zerstörten Hotel. Die Fernsehsender haben das immer wieder gezeigt. Gefühle der Trauer und der Ohnmacht hat das ausgelöst.


Unser Leben ist Stückwerk.


Die Unvollkommenheit und die Zerbrechlichkeit unserer menschlichen Existenz steht uns vor Augen. Zu ihr gehören enttäuschte Erwartungen, unerfüllte Liebe, unüberwindliche Krankheiten ebenso wie menschliches Versagen und das, was wir Fehler der Technik nennen.


Was immer die Untersuchungen der Experten, was immer die Recherchen der Journalisten enthüllen – man wird Ursachen benennen, die zu diesem Unglück am 25. Juli 2000 geführt haben. Aber es beantwortet nicht die Frage nach dem „Warum“. Warum ausgerechnet diese Maschine, warum ausgerechnet diese Menschen. Zudem werden alle technischen Erklärungen nicht ungeschehen machen, was geschehen ist. Auch künftig werden Ereignisse dieser Art eintreten, wir wissen es wohl.


Insofern klingt der Vers fatalistisch:


Unser Erkennen ist Stückwerk, die Erkenntnis über uns Menschen, über die Grenzen unserer Fähigkeit und unsere Erkenntnis der Pläne Gottes ist Stückwerk.


Die Frage nach dem „warum“ bleibt unbeantwortet – unerbittlich und schmerzlich, weil solch eine Unglückserfahrung nicht in das Bild einer von Gott regierten Welt zu passen scheint.


Es ist aber wohl dieses Bild, das aufzuklären ist.


Gerade deshalb, weil die Vorstellungen einer effizienten und perfekten Technik uns einreden, Ohnmacht, menschliches Versagen und in ihrem Gefolge menschliches Leiden seien grundsätzlich überwindbar.


Unser Erkennen bleibt Stückwerk.


(2) Die Liebe aber hört niemals auf.


Das steht gegen die menschliche Ohnmacht. Das steht gegen den Traum technischer Perfektion. Das steht gegen die zerstörten Hoffnungen und gegen alle Fassungslosigkeit.


Der brutale Absturz verstellt uns vielleicht diese Gewissheit.


Alle, die im Flugzeug saßen, waren ja auf Urlaub gestimmt, auf Erholung, auf Erleben, hatten für die Rückkehr schon ihre Pläne gemacht.


Auch Zeit zum endgültigen Abschied war ja nicht. Denn in der Erwartung der Rückkehr in wenigen Wochen hatten Sie, die Angehörigen, Ihre Lieben in Ihren Gedanken begleitet.


Und nun dieses plötzliche katastrophale Ende.


Alles, was noch hätte gesagt und gelöst werden sollen, bleibt ungesagt und ungetan.


Aber die Liebe bleibt.


Der Apostel, dessen Erkennen Stückwerk ist, lebt in dieser Gewissheit. Die Erkenntnis als Stückwerk ist insofern gar nicht fatalistisch. Denn das Stückwerk vergeht; wie Kinder erwachsen werden, so wird das Unerwachsene vergehen.


Noch sehen wir rätselhafte Umrisse, wie in einem verzerrenden Spiegel. Dann aber werden wir Klarheit erhalten.


Von Angesicht zu Angesicht werden wir sehen, sagt der Apostel.


Er meint eine Hoffnung, die nicht vertröstet, sondern wirklich Trost ist. Die Sprache der Psalmen, der Lieder und Gebete bietet Wegzehrung für unser Leben bis dahin.


Der große Dom, in dem wir versammelt sind, ist voller Wegzeichen, bis wir „sehen von Angesicht zu Angesicht“. Die Sprache der Architektur, die vielen Christusbilder weisen auf den Trost hin und schaffen einen Raum der Geborgenheit, das Stückwerk zu ertragen.


So gibt es – geschaffen in 2000jähriger Geschichte – eine Fülle von Wegzeichen, die immer wieder die Hoffnung gegen den Tod bezeugen an vielen Orten, auch in denen, aus denen Sie kommen.


Diese Hoffnung ist gegründet in dem Christus, dem Mann, der ans Kreuz ging und zum Leben erweckt wurde.


Er wurde vom Sterben gequält, aber vom Tode nicht besiegt. Das ist der Grund der Hoffnung. „Ich lebe, und ihr sollt auch leben“, ist sein Versprechen.


Darum lautet die Botschaft des Apostel: „Wir werden sehen von Angesicht zu Angesicht.“


Jetzt noch macht uns der Tod ratlos. Aber alle Ratlosigkeit, alle Rätsel werden gelöst.


(3) Bis dahin lasst uns getröstet gehen. Denn die Hoffnung wirkt sich aus auf unser Leben, schon jetzt und gerade angesichts der Fassungslosigkeit und der Schmerzen.


Unsere wirren Gefühle und Gedanken werden sich ordnen durch den, der stärker ist als der Tod.


– Sie, die Angehörigen, stellen sich vor Augen, was Sie denen verdanken, die von


Ihnen gerissen wurden. Ihr Schmerz wird sich wandeln in Dankbarkeit.


– Sie alle können als Menschen in dieser Leiderfahrung einander beistehen in


ihren Familien, können sich Zeichen der Liebe geben, können Konflikte bereinigen, die angesichts des Todes oft so nichtig sind.


– Wir alle, die vielen Menschen in Deutschland und Frankreich, die Anteil nehmen


am Schmerz der Angehörigen, können für Takt und Behutsamkeit sorgen, können Reporter und Fotografen vor Zudringlichkeit und Indiskretion warnen.


– Wir alle können unseren Lebensweg bewusster gehen, wenn wir die mensch


lichen Grenzen annehmen; wir können uns hüten vor falschen Sicherheiten; aber ebenso brauchen wir nicht in panischer Angst vor den Risiken des Lebens zu erstarren, weil wir nicht tiefer fallen können als in Gottes Hand.


– Wer für Sicherheit zuständig ist, arbeite gewissenhaft; und die für Finanzen


Verantwortlichen mögen bitte gemäß den Versprechungen zügig und großzügig arbeiten an der Lösung der materiellen Seite des Unglücks.


– Lasst uns auch denen danken, die sich als Helfer und Retter eingesetzt haben,


die hier unter der Last standen, dass Leben nicht mehr zu retten war.


– Lasst uns auch an die denken, in deren Wohnnähe der Absturz geschah. Sie


brauchen Zeichen, dass der Grund ihrer Ängste behoben wird.


All dieses sind Schritte und Vorhaben aus der Kraft der Liebe, die stärker ist als der Tod.


Am Ende des Kapitels, aus dem die Lesung stammt, steht der Satz, auf den der Apostel alle seine Gedanken hinlenkt. Der Satz will unser Trost sein:


Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe.


Aber die Liebe ist die größte unter ihnen.


Der Segen Gottes, des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes komme über euch und bleibe bei euch.


Amen