Pressemitteilung

Auszüge aus einem Gespräch des Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland, Präses Manfred Kock

Kock spricht zum Thema Ausländerfeindlichkeit nach den Anschlägen auf die Düsseldorfer Synagoe

  • 7.3.2002

Frage: Am Tag nach dem Anschlag auf die jüdische Synagoge in Düsseldorf, dort haben vermutlich mehrere Täter in der Nacht zum Dienstag Molotowcocktails auf die Synagoge geworfen: Die Polizei ist mit ihren Ermittlungen noch nicht weiter gekommen, aber überall in Deutschland werden die Überwachungs-Maßnahmen für jüdische Einrichtungen verstärkt. Was ist das für ein Land im Moment?


Präses Manfred Kock: Ich finde es schrecklich. Das zweite Mal ist eine Synagoge Ziel eines Angriffs gewesen, und man fühlt sich erinnert an schreckliche Zeiten 1938. Ich denke, wir müssen dieses Erschrecken kund tun und müssen dafür Sorge tragen, dass jüdische Mitbürger nicht das Gefühl haben, sie seien in diesem Lande unerwünscht.


Frage: Das scheint allmählich der Fall zu sein. Der Zentralrats-Vorsitzende Spiegel hat erklärt, ihm fehle der Glaube, ob es denn richtig sei, wieder jüdische Gemeinden in Deutschland aufzubauen. Das ist doch dann eine sehr bedenkliche Entwicklung. Wie kann man da gegensteuern?


Präses Kock: Ich verstehe die Enttäuschung von Paul Spiegel. Die jüdischen Gemeinden sind seit Jahren wachsende Gemeinden. Dass nun plötzlich jüdische Einrichtungen verbarrikadiert werden müssen, dass eine ständige Bewachung erforderlich ist, das ist kein Normalzustand. Aber die Anschläge richten sich nicht nur gegen die Juden. Es ist eine Schande für unser Land. Gestern, am Tag der deutschen Einheit, haben wir ein fröhliches Fest feiern wollen und an demselben Tag wird wahrscheinlich gezielt solch eine Schweinerei begangen. Das ist ganz furchtbar – und es ist im Grunde etwas, was sich gegen uns selbst richtet, gegen Deutschland. Wenn sich unser Land so zeigt, dass deutsche Juden das Gefühl haben, sie könnten hier nicht leben, finde ich das sehr schlimm.


Frage: Es hat ja nicht nur den Anschlag auf die Synagoge in Düsseldorf gegeben. Das ehemalige KZ Buchenwald, dort hat es Schmierereien gegeben, Schändungen, ein jüdischer Friedhof in Schwäbisch Hall ist geschändet worden. Und das, Sie sprachen es gerade an, am Tag der Deutschen Einheit, wo eigentlich überall gefeiert wurde. Richtet sich der Anschlag nicht nur gegen die jüdischen Einrichtungen in Deutschland, eigentlich gegen unser ganzes Land.


Präses Kock: Ja, es richtet sich gegen Deutschland. Es richtet sich gegen ein Land, das eigentlich offen und human sein will, das die Menschenwürde schützen will, wie es in unserer Verfassung heißt. Und da gibt es ein paar Desperados, junge Leute, Verwirrte, die dann zu solchen Mitteln schreiten. Die wissen natürlich, an welcher Stelle unser Land empfindlich ist. Es sind nicht nur die makaberen Täter, sondern auch die leichtfertigen Sprücheklopfer, die davon reden, dass in unserem Land zu viele Ausländer wären, die mitbeteiligt sind. Sie nutzen die jungen Leute, die kein Selbstwertgefühl haben. Die brauchen einen Sündenbock für ihren Hass. Wir müssen uns deshalb fragen, wie wir unsere Jugend erziehen.


Frage: Und das alles nach einem Sommer, in dem Politiker und Vertreter des öffentlichen Lebens landauf landab gegen Rechtsextremismus gepredigt haben. Waren das Reden, die ins Leere gegangen sind?


Präses Kock: Nein, nein. Das will ich nicht sagen. Ich bin ja froh, dass sich Leute empören, dass ein Aufschrei durch unser Land geht. Denn anders als 1938 haben wir eine demokratisch gewählte Regierung, wir haben eine gute Verfassung und wir haben eine Polizei, die nicht hinter diesen Anschlägen steht, sondern die Pflicht hat, diese zu verhindern und zu bekämpfen. Und die große Mehrheit in unserem Lande empfindet die Anschläge als beschämend.


Frage: Wenn Sie sagen, wir müssen frühzeitig bei den Jugendlichen ansetzen, frühzeitig an Jugendliche herantreten, eigentlich eine langfristig angelegte Auseinandersetzung mit dem Problem der Ausländer-Feindlichkeit – was schlagen Sie da genau vor?


Präses Kock: Ich denke, das muss vor allem ein Programm in den Schulen sein. Es muss eine Veränderung im Unterricht geben. Der Unterricht darf sich nicht nur auf die Frage konzentrieren, ob die Leute im Zeitalter der Internet-Kultur funktionieren. Sondern es geht auch darum, dass schlichte Humanität gelehrt wird. Die Schule muss einer ganzheitlichen Erziehung dienen.


Frage: Es muss aber eine Bewegung auf breiter Basis werden. Ich meine, der Schutz von Minderheiten als Bestandteil der Demokratie darf nicht nur von Politikern an der Spitze oder irgendwelchen Sport-Idolen vertreten werden oder reicht das als Vorbild?


Präses Kock: Sie haben schon eine Vorbildfunktion. Aber es ist die Sache jedes Einzelnen, fremdenfeindlichem Reden und Tun zu widerstehen. Und dass muss man ja zur Kenntnis nehmen, dass es durchaus auch diese verborgenen Sprüche gibt. Auch unter den Politikern gibt es solche Sprüche . Da ist die Rede von nützlichen Ausländern, die man braucht und nutznießenden, die uns hier nur ausnutzen wollen. Und meinen Sie denn, dass diese schlichten Glatzköpfe wirklich unterscheiden können, was gute und was schlechte Ausländer sind. Die hauen drauf, wo sie meinen, das System ärgern zu können.