Landessynode 2005
"Jesus Christus
spricht:
Ich habe für dich gebeten,
dass dein Glaube nicht aufhöre."
(Lukas 22,32a)
ÜBER DIE FÜR DIE KIRCHE
BEDEUTSAMEN EREIGNISSE
der Landessynode
gemäß Artikel 139 der
Kirchenordnung
erstattet von
Präses Nikolaus Schneider
_________________________________________________________
Sperrfrist: 10. Januar 2005, 13.00 Uhr
(Es gilt das gesprochene Wort.)
Gliederung
Gedanken zur Jahreslosung
1. Jesus Christus ist unser
Stellvertreter vor Gott und tritt ein für unseren Glauben.
1.1 Notwendigkeit persönlicher Frömmigkeit
1.2 Bedeutung theologischer
Arbeit und Ausbildung
1.3 Unverwechselbarer Beitrag der christlichen Kirche im Dialog mit dem
Judentum
1.4 Notwendiger Beitrag der
christlichen Kirche im Dialog mit dem Islam
2. Jesus Christus ist unser
Stellvertreter vor Gott, damit wir eintreten für die Schwestern und Brüder
2.1 Einsatz für unsere Schwestern und Brüder in der Evangelischen
Kirche im Rheinland
2.2 Strukturfragen in der Evangelischen Kirche im
Rheinland
2.3 Einsatz der Evangelischen Kirche im Rheinland für die EKD und die
UEK
2.4 Einsatz der Evangelischen Kirche im Rheinland
für die Ökumene
2.5 Gemeinschaft mit Schwestern und Brüdern der anderen christlichen Konfessionen
3. Jesus Christus ist unser
Stellvertreter vor Gott, damit wir als seine Kirche eintreten für alle Welt
3.1 Einsatz für soziale Gerechtigkeit
3.2 Einsatz für Frieden
3.3 Einsatz für Bewahrung der Schöpfung
3.4 Einsatz für Integration
3.5 Einsatz für Bildung und Erziehung
3.6 Einsatz für Menschenwürde
Schlussbemerkung
Bericht des
Präses
über die für die Kirche bedeutsamen Ereignisse
Hohe Synode,
verehrte Gäste,
liebe Schwestern und Brüder!
Gedanken zur Jahreslosung 2005
"Ich habe für dich gebeten, dass dein Glaube nicht aufhöre."
(Lukas 22,32a)
Jesus Christus tritt ein für
unseren Glauben, damit wir im Vertrauen auf Gottes Wort eintreten für unsere
Schwestern und Brüder, damit wir als Kirche Jesu Christi eintreten für alle
Welt.
Das Eintreten Jesu Christi
im Gebet vor Gott für die Beständigkeit des Glaubens von Simon Petrus ist eine
wesentliche Form seines stellvertretenden Lebens auf der Erde. Die
Stellvertretung Jesu Christi für uns Menschen geschieht in zweierlei
Bewegungen: zum einen tritt Jesus Christus selbst für die Schwachheit und das
Versagen seiner Jüngerinnen und Jünger, seiner Nachfolgerinnen und Nachfolger
vor Gott immer wieder ein. Versöhnung und Friede mit Gott durch diesen
'Gott-mit-uns', diesen Immanuel sind auf diese Weise ermöglicht worden. Zum
anderen eröffnet er für unsere menschliche Existenz ein 'Wir-mit-Gott' , das
heißt ein am Wort und Willen Gottes verantwortlich gestaltetes menschliches
Denken, Handeln und Leben. Diese beiden Bewegungen der Gnade und Liebe Gottes
schenken eine der menschlichen Existenz aus sich heraus unmögliche
Gerechtigkeit vor Gott und Teilhabe an bzw. Hoffnung auf das Reich Gottes.
Gnade und Liebe Gottes in Jesus Christus bringt Glaube notwendig auch in Form
persönlicher Frömmigkeit des einzelnen Menschen hervor und bewirkt seine
Glaubensgewissheit.
Jesus Christus selbst
verbindet seine Stellvertretung für
uns vor Gott mit dem Auftrag an uns: Stärkt eure Schwestern und Brüder!
Jesus Christus spricht uns
so an: 'wenn euer Glaube stark und lebendig ist durch mein Eintreten für euch,
dann maßt euch nicht die anklagende, versuchende und verurteilende Rolle des
Satans an. Sondern: wie ich eingetreten bin für euch und euren Glauben, so
tretet ein für den Glauben eurer Mitchristen und Mitchristinnen und für das
Wohl und das Heil der Welt.'
Jesus Christus tritt ein für
unseren Glauben, damit wir im Vertrauen auf Gottes Wort eintreten für unsere
Schwestern und Brüder, damit wir als Kirche Jesu Christi eintreten für alle
Welt.
Mit dem Kapitel 22 beginnt Lukas seinen Bericht vom Leiden, Sterben und Auferstehen Jesu Christi (Kap 22,1 – 24,53): Die politisch Verantwortlichen trachten danach, Jesus zu töten. Judas vollzieht den Verrat an Jesus (Kap 22,1-6) und feiert anschließend mit den anderen Jüngern gemeinsam mit Jesus das Passahmahl. Dabei deutet Jesus – anknüpfend an die Funktion des Passahlammes – sein kommendes Leiden und Sterben als Versöhnungshandeln Gottes für uns Menschen: "Das ist mein Leib, der für euch gegeben wird …, das ist der neue Bund in meinem Blut, das für euch vergossen wird" (22,7-21).
Im anschließenden Gespräch über Rangordnungen und Machtpositionen in der jesuanischen Gemeinschaft verweist Jesus auf die dem Gottesreich entsprechende Funktion des Dienens: "Der Größte unter euch soll sein wie der Jüngste und der Vornehmste wie ein Diener. … Ich aber bin unter euch wie ein Diener." (22,24-27).
Jesus will den Jüngern, seinen Nachfolgern, das Reich Gottes zueignen, so wie es ihm von Gott, dem Vater, zugeeignet wurde (22,29).
Während Satan in der Rolle des Anklägers uns das Reich Gottes streitig zu machen sucht, tritt Jesus betend ein für unseren schwachen Glauben. Jesus tritt stellvertretend ein für unsere Gerechtigkeit vor Gott, für unser Zutrauen in unsere Gotteskindschaft, für unsere Teilhabe am Reich Gottes: "Simon, Simon, siehe der Satan hat begehrt, euch zu sieben wie Weizen. Ich aber habe für dich gebeten, dass dein Glaube nicht aufhöre."
Und
noch in demselben Vers fährt Jesus fort: 'Wenn du, Simon Petrus dann wieder zurückfindest
aus deinen Ängsten, deinem Zweifel, deiner Anfechtung, wenn du dich wieder
"bekehrst" zu Glaube und Vertrauen dann stärke deine Brüder' (22,31
und 32)
1. Jesus Christus ist unser
Stellvertreter vor Gott und tritt ein für unseren Glauben
"Jesus Christus für uns
heißt: Jesus Christus ist als dieser eine wahre Mensch in der Autorität,
Vollmacht und Kompetenz des einen wahren Gottes a n u n s e r e, an
vieler Menschen S t e l l e getreten, um daselbst in Sachen
unserer Versöhnung mit Gott und also zu unserer Errettung und zu unserem Heil ohne
unsere Mitwirkung, in unserer Vertretung, in unserem Namen und so gültig und
kräftig für uns zu handeln." (Karl Barth, Kirchliche Dogmatik, IV 1, S.
252)
Das ist die durch das
Evangelium bewirkte und befreiende reformatorische Erkenntnis und das unserem
Denken, Planen und Handeln vorlaufende Zeugnis des Evangeliums:
Menschen erarbeiten und
verdienen nicht durch eigene Leistung – weder ethischer noch spiritueller noch
intellektueller Art - die Liebe und das Reich Gottes.
Menschen sind geliebt von
Gott vom Mutterleib an.
Menschen sind im Leben, Leiden und Sterben Jesu Christi gerechtfertigt
ohne eigenen Verdienst oder eigene Würde – wenn sie sich durch ihn mit Gott
versöhnen lassen.
Das stellvertretende Gebet
und Handeln Jesu für die Menschen macht sie aber nicht zu verantwortungslosen
Marionetten, sondern ermöglicht und fordert Glaubensantworten "im Beten
und Tun des Gerechten", wie Dietrich Bonhoeffer formulierte.
1.1 Notwendigkeit
persönlicher Frömmigkeit
'Die Botschaft von der in
Jesus Christus erschienenen freien Gnade Gottes auszurichten an alles Volk' ist
Berufung von allen Christinnen und Christen und Beruf der Theologinnen und
Theologen.
Die Stellvertretung Jesu
Christi für die Menschen ist ein Grundthema der Predigten und der
gottesdienstlichen Liturgie sowie der Gesangbuchlieder.
Nur zu oft wird – aus sehr
unterschiedlichen Gründen – vergessen oder vermieden, anderen Rechenschaft zu
geben über die ganz persönliche Ausrichtung des eigenen Glaubens auf Jesus
Christus hin, über persönliche Glaubenszweifel und Glaubensgewissheiten, über
die persönliche Spiritualität. Ich sagen
in Glaubensdingen, das eigene Verhältnis zu Jesus Christus thematisieren,
erscheint vielen als für die Offenlegung Dritten gegenüber nicht geeignet.
Ich will hier nicht einem
aufdringlichen ‚Hausieren' mit persönlichen Bekehrungserlebnissen das Wort
reden oder einer sektiererischen, aggressiven Mission.
Aber ich will Mut dazu
machen, in Gesprächen über Glaubensfragen und in der Verkündigung wieder 'Ich'
zu sagen. Analog zum Liebesgebot Christi 'Liebe deinen Nächsten wie dich
selbst' gilt für Christinnen und Christen auch ein Glaubensgebot: 'Wecke und stärke den Glauben deiner Nächsten wie deinen
eigenen.'
Die Rede von persönlicher
Frömmigkeit zielt darauf, dass Glaube etwas anderes und mehr ist als eine
religiöse Ansicht oder Meinung. Glaube ist die kraftvolle Gegenwart Jesu
Christi in unserem Leben. Glaube ist ein Existenzvollzug, Prägung unserer
Persönlichkeit und Ausdruck unserer Lebendigkeit. All' das bedarf der Form und
der Pflege – und natürlich auch der theologischen Reflexion.
Darüber hinaus werden wir
ohne die Pflege der persönlichen Frömmigkeit, ohne die Stärkung eigener
Spiritualität in unserer Arbeit und in unserem Engagement für unsere Kirche
ausbrennen.
Darum sind z.B. die Arbeit
des Pastoralkollegs und des 'Hauses der Stille' unverzichtbar: hier
finden Christinnen und Christen, Pfarrerinnen und Pfarrer einen Ort, um eine
Auszeit aus ihrem Alltag zu nehmen und ganz persönliche Betreuung zur Pflege
ihrer Spiritualität zu finden.
Darum sind Veranstaltungen
wie das 'Missionale' so wichtig: sie
halten in unserer großen und unterschiedlich geprägten Volkskirche die Frage
nach unserer persönlichen Gottesbindung und unserem persönlichen Glaubenszeugnis
wach und bieten Einübungen und Ermutigungen für viele Christenmenschen auch
über die Grenzen unserer rheinischen Kirche hinaus an.
Darum war auch im letzten
Jahr die intensive Diskussion in der kirchlichen und säkularen Presse über den
Film 'Die Passion Christi' so wichtig: er forderte kirchlich und theologisch
engagierte Menschen neu heraus darüber nachzudenken, was Jesu Christi
stellvertretendes Leiden und Sterben für uns und unseren Glauben bedeuten und
wie darüber in angemessener Weise zu reden bzw. ein Film zu drehen ist.
1.2 Bedeutung
theologischer Arbeit und Ausbildung
Eine dualistische Trennung
von 'Glauben' und 'Denken', von 'Herz' und 'Kopf' steht in der Gefahr,
Frömmigkeit zu Fundamentalismus pervertieren zu lassen. Glaube und Theologie
fordern den ganzen Menschen mit allen Sinnen, deshalb sind theologische Arbeit
und Ausbildung grundlegend für unsere Kirche.
Nach wie vor entscheiden
sich junge Menschen für das Studium der
evangelischen Theologie.
Am 1. Oktober 2004 waren 217 Studentinnen und Studenten in der Liste der rheinischen Theologiestudierenden gemeldet. Dies waren 10 % weniger als ein Jahr zuvor (241) und weniger als ein Siebtel des Höchststandes von 1986 mit 1.680 Studierenden.
Die Landessynode hat sich
mit der rückläufigen Entwicklung der Studierendenzahlen schon
auseinandergesetzt und die Kirchenleitung aufgefordert, für das
Theologiestudium zu werben. Das ist auch geschehen, und es bleibt abzuwarten,
wie sich diese Maßnahmen auswirken werden. Gegenwärtig ist jedoch zu
berücksichtigen, dass sich unsere Kirche weiterhin in der schwierigen Situation
befindet, in den nächsten Jahren eine erhebliche Zahl von Theologinnen und
Theologen leider nicht in den Dienst übernehmen zu können. Angesichts der
weiter zu erwartenden Aufhebung von Pfarrstellen wegen der zurückgehenden
Gemeindegliederzahl und der hohen Zahl der Pfarrerinnen und Pfarrer im
Wartestand wird sich in den nächsten sechs Jahren die Situation für unseren
theologischen Nachwuchs nicht entspannen.
Für die weitere Entwicklung
unserer theologischen Arbeit und Ausbildung wird auch entscheidend sein, welche
positiven Impulse vom Theologischen
Zentrum Wuppertal (ThZW) ausgehen werden. Inzwischen sind alle Einrichtungen auf dem
"Heiligen Berg" angekommen. Die Umsetzung der Reformüberlegungen läuft
gut an. Einige der anvisierten Kooperationen und Projekte sind bereits
realisiert worden. Eine gemeinsame Verwaltung wurde eingerichtet und hat ihre
Arbeit aufgenommen.
Der Runde Tisch tagt seit Februar. Die Leitenden der Einrichtungen informieren sich gegenseitig über ihre Arbeitsbereiche, entwickeln Ideen zur Kooperation und bieten 'Exportmodule' für die jeweiligen anderen Bereiche an. Das Konzept der 'Synapsenbildung' zwischen autonomen Einrichtungen bewährt sich dabei sehr. So führt beispielsweise das Amt für Gemeindeentwicklung und missionarische Dienste (GMD) einen Kurs im Pastoralkolleg durch zum Thema 'Spirituelles Gemeindemanagement', in dem geistliche und betriebswirtschaftliche Gesichtspunkte des Gemeindeaufbaus aufeinander bezogen werden, der Sektenbeauftragte hat Fortbildungskurse zu aktuellen Entwicklungen angeboten, KiHo-Professoren beteiligen sich an Fortbildungskursen u.v.m.
Am 25.6.04 hat Bischof Huber das ThZW
besucht. Er zeigte sich beeindruckt von der Gesamtkonzeption und bezeichnete
das ThZW als zukunftsfähiges Modell für
die EKD.
Kirchliche Hochschule (KiHo), Amt
für Gemeindeentwicklung und missionarische Dienste (GMD), Predigerseminar,
Pastoralkolleg, Ökumenische Werkstatt und Amt für Gemeindeberatung/Organisationsentwicklung
loten zurzeit die Möglichkeiten eines kostenneutralen Instituts für Gemeindeaufbau und Kybernetik aus, das einen
wichtigen Beitrag zur besseren Aus- und Fortbildung in Gemeindeaufbau leisten
könnte. Außerdem wäre es ein konkreter Schritt zur Realisierung des
'AUF-SENDUNG-Prozesses'. Der Beirat der Gemeindeberatung/Organisationsentwicklung
würde ein solches Projekt unterstützen. Ebenfalls wird die Zusammenarbeit mit
dem Institut für Gemeindeaufbau in Greifswald angestrebt.
Es sei aber ausdrücklich darauf hingewiesen, dass eine endgültige Umsetzung
dieses Reformkonzeptes erst erfolgen kann, wenn
a) die Standortfrage der
Kirchlichen Hochschule (KiHo) dauerhaft geklärt
und
b) die Frage nach Bachelor- und
Masterabschlüssen für den Pfarramtsstudiengang
EKD-weit entschieden ist.
Eine weitere Chance des
Standortes Wuppertal wird in Zukunft sein, dass Theologen und Nichttheologinnen
bei Fortbildungsveranstaltungen oder bei anderer Gelegenheit gemeinsam
theologisch arbeiten werden. Die Kirche als 'Gemeinschaft von (Schwestern) und
Brüdern' wird auf diese Weise in Aus- und Fortbildung konkret erfahrbar – und
das ist ein besonderes Anliegen unserer Kirche.
