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mehrIvo Sasek und die Anti Zensur Koalition befördern Antisemitismus und Rassismus
Meditieren, heilen, Juden hassen
Mit Lebensweisheiten und Mantren bedienen Esoteriker auf YouTube ein Riesenpublikum. Doch viele predigen auch rechte Verschwörungstheorien. Unbeobachtet von den Behörden.
"Ich dachte wirklich, ich tue etwas Gutes", sagt Jörg Mayerhofer. "Dabei habe ich mitgeholfen, eine Waffe zu erschaffen." Er sitzt im Windschatten einer Kirche, gleich neben einer mehrspurigen Straße einer deutschen Großstadt und schiebt zwei USB-Sticks über den Tisch. Darauf Daten, die helfen sollen, diese Waffe zu verstehen – um sie dann zu entschärfen. Ihr Name: Klagemauer.TV, kurz: Kla.TV.
Ein YouTube-Kanal, der Videos mit Hunderttausenden Klicks produziert. Die Titel: Die Rothschild-Kontrolle oder Vorbereitungen für einen dritten Weltkrieg?. Jeden Tag um 19.45 Uhr, eine Viertelstunde bevor die tagesschau beginnt, eine eigene tagesschau. Eine, in der Flüchtlinge Invasoren genannt werden und Angela Merkel kriminell. Es ist eine böse Welt, die sich auf Kla.TV den Zuschauenden präsentiert. Eine, die kurz vor dem Untergang steht – und die gespickt ist mit rassistischen und antisemitischen Verschwörungstheorien.
Jörg Mayerhofer ist ein friedlicher, ein feinfühliger Mensch. Einer, der sich immer wieder versichert, ob er gerade richtig handelt. Dass er dabei trotzdem oft das Falsche tat, hat mit Ivo Sasek zu tun, dessen Worte Mayerhofer einst für das Wort Gottes hielt. Sasek ist der Kopf von Kla.TV und der Anführer der OCG, der Organischen Christusgeneration, einer freikirchlichen, zunehmend esoterischen Sekte mit Sitz in der Schweiz. Sasek lässt seine Anhänger Mantren singen, predigt die Reinkarnation – und spielt mit Symbolen einer angeblichen jüdischen Weltverschwörung.
2.000 getreue Gläubige hat Sasek nach Einschätzung der schweizerischen Evangelischen Sekteninformationsstelle in der OCG um sich geschart und noch mehr Fans. Vor vier Jahren schaffte Jörg Mayerhofer den Ausstieg, doch noch immer fürchtet er die Sekte, deshalb bleibt sein richtiger Name ungenannt. Aussteiger und Journalisten sind in der Vergangenheit bedroht und eingeschüchtert worden.
Bestens vernetzt – und eine Bedrohung
Akteure wie Sasek, die antisemitische Verschwörungstheorien und esoterische Lebenshilfe vermischen, sind in Deutschland sehr erfolgreich: Neben Kla.TV gibt es Dutzende ähnliche YouTube-Kanäle. Stetig kommen neue hinzu, manche gehen wieder ein. Doch es werden mehr, sagen Sektenexperten. Die etablierten sind untereinander bestens vernetzt – und eine Bedrohung: "Die Behörden unterschätzen die Gefahr, die von der rechten Esoterik ausgeht", warnt Matthias Pöhlmann, Beauftragter für Sekten- und Weltanschauungsfragen der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern. "Die Situation wirkt für mich wie damals bei den Reichsbürgern. Man hat die bis zur Tötung eines Polizisten 2016 völlig unterschätzt. Esoterik wird zum trojanischen Pferd für Rechtsextremismus, Verschwörungsglauben und Antisemitismus. Das Wut- und Hasspotenzial in dieser Szene ist erschreckend."
November 2018 in der Markthalle von Sargans, einer Kleinstadt in der Schweiz. Auf Videoaufnahmen ist zu sehen, wie Ivo Sasek die Bühne betritt, golden schimmernder Anzug, ergraute Haare, strahlend weißes Lächeln. Ein bisschen sieht er aus wie eine George-Clooney-Parodie mit Schweizer Akzent. Ein bisschen sieht die Veranstaltung aus wie eine selbst gemachte Version der Golden Globes.
