Pressemitteilung

Erklärung des Vorsitzenden des Rates der EKD, Präses Manfred Kock, zum Jahrestag des Beginns der NATO-Luftangriffe auf Serbien und zur Situation im Kosovo

Den Frieden gewinnen

  • 2.4.2002

Präses Manfred Kock fordert ein Jahr nach dem Beginn Kosovo-Krieges klarere Ziele in der Balkanpolitik


Ein Jahr nach dem Beginn des Kosovo-Krieges ist die Bilanz zwiespältig. Die Vertreibung der Kosovo-Albaner ist rückgängig gemacht worden. Im Rahmen einer internationalen Friedensordnung unter der Herrschaft des Rechts wird die Souveränität der Einzelstaaten nicht mehr uneingeschränkt akzeptiert. Andererseits ist der Haß aufeinander ungebrochen, Mord und Totschlag haben nicht aufgehört. Die Aussichten auf die Verwirklichung eines multiethnischen Kosovo sind erheblich beeinträchtigt. Niemand wagt sich derzeit vorzustellen, wie es im Kosovo ohne die Anwesenheit der KFOR zugehen würde. Den KFOR-Soldaten und den internationalen Polizeikräften gebührt Dank, daß sie unter hohem persönlichem Risiko den ständig drohenden Ausbruch neuer Gewalt eindämmen.


Die Entscheidung zur Anwendung militärischer Gewalt gegen Serbien war der Ausdruck des Scheiterns der Verhandlungspolitik. Jetzt droht ein weiteres Scheitern, wenn man nach dem Ende des Krieges den Frieden im Kosovo nicht gewinnt. Damit der Frieden eine Chance bekommt, müssen die Voraussetzungen für eine ernsthafte Friedenspolitik geschaffen worden:


– Es bedarf klarer Absprache über die politischen Ziele, die man auf dem Balkan erreichen will. Darüber besteht unter den Mitgliedsstaaten der NATO – geschweige denn zwischen den unmittelbaren Konfliktparteien – keine Einigkeit. Das läßt den Schluß zu, daß unter den NATO-Partnern von Anfang an keine hinreichende Übereinstimmung über die Ziele der Intervention bestand. Zu den Kriterien, die der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland 1994 in seiner Schrift „Schritte auf dem Weg des Friedens“ für die Entscheidung über „humanitäre Interventionen“ formuliert hat, gehört aber gerade, daß „die Politik im Rahmen des Schutzes oder der Wiederherstellung einer rechtlich verfaßten Friedensordnung über klar angebbare Ziele einer Intervention verfügt“ und daß „die an den Zielen gemessenen Erfolgsaussichten nüchtern veranschlagt werden“.


– Für die militärische Intervention gegen Serbien haben die Mitgliedsstaaten der NATO kurzfristig erhebliche finanzielle Mittel bereitgestellt. Daß nur zögerlich und in viel zu geringem Umfang finanzielle Mittel für den wirtschaftlichen Wiederaufbau – nicht nur des Kosovo, sondern auch Serbiens und der Region insgesamt – aufgewendet werden, ist ein Skandal.


– Wenn der wirtschaftliche Wiederaufbau auch in Serbien gefördert und durch eine Verbesserung der Lage der Bevölkerung die Voraussetzung für eine demokratische Entwicklung verbessert werden soll, muß das Wirtschaftsembargo gegenüber Serbien augehoben werden.


Die Bemühungen der Kirchen, ihren Beitrag zum Frieden im Kosovo zu leisten, konzentrieren sich vor allem auf drei Gebiete:


– Sie suchen und sammeln Menschen, die trotz der gegenwärtigen negativen Entwicklung und der Gefahr der Resignation durch konkrete Versöhnungsarbeit vor Ort die Hoffnung auf ein friedliches Zusammenleben der verschiedenen Ethnien aufrecht erhalten. Solange das Gesetz der Blutrache das Handeln bestimmt, ist Versöhnung nicht mehr als ein Wunschtraum. Unsere eigene Geschichte mit unseren europäischen Nachbarn erinnert daran, daß es ein Miteinander oder wenigstens ein Nebeneinander, ohne Versöhnung nicht geben kann.


– Der Ausbau der zivilen Friedensdienste ist in diesem Zusammenhang ein wichtiges Mittel. Die bisher gemachten Erfahrungen, etwa in Bosnien, zeigen die Chancen, die in einer solchen Friedens- und Versöhnungsarbeit stecken.


– Friedens- und Versöhnungsarbeit ist auf keinen Fall nur von außen möglich. Darum sind intensive Gespräche mit den ökumenischen Partnern vor Ort unentbehrlich. Die Kirchen in Deutschland werden fortfahren, ihre Kontakte bilateral und auf der Ebene der europäischen Zusammenschlüsse zu nutzen. Ebenso werden sie die notwendigen diakonischen Hilfsmaßnahmen weiterführen.