Auf der Ebene der
Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) sieht die Kirchenkonferenz die Kirchlichen Hochschulen grundsätzlich
als gesamtkirchliche Aufgabe an und hat 1,6 Mill. € Umlagezuschuss für
grundsätzlich zwei KiHo's, also Bethel/Wuppertal und Neuendettelsau beschlossen.
Die Verhandlungen zwischen
der Evangelischen Kirche im Rheinland (EKiR) und der Evangelischen Kirche von
Westfalen (EKvW) über die KiHo's sind noch nicht abgeschlossen. Nach einigen
Irritationen sind sich beide Kirchenleitungen aber einig, dass eine KiHo mit
einer Außenstelle entstehen soll, welche diakonische Aus- und Fortbildung,
insbesondere postgraduierte Weiterbildung anbietet. Ein entsprechender
Fusionsvertrag wird zurzeit verhandelt. Wir gehen davon aus, der Synode im
Jahre 2006 von einem Ergebnis berichten zu können.
Unsere bundesrepublikanische
Gesellschaft und ihre Politik erkennen zunehmend, dass für ein solidarisches
und gemeinschaftsförderliches Zusammenleben in unserem Staat eine Rückbesinnung
auf und eine Rückbindung an christliche Werte und Traditionen hilfreich ist.
Von allen Parteien wird eine neue Wertedebatte
angestoßen und gefordert. Die evangelisch-theologischen Fakultäten an den
staatlichen Universitäten Bonn und Mainz sowie alle evangelisch-theologischen
Fachbereiche an Universitäten im Bereich unserer Kirche, die Lehrerinnen und
Lehrer ausbilden, leisten unverzichtbare Dienste für diesen Diskurs. Sie tun
dies zunächst durch ihre eigene sachgerechte Arbeit, aber auch durch
fächerübergreifende Forschung und Lehre an den jeweiligen Hochschulen. Das
Angebot theologischer Lehrmodule für die Ausbildung in anderen Fächern ist eine
weitere Form theologischer Dienstleistung für die Wertebildung der gesamten
Gesellschaft, die zudem die Verankerung theologischer Fakultäten und Fachbereiche
an den Universitäten festigt.
Grundlage für unser
theologisches Arbeiten und Denken war und ist die Heilige Schrift. Sie ist das unverwechselbare Zeugnis des Wortes
Gottes und seines Willens für alle christlichen Kirchen. Allerdings ist die
Bindung an die Heilige Schrift nicht zu
verwechseln mit einem unkritischen Buchstabenglauben. Christinnen und Christen
bekennen Jesus Christus als das lebendige Wort Gottes, der uns in den
tradierten und zeitbedingten Glaubenszeugnissen der Bibel verbindlich begegnet.
Glaube und Theologie waren und sind immer auch mit dem 'Zeitgeist' ihrer
jeweiligen Epoche verbunden. Deshalb
ist Wissenschaftliche, methodisch
verantwortete Theologie zum Umgang
mit der Heiligen Schrift für unsere Kirche unabdingbar.
Wissenschaftliche und
zeitbezogene Theologie sind gerade keine Verdunkelung des Wortes Gottes,
sondern seine notwendige Konkretion und gleichzeitig Zeugnis der
Gegenwärtigkeit des Heiligen Geistes.
Für die theologische Arbeit
und Ausbildung in unserer Kirche hat neben dieser grundlegenden Bindung an die
Heilige Schrift auch der Bezug auf die Bekenntnisschriften
der Reformation als normae normatae und auf deren Neubezeugung, die 'Barmer
Theologische Erklärung', wesentliche Bedeutung. Unsere theologische Arbeit zu
den Fragen der Kirchenzucht ist Ausdruck
dieser Überzeugung.
Der Beschluss Nr. 34 der
Landessynode 2004 "Eingeladen sind
alle. Warum die Kirche nicht vom
Mahl des Herrn ausschließen darf." hat für ein vielfältiges Echo und
eine Vielzahl von Reaktionen aus der EKD und ihren Gliedkirchen wie aus Kirchen
der 'Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen' (ACK) gesorgt.
Das große Interesse zeigt
sich auch in der Reaktion auf die Einladung zu einem Symposion am 24. Mai 2004:
knapp 90 Vertreterinnen und Vertreter aus der EKD, dem Reformierten Bund, der
Union Evangelischer Kirchen in der EKD (UEK), der Vereinigten
Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) versammelten sich zu einem
Lehrgespräch.
Drei Referate erläuterten und beleuchteten den systematisch-theologischen, den neutestamentlichen und den kirchengeschichtlichen Hintergrund des Synodenbeschlusses. (vgl. EPD-Dokumentation Nr. 44/2004)
Bereits während des Symposions wurden erste kritische Rückfragen gestellt. Inzwischen liegt eine Reihe von Voten aus unserer Landeskirche und aus Gliedkirchen der EKD vor. Die Kammer für Theologie der EKD hat eine Stellungnahme erarbeitet, der der Rat der EKD am 10.12.2004 im Grundsatz zugestimmt hat.
Während fast alle Reaktionen aus bislang 20 Presbyterien, Kreissynoden und Kreissynodalvorständen unserer Landeskirche (Stand 10. Dezember 2004) dem Beschluss zustimmen und positiv bewerten, dass er auch zu einer neuen Diskussion über das Mahl des Herrn motivierte, sind die Rückmeldungen aus der EKD durchweg kritisch.
Ich nenne einige Kritikpunkte aus den Reaktionen, ohne sie zu bewerten:
Die Zeugnisse von der Tischgemeinschaft Jesu mit Zöllnern und Sündern vor seinem letzten Mahl mit dem Jüngerkreis dürfen nicht unreflektiert als Abendmahlstexte im engeren Sinn gelesen werden.
Neutestamentliche Belege zum Thema "Kirchenzucht" werden verharmlosend und ihre Härte verschleiernd interpretiert.
Für die neutestamentlichen Zeugen wäre es unvorstellbar, dass es für die Teilnahme am Mahl des Herrn keine anderen Bedingungen geben könne als für den Empfang der Vergebung der Sünden im Hören der Predigt.
Der für das Abendmahl zentrale Gesichtspunkt der Christusgemeinschaft wird im Aspekt der Vergebung nicht zur Geltung gebracht.
Der im Beschluss zum Vorschein kommende Dualismus zwischen Botschaft und Ordnung ist mit den Aussagen der 3. Barmer These nicht vereinbar.
Mit
dem vorliegenden Synodalbeschluss steht die Evangelische Kirche im Rheinland in
der Gefahr, sich in der eigenen Bekenntnisgemeinschaft und in der Ökumene zu
isolieren.
Neben kritischen Rückfragen
resultiert aus der Auseinandersetzung mit unserem Synodalbeschluss die Anregung
der Kammer für Theologie, die Kirchen der EKD sollten sich für die Zukunft auf
ein vorlaufendes gemeinsames Konsultationsverfahren in bekenntnisrelevanten Fragen
verständigen.
Wir hören die Anregungen und
die kritischen Stimmen, nehmen sie ernst und werden sie im Rahmen der
Lehrgespräche berücksichtigen. Der Ständige Theologische Ausschuss wird bis zu
den Sommerferien dieses Jahres auf Grund der kritischen Voten die Vorlage zu
Abendmahl und Kirchenzucht überprüfen und ihre Aussagen präzisieren,
korrigieren und auch bestätigen.
Im September wird dann die innerprotestantische Diskussion fortgesetzt; im Spätherbst sollen Gespräche mit ACK-Kirchen folgen. Die Ergebnisse der Diskussion werden in einer Vorlage zusammengefasst, die nach den Beratungen in den Ständigen Ausschüssen der Landessynode 2007 vorgelegt wird.
Ich bin mir sicher, dass für
den gesamten Diskussionsprozess dann gesagt werden kann, was der Rat der EKD
für die bereits geführten Gespräche "dankbar zur Kenntnis (nimmt),
(nämlich) dass das Bemühen um Klärung der mit dem Beschluss der Landessynode
der Evangelischen Kirche im Rheinland "Eingeladen sind alle"
verbundenen Frage auf allen Seiten mit großer theologischer Intensität und
Ernsthaftigkeit erfolgt" (Beschluss des Rates der EKD vom 10.12.2004).
Im vergangenen Jahr jährte
sich die Verabschiedung der 'Barmer
Theologischen Erklärung' zum 70. Mal.
Der (damals noch)
Kirchenkreis Barmen hat aus diesem Anlass Gedenkveranstaltungen zum Teil unter
Beteiligung der benachbarten jüdischen Gemeinde und Synagoge organisiert. Die
enge Nachbarschaft zur und die alltäglichen Gemeinsamkeiten mit der Synagoge
verleihen der 1934 nicht formulierten 7. These vom zu verwerfenden
Antisemitismus sicht- und erfahrbar Ausdruck.
Die Aktualität dieser Bekenntnisformulierungen und die Bedeutung der Barmer Synode von 1934 zeigte sich daran, dass sowohl die Hauptversammlung des Reformierten Bundes in diesem Jahr wie auch die Jahresversammlung des Evangelischen Arbeitskreises der CDU–NRW in der Gemarker Kirche stattfanden.
Auf beiden Veranstaltungen habe ich referiert.
Die Zentralität der Thesen: Jesus Christus ist das eine Wort Gottes, die bleibende Wegweisung der Aussagen zum Verständnis der Kirche, Gemeinschaft von Brüdern(und Schwestern), keine Über-/Unterordnung, allen anvertrauter Dienst, zur Aufgabe des Staates, unter Androhung und Ausübung für Recht und Frieden sorgen und zur Aufgabe der Kirche, die Botschaft von der freien Gnade Gottes ausrichten an alles Volk, entfalten auch heute in Kirche und Gesellschaft hinein orientierende Kraft. Kirche und Gesellschaft fragen nach und benötigen Theologie! (s. Anlage 1)
Drei herausragende Persönlichkeiten unserer Kirche, die die Barmer Theologische Erklärung als Grundlage ihres Dienstes in der Bekennenden Kirche verstanden, sind von der Gedenkstätte ‚Yad Va Schem' in Jerusalem als ‚Gerechte der Völker' geehrt worden. Das Pfarrerehepaar Käthe und Johannes Böttcher und der erste Präses unserer Kirche, Heinrich Held versteckten in der Essen-Rüttenscheider Kirche und später im Pfarrhaus Jüdinnen und Juden, die so der Vernichtung entkamen. In einer bewegenden Gedenkfeier in der Alten Synagoge in Essen wurden den Familienmitgliedern die Urkunden übergeben und die Ausgezeichneten durch mehrere Ansprachen geehrt. Hier zeigte sich, welche im Sinn des Wortes lebensbewahrende Kraft rechte Theologie entfalten kann.
1.3 Unverwechselbarer Beitrag der christlichen Kirchen im Dialog
mit den Judentum
Unsere diesjährige Synode
steht wesentlich unter dem Gedenken und Bedenken des Synodalbeschlusses von
1980 'Zur Erneuerung des Verhältnisses
von Christen und Juden'.
Dieser Synodalbeschluss markiert über die Grenzen der Evangelischen
Kirche im Rheinland hinaus einen Meilenstein christlicher Hermeneutik: die
Identität unserer Kirche und unser Verständnis der biblischen Botschaft werden
gebunden an die Erwählungs- und Verheißungsgeschichte Israels.
Christlicher Glaube kann
nicht ohne, vor allem aber nicht gegen diese Geschichte gedacht und gelebt
werden.
Wie Sie dem Rückblick in der Vorlage 'Zur Erneuerung des Verhältnisses von Christen und Juden – Würdigung des Beschlusses und der Thesen der Landessynode von 1980 nach 25 Jahren' entnehmen können, sind wir mit unserem Beschluss von 1980 in eine große ökumenische Gemeinschaft hineingewachsen: über die EKD hinaus in die Gemeinschaft Protestantischer Kirchen in Europa (Leuenberger Kirchengemeinschaft), in die Römisch Katholische Kirche und sogar in jüdische Gemeinden hinein und zu Vertreterinnen und Vertretern des Rabbinats. Der Prozess der Erneuerung des Verhältnisses von Christen und Juden ist auch ein wichtiger Prozess der Erneuerung der Beziehungen innerhalb der christlichen Ökumene.
Dies wird nicht nur auf den Kirchentagen und in gemeinsamen Kommissionen deutlich, sondern in diesem Jahr z.B. auch dadurch, dass ich im Oktober dieses Jahres von der Diözese Aachen eingeladen bin, auf einer großen Gedenkveranstaltung zur Erklärung des 2. Vatikanischen Konzils "Nostra Aetate" vor 40 Jahren zu sprechen. Kurz danach werden wir Gelegenheit haben, katholische Vertreter auf unserem Symposion "Gemeinsame Bibel – Gemeinsame Sendung, 25 Jahre Rheinischer Synodalbeschluss..." zu begrüßen. Das Programm finden Sie auf Ihren Tischen.
Den Vätern und Müttern
dieses Beschlusses und uns heute geht es dabei nicht um die Aufgabe oder Verwässerung
eigener christlicher Glaubensgrundlagen, sondern um ein an der ganzen Heiligen
Schrift orientiertes Verständnis eben dieser Grundlagen. Die leider zu lange in
der neutestamentlichen Exegese dominierende Regel, nur was weder aus jüdischer
noch aus hellenistischer Tradition erklärt werden könne, sei ‚echtes' Wort
Jesu, hat uns theologisch in eine Sackgasse geführt und war ein Baustein für
christlichen Antijudaismus.
Dankbar nehme ich den reichen Schatz neuer theologischer Erkenntnisse auf, nicht nur unser Verhältnis zum Judentum in Geschichte und Gegenwart betreffend, sondern unser trinitarisches Reden von Gott, unser Verständnis von Verheißung und Erfüllung, Versöhnung und Erlösung, von Anthropologie und Ethik, von Evangelium und Gebot, vom Verhältnis von Kirche und Staat.
Gleichzeitig sehe ich auch den vorsichtigen Beginn einer kritischen Befragung der Folgen frühchristlicher Theologiebildung, die die Grundlagen des christlichen Glaubens mit Hilfe der Kategorien griechischer Philosophie ausgearbeitet haben.
Als ein Baustein für
christlichen Antijudaismus oder Antisemitismus kann eine solidarisch-kritische
Auseinandersetzung mit der Politik der gegenwärtigen Regierung Israels und dem
Israel-Palästina-Konflikt nicht gewertet
werden. Kirchenleitung, Dezernat und die Studienstelle 'Christen und Juden'
bemühen sich um sachgemäße Gespräche mit Vertretern der Konfliktparteien.
Wir haben das im Juni des vergangenen Jahres zum Beispiel im FFFZ ein ganzes Wochenende lang mit Christen, Juden und Muslimen aus Israel und Palästina getan. Wir unterstützen durch 'Nes Ammim' und 'Aktion Sühnezeichen Friedensdienste', durch das 'Leo-Baeck-College' und durch das 'Neve Schalom' Schulzentrum Dialogprogramme in Israel. Wir fördern Begegnungsprogramme der Evangelisch- Lutherischen Kirche in Jordanien und Palästina. Wir unterstützen 'Studium in Israel' und 'Interfaith Association', wo Menschen mit der Realität der verschiedenen am Konflikt Beteiligten konfrontiert werden und sich ein eigenes Urteil bilden können. Es gibt Mitglieder unserer Kirche, die durch 'Amnesty-international' an die Regierung Israels appellieren, Völkerrecht und Menschenrechte einzuhalten. Zurzeit arbeitet ein Pfarrer z.A. im Begegnungszentrum "Abrahams Herberge" in Beit Jala.
Auch seitens der EKD werden
Gespräche geführt. Sie sollten institutionalisiert und intensiviert werden.
Vermeiden möchten wir eine politische Schelte, die einen gerechten Frieden und
die Selbstbestimmung Palästinas keinen Schritt näher rückt, uns selbst zu
nichts verpflichtet und die Möglichkeiten der "politischen Seelsorge"
zerstört.
Unsere eigenen christlichen
Glaubensvorstellungen und Glaubensaussagen, die wir als unverwechselbaren
Beitrag in den Dialog mit Menschen jüdischen Glaubens einbringen, bündeln sich
im 2. Artikel des Apostolikums:
Jesus Christus ist Gottes
einziger durch seinen Geist gezeugter Sohn.
