Pressemitteilung

Präses Manfred Kock: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“

Woche der ausländischen Mitbürger / Interkulturelle Woche vom 24. bis 30. September 2000

  • 25.3.2002

Düsseldorf – Seit 25 Jahren rufen Kirchen, Gewerkschaften, Aktionsbündnisse und Initiativen zu mehr Gerechtigkeit und Toleranz im Zusammenleben mit Fremden in unserem Land auf. Rückblickend lässt sich feststellen, dass die Aktionen, die bundesweit Hunderttausende in Gottesdiensten, bei Informationsveranstaltungen, Aktionstagen und öffentlichen Demonstrationen erreichen, nicht ohne Auswirkungen auf die Ausländerpolitik in Deutschland geblieben sind.


Doch die fast täglichen Berichte über fremdenfeindliche und rassistische Angriffe machen deutlich, dass viele Deutsche weiterhin ein gestörtes Verhältnis zu den sogenannten Fremden haben.


In unserem Land verbreitet sich ein Klima, das Gegner der Demokratie und gewaltbereite Verbrecher immer wieder dazu einlädt, das Leben anderer zu gefährden.


Unter dem Motto „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ findet bundesweit vom 24. bis 30. September die diesjährige „Woche der ausländischen Mitbürger / Interkulturelle Woche“ statt. Als Christinnen und Christen begreifen wir die Würde des Menschen in der unmittelbaren Beziehung zu Gott. Jeder Mensch ist Bild Gottes, ist Wesen, das Gott entspricht. Deshalb hat niemand das Recht, die Würde eines anderen Menschen anzutasten.


Im Gegenteil, wir sind alle verpflichtet, Gottes Antlitz in jedem Menschen, auch in jedem Fremden zu erkennen: In der Roma-Familie aus Kosovo, im illegal beschäftigten Arbeitnehmer, im von seiner Familie getrennten und allein eingereisten minderjährigen Iraner, in der Prostituierten aus Lateinamerika, in der kongolesischen Bürgerkriegsfamilie…


Schon 1980 machte der Ökumenische Vorbereitungsausschuss, der für die Gestaltung der „Woche“ verantwortlich ist, auf notwendige gesellschaftliche Veränderungen aufmerksam und forderte dazu auf, „sich den neuen Verhältnissen und Bedingungen eines multikulturellen Miteinanders anzupassen“.


Anstatt sich den abzeichnenden neuen Realitäten zu öffnen, wurden Gesetze verschärft, die Verfassung geändert und die faktische Einwanderung nach Deutschland geleugnet. Auf europäischer Ebene wurden die Voraussetzungen geschaffen, sich gegenüber Asylsuchenden und Flüchtlingen abzuschotten.


Selbst wenn angesichts restriktiver gesetzlicher Bestimmungen die Zahlen der Asylsuchenden und Flüchtlinge in Deutschland (und Europa) zurückgehen (und die Zahlen der Menschen ohne Aufenthaltsstatus ansteigen), werden wir von den weltweiten Migrationsbewegungen nicht „verschont“ bleiben. Leistungssenkungen in der Sozialhilfe, Arbeitsverbote oder die Praxis der Abschiebehaft werden auch weiterhin nicht dazu führen, die Schutzsuchenden fernzuhalten. Im Kontext von Äußerungen, dass Ausländer nur deshalb nach Deutschland kämen, um unseren Sozialstaat auszunutzen, schaffen sie vielmehr den Nährboden, auf dem Fremdenfeindlichkeit und Rassismus gedeihen können.


Wo die Würde des einzelnen Menschen aus dem Blick gerät und generalisierend mit dem Stigma des Missbrauchs versehen wird, findet der „normalisierte Fremdenhass“ seine Fürsprecher und Unterstützer.


Darum müssen wir über Asyl- und Abschiebepraxis, über Einwanderung und Arbeitslosigkeit, über das Verhältnis derer, die dazugehören, zu denen, die in der einen oder anderen Weise draußen stehen, offensiv und öffentlich streiten.


Dazu bietet die „Woche der ausländischen Mitbürger“ Gelegenheit. Denn Fremdenfeindlichkeit und Rassismus werden nur dann an Kraft verlieren, wenn die verwirrten Geister erkennen müssen, nicht länger auf die stillschweigende Zustimmung vieler in der Bevölkerung zählen zu können.


Deshalb genügt es nicht, sich im Kreis Gleichgesinnter zu entrüsten; gefragt ist eine langfristige Strategie, die darauf abzielt, die soziale Spaltung in Verlierer und Gewinner der Modernisierung zu überwinden. Dazu zählt gegenwärtig die gesellschaftliche Auseinandersetzung um Zuwanderung und Asyl. Abgesehen von den törichten Wortspielen mit ihren rassistischen Untertönen, glauben viele am Maßstab des nationalen Nutzens zwischen „guten“ und „schlechten“ Ausländern unterscheiden zu können. Aber dieses Unterscheidungsproblem werden die jedenfalls nicht bewältigen, die ihre Einstellungen mit Stiefeltritten und Baseballschlägern unterstreichen.


Unser Glaube und der Respekt vor der Würde jedes Menschen verlangt unseren erkennbaren Einsatz. Darum bitte ich Sie von ganzem Herzen. Jeder Appell gilt deshalb zunächst uns selbst und jede Aktion muss ihren Ausgang bei uns nehmen. Tragen Sie Ihre berechtigte Entrüstung in die Öffentlichkeit, schließen Sie sich mit anderen zusammen, informieren Sie in Gemeindeveranstaltungen und initiieren Sie Aktionsbündnisse vor Ort. Feiern Sie Gottesdienste und tragen Sie vor Gott, was uns in diesen Wochen besonders belastet.


Die „Woche der ausländischen Mitbürger“ ist nur eine von vielen Möglichkeiten, dem Auftrag des Evangeliums zu entsprechen, Fremden unter uns Schutz und eine gesicherte Lebensperspektive zu geben. Es ist unsere Verpflichtung als Christinnen und Christen öffentlich zu widersprechen, wenn unter der Hand ein Einwanderungsgesetz gegen das Asylrecht, Computerspezialisten gegen nachziehende Familienangehörige, „gute“ gegen „schlechte“ Ausländer ausgespielt werden sollen. Es geht in dieser Frage nicht allein um den Wirtschaftsstandort Deutschland, sondern es geht darum, dass wir dafür einstehen, dass mit der Würde anderer die eigenen Lebensgrundlagen verteidigt werden.


In der direkten Begegnung und dem Schutz von Fremden folgen wir Gottes Verheißung, die allen Menschen gilt:


„Und Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde, nach dem Bilde Gottes schuf er ihn;


als Mann und Weib schuf er sie“ (Gen. 1,27).