Im Publikum sitzen laut Veranstalter über 3.000 Menschen. Ein goldenes Siegel mit der Inschrift AZK wird in Saseks Rücken an die Wand projiziert: Anti-Zensur-Koalition. "Schulterschluss gegen Zensur", nennt Sasek seine Veranstaltung. Hierhin, auf den Olymp der Verschwörungstheorien, lädt er seit 2008 all jene, die den sogenannten Mainstream ablehnen: die Mainstreampresse, die Mainstreamschulen, die Mainstreamschulmedizin. All jene, die vom "System" enttäuscht wurden und Karriere gemacht haben mit teilweise rechtsextremen Verschwörungstheorien – als Buchautoren und im Internet. Eins haben sie alle gemein: Sie sind "erwacht", wie man hier sagt. Sie sehen eine Wahrheit, die die allermeisten nicht sehen.
Einer der Referenten ist Heiko Schrang, der sich 2014 einen Namen bei den umstrittenen Mahnwachen für den Frieden gemacht hat und mit seinem YouTube-Kanal Schrang.TV 147.000 Abonnentinnen und Abonnenten erreicht. Schrang spricht auf der Konferenz einerseits darüber, dass Deutschland eine Diktatur schlimmer als Nordkorea ist, andererseits über die Macht der Meditation und den Wunsch nach Frieden. Ein anderer Redner ist der Herausgeber des rechtsradikalen Compact Magazins, Jürgen Elsässer, er spricht über die Abschaffung Deutschlands. Verschwörungsesoteriker Michael Friedrich Vogt referiert über Migration als Waffe.
Es sind dieselben Thesen, die – in anderen Worten – Stephan B., der rechtsextreme Attentäter von Halle, während seiner Tat live ins Internet sendet. Die er noch expliziter formuliert, als er zwei Wochen später dem Ermittlungsrichter vorgeführt wird. Die Juden, behauptet B. an diesem Tag, strebten die Weltherrschaft an. Sie steckten hinter der US-Notenbank, der Europäischen Union, den Linken und den Grünen. Und sie steuerten die Flüchtlingskrise.
"Ein eleganter Weg, Menschen an rechtsradikale Gedanken heranzuführen"
Über B. heißt es, er habe sich über rechtsextreme Gruppen in der Gamer-Szene im Internet radikalisiert. Deshalb forderten Politiker, darunter Bundesinnenminister Horst Seehofer, rechtsextreme Tendenzen in dieser Szene genauer zu untersuchen. Doch weitgehend unbeobachtet von der Öffentlichkeit verbreiten sich rechtsradikale Haltungen auch in ganz anderen Teilen der Bevölkerung. Die Esoterik spielt dabei eine wichtige Rolle, weil sie dank ihres friedlich-freiheitlichen Rufs ein Publikum außerhalb der Neonaziszene anspricht: "Esoterik ist ein wahnsinnig eleganter Weg, um Menschen an Verschwörungstheorien und rechtsradikales Gedankengut heranzuführen, die dafür normalerweise nicht empfänglich sind", sagt Tobias Ginsburg. Der jüdische Autor und Theaterregisseur hat für sein Buch Reise ins Reich acht Monate undercover im Milieu der rechten Esoterik und Verschwörungstheorien recherchiert.
Viele Redner auf der AZK sind Meister im Spiel mit Codes und Chiffren, die dem Publikum andeuten, dass es sich um Juden handeln könnte – aber nicht so viel verraten, dass sie sich strafbar machen.
Die Botschaften sind kein Versehen
Doch immer wieder werden der Antisemitismus und Rassismus ganz konkret. Die politischen Botschaften, die auf Saseks AZK vorgetragen werden, sind kein Versehen.
2012 lud er Sylvia Stolz ein. In ihrer Rede sagte sie über den Holocaust: "Es fehlen die Feststellungen über Tatorte, Tötungsmethoden, Anzahl der Toten, Tatzeiträume, Täter, Leichen oder Spuren." Sie wurde im Anschluss verurteilt: ein Jahr und acht Monate Haft wegen Holocaustleugnung. Ivo Sasek wurde in der Schweiz nach einem Verfahren wegen Rassendiskriminierung in zweiter Instanz freigesprochen. Bis heute trägt Sasek das Urteil vor sich her wie eine eidesstattliche Erklärung, die ihm bescheinigt kein Antisemit zu sein.