Jesus Christus hat mit
seinem Leben, Leiden und Sterben den 'Heiden' – also auch uns – einen Weg in
die Erwählungs- und Verheißungsgeschichte Gottes hinein eröffnet.
Der Gott Abrahams, Isaaks
und Jakobs, der Gott des Volkes Israel wird durch Jesus Christus und in Jesus
Christus für alle Menschen zu Gott, dem Vater.
Gott selbst hat Jesus
Christus erhöht und ihm einen Namen gegeben, der über alle Namen ist.
Jesus Christus, auferstanden
von den Toten und aufgefahren in den Himmel, sitzt zur Rechten Gottes, des
allmächtigen Vaters und wird uns am Ende der Zeiten als Richter und Retter entgegenkommen.
Jesus Christus ist unser
Stellvertreter vor Gott, der eintritt für unseren Glauben, für unsere
Gerechtigkeit vor Gott und für unsere Teilhabe am Reich Gottes.
Zum Schluss dieser
Bemerkungen soll ein großer Dank an alle stehen, die als Lehrer und Lehrerinnen
der Theologie, im Gemeindepfarramt und im Schuldienst, im Ausschuss Christen
und Juden, im Theologischen Ausschuss, in der Studienstelle Christen und Juden,
im deutschen Nes Ammim Verein und in den Christlich-Jüdischen Gesellschaften
den Beschluss von 1980 vorangebracht und seine Konsequenzen beharrlich beackert
haben. Und ein ebensolcher Dank gilt auch unseren Gemeindegliedern, die sich
haben bewegen lassen zur Erneuerung ihres Denkens, Fühlens und Handelns.
1.4 Notwendiger Beitrag
der Christen im Dialog mit dem Islam
In der Bundesrepublik
Deutschland leben inzwischen mehr als 3 Millionen Muslime. Davon stammt die
große Mehrheit aus der Türkei.
Die Europäische Union beginnt im Herbst dieses Jahres 'ergebnisoffene
Beitrittsverhandlungen' mit der Türkei, einem Land, das einen sunnitischen
Islam staatlicherseits fördert und kontrolliert. Grundsätzlich gilt: vorurteilsfreie
Begegnungen und vertrauenschaffende Gespräche zwischen Christentum und Islam
sind für ein friedliches Zusammenleben in unserem Land und in Europa unverzichtbar.
Der Islam hat allerdings gegenwärtig ein erhebliches
"Imageproblem" in unseren westlichen Gesellschaften. Er gilt weiten
Teilen der Bevölkerung als Religion der bärtigen Gotteskrieger mit
antiwestlicher Grundhaltung, als Religion unterdrückter Frauen, der
Selbstmordattentäter usw.. Selbst in Bildungsmilieus mit größerem
Differenzierungsvermögen gelingt es dem Islam kaum, seine Friedensliebe und
Toleranzbereitschaft durch überzeugende Kritik etwa aller Fundamentalismen zu
demonstrieren. Auch die mediale Darstellung des Islam dient nicht immer einer
differenzierten Wahrnehmung dieser großen Religion.
Ein wesentlicher Ansatzpunkt, der
allein neben den notwendigen Dialogen der Fachleute auf Dauer zu echter
interreligiöser Konvivenz führen kann, ist die Ebene der möglichst niederschwelligen Alltagsbegegnungen. Die Einladungen zum Besuch der islamischen
Zentren, Moscheen usw. verbunden mit Gesprächen zum Beispiel über Islam und
Christentum oder über die Chancen und Probleme einer Integration des Islam in
unserer Gesellschaft werden gepflegt und wahrgenommen. Die Gegenbesuche der islamischen Gemeinschaft in der christlichen
Kirche oder im Gemeindehaus fallen leider noch häufig aus. (In Duisburg haben
sie in den letzten Jahren meines Wissens aber einen erfreulichen Stand
erreicht.) Diese Gegenbesuche sind genauso wichtig, um sich persönlich kennen
zu lernen und der jeweils anderen Religion ein konkretes Gesicht zu geben.
Frauengruppen besuchen Frauengruppen, Senioren treffen Senioren etc.. Das
Zusammenleben von Muslimen und Christen im Alltag muss sich konkret gestalten.
Erst der Alltag stellt die Probe aufs Exempel für jede Verständigung dar.
Der Dialog der christlichen
Kirchen mit dem Islam kann nicht denselben Stellenwert haben wie der Dialog mit
dem Judentum. Jesus Christus war in seinem irdisch-menschlichen Leben Jude. Den
größeren Teil unserer Heiligen Schrift verdanken wir dem Judentum. Mit Israel
sind und bleiben wir in der Wurzel verbunden.
Die beschönigende Rede 'Wir
haben ja alle denselben Gott' und die strukturelle Gleichsetzung von Judentum,
Christentum und Islam unter dem Begriff der 'drei Abrahamitischen Religionen'
werden unserem spezifischen Verständnis von Gott und unseren Glaubensantworten
auf die Herausforderung durch den Vater Jesu Christi nicht gerecht.
Von
dem uns im Evangelium offenbarten ‚fleischgewordenen' Wort Gottes Jesus
Christus her verbietet sich eine strukturelle Gleichsetzung der jeweiligen
Symbole 'Kreuz' und 'Kopftuch'. Das
Kreuz ist das Zeichen des stellvertretenden Lebens, Leidens, Sterbens und
Auferstehens Jesu Christi. Das Kreuz symbolisiert das Erlösungs- und Heilswerk
Jesu Christi 'für uns'.
Das Kopftuch als religiöses Gebot für Frauen symbolisiert dagegen zumindest auch die ethische Forderung eines patriarchal gedachten Gottes. Frauenleben einschränkende, traditionelle Rollenfixierung eines Geschlechtes können auf diese Weise religiös legitimiert werden.
Das Zeugnis von Jesus
Christus, der vor Gott für unseren Glauben und unsere Gerechtigkeit eintritt,
haben wir in den christlich-muslimischen Dialog zuerst selbstkritisch und dann
aber auch kritisch einzubringen. Nach unserem Bekenntnis ist Jesus Christus als
das lebendige und menschgewordene Wort Gottes in die Welt gekommen, um sie zu
retten, nicht um sie zu vernichten.
Endgültige Urteile und
Verurteilungen über Menschen und Gesellschaftssysteme stehen allein Gott zu,
nicht religiösen Instanzen.
Kreuzzüge, Ketzerprozesse
und Hexenverbrennungen der christlichen Kirchen sind Teile ihrer
Schuldgeschichte und ihrer Verirrungen – nicht Ausdruck besonderer
Glaubensstärke.
Deshalb haben wir
entschieden und eindeutig allen muslimischen Vorstellungen und Äußerungen zu
widersprechen, die zu blutigen 'Heiligen Kriegen' aufrufen oder die
Terroristinnen und Terroristen als 'Märtyrer für Gott' glorifizieren. Das
Gleiche gilt für die arabische Finanzierung des Terrors und der Familien von
Terroristinnen und Terroristen nach deren Verbrechen oder die Anwerbung und
systematische Verhetzung von Kindern und Jugendlichen zur Vorbereitung dieser
Verbrechen.
Unterdrückung und
gewalttätige Formen der Intoleranz in muslimischen Republiken oder vom Islam
geprägten Staaten haben wir klar und deutlich beim Namen zu nennen und so auch
einzutreten für unsere christlichen Glaubensgeschwister, die dort
diskriminiert, verfolgt oder umgebracht werden.
Ausdrücklich möchte ich aber
betonen: zu einem offenen Gespräch mit dem Islam gibt es keine Alternative. Den
Muslimen in unserem Land schulden wir Respekt und Achtung. Wir sollten wissen,
dass das uns zu Distanzierung und Verurteilung bewegende Bild des Islam nur von
kleinen islamistischen Gruppen geprägt wird. Wir selber sind verpflichtet,
eigene Anstrengungen zum Verständnis der Anliegen dieser Religion zu
unternehmen. Das nüchterne und kritische Gespräch mit Muslimen ist kein
Ausdruck von Ablehnung, sondern von Vertrauen in die Belastbarkeit einer
inzwischen gewachsenen Gesprächsbasis.
Dem friedlichen
Zusammenleben und dem besseren Verständnis wird schließlich helfen, wenn es
bald gelingt, einen deutschsprachigen Islamunterricht in gemeinsamer Verantwortung
von Staat und islamischen Glaubensgemeinschaften an unseren öffentlichen
Schulen flächendeckend einzurichten.
2. Jesus Christus ist unser
Stellvertreter vor Gott, damit wir eintreten für unsere Schwestern und Brüder
"Weil Jesus – das
Leben, unser Leben – als der Mensch gewordene Sohn Gottes stellvertretend für
uns gelebt hat, darum ist alles menschliche Leben durch ihn wesentlich
stellvertretendes Leben. Weil er das Leben ist, ist durch ihn alles Leben zur
Stellvertretung bestimmt." (D. Bonhoeffer, Ethik, München 1958, S. 175)
Das stellvertretende Leben
Jesu Christi für uns will nicht unser eigenverantwortliches 'Beten und Tun des
Gerechten' ersetzen, sondern uns eben dazu ermutigen und befähigen. Leben in
der Nachfolge heißt für uns 'an Christi statt' für unsere Schwestern und Brüder
einzutreten und einzustehen.
Leben in der Nachfolge heißt
für uns Leben in Gemeinschaft, Leben in Ausrichtung auf andere Menschen.
Das neutestamentliche Bild
der Kirche als ‚Leib Christi', an dem wir alle als verschiedene Glieder
voneinander und füreinander leben, macht deutlich: unsere persönliche Bindung
an Gottes Wort und Willen, unsere persönliche Glaubensgewissheit kommen nur zu
ihrem Ziel, wenn sie sich in den Dienst nehmen lassen für unsere Schwestern und
Brüdern.
2.1 Einsatz für unsere Schwestern und Brüder in der
Evangelischen Kirche im Rheinland
Ich möchte Ihre
Aufmerksamkeit auf ein Großereignis lenken, das es in dieser Form in unserer
Kirche noch nicht gegeben hat:
am 23. April 2005 werden wir in Bonn den ersten Tag
rheinischer Presbyterinnen und Presbyter veranstalten. Auch wenn wir ihn
bewusst ein Jahr nach den Wahlen zu den Presbyterien durchführen, die viele zum
ersten Mal in die Leitungsverantwortung gebracht haben, er richtet sich an alle:
an erfahrene Presbyterinnen und Presbyter, die sich über eine Möglichkeit zum
"Auftanken" freuen; an "die Neuen", die nach etwas mehr als
einem Jahr hungrig auf Austausch und Information sind; an alle miteinander, die
sich im Leitungsalltag nach geistlicher "Nahrung" und theologischer
Orientierung sehnen.
Die
Vorbereitungen sind in vollem Gange. Sie werden von einem Team getragen, in dem
der Kirchenkreis Bonn, die Gemeindeberatung/Organisationsentwicklung, das Amt
für Gemeindeentwicklung und missionarische Dienste sowie das Landeskirchenamt,
das Frauenreferat und die Pressestelle unserer Kirche zusammenarbeiten. Vor
allem aber: diesem Team gehören Presbyterinnen und Presbyter unserer Kirche an,
also Leute, die wissen, welche Fragen und Themen ihnen – und damit ihren
Mitpresbyterinnen und Mitpresbytern – unter den Nägeln brennen.
In
diesen Tagen werden die Einladungs- und Programmhefte verschickt. Es wird acht
Großforen mit jeweils mehreren Arbeitsgruppen geben. Die Themen richten sich
nach den Ergebnissen einer Fragebogenaktion, mit deren Hilfe die Eingeladenen
an der Vorbereitung "ihres" Tages beteiligt worden sind:
- Gottesdienste gestalten und erleben
- Entscheidungen treffen
- (Um-)Baustelle Gemeinde
- Ökumene – weltweit und ortsnah
- Christsein im Wertewandel
- Gemeinde zwischen Arbeit und Freizeit
- Glauben leben
- Vom offenen Himmel erzählen.
Alle Foren werden musikalisch begleitet; es wird Kabarett geben, Informationsstände und anderes mehr.
Den Rahmen bilden eine gemeinsame Auftaktveranstaltung sowie ein fröhlich-festlicher Abschlussgottesdienst.
Im vorigen Jahr habe ich Sie
gebeten, sich den Termin vorzumerken. Heute sage ich: Kommen Sie – Ihre Kirche
lädt Sie ein!
Im Bereich der kirchenmusikalischen Arbeit unserer
Landeskirche haben sich trotz einschneidender Sparmaßnahmen erfreuliche
Aktivitäten entwickelt und in entsprechenden Veranstaltungen große Resonanz
gefunden. Im Zusammenhang mit dem von unseren synodalen Ausschüssen verfassten
Diskussionspapier "Erweitertes Musikspektrum" fand im Februar 2004
ein Symposium zum Thema "Popmusik in der Kirche" statt. Diese Veranstaltung
initiierte die jetzt im November stattgefundene Gründung eines "Netzwerkes
Popularmusik und Kirche" für den Bereich unserer Landeskirche.
Im Zusammenwirken mit der
westfälischen und der Lippischen Landeskirche hat der Gospelkirchentag Bochum
deutlich werden lassen, dass sich unsere Kirche auch durch die Musik im Aufbruch
befindet.
Der im September 2004 in Bochum durchgeführte 2. Gospelkirchentag hat sich mit mehr als 2.500 aktiv Teilnehmenden einen besonderen Platz in der kirchlichen Gospelszene erworben. Das Zusammenwirken mit der westfälischen und der Lippischen Landeskirche hat sich im Blick auf diese Großveranstaltung nicht nur aus Finanzgründen bewährt. Die rege Teilnahme - insbesondere von nebenamtlichen Chorleiterinnen und Chorleitern - zeigt die gegenwärtig große Popularität der Gospelmusik.
Vor dem Hintergrund unseres
landeskirchlichen Diskussionspapiers "Erweitertes Musikspektrum"
haben wir wahrzunehmen, welcher Schatz evangelischer Kirchenmusik aus allen Jahrhunderten
uns anvertraut ist.
Dies geschieht z.B. in der
Arbeit der Posaunenchöre, die 2004 ihren Landesposaunentag mit großer Resonanz
in Düsseldorf begangen haben.
Im Juni 2004 fand in Düsseldorf der zweijährig vom Posaunenwerk durchgeführte Posaunentag für den gesamten Bereich unserer Landeskirche statt. Neben reger Teilnahme der angeschlossenen Chöre, zeigte sich einmal mehr die musikalische Vielseitigkeit und der gemeindebildende Ansatz kirchlicher Bläserarbeit.
Daneben gab es ein großes
Kinderchorfestival mit Frau Vizepräses Bosse-Huber als Schirmherrin, das mit
800 Kindern in der Bonner Kreuzkirche zu einem fulminanten Erfolg wurde.
Im
Oktober 2004 war die Durchführung eines Kinderchor-Festivals mit 700 Kindern
und Chorleitenden in Bonn zum Thema "Taufe" ein wichtiger Beitrag zur
Förderung der Musik mit Kindern. Unter dem Thema "Kinder singen in der
Kirche" unterstützt der Landesverband der Kirchenchöre auch durch
Bereitstellung geeigneter Literatur (u.a. vertonte Taufsprüche) diesen für
unsere Kirche sehr wichtigen Zweig der musikalischen Gemeindearbeit.
An dieser Stelle darf aber
auch nicht verschwiegen werden, dass die kirchenmusikalische Arbeit in den
Gemeinden vielerorts an finanzielle Grenzen stößt und die Besetzung
hauptamtlicher Kirchenmusikerstellen zunehmend nicht mehr zu 100% möglich
ist. Als Arbeitgeberin Kirche haben wir
uns mit dem nicht sozialverträglichen Teilzeitangebot kritisch auseinander zu
setzen.
Der Besetzung hauptamtlicher Kirchenmusikstellen ist der Hang zu Prozentstellen (häufig 75 %) sehr abträglich. Es bewerben sich auf solche Stellen nur wenige Personen, wodurch eine qualifizierte Auswahl immer schwieriger wird. Der Nettoverdienst bewegt sich für Alleinverdienende am Rande der wirtschaftlichen Existenz. Erfreulicherweise entstehen aber zunehmend gemeindeübergreifende Konstruktionen, die eine Besetzung im vollen Stellenumfang zulassen. Wegen der Qualität der kirchenmusikalischen Arbeit sind solche Projekte sehr unterstützenswert.
