Pressemitteilung

zum Sozialpolitischen Aschermittwoch der Kirchen am 25. Februar 2009 im Dom zu Essen

Thematische Einführung von Präses Nikolaus Schneider

  • Nr. 63/2009
  • 25.2.2009
  • 9209 Zeichen

Achtung: Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

nachfolgend bekommen Sie den o.a. Text vom heutigen Sozialpolitischen Aschermittwoch der Kirchen in Essen zu Ihrer Verwendung.

 

Mit freundlichem Gruß

Jens Peter Iven
Pressesprecher

 

 

Sehr geehrter Herr Präsident, lieber Herr Professor Pöttering,
verehrter, lieber Bruder Genn,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
liebe Schwestern und Brüder,

wir haben in diesem Jahr „europäische Perspektiven“ zum Thema des Sozialpolitischen Aschermittwoch der Kirchen gewählt,

– nicht nur, weil die Wahlen zum Europäischen Parlament anstehen,

– nicht nur, weil die Diskussion um eine künftige EU-Verfassung noch immer nicht abgeschlossen ist und merkwürdige verfassungsrechtliche Auseinandersetzungen produziert,

– auch nicht nur, weil wir in einer weltweiten Finanzkrise stecken, für deren Lösung Europas Geschlossenheit dringend erforderlich ist.

 

Wir haben Europa zum Thema gemacht, weil die ökumenisch verbundenen Kirchen Europas eine Mitverantwortung für den europäischen Einigungsprozeß tragen. Unser Dienst an Europa gilt der Versöhnung und der Aufarbeitung historischer Schuld. Aber auch die gerechte Gestaltung der wirtschaftlichen und sozialen Strukturen in Gegenwart und Zukunft sind unsere Anliegen. Europa braucht beides: die Kultur der Erinnerung und den gerechten sozial-ökonomischen Ausgleich. Beides soll uns davor bewahren, alte Fehler zu verdrängen oder sie aus der Verdrängung heraus geradezu zwanghaft zu wiederholen.

 

Europa hat mit der Gründung der Union einen verheißungsvollen Weg eingeschlagen. Mit der freiwilligen Erweiterung der politischen Unon demonstrieren die Mitgliedsstaaten der EU der Welt,

  • dass gerechter Frieden auch nach Jahrhunderten der Feindschaft möglich ist.
  • dass Bildung und partnerschaftliche Begegnung stärker sind als Vorurteile,
  • dass Verträge bessere Mittel der Friedenssicherung sind als jede Rüstung,
  • dass Chancengerechtigkeit und die bedarfsgerechte Verteilung von Wohlstand kostengünstigster sind als alle anderen Methoden zur Sicherung des wirtschaftlichen Erfolgs.

 

Für diese Ziele setzen wir uns als Kirchen aktiv ein.

Die Kirchen begrüßen es, dass die Europäische Kommission das Jahr 2010 zum „Europäischen Jahr zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung“ erklärt hat. Wir haben die im Jahr 2000 in Lissabon gesteckten Ziele der Armutsbekämpfung unterstützt und uns vielfältig mit eigener Aufklärungs- und Bildungsarbeit und zahlreichen Initiativen und Aktionen auf nationaler wie auch auf der Ebene der kirchlichen Zusammenschlüsse beteiligt. Auch an der Diskussion um die ebenfalls seinerzeit in Lissabon verabredete „Strategie für Wachstum und Beschäftigung“ haben die Europäischen Kirchen teilgenommen. Das kommende „Europäische Jahr“ wird Gelegenheit geben, zu prüfen, in wieweit die Strategien erfolgreich waren, welche der eingegangenen Verpflichtung eingelöst wurden und was weiter zu tun bleibt.

 

Wir unterstützen darum weiterhin nach Kräften die Ziele des „Europäischen Jahres zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung“:

  • Anerkennung des Rechts armer Menschen auf ein Leben in Würde und auf umfassende Teilhabe an der Gesellschaft;
  • Verstärkung der Strategien und Maßnahmen zur öffentlichen Förderung der sozialen Eingliederung
  • Betonung der Verantwortung, die jeder Einzelne im Kampf gegen Armut und Marginalisierung trägt;
  • Förderung eines stärkeren sozialen Zusammenhalts durch Aufklärung über die positiven Wechselwirkungen, die mit der Armutsbekämpfung für alle verbunden sind;

 

 

Die Finanzkrise ist eine weitere Bewährungsprobe für die Europäische Union. Freilich macht die aktuelle innerdeutsche Diskussion um die Vereinbarkeit des EU-Reformvertrags von Lissabon mit dem deutschen Grundgesetz deutlich, dass nicht alles Beifall findet, was in Brüssel oder Straßburg beschlossen wird. Ich hoffe, dass die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts dem größten EU-Mitglied nicht zumutet, seine fünfzigjährigen Integrationsbemühungen für ein geeintes Europa zurückzufahren zu Gunsten eines höchstrichterlich verordneten Nationalstaatsprinzips, das längst überwunden schien.