Etwas anderes sagen die Unterlagen auf den USB-Sticks von Jörg Mayerhofer: 600 Dokumente, darunter viele Predigten von Ivo Sasek, die eigentlich nur für die Sekte zugänglich sind. In einer Predigt aus dem Jahr 2014, die ZEIT ONLINE vorliegt, bezieht er sich auf die Protokolle der Weisen von Zion. Eine gefälschte Schriftensammlung, die angeblich eine jüdische Weltverschwörung beweisen soll.
"Wir müssen uns nicht darüber streiten, haben das die Juden geschrieben oder setzen es die Juden um?", ruft Sasek. "Wir müssen feststellen: Es wurde geschrieben und es wird umgesetzt." Saseks Stimme bebt bedrohlich, Applaus unter seinen Anhängern brandet auf. Wenige Minuten später fragt Sasek, was denn wäre, wenn Adolf Hitler gleich nach Jesus Christus komme.
"Ich möchte ganz genau wissen, wer ist Rockefeller"
Und Sasek belässt es nicht beim Predigen. Mayerhofer berichtet, Sasek habe seine Anhänger dazu aufgefordert, Listen anzulegen von den Chefredakteuren deutschsprachiger Medienhäuser, in denen Wohnort und Arbeitsplatz, sexuelle Orientierung und "Abstammung" festgehalten werden sollen. "Revierhirtendienst" nannte er das. Die meisten OCGler hätten es so verstanden, dass Sasek mit Abstammung jüdisch oder nicht jüdisch meint, sagt Mayerhofer. Die Dokumente, die ZEIT ONLINE vorliegen, bestätigen das. In der Predigt, in der er zum Revierhirtendienst aufruft, erklärt Sasek, um welche Infos über die Chefredakteure es ihm geht: "Welcher Abstammung ist er oder sie? Und da meine ich jetzt mal richtig buchstäblich: Ist er wirklich nur schwarz oder deutsch oder hat er noch eine andere Bezeichnung oder sie? Das Ideologische und religiöse Zuordnung. Ich möchte ganz genau wissen, wer ist Rockefeller, ganz genau, gibt es noch eine genauere Definition? Wer ist Rothschild?"
Mayerhofer sagt: "Saseks Ziel ist wirklich der Sturz des Systems. Nicht durch die Gewalt von Waffen, sondern durch das Wort." Als Sasek gemerkt habe, dass man mit der OCG allein das System nicht einreißen kann, lädt er 2008 zur ersten AZK, versammelt andere Systemgegner in seiner Koalition. Gemeinsam steigern sie ihre Reichweite und die ihrer Theorien. 2011 gründet er die Zeitung Stimme & Gegenstimme und zwei Jahre drauf Klagemauer.TV, für das OCG-Mitglieder nach Angaben des Senders in 165 Film- und Tonstudios ehrenamtlich Sendungen einsprechen. Verfasst werden sie von Redakteuren, wie Jörg Mayerhofer es einst war. Er beschreibt Saseks Theorie so: "Wenn erst mal eine große kritische Masse bereitsteht, dann stürzt das System von allein." Dass "das System" eines ist, das von einer jüdischen Elite beherrscht wird, das deutet Sasek immer wieder unmissverständlich an. Auf der AZK, in seinen Predigten, auf Kla.TV.
Das Antisemitische in geringen Dosen beigemischt
Aussteiger Jörg Mayerhofer sagt von sich, er sei kein Antisemit, er habe viele jüdische Freunde gehabt. Er sei auf der Suche nach Spiritualität gewesen und unzufrieden mit den Zuständen nach der Bankenkrise 2008 und mit der Politik der Nato. Dass er danach mehr und mehr zu einem immer größeren Rädchen in einem immer größer werdenden antisemitischen Subsystem wurde, will er bis zuletzt nicht bemerkt haben.
Mayerhofers Biografie ist typisch für viele Menschen, die Verschwörungstheorien verfallen. Am Anfang steht die Unzufriedenheit: mit sich selbst – oder mit der Politik, "dem System". Sie stoßen auf Personen und Kanäle, die ihnen mit sogenannten alternativen Wahrheiten die Welt erklären. Das Antisemitische wird in geringen Dosen beigemischt, und wenn erst einmal das Reden von der jüdischen Gefahr konkret wird, dann bemerken es viele gar nicht, so sehr sind sie bereits in den Verschwörungstheorien zu Hause.