Der zahlenmäßige Rückgang an nebenamtlichen Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusikern nimmt zu. Wenn verdiente nebenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Ruhestand gehen, mangelt es oft an geeignetem Nachwuchs. Zudem wollen sich viele Menschen nicht mehr jedes Wochenende dienstlich gebunden wissen und streben daher keine regelmäßige vertragliche Bindung an. In den Kirchenkreisen sollte verstärkt für die Ausbildung nebenamtlicher Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusiker geworben werden, damit in vielen Teilen der Landeskirche nicht bald erhebliche Besetzungsprobleme bei C‑Stellen entstehen.
Die Kirchenmusik leistet
einen wichtigen Beitrag zum Gemeindeaufbau und hat in den Gemeindekonzeptionen
vieler Gemeinden einen wichtigen Platz gefunden.
Im Februar hat die in meinem
letzten Bericht angekündigte Evaluation
des Konzeptionsprozesses in den Gemeinden begonnen. Aus dem Fragebogen I,
den wir verschickt haben und der eine sehr gute Rücklaufquote hatte, geht
hervor, dass etwa ein Viertel der 810
rheinischen Gemeinden bereits eine Gesamtkonzeption ihrer Arbeit haben und
weitere knapp 34 % daran arbeiten. Wenn wir bedenken, dass eine solche Arbeit
viel Zeit und Kraft kostet und dass sie neben dem alltäglichen Geschäft
bewältigt werden muss, dann ist es – vier
Jahre nach dem Synodenbeschluss – sehr erfreulich, dass 479 Gemeinden mit oder an einer Gesamtkonzeption
gemeindlicher Aufgaben arbeiten. Offenbar war und ist der Gedanke
einsichtig, die in jeder Gemeinde vorhandenen unausgesprochenen Konzeptionen
und informellen Systeme ins Bewusstsein zu heben,
sie zu überdenken und das Ergebnis zu verschriftlichen, um es zur Grundlage der
Weiterarbeit zu machen. Deshalb möchte ich auch die Gemeinden, die unmittelbar
vor dem Beginn der Arbeit an einer Gesamtkonzeption stehen, vor allem aber
diejenigen, die – aus welchen Gründen auch immer – noch nicht damit angefangen
haben, nachdrücklich ermuntern, das doch zu tun!
Es geht ja nicht nur darum,
einem Synodenbeschluss und dem Artikel 7 der
Kirchenordnung zu folgen. Es geht darum, die Arbeit transparenter und damit
letztlich – für "Insider" wie für sich Nähernde – leichter zu machen.
Gemeindeglieder und Mitarbeitende haben Anspruch auf solche Transparenz!
In den letzten Jahren wurde
das Profil der Evangelischen Kirche im Rheinland noch einmal schärfer
herausgearbeitet und zwar hinsichtlich des Personalangebots
der Gemeinden. Grundsätzlich stehen unsere Pfarrerinnen und Pfarrer im
"Kontext des Mitarbeitergefüges", nicht isoliert, nicht für alles
zuständig, nicht allein verantwortlich. Sie sind teamfähig, das ist eine zentrale
Kompetenz.
Es ist bisher gelungen,
durch weitsichtige Personalplanung die meisten Nachwuchstheologinnen und
-theologen in kirchlichen Arbeitsfeldern zu beschäftigen und gleichzeitig die
Arbeitsplätze der Angehörigen der anderen kirchlichen Berufe, also der
Kirchenmusiker und Kirchmusikerinnen und Gemeindepädagogen und
Gemeindepädagoginnen, der Küster und Küsterinnen sowie der Büro- und
Verwaltungskräfte weitgehend zu erhalten. Wir beklagen die schmerzlichen Fälle,
in denen das nicht möglich war und bedauern die damit verbundenen menschlichen
Enttäuschungen. Den Presbyterien, die manchmal unter großen Anstrengungen
Stellenkürzungen und Entlassungen vermieden haben, ist zu danken. Typisch für
rheinische Gemeinden ist und bleibt das multiprofessionelle Team von haupt- und
ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.
Auf der Linie dieses Profils liegen einige Diskussionsstränge, die auch auf dieser Synode noch eine Rolle spielen werden:
-
das einheitliche
Ordinationsrecht, das nun allen Mitarbeitenden - ehrenamtlichen und
hauptamtlichen, theologischen und anderen -
den Zugang zur Ordination öffnet;
-
das Gemeinsame
Pastorale Amt, das in den Gemeinden, die sich an diesem zukunftsweisenden
Modell orientieren wollen, Diakoninnen und Diakone oder Gemeindehelferinnen und
Gemeindehelfer sowie Gemeindepädagoginnen und Gemeindepädagogen
gleichberechtigt am Pfarramt beteiligt;
- schließlich trägt auch das bewährte Konzept des Mitarbeiterpresbyters, ursprünglich auch ein umstrittener rheinischer Sonderweg, dazu bei, alle Hauptamtlichen an der Leitung der Gemeinde zu beteiligen. Die Möglichkeiten dieses Konzepts sind bei weitem noch nicht ausgeschöpft.
Kirchen öffnen sich: was in römisch-katholischen Kirchen selbstverständlich
ist, ist nun auch in evangelischen Kirchen zunehmend anzutreffen: Gäste finden
eine offene Kirchentüre und werden willkommen geheißen. Viele Menschen nutzen
dieses Angebot zur Stille und zum Gebet mitten im Alltag. Davon zeugen die
Gästebücher, die in geöffneten Kirchen ausliegen und davon berichten die
Gemeinden, die schon seit Jahren mit der Öffnung ihrer Kirche gute Erfahrungen
machen.
Die
Evangelische Kirche im Rheinland würdigt seit Pfingsten den Mut und Dienst der
Gemeinden im Rahmen der Kirchenöffnung mit dem Signet für "Verlässliche geöffnete Kirche".
24 Gemeinden im Rheinland haben das Signet bereits zugesprochen bekommen, außerdem weisen 24 Banner "Kirche geöffnet" nun auf offene Kirchen hin. Das Amt für Gemeindeentwicklung und Missionarische Dienste steht den Gemeinden in Fragen rund um die Kirchenöffnung beratend und unterstützend zur Seite. Wir sind zuversichtlich, dass die Signetverleihungen ermutigend auf andere Gemeinden wirken und sie ebenfalls ihre Kirchentüren verlässlich öffnen.
Eine offene Kirche ist eine
unkomplizierte und freundliche Einladung zur Begegnung mit Gott und seiner
Gemeinde.
Die Kircheneintrittsstellen sind ebenfalls in ihrer Weise offene Türen,
die den Zugang zu unserer Kirche erleichtern. Diese Stellen arbeiten sehr erfolgreich.
Exemplarisch
seien die Ergebnisse der Kölner
Wiedereintrittsstelle berichtet: durchschnittlich haben 32 Menschen pro
Monat den Weg in unsere Kirche gefunden, davon ist die Anzahl der unter 60
Jährigen deutlich höher als die der über 60 Jährigen. Die Anzahl der Frauen
beträgt 237, die der Männer 149. Bisher sind über den Berichtszeitraum November
2003 bis November 2004 mehr als 400 Menschen in die evangelische Kirche aufgenommen
worden.
Der Dienst der
Eintrittsstellen wurde in manchen Kommentierungen als ‚Eintritt light'
bezeichnet. Diese Charakterisierung verkennt, dass die Eintrittsstellen von
Seelsorgerinnen und Seelsorgern – meist ehrenamtlich - betreut werden, so dass
es zu Gesprächen über den Lebensweg der jeweiligen Menschen kommt. Ferner geht
es dabei natürlich auch um die Anbindung an eine konkrete Form gemeindlichen
Lebens in der Evangelischen Kirche im Rheinland.
Zum 19. Oktober 2004 wurde
je eine Stiftung für die Polizeiseelsorge und die Notfallseelsorge errichtet.
Zweck der Stiftungen ist es,
der schwierigen Haushaltslage entgegenzuwirken und mitzuhelfen, die finanzielle
Basis der Arbeit langfristig zu sichern.
Ziele der Stiftungen sind
unter anderem die Unterstützung der Seminararbeit der Polizeiseelsorge, der
berufsethischen Aus- und Fortbildung in der Polizei, der Polizeiseelsorge bei
und nach Großeinsätzen und in der Öffentlichkeitsarbeit sowie die Anschaffung
von Ausrüstungs- und Einsatzmitteln.
Die Notfallseelsorge hat sich gerade jetzt bei der Begleitung von
Flugzeugen, die Menschen aus den Katastrophengebieten nach der Flutwelle in
Asien begleitet und Angehörige auf den Flughäfen betreut haben, sehr bewährt.
Herzlich danken möchte ich allen Notfallseelsorgerinnen und –seelsorgern, die
diesen wichtigen seelischen Beistand geleistet haben.
Die Bundeswehr befindet sich
in einem drastischen Einsparprozess. Standorte werden aufgelöst oder
zusammengelegt. Dies betrifft unmittelbar auch die rheinische Kirche.
Konnte bisher die Seelsorge in der Bundeswehr durch zwei
Leitende Dekane innerhalb der rheinischen Kirche betreut werden, wird es
zukünftig nur noch eine Leitende Dekanstelle geben. Durch die Schließung von
Standorten wird sich der Zuschnitt der Pfarrbezirke verändern. Ein neues
Standortkonzept muss erarbeitet werden, das nicht allein den räumlichen Verschiebungen
Rechnung trägt. Vor allem die Auslandseinsätze bringen erhebliche Belastungen
für die Soldatinnen und Soldaten und ihre Familien mit sich. Seelsorge erlangt
in dieser Situation eine besondere Bedeutung.
Die Ergebnisse der Presbyteriumswahlen liegen nach langem
Bemühen vollständig vor (s. Statistik zur Landessynode 2005 Heft A).
Die
Presbyterien setzen sich aus 8414 Presbyterinnen und Presbytern sowie 963 Mitarbeiterpresbyterinnen
und Mitarbeiterpresbytern zusammen. Von diesen 9377 Mitgliedern sind 52,7%
Frauen. Dieser Prozentsatz hat zugenommen. Den Hauptanteil der Presbyterinnen
und Presbyter bilden die 45 - 60Jährigen. Dieses Jahr wurde zum letzen Mal das
halbe Presbyterium neu gewählt. Bei der nächsten Wahl 2008 scheiden alle
Presbyterinnen und Presbyter aus und werden neu gewählt.
Die Wahlbeteiligung lag bei 10,4%, genau wie 2000. Jedoch ist in den Wahlbezirken, in denen eine Wahlbenachrichtigungskarte versandt wurde, die Wahlbeteiligung mit 11% um 4 % Punkte höher als in den anderen Wahlbezirken, die rund 7% haben.
Die Wahlbeteiligung der jungen Wählerinnen und Wähler, die unter 20 Jahre sind, betrug lediglich 8,4 % der Wahlberechtigten. Es stellt sich hier die Frage, inwieweit unsere letzte Presbyterwahlreform zugunsten der Konfirmierten sich wirklich positiv ausgewirkt hat; die Anfrage verschärft sich, wenn man den Verwaltungsaufwand beim Erfassen dieser Wählergruppe in die Wahlverzeichnissen mitberücksichtigt.
Der Anstieg der Zahl der
Wahlbezirke, in denen keine Wahl stattgefunden hat, ist das auffälligste
Ergebnis der Wahl. In 45 % der Wahlbezirke fand keine Wahl statt. Das ist fast
jeder 2. Wahlbezirk. Bei der Wahl 2000 lag diese Quote noch bei 37 %. Bei der
Wahl der Mitarbeiterpresbyterinnen und Mitarbeiterpresbyter ist sogar in 90%
der Kirchengemeinden keine Wahl zustande gekommen. In ländlichen Wahlbezirken
war Nichtwahl mit 61 % häufiger anzutreffen als in Großstadtgemeinden mit 37 %.
In den überwiegend ländlichen Kirchenkreisen im Südrhein wie Simmern-Trabach
(90%), Birkenfeld (83%) und An Nahe und Glan (70 %) lagen die Zahlen für
die Wahlbezirke ohne Wahl am höchsten.
Der sich in diesen Zahlen
abzeichnende Trend besorgt mich. Denn es gehört zu den Grundprinzipien unserer
Ordnung, dass sich Leitung durch Wahl konstituiert. Wenn die ‚Basiswahlen' für
die Wahl aller Leitungsfunktionen nur noch zu knapp 50% stattfinden, ist ein
wesentliches Element unserer Verfassungsstruktur in Frage gestellt.
2.2 Strukturfragen in der Evangelischen
Kirche im Rheinland
Die Auseinandersetzung mit
Strukturfragen ist unserer Synode vertraut. Schon 1994 hat es eine Sondersynode
zu dieser Thematik gegeben. Im Jahre 2002 hat diese Synode Beschlüsse gefasst,
die mit der Aufgabe der Standorte Mülheim für die Evangelische Akademie, Bad
Kreuznach für das Predigerseminar und Rengsdorf für das Pastoralkolleg
verbunden waren. Über die Fortführung der Arbeit des Predigerseminars und des
Pastoralkollegs wurde schon berichtet. Der Neuanfang der Akademie in Bad Godesberg verbunden mit dem Weggang der Direktorin
zeigt erste Konturen, so dass eine Berichterstattung dazu noch zu früh ist.
Neben den Veränderungen auf landeskirchlicher Ebene vollziehen sich
vergleichbare Prozesse bei Kirchengemeinden, Verbänden und Kirchenkreisen.
Beispielhaft sei nur das Zusammengehen der beiden Duisburger und Wuppertaler
Kirchenkreise zu jeweils einem neuen Kirchenkreis genannt.
Die Umstrukturierung der
Medienarbeit ist zu einem ersten Abschluss gelangt.
Der Medienverband der Evangelischen Kirche im Rheinland wurde im Januar
durch die Zusammenführung des Presseverbandes und des FFFZ Medienhauses
gegründet. Im Mai wurde ein neuer Geschäftsführer eingestellt, seit September
sind sämtliche Aktivitäten des Medienverbandes am Standort Kaiserswerther
Straße in Düsseldorf gebündelt.
Der Medienverband hat den Wandlungsprozess hin zu einem leistungsfähigen
Medien- und Dienstleistungsunternehmen der Kirche eingeleitet. Seine
Publikationen sind ein verlängerter Arm der Gemeinden, mit denen wir auch die
Menschen erreichen, die sonst keinerlei Bezugspunkte zur evangelischen Kirche
hätten.
Mit den Säulen Print-Publizistik,
Online-Services, Fortbildung, Hörfunk- und Fernsehstudios sowie dem
Medienverleih ist der Medienverband zugleich kompetenter Ansprechpartner von Gemeinden
und Einrichtungen in Medienfragen. Ganz bewusst soll sich dieses
Medienunternehmen auch im außerkirchlichen Markt bewegen und damit seine
Arbeit im Vergleich zu Wettbewerbern messen. Erste Ergebnisse der Arbeit des
Medienverbandes sind ermutigend.
Erfolgreich abgeschlossen ist die Markteinführung von 'chrismon plus rheinland'. Mit dem
Beschluss, den 'WEG' einzustellen und u.a. durch ein anspruchsvolles
Monatsmagazin zu ersetzen, hat die Synode eine Erweiterung der traditionellen
Zielgruppen forciert. Seit September ist die Abonnement-Entwicklung von
'chrismon plus rheinland' positiv. Das neue Magazin findet seine Leserschaft.
Die EKD-Synode hat im November dieses Jahres beschlossen, das Monatsmagazin
'Chrismon' für mindestens weitere fünf Jahre fortzuführen, so dass die Basis
für die Weiterentwicklung unserer Publikation gegeben ist.
Zur Zeit steht allerdings noch eine wirklich überzeugende Lösung dafür
aus, den traditionellen Zielgruppen des 'WEG' die für sie notwendigen und interessanten
Informationen aus dem Leben ihrer Kirche zukommen zu lassen. Die Beilage
'Kontrovers' kann ich noch nicht als den Endpunkt dieses versprochenen Angebotes
verstehen.
Eine publizistische Sondersituation
haben wir im Saarland. Hier hat die Synode für die Fortführung der
Wochenzeitung 'SONNTAGSGRUSS' in
Herausgeberschaft des Evangelischen Pressevereins Saar votiert. Mit sehr
begrenztem Budget und trotz minimaler Werbeaufwendungen, konnte die Zeitung
ihre Auflage bei etwa 5000 Exemplaren halten. Weitere notwendige Maßnahmen zur
Kostenreduzierung sind eingeleitet. Eine Grundsatzentscheidung über die
Zukunft des 'SONNTAGSGRUSS' steht im kommenden Jahr an.
Die rheinische Kirche ist keine virtuelle Kirche, aber sie ist virtuell -
d.h. im Internet - stark vertreten.
