Pressemitteilung

Die Zeit heilt keineswegs alle Wunden

Neues Verfahren und Leitlinien zum Umgang mit sexualisierter Gewalt:

  • 15.1.2004


Sexueller Missbrauch bedeutet tiefe Verletzung des Leibes und tiefe Verletzung der Seele und darf nicht tabuisiert werden – auch nicht in der Kirche. Den Opfern bietet ein Netz von Beratungsstellen vertrauliche Hilfe an. Doch nicht nur das. In der Evangelischen Kirche im Rheinland können Betroffene bei sexuellen Übergriffen durch Pfarrer bzw. Pfarrerinnen oder Kirchenbeamtinnen bzw. Kirchenbeamte seit Juni 2003 ein besonderes Hilfsangebot in Anspruch nehmen, bei dem vertrauliche Beratung und juristische Ermittlung voneinander getrennt verlaufen.


Das neue Verfahren regelt den Umgang mit Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung klar und mit Rücksicht auf die Betroffenen behutsam. Unabhängig von der Einleitung eines Disziplinarverfahrens steht den Betroffenen als erste Ansprechpartnerin eine beratende Juristin des Frauenreferates zur Verfügung, mit der sie in geschütztem Raum über ihre Erlebnisse sprechen können. Was dann geschieht, hängt von den Entscheidungen der Betroffenen ab. Wenn sie es wünschen, vermittelt die beratende Juristin Kontakte zu kompetenten Beratungskräften. Die beratende Juristin kann die Informationen auch an die ermittelnde Juristin zur Einleitung eines Disziplinarverfahrens weiterleiten. Doch dies geschieht lediglich dann, wenn die Betroffenen damit einverstanden sind.


Das neue Verfahren, das auf ein niederländisches Modell zurückgeht, wird in dieser Form erstmals in der Evangelischen Kirche im Rheinland angewendet. Vorgestellt wird es in einer Broschüre mit dem Titel „Die Zeit heilt keineswegs alle Wunden. Leitlinien im Umgang mit sexualisierter Gewalt“, die die Synodalen gestern erhielten. Die Broschüre wendet sich vor allem an seelsorglich Tätige und Gemeindemitglieder, die beim Vorliegen eines Verdachts auf sexuellen Missbrauch helfen wollen.


Das 30-seitige Heft enthält allgemeine Informationen über sexuellen Missbrauch, die Opfer und die Täter sowie praktische Empfehlungen für Gespräche mit Betroffenen. Es wird geraten, für die Opfer Partei zu ergreifen – aber mit Feingefühl. Gewarnt wird vor überstürztem Handeln ohne Rücksprache mit kompetenten Fachleuten. Es gibt einen Überblick über die rechtlichen Grundlagen für den Umgang mit sexueller Gewalt in Gesellschaft und Kirche, Beichtgeheimnis und seelsorgliche Schweigepflicht. Unterrichtsbeispiele zeigen, wie sexualisierte Gewalt und Kindesmisshandlung auch im Unterricht altersangemessen thematisiert werden können. Eine Adressenliste mit den Ansprechpartnerinnen aus Frauenreferat und Landeskirche und den evangelischen Beratungsstellen der rheinischen Kirche runden die Handreichung ab.


Die Landessynode hatte im Jahr 2000 ausdrücklich festgehalten: Gewalt gegen Frauen ist eine Sünde, die Gott selbst verletzt. Das Engagement der Evangelischen Kirche im Rheinland für die Opfer sexueller Gewalt steht in der Tradition der weltweiten ökumenischen „Dekade zur Überwindung von Gewalt“ (2001 – 2010) sowie der vorausgehenden Dekade „Kirche in Solidarität mit den Frauen“ (1988 – 1998). Immer wieder unterstützt die rheinische Kirche friedensstiftende Aktionen und Projekte zur gewaltlosen Konfliktlösung in der Gesellschaft und den Aktionstag „Nein zu Gewalt an Frauen“. Außerdem arbeitet sie an einer geschlechtergerechten Sprache und an der Gleichstellung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern (Gleich-stellungsgesetz, Frauenförderplan) in der Kirche.


Die Handreichung „Zeit heilt keineswegs alle Wunden. Leitlinien im Umgang mit sexualisierter Gewalt“ kann kostenlos bestellt werden bei:


Evangelische Kirche im Rheinland Landeskirchenamt/Abteilung II Hans-Böckler-Str. 7 40476 Düsseldorf, Tel. (0211) 4562 – 222 Fax (0211) 4562 – 560 E-Mail: alexandra.diehl@ekir-lka.de