Und wenn doch, dann haben sie womöglich bereits ihr altes Leben aufgegeben, die Freunde verlassen, genauso wie die Realität – und es gibt kaum einen Weg mehr in dieses alte Leben zurück, ohne das Weltbild erneut zu zerschmettern.
Das Chaos hinter der Fassade
So wie bei Madeleine Gröber. "Es ist mir superpeinlich", sagt die 33-Jährige. An einem der letzten warmen Tage dieses Sommers sitzt sie vor einem Kaffeehaus in Wien und erzählt von ihrem einstigen Plan, Kontakt mit einem Sternenvolk aufzunehmen, mit dem schon Adolf Hitler in Verbindung stand. Gröber, die eigentlich anders heißt, ist eine intelligente Frau. Studiert, berufstätig, Mutter zweier Kinder, verheiratet mit einem Mann, den sie liebt.
Doch hinter dieser bürgerlichen Fassade herrschte vor zwei Jahren großes Chaos. Gröber litt damals an Bulimie, ihre Mutter war gestorben, die Großmutter musste sie allein pflegen, erzählt sie. Hilfe erhoffte sie sich im Internet, suchte dort nach einem Life-Coach, der ihrem Leben wieder einen Sinn gibt. Sie fand eine Frau, die in diesem Text Katharina Berger heißen soll. Berger führt mehrere esoterische Frauengruppen auf Facebook, die größte hat 23.000 Mitglieder: Dort bietet Berger spirituelle Gruppencoachings für Frauen an.
"Lovebombing" nennen Psychologen diese Taktik
Gröber belegte ein esoterisches Selbsterfahrungsseminar, nahm an Frauenkraftkreisen teil. Monate später überwies sie Katharina Berger freiwillig 15.000 Euro für einen "Meisterinnen-Lehrgang". In den Seminaren und Coachings geht es zunächst einmal viel um Liebe und Vertrauen. Berger verlieh Madeleine Gröber nie dagewesenes Selbstbewusstsein. Und Gröber nahm alles auf, was Berger ihr sagte, verschlang ihre Bücher. "Wenn dich jemand so mit Liebe zuschüttet, dann wirst du demjenigen später nicht auf den Kopf scheißen", sagt Gröber. Lovebombing nennen Psychologen diese Taktik des Einnehmens, indem Manipulatoren ihr Gegenüber so sehr mit Liebe zuschütten, dass es sich nicht wehren kann.
Gröber fügte sich Katharina Berger und ihrem Mann Joseph, ohne zu ahnen, dass die beiden gut vernetzt und eingebettet sind in die rechts-esoterische Internetszene. Dass die beiden ihre Coachings und Techniken in Interviews mit Robert Stein von NuoViso.TV, Michael Vogt von Quer-Denken.TV und Jo Conrad von Bewusst.TV bewerben, die allesamt schon auf der AZK bei Ivo Sasek als Referenten zu Gast waren.
Gröber begann, die kruden Ansichten ihrer Meisterin zu übernehmen. Sie las auf dem Blog von Katharina Berger über die "luziferische Blutlinie", deren Spezies auf der Erde ansässig sei und die gierig nach Macht strebe. Las, dass für alle Verbrechen Adolf Hitlers die Macht der Illuminaten verantwortlich sei, malte Hakenkreuze auf Papier und behauptete, es seien Sonnenzeichen.
Jeder Zweite glaubt an Geheimorganisationen
Wie Jörg Mayerhofer weiß Madeleine Gröber nicht mehr, wann sie angefangen hat sich von ihrem sozialen Umfeld abzuspalten – erst die Freunde, dann die eigene Familie zu vernachlässigen. Irgendwann sei sie nach Hause gekommen und habe ihrem Mann gesagt, dass sie die gemeinsamen Kinder hasse und dass sie ihn nie geliebt habe. Als Gröber dem Ehepaar Berger von den Zweifeln ihres Mannes erzählt und dieser sich an die Sektenberatungsstelle wendet, droht Joseph Berger, Gröbers Mann anzuzeigen, angeblich aus Sorge um Gröber und ihre Familie.