Mittlerweile betreiben Gemeinden und Kirchenkreise, Landeskirche und
Einrichtungen rund 500 Homepages und rund 1000 E-mail-Adressen allein auf den
Servern der rheinischen Kirche. Allerdings ist noch mehr Vernetzung notwendig,
damit wir als Evangelische Kirche im Rheinland erkennbar und sichtbar im
weltweiten Datenmeer sind. Wenn Gemeinden Angebote der Landeskirche und
Kirchenkreise nutzen, stärkt dies die gemeinsame Präsenz und schont auch die
Ressourcen vor Ort.
Offensichtlich trifft die Kirche auf eine große Nachfrage. Die Zahl der
User, die sich auf den verschiedenen Webseiten informiert, steigt. Auch die
Angebote zu Verkündigung und Seelsorge wachsen und finden Resonanz. Projekte
wie www.trauernetz.de und www.chatseelsorge.de hat die rheinische Kirche auf
den Weg gebracht bzw. trägt sie aktiv mit: Seelsorgerinnen und Seelsorger aus
dem Rheinland sind hier Ansprechpartner für Menschen, die niedrigschwellig Rat
und Hilfe suchen.
Spannend ist auch das Projekt "evangelisch – das Ganze leben"
(www.evangelisch.info). In schöner Regelmäßigkeit fragen hier User an: Wie kann
ich in die evangelische Kirche eintreten? Da wiederholt sich die
Erfolgsgeschichte der realen Kircheneintrittsstellen im Internet.
Zur Medienarbeit gehört auch unser Kontakt und unsere Zusammenarbeit mit den Journalistinnen, den Redakteuren und mit den Menschen, die Medienpolitik betreiben. Die Zahl der Anfragen an unsere Kirche, in Radio und Fernsehen, in Zeitungen oder anderen Mediendiensten Stellung zu nehmen, ist groß. In der Regel ist unsere protestantisch-profilierte Meinung nicht nur gefragt, sondern auch erwünscht.
Die Tagesordnung der
diesjährigen Landessynode wird auch von der Frage geprägt sein, auf welche
Weise die Prioritätendiskussion auf
landeskirchlicher Ebene im Jahre 2005 geführt werden soll. Schon die Anlage der
Diskussion macht deutlich, dass die Beschlüsse der Landessynode 2006 eine neue
Qualität haben werden. Wir müssen Entscheidungen vorbereiten, die nicht nur zum
Zusammenlegen oder zum Ortswechsel, sondern auch zur Aufgabe landeskirchlicher
Dienste führen werden!
Dazu haben Sie eine
ausführliche Vorlage erhalten, deren Diskussion und Würdigung ich an dieser
Stelle nicht vorwegnehmen will. Aber etwas Grundsätzliches möchte ich doch
bemerken:
auch wenn wir bei der Gleichstellung von Männern und Frauen
schon ein gutes Stück vorangekommen sind, dürfen in für Kirche und Gesellschaft
nicht einfachen Zeiten Grundwerte unseres Zusammenlebens nicht in Frage
gestellt werden. Hierzu gehört die Gemeinschaft von Frauen und Männern in der
Kirche und die gerechte Teilhabe beider Geschlechter an Ämtern und
Leitungspositionen. Das bedeutet unter anderem, dass die Verantwortlichen in
Gemeinden, Kirchenkreisen, Ämtern, Werken und Einrichtungen Ernst machen mit
der Umsetzung des Gleichstellungsgesetzes,
das einen Stein im Mosaik "Gleichstellung von Frauen und Männern"
darstellt.
Wir dürfen nicht nachlassen in unserem Bemühen um gerechten Sprachgebrauch in Liturgie und Gottesdienst. So kann etwa für Frauen mit schlagenden und vergewaltigenden Vätern eine sich nur auf Gott, den 'Vater' konzentrierende theologische Sprache problematische Folgen haben.
Zur Arbeit am Ziel einer wirklichen Geschlechtergerechtigkeit gehört auch der stetige Einsatz gegen Gewalt an Frauen und Mädchen. Ich bin allen dankbar, die in ihrer haupt- und ehrenamtlichen Arbeit für die Stärkung von Mädchen- und Frauenrechten als Menschenrechte eintreten durch Aufklärung und Kampagnen gegen Genitalverstümmelung, Zwangsprostitution, Zwangsverheiratung und sexualisierte Gewalt. Oder die den Blick darauf lenken, dass es vor allem Frauen sind, die neu an Aids erkranken, weil Männer nicht bereit sind, sie (und sich) zu schützen.
2.3 Einsatz der Evangelischen Kirche im Rheinland für die EKD und
die UEK
Auf der EKD Synode in
Wetzlar im Jahre 1997 hat der damals aus dem Amt scheidende Ratsvorsitzende,
Landesbischof Engelhardt, in seinem Ratsbericht auf eine strukturelle
Konzentration in der Evangelischen Kirche in Deutschland gedrungen. Nachhaltige
Konsequenzen sind aus diesem Anstoß zunächst nicht gezogen worden. Erst mit dem
Beschluss der Mitgliedskirchen der Evangelischen der Union (EKU) und der
Arnoldshainer Konferenz (AKf), sich in der UEK zusammen zu schließen ist eine
neue Entwicklung im Jahre 2002 eingeleitet worden.
Im Rahmen der
Kirchenkonferenz der Gliedkirchen der EKD wurde daher im Dezember 2002 ein
Ad-hoc-Ausschuss aus Mitgliedern der Kirchenkonferenz unter Vorsitz von
Landesbischof Engelhardt eingesetzt. Von der Evangelischen Kirche im Rheinland
nahm Vizepräsident Drägert teil, der im Interesse der Synode den
Strukturprozess gemeinsam mit anderen energisch voranbrachte.
Dieser Ausschuss hat sich mit einer Reihe von Modellen für den Reformprozess beschäftigt. Er ist im Rahmen seines Beratungsprozesses zu der Entscheidung gekommen, das sogenannte "Verbindungsmodell" für den weiteren Prozess vorzuschlagen. Dieses Modell hat der Ausschuss im Dezember 2003 der Kirchenkonferenz vorgelegt. Der Rat der EKD hat ebenso wie die Vollkonferenz der UEK und die Generalsynode der VELKD den beschrittenen Weg begrüßt.
Der Kerngedanke dieses Modells ist es, dass die gliedkirchlichen Zusammenschlüsse ihren Auftrag in der EKD erfüllen und nicht mehr neben ihr. Sie tun dies auf der Grundlage von jeweils mit der EKD abgeschlossenen Verträgen. Damit bleiben sie - solange sie es selbst wollen - selbständige Subjekte, die nach ihrem jeweiligen Selbstverständnis organisiert sind. Ihren Auftrag nehmen sie in eigener Verantwortung in der EKD wahr.
Eckpunkte
dieses Modells sind vor allem:
- Die EKD nimmt grundsätzlich als die Gemeinschaft aller Gliedkirchen deren Gemeinschaftsaufgaben wahr.
- Der Erfüllung der Aufgaben von EKD, UEK und VELKD bedarf es nur eines Kirchenamtes an einem Standort, in das Ämter der UEK und der VELKD einbezogen sind.
- Ziel ist es, soviel Gemeinsamkeit aller Gliedkirchen zu erreichen wir möglich und soviel Differenzierung für die gliedkirchlichen Zusammenschlüsse vorzunehmen wie aus deren Verständnis nötig ist.
Im
Frühjahr 2004 haben EKD, UEK und VELKD kleine Arbeitsgruppen gebildet, die im
Sommer Vertragsentwürfe auf der Grundlage dieses Verbindungsmodells
ausgearbeitet haben.
Die UEK-Arbeitsgruppe bestand aus fünf Personen unter Leitung des Vorsitzenden der UEK, Landesbischof Fischer, Karlsruhe. Mitglied war auch Vizepräsident Drägert als stellvertretender Vorsitzender der UEK. Die Vertragstexte sind seitens der UEK, der VELKD und der EKD auf der Kirchenkonferenz im Dezember 2004 paraphiert worden.
Bei einer weitgehenden wörtlichen Übereinstimmung der UEK- und der VELKD-Vertragstexte weichen die beiden Verträge doch an einigen Stellen voneinander ab. Damit soll dem jeweiligen Selbstverständnis und den unterschiedlichen Zielvorstellungen von UEK und VELKD Rechnung getragen werden. Der Vertrag mit der UEK hat einen stärker integrativen Ansatz.
Eine nicht im Detail in diesen Verträgen geregelte Materie ist die der Ökumene. Eine Arbeitsgruppe unter Vorsitz von Landesbischof Friedrich, München, und mir hat im Zuge der Vertragsverhandlungen festgestellt, dass dieser Bereich weiterer Bearbeitung bedarf, nicht aber Gegenstand dieser Verträge sein kann, da auch hier die Gliedkirchen selbst so wie die Missionswerke und der Kirchliche Entwicklungsdienst betroffen sind. Im UEK-Vertrag ist hierzu festgestellt, dass die EKD im Auftrag der UEK deren ökumenische Beziehungen wahrnimmt.
Die EKD leitet nun das
Stellungnahmeverfahren in den Gliedkirchen für die erforderliche Änderung der Grundordnung der EKD ein. Auf
der Landessynode 2006 werden wir eine entsprechende Beschlussvorlage bekommen,
die wir aber im Beratungsprozess nicht mehr verändern können – es sei denn, die
Landessynode ist der Meinung, den gesamten Prozess aus schwerwiegenden Gründen
aufhalten oder scheitern lassen zu müssen.
Die Entscheidungsverfahren innerhalb der VELKD und der UEK werden im
Jahre 2005 durchgeführt. Geplant ist, dass die gesetzlichen und vertraglichen
Regelungen zum 1. Januar 2007 in Kraft treten können. Damit wird einer der
wichtigsten Strukturänderungsprozesse in Deutschland auf evangelischer Seite in
den letzten Jahrzehnten zu einem positiven Ende geführt.
Diese Strukturreform wird dann hoffentlich bei Wahrung der jeweiligen Konfessionalität Kräfte bündeln und vorhandene Ressourcen effektiver nutzen können. Dabei sollen Parallelstrukturen soweit wie möglich vermieden werden. Die Möglichkeiten der EKD zur Information, Koordination, Beratung und vor allem zur theologischen Reflexion werden gestärkt.
Diese Veränderung setzt aber
auch ein sensibles Umgehen des Kirchenamtes der EKD mit den landeskirchlichen
Strukturen voraus, die Rücksichtnahme auf unterschiedliche Zeitbedürfnisse und
den Verzicht auf jegliche Form des Zentralismus.
2.4 Einsatz der Evangelischen Kirche im
Rheinland für die Ökumene
Vom 23. Juli bis 8. August
2004 haben Oberkirchenrat Wilfried Neusel, meine Frau und ich nebst
Pressevertretern Indonesien bereist,
um uns mit unseren in der VEM zusammengeschlossenen Partnerkirchen vertraut zu
machen, aber auch um nach der heißen Phase des Wahlkampfs um das Präsidentenamt
und die Sitzverteilung im Parlament einen Eindruck von den politischen,
wirtschaftlichen und religiösen Kräfteverhältnissen im Land zu gewinnen. Ein
wichtiges Ziel war nicht zuletzt, die Christinnen und Christen in West-Papua
unserer Solidarität im Kampf um die Durchsetzung der Menschenrechte und der
politischen und kulturellen Selbstbestimmung zu versichern.
Die
Reise ist - dank der journalistischen Begleitung von unserem Pressesprecher
Jens-Peter Iven, Frau Fritz/epd und Dr. Görtz/freier Journalist - von der
Presse in Deutschland zeitnah verfolgt und kommentiert worden.
Auf Sumatra, der großen Insel im Westen des Vielvölkerstaats, lernten
wir das Leben von sechs Partnerkirchen kennen, insbesondere von der Huria
Kristen Batak Protestan (HKBP), die mit ca. 3 Mio. Mitgliedern die größte
protestantische Kirche in Südostasien ist. Leider ist diese wichtige Kirche
nach wie vor von der Kirchenspaltung in den Jahren 1992 bis 1998 gezeichnet.
Wir wurden mit großer
Herzlichkeit empfangen und hatten angesichts der Kürze der Zeit unerwartet
offene Gespräche. Gleich zu Beginn der Reise konnte ich in Pematang Siantar mit
dem Ephorus der HKBP 40 Pastorinnen und Pastoren ordinieren, Konsequenz eines
Partnerschaftsvertrags mit der HKBP, der während der Reise feierlich
unterzeichnet wurde und auf der Basis der Leuenberger Konkordie volle Kanzel-
und Abendmahlsgemeinschaft vorsieht.
Wir können uns nicht vorstellen, was diese Gemeinschaft für die von Missionar L.I. Nommensen ins Leben gerufene Kirche bedeutet. Die Heilsgeschichte geht für sie nicht von Jerusalem, Rom oder Genf aus, sondern von Wuppertal-Barmen, dem Sitz der ehemaligen Rheinischen Missionsgesellschaft, deren Nachfolgerin die Vereinte Evangelische Mission ist.
Beim Besuch der zahlreichen Schulen, Waisenhäuser, diakonischen Einrichtungen und Ausbildungsstätten lernten wir dann aber neben den beachtlichen Bemühungen um die Förderung von Jugendlichen, Behinderten und Kranken inmitten einer muslimischen Mehrheit auch die Tücken eines ethnozentrischen Kirchentums kennen. Drei kirchliche technische Oberschulen und drei Waisenhäuser am selben Ort, jeweils als "Werbeprojekte" für drei verschiedene Mitgliedskirchen der Vereinten Evangelischen Mission (VEM) verstanden und von höchst unterschiedlicher Qualität, bringen ins Grübeln: was ist mit der grenzüberschreitenden Kraft des Evangeliums im Kontext der traditionellen Gesetze und Normen der ethnischen Gruppen? Ein Kirchenführer antwortet ganz offen: "Die Adat, das traditionelle Recht, dominiert nach wie vor!" Und das bringt mit sich, dass die Kirchen Sumatras nicht nur Gemeinden für ihre auf anderen Inseln lebenden Glieder gegründet haben, sondern auch in den USA und in Kanada ihre pastorale Versorgung organisieren.
Deutlich haben wir die auch in unseren Partnerkirchen noch zu verwirklichende Gendergerechtigkeit thematisiert, und ich habe betont, dass Kirchenleitungen den Rahmen für unsere Partnerschaften gewährleisten können, dass sie aber nur auf der Ebene der Gemeinden und Kirchenkreise wirklich lebendig und konkret werden.
Unsere Delegation besuchte Menschenrechts- und Umweltaktivisten, davon Mitglieder unserer Partnerkirchen im Gefängnis in Balige. Wir hörten eindrucksvolle Berichte über die Gründe der Inhaftierung, das Leben im Gefängnis und versicherten die Gefangenen unserer geschwisterlichen Verbundenheit. Allein schon der Besuch, die Erfahrung, nicht vergessen zu sein, war Hilfe und Ermutigung für die Gefangenen. Später mussten wir leider erfahren, dass das von unserer Kirche für Anwälte und Versorgung zur Verfügung gestellte Geld offenbar nicht umgehend zweckentsprechend weitergeleitet worden war. Solche Erfahrungen werden z.B. vom Kirchenkreis Krefeld-Viersen bestätigt.
Diese
Erfahrungen bedeuten für mich nicht, dass ich das VEM-Programm und kreiskirchliche
Partnerschaften in Frage stelle; im Gegenteil, nur so kann ökumenische
Gemeinschaft in der Mission tragfähig werden. Aber wir müssen in der VEM
offensiv Misswirtschaft und Korruption bekämpfen und dafür sorgen, dass der
kirchliche Entwicklungsdienst zur Qualifizierung
kirchlicher Partner in Afrika und Asien beiträgt. Der Paradigmenwechsel vom Geldtransfer zur themen-zentrierten
Zusammenarbeit wird noch einige Zeit und Mühe kosten.
Mühsam waren auch die Gespräche über die von der indonesischen Regierung seit Jahren geforderten Pensionsfonds für die hauptamtlichen Mitarbeitenden der VEM-Mitgliedskirchen. Jede will bilateral mit Hilfe unserer Kirche die mehr oder weniger großen Finanzierungslöcher stopfen. Unser Plädoyer für eine gemeinsame Strategie im Verbund der VEM wurde mit sichtlicher Enttäuschung zur Kenntnis genommen. Angesichts von überall in Indonesien herrschender Vetternwirtschaft, Korruption und Raffgier ist es offensichtlich auch für die kirchlichen Leitungsorgane nicht leicht, den schmalen Weg von langfristiger und konzertierter Planung, Transparenz, Rechenschaftspflicht und Uneigennützigkeit zu wählen.