Ist Europa wirklich dabei eins zu werden? Deuten nicht nationale Selbstrettungsversuche, wie sie im politischen Hyperaktionismus der letzten Wochen zutage getreten sind, in eine andere Richtung? Nationale Egoismen werden die Folgen der finanz- und Konjunkturkrise nicht heilen, sondern den Schaden größer machen.

Wir sollten es uns alle nicht zu einfach machen und nur und ausschließlich die Bankenwelt und die internationalen Finanzsysteme zu Sündenböcken machen. Dass es soweit kommen konnte, ist doch auch eine Folge von politischer Uneinigkeit innerhalb Europas. Die Notwendigkeit einer ordnungspolitischen Beschränkung der Finanzmärkte stand doch lange fest. Warum hat das Kind erst in den Brunnen fallen müssen, bis man sich dazu entschließt, die Gefahr zu beseitigen?

Vielmehr noch als um diese – und eine Vielzahl anderer aktueller – Problemstellungen geht es uns heute um die langfristigen Entwicklungsprozesse des Sozialraums, des Wirtschaftsraums und des Kulturraums der Europäischen Union. Längst ist allen bewußt, dass die Europäische Union mehr ist, als ein bloß ökonomischer Zweckverband. Für die Politische Union Europa gilt, was für jeden Mitgliedsstaat zutrifft: Sie lebt von Voraussetzungen, die die politischen Institutionen selber nicht generieren können.

Zu diesen Voraussetzungen gehören ein europäischer Wertehorizont und ein reiches geistlich-spirituelles Erbe. Beide sind in sich vielfältig und doch gibt es viele lebendige Bezüge zueinander. Gerade das religiöse Erbe ist durchzogen von besonders tragfähigen Strängen, etwa dem jüdisch-christlichen Menschenbild, der Sonntagskultur und der gemeinsamen Überzeugung vom unendlichen Wert und der unzerstörbaren Würde des einzelnen Menschen. Die Kultur der Barmherzigkeit und die Tradition der Solidarität prägen das menschliche Gesicht Europas. Barmherzigkeit und Solidarität sind freilich nie nur aufs privat-individuelle Handeln beschränkt gewesen. Beide Tugenden wurden immer auch als Gemeinschaftswerte gepflegt und haben sich bis in Grundrechtskataloge und in die Sozialgesetzgebung ausgewirkt. Sie bilden nach christlichem Verständnis keinen Gegensatz zu persönlicher Freiheit und wirtschaftlicher Liberalität. Der demokratische Stil, den die Europäische Union in ihren politischen und administrativen Institutionen pflegt, wird beidem gerecht werden müssen: der Freiheit und der Solidarität, der Würde des Einzelnen und dem Anspruch der Barmherzigkeit, die nicht in erster Linie Almosen sondern Gerechtigkeit einfordert.

Die Europäische Union war nie nur ein wirtschaftliches, sondern immer auch ein politisches Projekt. Als Wirtschaftsstandort allein kann Europa nicht überleben. Es muss sich als Wertegemeinschaft erleben. Wenn ein Land der Union beitritt, trifft es eine sehr grundsätzliche Werteentscheidung für eine politische Kultur, die sich einem spezifischen Erbe verdankt, das Elemente aus griechisch-römischer Antike, aus Christentum und Aufklärung enthält. Dazu gehört vor allem auch der säkulare Staat. Der ist nicht nur ein Kind der Aufklärung und der französischen Revolution, sondern er kennt eine mehr als 700 Jahre zurückreichende Trennung von „Sacerdotium“ und „Regnum“, von geistlicher und weltlicher Macht. Die Unterscheidung zwischen Religion und Politik ist das Eine, das Andere ist die Entwicklung eines zivilgesellschaftliche Gegenübers von Staat und Kirche, das die politische Kultur im Westen und in der Mitte Europas prägt. Die Kirchen wollen nicht Politik machen, aber sie wollen als Gesprächspartner ernst genommen werden und haben mit ihren politischen Einlassungen stets das Ziel, eine bessere Politik möglich zu machen.

Mit großem Wohlwollen sehen wir, dass eine Gruppe von Mitgliedern des Europäischen Parlaments die Notwendigkeit des europaweiten Sonntagsschutzes unterstreicht. Vor einem Jahr hat Bundesinnenminister Schäuble im Rahmen des Sozialpolitischen Aschermittwoch gesprochen und hervorgehoben, dass „Sonn- und Feiertage herausgehobene Zeiten der Gemeinschaft sind“ und dass der Sonntag ein notwendiges Gegengewicht zu den Beschleunigungseffekten der Globalisierung bildet. Der Initiative der Europaparlamentarier zum europaweiten Sonntagsschutz wünschen wir darum breite Zustimmung in dem Parlament, dem Sie sehr geehrter Herr Präsident Pöttering vorstehen.