Sie habe den Ausstieg geschafft, nachdem ihr Mann ihr Berichte von Aussteigern anderer sektenartiger Gruppen zu lesen gab, sagt Gröber. Vor wenigen Monaten habe sie die Gruppe von Katharina Berger verlassen. Inzwischen sieht sie in deren Lehre Parallelen zu den Ideen der rechten Rassentheoretikerin Helena Blavatsky und des Begründers der hitlerischen Esoterik Miguel Serrano. Mittlerweile hat sie gelesen, dass mit "luziferischem Blut" und "den Illuminaten" schlussendlich Juden gemeint sind. "Ohne dass ich es gemerkt habe, wurde eine Trennung erzeugt. Weil mir suggeriert wurde, dass ich eine Auserwählte, eine Weltenretterin bin", sagt Madeleine Gröber heute.
"Esoterik und Verschwörungstheorien verbindet mehr, als sie trennt"
Jan Rathje, der bei der Amadeu Antonio Stiftung in Berlin zu Verschwörungstheorien forscht, überrascht das nicht. "Esoterik und Verschwörungstheorien verbindet mehr, als sie trennt. Beide gehen letztlich davon aus, dass die Welt eingeteilt wird in die Mächte des Bösen und die Mächte des Guten. Man kann das metaphysisch mit Engeln und Dämonen versehen – oder wie im Nationalsozialismus mit den Deutschen und den Juden." Letztlich gehe es um die Zweiteilung der Welt.
Heiko Schrang hat es mit seinem zweigeteilten Weltbild geschafft, bis in die gesellschaftliche Mitte vorzudringen. "Sei heute einfach du selbst", sagt der Mann mit sonnenbankgebräunter Glatze und beseeltem Lächeln auf seinem YouTube-Kanal, während er in einem lichtdurchfluteten Raum unter einem Buddha-Gemälde sitzt. "Haltet bitte eure Hand jetzt mal auf euer Herz. Fragt euch: Wann habt ihr das letzte Mal mit diesem Herz, mit eurem Herz Kontakt aufgenommen?"
Wer Heiko Schrang nicht kennt, würde in diesem Moment kaum vermuten, dass er auf seinem Kanal anderntags behauptet, dass Globalstrategen gerade jetzt dabei seien, eine neue Flüchtlingswelle nach Europa zu planen (176.000 Abrufe).
Jeder Dritte hält Politiker für Marionetten
Seine Thesen fallen auf fruchtbaren Boden. Denn Verschwörungstheorien sind längst kein gesellschaftliches Randphänomen mehr. Laut einer Studie der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung glaubt fast jeder zweite Deutsche, es gebe geheime Organisationen, die Einfluss auf die Politik nähmen. Immerhin knapp jeder Dritte glaubt, Politiker und andere Führungspersönlichkeiten seien Marionetten von dahinterstehenden Kräften.
Kanäle wie der von Schrang schaffen es, eine Brücke zu schlagen zwischen dem Grundmisstrauen der gesellschaftlichen Mitte und rechtsextremen Positionen. Einerseits treten in seinem Kanal die Rechtsaußen-CDU-Politiker Max Otte und Vera Lengsfeld auf sowie Aktivisten wie Martin Sellner. Sellner ist einer der Köpfe der rechtsradikalen Identitären Bewegung.
Andererseits lädt Schrang Unterhaltungsgrößen wie die Kabarettistinnen Sissi Perlinger und Lisa Fitz in seine Show, um mit ihnen über Reinkarnation und Angela Merkels Migrationspolitik zu sprechen. Sie sind es, die seine Verschwörungstheorien bis in den von Schrang so verschrienen "medialen Mainstream" tragen. Fitz behauptete im Juli im Kölner Treff im SWR, dass die Rothschild-Bank 130 Zentralbanken auf der ganzen Welt besitze. 2017 veröffentlichte sie auf Schrang.TV das Lied Ich sehe was, was du nicht siehst, in dem sie singt: "Der Schattenstaat, die Schurkenbank, der Gierkonzern, Wer nennt die Namen und die Sünden dieser feinen Herrn. Die Rothschilds, Rockefeller, Soros & Konsorten, die auf dem Scheißeberg des Teufels Dollars horten." Einen antisemitischen Code reiht sie an den nächsten.
Natürlich sagt Lisa Fitz, sie sei keine Antisemitin, wie auch Schrang behauptet, kein Antisemit zu sein, wie auch Jörg Mayerhofer, der jahrelang für Kla.TV gearbeitet hat.