Ähnliche
Erfahrungen machte unsere Delegation in Jakarta. Da trafen wir Menschen, die
lange Jahre im Büro der Indonesischen Kirchengemeinschaft gearbeitet hatten und
mit 17 Euro Pension zurecht kommen müssen und somit keine Chance haben, ihre
medizinische Versorgung zu bestreiten.
Wir sprachen mit der Staatspräsidentin Megawati Soekarnoputri, die vom Innenminister und Geheimdienstchef begleitet und beobachtet die Lage ihres Landes in diplomatischem Jargon weich zeichnete und die Ängste christlicher Gemeinden angesichts extremistischer muslimischer Anschläge als bedauerliche Einzelfälle herunter spielte. Auf die brennenden Fragen der Bevölkerung West-Papuas ging sie leider überhaupt nicht ein
Ganz anders die Begegnungen mit dem ehemaligen Staatspräsidenten Abdurrahman Wahid und anderen Repräsentanten der muslimischen Verbände Nadhlatul Ulama und Muhammadiya, die zusammen fast 60 Mio. Muslime vertreten. Hier hörten wir erstaunlich viel Selbstkritisches über Korruption, militärische Willkür und die Kultur der Straflosigkeit. Der Islam in Indonesien ist nicht frauenfeindlich, nicht anti-westlich und akzeptiert die multikulturellen Zugänge zum Glauben. Nach anfänglichen Bestrebungen, in Indonesien die Scharia einzuführen (1959), erkannte man die Gefahren des Islamismus aufgrund der Entwicklungen im Nahen und Mittleren Osten, und man betrachtet die Bestrebungen extremer Islamisten in Europa und Amerika als "hoffnungslos rückwärtsgewandt" und perspektivlos. Hier ist Potenzial für einen Dialog mit Christinnen und Christen in Indonesien und Europa, der von der VEM und von unserer Kirche intensiver als bisher genutzt werden muss. Mit der Kirchlichen Hochschule Wuppertal wollen wir die Chancen dieser Gespräche für unseren europäischen christlich-muslimischen Dialog weiter verfolgen.
Dem widerspricht in keiner Weise, die immer wieder stattfindenden Anschläge auf Kirchen und Gemeindeglieder akribisch zu dokumentieren und entsprechend politisch und diplomatisch zu intervenieren. Nur so wird es einen ehrlichen Dialog geben, der über Schönwetter-Reden hinausführt. Unsere kirchlichen Partner wären anders auch nicht an einem solchen Dialog interessiert.
Ähnlich offen und erhellend waren die Gespräche mit führenden Frauen und Männern aus Wirtschaft und Gesellschaft im Haus des ehemaligen Moderators der VEM, Dr. S.A.E. Nababan. Den korrupten Filz der indonesischen Gesellschaft zu durchbrechen, ist offensichtlich nicht in erster Linie von den politischen, wirtschaftlichen und religiösen Eliten zu erwarten, sondern von Aktivisten und Aktivistinnen der zahlreichen Nichtregierungsorganisationen und Basisnetzwerke sowie von den Medien. Und diese Akteure haben seit dem Sturz Soehartos 1998 in der Tat ein spürbar verändertes Klima in den urbanen Ballungsgebieten Indonesiens geschaffen. Die Menschen reden freier, kritischer. Gerichte verhandeln über wirtschaftlichen Missbrauch und Verbrechen des Militärs mutiger als vor sechs Jahren.
Besonders beeindruckt haben
unsere Delegation die Begegnungen mit Repräsentanten der
protestantisch-christlichen und der römisch-katholischen Kirche in West-Papua, 5000 km östlich von Sumatra
gelegen. Diese 1963 von Indonesien annektierte östlichste Provinz ist seit 40
Jahren Opfer des javanischen Rassismus und beklagt die Ermordung von mehr als
100.000 Papuas durch indonesisches Militär und paramilitärische
Spezialeinheiten.
Die bevölkerungsarme Provinz West-Papua (2 Mio. Einwohner auf einer Fläche von der Größe Schwedens) ist wegen der reichen fossilen und mineralischen Rohstoffe ein streng gehütetes Faustpfand der Indonesischen Ökonomie und Politik. Schon in Jakarta bekamen wir einen Eindruck von der Stimmung in West-Papua. In einem Sozialzentrum des PGI, der indonesischen Kirchengemeinschaft, verabschiedete sich eine Frau aus West-Papua mit Tränen in den Augen. Vor wenigen Tagen waren ihr Mann und sein Bruder wegen angeblicher anti-indonesischer Aktivitäten ermordet worden, vermutlich von militärischen Spezialeinheiten.
Immer
wieder versucht das Militär, z.T. mit Hilfe gekaufter abtrünniger
Splittergruppen der Befreiungsbewegung OPM, Konflikte zu inszenieren, um seine
übermächtige Präsenz in West-Papua zu legitimieren. Mit dem ökumenischen
Programm "West-Papua - Land des Friedens" versuchen unsere
Partnerkirche GKI, die größte im Lande, die römisch- katholische Kirche und
einige Freikirchen in bemerkenswerter Eintracht ein Klima zu schaffen, das die
Logik des Militärs neutralisiert.
Mit
großer Spannung warteten unsere Partner auf den Ausgang der Stichwahl um die Präsidentschaft.
Viele hofften auf den Kandidaten Yudhoyono, denn er hatte den Papua im
Wahlkampf versprochen, die 2001 beschlossene "Sonderautonomie" für
die Provinz West-Papua zu implementieren. Das würde der einheimischen
Bevölkerung größere Mitspracherechte über die Zukunft ihres Landes geben, in
dem sie selbst zu Fremden geworden sind. Bis dato gibt es heftigen juristischen
und politischen Streit um ein Gesetz von 1999, dass die Dreiteilung der Provinz
vorsieht und auf diese Weise faktisch die Sonderautonomie unmöglich macht. Eine
Delegation der Botschafter der EU-Staaten in Indonesien hatte vor eineinhalb
Jahren in West-Papua nachdrücklich für das Programm "Sonderautonomie"
geworben und die Bevölkerung vor Abspaltungsversuchen gewarnt. Seitdem
vermissen die Kirchenführer jegliche Initiative der EU, ihre Option mit
entsprechendem Nachdruck auch bei der Zentralregierung in Erinnerung zu
bringen. Wir haben versprochen, hier solidarisch mit den Christinnen und Christen
West-Papuas zu sein und bei der EU unsere Anwaltschaft geltend zu machen.
Ich will hier nur ein Beispiel von vielen erwähnen, das sich nach unserer Rückkehr in West-Papua ereignete: Am 24. November erhielt Dr. Benny Giay, Dozent an einer Theologischen Schule in der Nähe der Provinzhauptstadt Jayapura, während seiner Abwesenheit in seinem Hause Besuch von vier Soldaten, die ihre Gesichter schwarz-grün gestreift bemalt hatten. Die Angestellten bekamen zu hören, man wolle lediglich ein Weihnachtsgeschenk überreichen; man werde wiederkommen. Benny Giay ist bekannt durch seine kritischen Veröffentlichungen, besonders durch sein Buch über die Ermordung des Papua-Führers Theys Eluay durch Soldaten der indonesischen Armee im November 2002. Andere Aktivisten erhielten Pakete mit zerstückelten Hühnern oder mit Hundeköpfen.
Unterhalb des Äquatorgletschers Puncak Jaya sind vor wenigen Wochen Tausende von Papua vor dem Militär in die Wälder geflüchtet und leiden unter Hunger, Kälte und Krankheiten.
Unsere Partner vermuten, dass das Militär auf diese Weise die Versprechen des neuen Präsidenten hintertreiben und ihn bei der örtlichen Bevölkerung diskreditieren will.
So ist verständlich, dass der Empfang unserer Delegation im Hochland West-Papuas zur kulturellen und politischen Demonstration der Papuabevölkerung wurde. Mehr als 500 traditionell gekleidete Frauen und Männer eskortierten mich und meine Begleiter zur Festhalle, allen voran zwei Polizisten auf Motorrädern. Ein unnachahmliches Singen, Ululieren und Brummen umgab uns wie eine Wolke. 10 traditionell in Erdhöhlen gegarte Schweine warteten auf die Festgemeinschaft, und immer wieder wurde betont, Präses Schneider sei der erste europäische Kirchenführer, der die Gereja Kristen Injili seit ihrer Gründung besucht habe. Unsere Partner waren glücklich, durch diesen Besuch zu erfahren, dass sie nicht allein sind mit ihren Sorgen und dass wir an ihrem Schicksal Anteil nehmen.
Die Flutkatastrophe und die
vielen Seebebenopfer fordern die Bewährung unserer Kirchengemeinschaft in der
VEM heraus. Gerade auf Sumatra und den vorgelagerten Inseln Nias und Mentawei
sind Zerstörungen und Opfer in bisher noch nicht überschaubarer Zahl zu
beklagen. Dank des Verbindungsnetzes der VEM wird es uns möglich sein, effektiv
und zielgerichtet zu helfen. Sie alle möchte ich dringlich bitten, ihre
Möglichkeiten zu schneller und hochherziger Hilfe zu nutzen.
Einstimmig hatte unsere
Landessynode im letzten Jahr die Erklärung "Erinnern, versöhnen, gemeinsam
Zukunft gestalten. 100 Jahre Beginn des antikolonialen Befreiungskrieges in
Namibia" verabschiedet. Sie hat damit nicht nur den Dialog mit unserer
Partnerkirche in Namibia vertieft,
sondern auch unsere internationale Missionsgemeinschaft VEM zu einer fast
gleichlautenden Erklärung veranlasst. Diese war dann einerseits für den
internen Dialog auf der Vollversammlung der VEM in Manila wichtig, andererseits
aber auch für die gemeinsamen Bemühungen unserer Kirche und der VEM, den ausscheidenden
und den neuen Bundespräsidenten zu einem Besuch Namibias zu bewegen, verbunden
mit der Bitte, die Völker Namibias, die Opfer des Genozid deutscher
Kolonialtruppen wurden, um Vergebung zu bitten. Beide Präsidenten sahen sich
außerstande, die Sprachregelung des Außenministeriums zu verlassen, die
besagte, dass keine "entschädigungsrelevanten" Sätze geäußert werden
dürfen. Die Kontakte zur Ministerin Wieczorek-Zeul waren verheißungsvoller, und
ihre Bitte um Vergebung für deutsche Kolonialverbrechen und für den Genozid am
14. August stellte die deutsch-namibischen Beziehungen auf eine neue Grundlage.
Der Moderator der VEM und Bischof unserer Partnerkirche in Namibia (ELCRN), Dr.
Zephania Kameeta, hatte ausführlich Gelegenheit, mit der Ministerin im Vorfeld
ihrer bemerkenswerten Ansprache in Okakarara über ihr Vorhaben zu sprechen und
das schwierige Terrain verschiedenster Erwartungen in Namibia zu erklären. Er
würdigte die Rede der Ministerin namens der ELCRN und der VEM "als
bahnbrechende Erklärung".
Aufgrund dieses Vorganges
wird der nächste Peter-Beier-Preis
diesen beiden Persönlichkeiten verliehen werden.
Sowohl
die Ministerin als auch Bischof Kameeta wollen den Peter-Beier-Preises mit
großer Freude annehmen. Die Preisverleihung wird voraussichtlich in der ersten
Hälfte dieses Jahres möglich sein. Die Zuerkennung des Preises hat in der
interessierten Öffentlichkeit bundesweit für Aufmerksamkeit gesorgt.
Auf
einer internationalen wissenschaftlich-politischen Namibia-Konferenz unter der
Schirmherrschaft von Bürgermeister Henning Scherf in Bremen im November vergangenen
Jahres sorgte er dafür, dass die Vertreter der Herero nicht mit tribalistischen
Forderungen den nun geforderten "bedeutungsvollen und strukturierten
Dialog über einen Ausgleich für die historischen Ungerechtigkeiten" im
Keim erstickten.
Seitens
der EKD wurde auf der Synode im November vergangenen Jahres ebenfalls des
Genozid gedacht, und der Ratsvorsitzende nahm die Rede von Alphons Maharero,
Nachkomme des damaligen Oberhäuptlings Samuel Maharero, zum Anlass, auch namens
der EKD um Vergebung zu bitten. Denn nicht nur Missionare der Rheinischen
Missionsgesellschaft, sondern auch durch die Deutsche Evangelische Kirche
entsandte Seelsorger für die weißen Siedler waren in die Kolonialverbrechen
involviert. Eine Aufarbeitung dieser Vorgeschichte der EKD steht allerdings
noch aus. Sie ist von unserer Kirche erbeten worden.
Es steht nun zu hoffen, dass
VEM, Evangelische Kirche im Rheinland und EKD gemeinsam die politischen Kräfte
unterstützen, die vertreten durch Bundesministerin Wieczorek-Zeul den
schwierigen Weg der Versöhnung mit den Völkern Namibias gehen wollen. Und zur
Versöhnung gehört nach namibischem Verständnis auch ein Ausgleich für
begangenes Unrecht, sonst bleibt die generationenübergreifende
Lebensgemeinschaft unwiederbringlich zerstört.
Das Erinnerungsjahr wurde von den Kirchenkreisen, die mit der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Namibia seit langem verbunden sind, zum Anlass für intensive Begegnungen mit Christinnen und Christen aus und in Namibia genommen.
Die Leiterin unseres Frauenreferats, Frau Dr. Korenhof, nahm mit sechs weiteren Frauen unserer Kirche vom 3. bis 19. April 2004 an einer Begegnung mit Frauen unserer Partnerkirche in Namibia teil, auch im Kontext der ‚Erinnerung an den Krieg 1904-1907'. Im September fand ein Pastoralkolleg unter der Leitung des Direktors, Pfarrer Süselbeck, in Namibia zum Thema ‚Erinnerung und Versöhnung' statt, und im Juli veranstaltete der Gemeindedienst für Mission und Ökumene im Süden der EKiR ein Wochenendseminar mit Vertretern der ELCRN und dem Bischof der deutschsprachigen Lutheraner in Namibia ELCIN (DELK), das Sie in der epd-Dokumentation Nr. 39/40 vom 14.9.2004 aufgezeichnet finden.
Unsere Kirche unterstützte darüber hinaus mit 20.000 Euro auch einschlägige Veranstaltungen der namibischen Kirchen im Gedenkjahr.
In allem machten die
Beteiligten die gute Erfahrung, dass Gott verändert und versöhnt, im Kleinen
und im Großen. Und diese Erfahrung soll uns beflügeln, auch in anderen
Zusammenhängen Neues und Heilsames zu erwarten.
"Siehe, ich mache alles
neu! - Mission, Kraft der Erneuerung", unter dieser Überschrift tagte Ende
September bis Anfang Oktober in Manila zum dritten Mal seit Bestehen die
Generalversammlung der Vereinten
Evangelischen Mission. Angesichts der unbeschreiblichen Elendsviertel der
19-Millionen-Stadt, der stickig-dreckig-schwülen Hitze der Metropole war die
Verheißung am Ende der Apokalypse des Johannes eine Herausforderung, die auch
durch die gute klimatisierte Versorgung am Tagungsort nicht verdrängt werden
konnte.
Die gastgebende Vereinte
Kirche Christi in den Philippinen, bekannt für ihr gesellschaftspolitisches
Profil, zeichnete dann auch auf Grund ihrer Erfahrungen in der globalisierten
Welt apokalyptisch anmutende missionstheologische Bilder, die zwar im Kontext einer
nach wie vor starken imperialen Präsenz der USA in den Philippinen
nachvollziehbar waren, aber doch in ihrer holzschnittartigen Zuspitzung von den
meisten Delegierten der 34 Mitgliedskirchen
aus Afrika, Asien und Deutschland nicht übernommen wurden.
Wirtschaftliche Gerechtigkeit angesichts eines neo-liberalen Ökonomismus steht bei allen Kirchen ganz oben auf der Tagesordnung. Ökonomie ist eine Frage, die das Zentrum unseres Glaubens betrifft! Soweit der Konsens. Aber in den Entschließungen wurde deutlich, dass gegen die Verteufelung wirtschaftlicher und politischer Akteure - allen voran natürlich die USA - von der VEM eine klare Analyse der positiven und negativen Folgen der Globalisierung gefordert und der Dialog mit den relevanten Akteuren gesucht wird.