Verschwörungstheoretiker im Bundestag
Bis in den deutschen Bundestag sind die Verschwörungstheoretiker inzwischen vorgedrungen. Im Mai lud die AfD dorthin zur "1. Konferenz der Freien Medien im Deutschen Bundestag". Mit dabei: Vertreter von Kla.TV und der AZK.
Auf der Konferenz durften Kla.TV und andere der AfD wohlgesonnene Medien dann ihre Wünsche an die Partei richten, so berichtet es Correctiv. Auf der Wunschliste stand beispielsweise, dass AfD-Abgeordnete auf Facebook und Twitter keine Beiträge der "Systempresse" mehr teilen, sondern nur noch ihre eigenen. Die AfD-Politikerin Nicole Höchst, die selbst schon bei Kla.TV als Interviewpartnerin zu Gast war, habe im Anschluss versprochen, all die "guten Vorschläge" mit ihrer Fraktion zu besprechen. Offenbar nehmen einige AfD-Politiker die Positionen von Kla.TV nicht nur hin, sondern sympathisieren damit.
Die Verbreitung solcher Theorien ist nicht strafbar. Denn Sender wie Kla.TV richten sich meist gegen abstrakte Gebilde wie "die Rothschilds", "Globalstrategen", "Eliten" oder "die Hochfinanz". Abstrakte Gebilde können nicht klagen. Caroline Volkmann, Professorin für Informationsrecht an der Hochschule Darmstadt, sagt, das Verbot eines ganzen YouTube-Kanals sei nahezu unmöglich. "Dem Sender müsste nachgewiesen werden, dass er die Menschenwürde verachtend, verfassungsfeindlich und klar aggressiv ist." Das zu belegen ist wegen der Umschreibung des eigentlich Gemeinten mit Codes und Chiffren kleinteilig. Zumal: Ist ein Internetsender nach langem Rechtsstreit verboten, lässt sich ein neuer binnen weniger Minuten eröffnen. Hinzu kommt: Kla.TV hat seinen Firmensitz in der Schweiz, das macht rechtliche Auseinandersetzungen noch komplizierter.
Das Angebot wächst unkontrolliert
So wächst – geschützt durch die Meinungsfreiheit, die es rechten Esoterikern zufolge in Deutschland längst nicht mehr gibt – die Zahl rechts-esoterischer Angebote im Netz. Unkontrolliert und rasant schnell: Allein in den vier Monaten, in denen diese Geschichte entstand, gewannen alle beobachteten rechts-esoterischen Kanäle mehrere Tausend Abonnentinnen und Abonnenten hinzu.
Während nach dem Attentat von Halle eine Debatte über Plattformen wie 8chan und Gaming-Foren geführt werden, bleiben rechts-esoterische Foren von derartiger Aufmerksamkeit verschont. Dabei macht beispielsweise Ivo Sasek keinen Hehl daraus, dass er das System stürzen will, wenn er seinen Anhängern zuruft: "Ohne Diktatur geht es nicht. Weil: Diese Schöpfung ist nicht auf Demokratie eingestellt!" Auch andere rechts-esoterische Internetsender bereiten ihre Zuschauenden auf einen kommenden Systemsturz vor.
Und das, ohne dass sie bei den deutschen Sicherheitsbehörden deshalb große Beachtung finden. Der Verfassungsschutz beobachte zwar Einzelpersonen der esoterischen Reichsbürger-, Prepper- und rechtsextremen Szene, heißt es aus der Behörde. Die Esoterik als solche jedoch hat der Verfassungsschutz nicht auf dem Schirm, sie stelle "kein gesondertes Beobachtungsfeld dar". In allen Verfassungsschutzberichten der Länder und des Bundes in den letzten fünf Jahren kommt Esoterik genau siebenmal vor, stets nur im Zusammenhang mit Reichsbürgern.
Autor: Mio Liebentritt
Die Recherche wurde finanziell gefördert durch das "Kartographen-Mercator Stipendienprogramm für JournalistInnen"
Quelle: https://www.zeit.de/gesellschaft/2020-01/rechte-esoterik-kla-tv-verschwoerungstheorien-verfassungsschutz (geladen 21.01.2020).
Andrew Schäfer / 21.01.2020
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