Die VEM möchte prophetisch
reden und handeln, in der Hoffnung, dass nicht erst am Ende der Tage, sondern
schon jetzt die Verhältnisse menschenfreundlicher gestaltet werden, ob in der
Kriegsregion Zentralafrika, in der von der indonesischen Zentralregierung
unterdrückten Provinz West-Papua oder in den aufstrebenden Wirtschaftszentren
Südostasiens.
Mission, Kraft der
Erneuerung wurde auch in der Auseinandersetzung mit den starken charismatischen und pfingstkirchlichen
Strömungen durchbuchstabiert, die in unterschiedlicher Intensität alle
Mitglieder der VEM herausfordert. Mehr noch als in Deutschland werden die
Kirchen in Afrika und Asien verunsichert, weil gerade viele engagierte
Gemeindeglieder, besonders unter der Jugend, von den lebendigen und partizipatorischen
Gottesdiensten charismatisch geprägter Gemeinden angezogen werden. In einer
immer anonymeren und konkurrenzgestressten urbanen Gesellschaft suchen Menschen
nach einer verbindlichen Gemeinschaft und nach Zeichen der heilenden Gegenwart
des Heiligen Geistes. Pfingstlich geprägte überschaubare christliche
Gemeinschaften scheinen die Antwort
auf den spirituellen Hunger vieler Christinnen und Christen zu sein. Die VEM
öffnet sich dem Dialog mit der charismatischen Bewegung und den Pfingstkirchen,
aber doch so, dass die Charismen, die Gnadengaben in ihren traditionsreichen
Mitgliedskirchen nicht schamhaft verleugnet werden.
Der Geist Gottes ist auch in Kirchen zu finden, die nicht die Zungenrede pflegen oder Exorzismus praktizieren! Treue zum Evangelium und Geistesgegenwart findet sich auch unter denen, die im säkularen Bereich Erneuerung und Heilung suchen, mehr Gerechtigkeit, Frieden und Versöhnung. Die Mitglieder der VEM fragen auch kritisch nach den sozialen und wirtschaftlichen Ursachen des charismatischen Booms, fragen, was solche Gemeinschaften zum interreligiösen Dialog sagen, der in allen Regionen der VEM, in Deutschland, in Afrika und Asien notwendiger denn je ist.
Dennoch, die charismatische Bewegung wird jenseits aller Verirrungen und Übertreibungen im emotionalen Bereich als eine bleibende Herausforderung verstanden, in der Gestaltung von Gottesdiensten, in der Debatte über das Verhältnis von Heil und Heilung, in der Diskussion über das Verhältnis von Predigt des Wortes Gottes und persönlicher Erfahrung und in Afrika und Asien auch in der Auseinandersetzung mit dem Glauben an Dämonen und teuflische Mächte. Unsere deutschen, von der Aufklärung geprägten Mitgliedskirchen stehen nicht außen vor, weil etliche ihrer Mitglieder auf elementare Weise von der charismatischen Bewegung fasziniert sind und z. T. durch charismatische afrikanische und asiatische Migrantengemeinden in den Bann gezogen werden.
Das von Oberkirchenrat i.R.
Dr. Regul auf der Generalversammlung 2000 eingebrachte Thema "HIV/Aids" ist für die VEM
mittlerweile ein Schwerpunkt der Arbeit geworden. Alle Mitgliedskirchen der VEM
sind aktiv in Prävention und Sorge für Betroffene. Die Mittel werden dank
großzügiger Spenden mühelos aufgebracht.
Zwar
gibt es nach wie vor Kirchenobere, die den Gebrauch von Kondomen tabuisieren
und gleichgeschlechtliche Liebe zur Wurzel allen Übels machen wollen, aber das
von der Generalversammlung verabschiedete theologische Grundsatzpapier ist ein
im besten Sinne evangelisches Dokument. Und die Berichte aus Namibia, aus
Ruanda und aus dem Kongo zeigen, dass Betroffene ohne Angst in ihrer Kirche
Zuflucht und Beistand finden können. Claudia und Dirk Haarmann, promovierte
Vikarin und Vikar unserer Kirche, entwickeln in Namibia bahnbrechende
Strategien zur Bekämpfung von Aids, die auch von der Regierung mit Respekt
diskutiert werden. Die härteste Nuss bleibt die Verständigung über Wesen und
Grenzen verantwortlicher menschlicher Sexualität.
Kaum glaublich das Selbstbewusstsein der jungen Erwachsenen und der Frauen auf dieser Generalversammlung. Noch vor acht Jahren zitierten Bischöfe aus Afrika und Asien "ihre" weiblichen und jugendlichen Delegierten zu sich, um ihnen klar zu machen, was gesagt werden durfte und was nicht. In Manila hatten die drei Vertreter der Kirchen, die noch keine Frauen ordinieren, Mühe, ihre Situation zu rechtfertigen. Ergebnis: Bis 2008 soll es in der VEM keine Kirche mehr geben, die Frauen nicht ordiniert.
Durch Satzungsänderung wurde gewährleistet, dass ab sofort drei junge Erwachsene unter 27 Jahren stimmberechtigte Mitglieder des Rates der VEM sind, der zwischen den Generalversammlungen die Geschicke der VEM leitet.
Ein Zeichen der Bedeutung
junger Erwachsener in der internationalen Missionsgemeinschaft war auch die
Wahl der Beauftragten für Menschenrechtsfragen in Asien, Imelda Simangunsong,
zur Vizemoderatorin der VEM. Die indonesische Pop- und Jazzsängerin überwand
die engen Schranken des traditionellen männlichen Führungsanspruchs und wurde
nach eingehenden Verhandlungen mit den asiatischen Delegierten statt ihres
Bischofs neben Bischof Kameeta und Oberkirchenrat Wilfried Neusel
Repräsentantin der VEM.
Wie in der Zeit der Reformation hat die VEM die Bedeutung von Liturgie und Musik für das christliche Zeugnis entdeckt. Gemeinsam mit CEVAA und CWM, den aus der Pariser und Londoner Mission hervorgegangenen Missionsgemeinschaften, will die VEM die ökumenischen liturgischen und musikalischen Impulse für das Gemeindeleben der VEM-Mitglieder fruchtbar machen. Mehr davon im nächsten Jahr von Landeskirchenmusikdirektor Cyganek.
Ein Highlight war die Wahl der VEM-Hymne auf der Generalversammlung in Manila, in der unser Hennefer Pfarrer Morgenroth mit dem Song "Eins im Glauben" unter 63 Bewerberinnen und Bewerbern den Sieg davon trug.
Es gab eine angenehme Bewegung hin zur kritischen Wahrnehmung kircheninterner Gewaltstrukturen. Ein Verhaltenskodex gegen sexuelle Belästigung und ein Kodex gegen Korruption in den kirchlichen Beziehungen wurden verabschiedet. Deutlich kamen Zögerlichkeiten der Mitgliedskirchen im Einsatz für Menschenrechte zur Sprache. Oft finden die kirchlich bestellten Kontaktpersonen kaum Unterstützung durch ihre Kirchenleitungen. Trotz gendergerechter Stipendienpolitik der VEM sind Frauen in den afrikanischen und asiatischen Mitgliedskirchen nicht zufrieden mit ihren Mitwirkungsrechten. Das Erfreuliche ist, dass dies nun offen thematisiert werden kann. Kirchliche Benachteiligung von Alleinerziehenden und geschiedenen Müttern wird nicht mehr verschwiegen.
Erfreulich
ist das Eingehen der VEM auf die Standards der kirchlichen Entwicklungsdienste.
Es gibt Kriterien für die Bezuschussung von und Berichterstattung über
Projekte(n) und Programme(n), die angesichts knapperer Finanzen den Einsatz der
finanziellen Mittel optimieren.
Es ist zu hoffen, dass die für den Herbst diesen Jahres von unserer
Kirche angefragte Evaluierung der Arbeit der VEM zu einer Rechenschaft eines
exemplarischen ökumenischen missionarischen Bündnisses führt, das die
Mitgliedskirchen und die von Bodelschwinghschen Anstalten in Bethel in der
Mission zu neuen Ufern treibt.
Der internationale Austausch
von Finanzen, Gütern, Dienstleistungen, Arbeitsplätzen und Technologien hat ein
Maß erreicht, das zur Einschränkung staatlicher Souveränität führte. Es sind
solche Phänomene der Globalisierung,
die die Einheit von Staats-, Wirtschafts- und Sozialraum beenden und den Staat
in ein immer engeres Netz transnationaler Abhängigkeiten und
Verhandlungsbeziehungen hineinbringen. Diese "Entgrenzung" der
Staaten erschwert die Prozesse der demokratischen Willensbildung und der politischen
Identifikation. Da viele Aufgaben im Bereich der Sicherheit, der Umwelt, der
Wirtschaft und des Handels im nationalen Rahmen allein nicht zu lösen sind,
wird über internationale Kooperationen praktisch eine eigenständige
Handlungsebene geschaffen.
Als
dominante Faktoren erweisen sich die internationalen Finanzmärkte und ein
lediglich quantitativ bemessenes wirtschaftliches Wachstum. Die Frage, wie sich
die ökonomischen Folgen der Globalisierung auf Menschen und Schöpfung
auswirken, scheint irrelevant in einem Kontext, der von einer nahezu religiösen
Verherrlichung des Marktes geprägt ist.
Mit einer öffentlichen Fachtagung am 25. November 2004 wurde ein Studienprozess zu Fragen und Konsequenzen der ökonomischen Globalisierung in der EKiR eingeleitet. In Aufnahme eines ökumenischen Dokumentes von 2002 ("Wirtschaften für das Leben. Ein Brief an die Kirchen in Westeuropa" als Ergebnis einer ökumenischen Tagung in Soesterberg/NL, s. Anlage 2) sowie von Beschlüssen der Generalversammlung des Reformierten Weltbundes 2004 in Accra wurde ein Rahmen für die notwendige kirchliche Debatte abgesteckt.
Die neoliberale Wirtschaftsordnung und die Konzentration auf die Geldwirtschaft stehen auf dem Prüfstand. Unsere Kirche ist selbst eine ökonomische Akteurin. Ihr Handeln geschieht in der Bindung an die biblische Überlieferung – darüber müssen wir uns auch hinsichtlich ökonomischer Fragen verständigen.
Das beabsichtigte Arbeitsvorhaben soll Gemeinden und Kirchenkreise, die Gruppen und Träger des Konziliaren Prozesses sowie unsere Partnerkirchen in Europa, USA, Asien und Afrika einbeziehen. Zu seinen Eckdaten gehören die Dekade zur Überwindung von Gewalt wie auch die UN-Millenniumsziele, die u.a. die Halbierung der Armut bis 2015 anstreben.
Eine weitere Fachtagung vom 4.-5. April in unserer Akademie in Bonn-Bad Godesberg soll dazu dienen, Verabredungen über den Studienprozess zu treffen. Vor allem Gemeinden und Kirchenkreise sind herzlich zur Beteiligung eingeladen.
Angesichts des immer
härteren Kampfes der Wohlfahrtsorganisationen um Spenden sollten wir ‚unseren'
Hilfswerken, wie der Kindernothilfe, besondere Beachtung schenken: die Kindernothilfe, 1959 von engagierten
Gemeindegliedern in Duisburg gegründet, arbeitet heute in 27 Ländern. Im
Mittelpunkt steht die Förderung von Kindern und Jugendlichen, die ein Leben in
Armut führen. Zur Armut kommen oft Erfahrungen von Gewalt und Ausbeutung, wie
es die Schicksale von Kindersoldaten, Kindern in Prostitution und Kinderarbeitern
zeigen. Aidswaisen leiden unter Ausgrenzung und behinderte Kinder sind in
vielen Kulturen nach wie vor ein Makel.
Hier setzt die Arbeit der Kindernothilfe an. Die Besonderheit der Arbeit der Kindernothilfe ist es, Projekte christlicher Partner vor Ort zu unterstützen und zu begleiten. Dabei werden die Familien und Kinder in die Strategien zur Armutsüberwindung einbezogen. In der Kooperation mit den Partnern und der Orientierung an den Kindern als den Schwächsten in der Gesellschaft sind die Projekte Zeugnis gelebten Glaubens. Ihre Projekte sind langfristig angelegt mit dem Ziel der Hilfe zur Selbsthilfe. Neben der Entwicklungszusammenarbeit leistet sie je nach Möglichkeit auch Katastrophenhilfe, wie z.B. in Beslan und nun nach der Flutkatastrophe.
Die Arbeit wird getragen von
Patenschaften und Projektpartnerschaften. Ihre diakonische Arbeit versteht die
Kindernothilfe im Zusammenhang mit dem Einsatz für Kinderrechte, wie sie in der
UN-Kinderrechtskonvention festgelegt sind. Durch Lobbyarbeit, aber auch durch
Materialien für Gemeindearbeit und Schule will sie im Inland ein waches
Bewusstsein schaffen für die Situation der Kinder in Armut.
Dies zeigt auch das Jahresthema 2005: "Armut bekämpfen. Mädchen können mit uns rechnen."
Die Kindernothilfe versteht sich als das ökumenisches Kinderhilfswerk, das durch viele Gemeinden und Christen in Deutschland unterstützt wird und mit christlichen Partnern weltweit zusammenarbeitet. Das Spendenmanagement und Finanzverhalten der Kindernothilfe ist transparent. Die Kindernothilfe erhält seit 1992 jährlich das Spendensiegel des Deutschen Zentralinstitutes für soziale Fragen (DZI).
Ich bitte die rheinischen
Gemeinden und alle ihr Gemeindeglieder, diese wichtige Arbeit weiterhin zu
unterstützen.
2.5 Gemeinschaft mit Schwestern und Brüdern der anderen christlichen
Konfessionen
Im schriftlichen Teil seines
Berichtes vor der Synode der EKD in Magdeburg Anfang November hat der
Ratsvorsitzende, Bischof Huber, die Beziehungen zur römisch-katholischen Kirche, wie ich finde, zutreffend bewertet,
indem er betonte, es ließen sich weder Verunsicherung noch Neuorientierung auf
beiden Seiten völlig leugnen, um dann fortzufahren: "Die ökumenische
'Sturm- und Drangzeit', in der viel erreicht wurde, ist vorbei. Substantielle
Unterschiede treten deutlicher hervor. ... Beide Kirchen stehen vor der Aufgabe,
sich der jeweils anderen zu öffnen und die eigene Identität zu formulieren. So
lässt sich die derzeitige ökumenische Gesprächssituation weniger als
'Abkühlung', sondern eher als eine Phase der Klarheit charakterisieren."
Zur Klarheit gehören auch
Ent-Täuschungen im direkten Sinn des Wortes.
Zu nennen ist die
enttäuschende Ablehnung des Pfingstmontags als "Tag der Einheit"
durch die Vollversammlung der deutschen Bischofskonferenz auf ihrer
Frühjahrstagung Anfang März 2004 in Bergisch-Gladbach. Im Jahre 2001 war dieser
Vorschlag gerade vom Zentralkomitee der Deutschen Katholiken im Laufe der
Vorbereitungen auf den Ökumenischen Kirchentag in Berlin 2003 in seinem von
sehr vielen evangelischen und katholischen Christen begrüßten Text
"Ermutigung zur Ökumene" gemacht worden.
Ferner beobachten wir seit Jahren eine sich ausweitende Marienfrömmigkeit und Mariologie. Deutlich wurde das nicht zuletzt bei dem feierlichen Gedenken an die Verkündigung des Dogmas von der unbefleckten Empfängnis Mariens vor 150 Jahren durch Papst Pius IX. Mit ihr begann 1854 das sogenannte marianische Jahrhundert. Die neuen Mariendogmen des 19. und 20. Jahrhunderts sind nach wie vor für evangelische Christen fremd und befremdlich.
Von evangelischer Seite hat
die EKD-Schrift zum Verständnis des Abendmahles Unterschiede zum
römisch-katholischen Eucharistieverständnis so deutlich herausgearbeitet, dass
auch diese Veröffentlichung zu Enttäuschungen führte. Zu nennen ist sicher auch
der letztjährige Beschluss unserer Synode zum Abendmahl als Mittel der
Kirchenzucht.
Freuen möchte ich mich aber
vor allem über die vielen Bereiche, in denen die ökumenische Zusammenarbeit mit
der römisch-katholischen Kirche reibungslos verläuft und durch gemeinsames
Auftreten auch sehr effektiv ist. Dabei denke ich an das gemeinsame Eintreten für eine kinderfreundliche
Familienpolitik in unserem Land. Gemeinsam war es möglich, in den Bundesländern
für unsere Belange in Sachen Kindertagesstätten, Schulen, Jugendarbeit,
Beratungsstellen und Arbeit für und mit Migrantinnen und Migranten einzutreten.
Schließlich danke ich allen Kirchengemeinden, engagierten ökumenischen Gruppen
und Kreisen, die das Bemühen um Verständigung und Einheit im Leibe Christi zu
ihrer Sache gemacht haben. Mit Herzblut bemühen sie sich um eine Klarheit, die
dem Partner gegenüber Respekt und Offenheit zum Ausdruck bringt und vor dem
Herrn der Kirche bestehen kann. Dazu gehört auch, dass der Abschluss von Partnerschaftsverträgen
zwischen evangelischen und römisch-katholischen Kirchengemeinden nach wie vor
zu vermelden ist.
Dankbar bin ich für die auf
allen Ebenen langjährige und verlässliche Gemeinschaft mit der griechisch-orthodoxen Kirche, mit der eine unkomplizierte Zusammenarbeit
möglich ist.
Wir freuen uns über das
geschwisterliche Miteinander mit den Landeskirchlichen
Gemeinschaften und den Freikirchen.
Die dort ablaufenden Klärungsprozesse führen hoffentlich zu einem weiteren,
verlässlichen und vertrauensvollen gemeinsamen Dienst.
Es ist Ausdruck eines
vertrauten und vertrauensvollen Miteinanders, dass die Altkatholische Gemeinde in Bonn – ebenso wie die freie Gemeinde -
ganz selbstverständlich und kostenfrei ihre Räumlichkeiten zur Durchführung
unseres Bonner Presbytertages zur Verfügung stellt.
Sorge bereitet hingegen die
Zukunft der Arbeitsgemeinschaft
Christlicher Kirchen, nachdem die EKD weitere Kürzungen des Etats vollzogen
hat, so dass die Arbeitsfähigkeit dieser von Orthodoxie, Freikirchen, Deutscher
Bischofskonferenz (DBK) und EKD getragenen Einrichtung gefährdet erscheint.
Diese Gemeinschaft und Arbeitsbasis für gemeinsames Zeugnis und gemeinsamen
Dienst ist eine wichtige ökumenische Realität in unserem Land, die zu erhalten
uns wichtig bleiben muss.
3. Jesus Christus ist unser
Stellvertreter vor Gott, damit wir als seine Kirche eintreten für alle Welt
"Wenn Christus uns …vor
Gott vertritt, so bedeutet dies für die Gruppe der Gläubigen, dass auch sie vor
Gott für jemanden einzustehen hat. Dies kann für die Kirche nichts anderes sein
als die Welt, die sie vor Gott vertritt." (D. Soelle, Stellvertretung,
Stuttgart 1965, S. 149f).
14 Tage nach unserem Feiern
der Geburt Jesu Christi klingt die Weihnachtsbotschaft der Engel noch in uns
nach: "Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volke wiederfahren wird."
Und die Botschaft des Predigttextes am Heiligen
Abend hat uns daran erinnert: 'Gott hat unsere Welt so sehr geliebt, dass er
seinen eingeborenen Sohn sandte, damit die Welt
gerettet und nicht gerichtet würde.'
In Jesus Christus ist das
Reich Gottes angebrochen, mitten in unserer unheilen Menschenwelt und
gleichzeitig zum Heil und zur Rettung für die ganze Menschenwelt.
Unserem Auftrag als Kirche Jesu Christi entspricht
es daher nicht, uns von der säkularen Welt abzusetzen und einer nur
vermeintlich 'frommen' Weltflucht das Wort zu reden. Unserem Auftrag als Kirche
Jesu Christi entspricht es vor allem nicht, Teile unserer Welt und Gesellschaft
als 'Reich des Bösen' zu identifizieren oder zu vernichten. Denn als
missionarische Kirche sind wir gebunden, 'an Christi statt' einzutreten für
alle Welt!
Unser Ziel kann dabei aber nicht sein, einen
perfekten Gottesstaat auf Erden zu errichten und der Kirche die Oberaufsicht
über staatliches Handeln anzumaßen.
Aber es entspricht unserem Auftrag als 'Missionarische Volkskirche' aller Welt
und allen Menschen Zeugnis zu geben von Gottes Wort und Willen zur Gestaltung
des menschlichen Lebens, des individuellen wie des gemeinschaftlichen Lebens. Die
Begriffe 'Mission' und 'Volkskirche' stehen dabei in einer gewissen Spannung zu
einander, vor nicht wenigen Jahren hätten wir diesen Begriff als 'Widerspruch
in sich' bezeichnet. Diese alten Gegensätze sind heute aber überwunden: dass
missionarisches Wirken nicht ohne Weltverantwortung dem Evangelium entsprechend
geübt werden kann, ist genau so akzeptiert wie die Erkenntnis, dass die
verantwortliche Gestaltung der Welt dieser das explizite Zeugnis von Gott als
Schöpfer und Jesus Christus als Erlöser und Heil der Welt nicht schuldig
bleiben darf.
Das heißt: als Kirche Jesu Christi bezeugen wir den
Menschen unseren Glauben an den Vater Jesu Christi als den Gott, der sich durch
Jesus Christus auch mit ihnen versöhnen will und gleichzeitig treten wir ein
für Gerechtigkeit, Frieden und
Bewahrung der Schöpfung und für die Achtung vor der Würde aller
Menschen.
Ich hoffe, dass unsere Kirche auf dieser Synode
weitere Schritte auf diesem Weg gehen wird. Unsere Beschäftigung mit den in der
Vorlage 'Prioritätendiskussion' dargestellten Überlegungen zu einem Leitbild
'Missionarische Volkskirche' wird dazu weitere Konkretionen liefern. Das gilt
ebenso für den thematischen Schwerpunkt dieser Synodaltagung, der sich mit den
Antworten zum Proponendum 'Auf Sendung' beschäftigen wird.
Bedanken möchte ich mich in diesem Zusammenhang bei
allen unserer Kirche verbundenen Politikerinnen und Politikern. Ein Dank geht
auch an alle, die ihre persönliche Bindung an Gottes Wort und Willen einbringen
in die Arbeit und das Leben von Parteien, Gewerkschaften, Verbänden und Medien
unseres Landes.
3.1 Einsatz für soziale Gerechtigkeit
In der Bundesrepublik
Deutschland erleben wir gegenwärtig einen weitreichenden Umbau des gesamten
Sozialbereiches, der für eine Vielzahl von Menschen, auch in unserer Kirche,
ganz unmittelbare Folgen hat und mit zum Teil erheblichen finanziellen
Verschlechterungen für viele Einzelne und Familien verbunden ist.
Dass in Deutschland Reformen
dringend geboten sind, um volkswirtschaftliches Leistungsvermögen und Finanzierung sozialer Sicherung wieder
in Übereinstimmung zu bringen, wird seit vielen Jahren von niemandem bestritten.
Aber Bundesregierung, Parlamente, Kirchen, Parteien, Verbände und
Wissenschaften divergieren, in welche Richtung die Weichen gestellt werden
müssen. Zum Teil quälende Auseinandersetzungen und Aushandlungsprozesse haben
daher von Anfang an die gesetzgeberischen Initiativen und Bemühungen der
Tarifparteien und anderer Akteure begleitet und oft genug nach kurzem
blockiert. Es zeigte sich: oft waren die Einzelinteressen oder gar
parteitaktisches Kalkül stärker als der gemeinsame Wille zu sinnvollen
Reformen. Eine lagerübergreifende Orientierung am Gemeinwohl ist eine
vordringliche Zielsetzung. Damit wäre eine tragfähige Basis für alle weiteren
Sachdiskussionen gegeben.
Im Blick auf das, was
beschlossen und nun in Gang gesetzt worden ist, möchte ich einige Punkte
hervorheben.
Ich sehe keine überzeugenden
Gründe, warum wir unsere grundsätzliche kirchliche Position, die wir 1997 mit
dem Gemeinsamen Wort der Kirchen und seinem Plädoyer "Für eine Zukunft in
Solidarität und Gerechtigkeit" deutlich gemacht haben, heute revidieren
müssten. Im Gegenteil. Wir werden weiterhin den sozialpolitischen Umbau im
ganzen und seine einzelnen Maßnahmen daraufhin prüfen und daran messen, ob sie
der großen gemeinsamen Orientierung an Gerechtigkeit und Solidarität
entsprechen werden oder nicht. Solidarität
und Gerechtigkeit bleiben unsere Maßstäbe.
Die Bejahung der
Notwendigkeit von Reformen ist kein Freibrief für Formen von sozialer
Ausgrenzung der unterschiedlichsten Art. Die Fliehkräfte in unserer
Gesellschaft nehmen zu, die soziale Kohäsion ab. Das ist eine große Gefahr -
wir müssen ihr in Wort und Tat widerstehen.
Die
Bejahung von notwendigen Reformen ist auch kein Freibrief für Regierungen, dem
Sozialversicherungssystem Finanzlasten aufzubürden, die dort nicht hingehören,
sondern von der Gesellschaft als Ganzes zu tragen sind. Kritische Prüfung bzw.
Rechtfertigung tut Not verbunden mit einem besseren Schutz der von Arbeitgebern
und z.T. allein oder zunehmend überwiegend von Arbeitnehmern eingezahlten
Gelder.
Dies schließt zugleich auch den sorgfältigen Umgang mit den Sozialversicherungssystemen ein: das gilt für den "kleinen" Leistungsmissbrauch ebenso wie für die millionenschweren einzelwirtschaftlichen Kostenverlagerungen in die Sozialversicherung hinein: wer "sozialverträglich Beschäftigungsanpassung" vereinbart, Beschäftigungsabbau unter kräftiger Mitfinanzierung der Sozialversicherung (vom strukturellen Kurzarbeitergeld bis zur Frühverrentung) praktiziert u n d im gleichen Atemzug die steigenden Lohnzusatzkosten beklagt, verhält sich - auch intellektuell - u n r e d l i c h.
Zu einzelnen Themenbereichen haben wir in der zurückliegenden Zeit öffentlich Stellung bezogen: zum Beispiel zur Reform des Gesundheitswesens (Juli 2003), zur Frage zunehmender sozialer Polarisierung in unserem Land (August 2004, Arbeitshilfe "Reichtum braucht ein Maß - Armut eine Grenze").
Die Evangelische Kirche im Rheinland und ihre Diakonie sprechen sich unter Beachtung verabredeter Standards für die Einrichtung solcher ‚Arbeitsgelegenheiten' aus. Sie raten dazu, für die Koordination der Arbeitsgelegenheiten in der Region, wie auch der sozialpädagogischen Begleitung der Teilnehmer/innen, eng mit den Beschäftigungs- und Qualifizierungsträgern der Diakonie zusammen zu arbeiten.
Die Angebote sollen dem Ziel der Integration in den allgemeinen Arbeitsmarkt durch den Erhalt bzw. die Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit dienen. Qualifizierung soll hierbei in enger Verzahnung mit der Beschäftigung an den individuellen Fähig- und Fertigkeiten des Einzelnen ansetzen und zum Gelingen der Eingliederungsvereinbarungen beitragen.
Ich habe hierzu gemeinsam mit dem Direktor des DW Rheinland einen Leitfaden an die Gemeinden und diakonischen Einrichtungen unserer Landeskirche herausgegeben, den zur Kenntnis zu nehmen ich Sie freundlich bitte.
Beim Umbau des Sozialstaates
haben folgende fünf Zielsetzungen, die von den Reformbefürwortern in Bundesregierung,
Bundestag und Bundesrat genannt worden sind, unsere volle Zustimmung:
1. Verbesserte
Reintegration von Langzeitarbeitslosen in den regulären Arbeitsmarkt
2. Verzahnung
aller Arbeitsmarktreformmaßnahmen mit einer nachhaltigen Beschäftigungspolitik.
3. Vermeidung
sozialer Armut und Vermeidung sozialen Absturzes von Personen, die ihren
Arbeitsplatz verlieren und dauerhaft keine Chance auf dem Arbeitsmarkt finden.
Das sind mittlerweile nicht nur die Älteren und die Erwerbsfähigen mit
Handicaps.
4. Nachhaltige
Stabilisierung der sozialstaatlichen Strukturen und Finanzierungsregelungen.
5. Kostenentlastung
der Gemeinden, um ihnen wieder die Möglichkeit zu eröffnen, wichtige
Zukunftsaufgaben selber anzugehen und zu finanzieren.
Eine besondere Verantwortung
unserer Kirche im gegenwärtigen Umgestaltungsprozess sehe ich darin, dass wir
sehr genau und kritisch darauf zu achten haben, wie die Lasten der Veränderung auf die verschiedenen Bevölkerungsgruppen
aufgeteilt werden.
Im Bereich unserer Landeskirche haben in den letzten Monaten zwei Landesregierungen Sozialberichte vorgelegt, in denen auf wissenschaftlicher Basis Daten und Fakten zur Armuts- und zum Teil auch zur Reichtumsentwicklung aufgearbeitet worden sind. Die Sozialberichte von Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen (NRW) lassen deutlich erkennen, wer die Gewinner und Verlierer der augenblicklichen Veränderungsprozesse in unserem Land sind. Der jüngst vorgelegte Sozialbericht für NRW informiert z.B. darüber, dass die prozentuale Abgabenlast im unteren Einkommensbereich deutlich höher ausfällt als im oberen Einkommens- und Vermögensbereich der Bevölkerung. Die Berichte belegen einhellig: die Zahl armer Menschen nimmt zu, während sich gleichzeitig die Schere zwischen Arm und Reich weiter öffnet. Zu den größten Armutsrisiken gehört die Arbeitslosigkeit. Zu den besonders gefährdeten Gruppen gehören Familien, Alleinerziehende und ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger bzw. Migrantinnen und Migranten.
Während die sogenannte
Altersarmut in Deutschland derzeit rückläufig ist, rücken die Kinder, denen unsere besondere Fürsorge
gelten muss, auf der Armutsskala
nach vorne. Eine Million Kinder und Jugendliche leben in Deutschland von
Sozialhilfe. Eine weitere Million Kinder und Jugendliche leben in relativer
Armut. An diesem Punkt sehe ich den größten Handlungsbedarf für die Politik,
aber auch für uns in Kirche und Diakonie. Unsere Anstrengungen, die wir
unternehmen, reichen hier noch nicht aus. Wir werden daher auf der nächsten
Landessynode im Jahr 2006 unsere besondere Aufmerksamkeit dem Thema
Familienförderung zuwenden.
Unterbeschäftigung und Arbeitslosigkeit sind Ausdruck der
größten Zielverfehlung in unserem Lande: seit 4 Jahren nimmt die
Erwerbstätigenzahl ab, und besonders ausgeprägt verringert sich die Zahl der
sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Das muss uns alle mit großer Sorge
erfüllen. Und dies verlangt makroökonomisches Handeln für mehr Beschäftigung.
Eine wichtige Aufgabe für
die Kirche bleibt die Weiterführung unserer erfolgreichen Arbeit in den
Beratungs-, Qualifizierungs- und Beschäftigungsprojekten, insbesondere für
Langzeitarbeitslose. Wir werden uns dagegen wehren, dass es nicht nur in diesem
Bereich zu einer Verdrängung von existenzsichernden Arbeitsplätzen durch die Arbeitsgelegenheiten und die sogenannten
1-Euro-Jobs kommen wird.
Insgesamt ist in der Umgestaltung unserer sozialstaatlichen und marktwirtschaftlichen Regelungen darauf zu achten, dass nicht Einzelinteressen und kurzfristige Reaktionsmuster die Oberhand gewinnen, sondern dass die gesamtgesellschaftliche Wohlfahrt und entsprechende Rationalität gestärkt werden. Ich meine, dass dazu der Protestantismus in der Vergangenheit entscheidendes beigetragen hat und dieser Tradition und Kenntnis entsprechend auch heute wesentliche Impulse setzen kann.
Die Bundesregierung propagiert für ihre Reformmaßnahmen das Motto "Fordern und Fördern". Dieses Motto ist irreführend. Denn tatsächlich ist das Fordern groß und das Fördern kleingeschrieben. Es werden erheblich Pflichten auferlegt, die Ersparnisse bei den Beziehern des Arbeitslosengeldes II angerechnet, es wird fast jede Arbeit als zumutbar angesehen, während die Unterstützungsangebote bescheiden sind. Eine Verletzung des Gerechtigkeitsgrundsatzes sehe ich jedoch vor allem darin, dass das Programm des Forderns und Förderns einseitig an die Arbeitslosen und Marginalisierten adressiert ist, die in unserer Gesellschaft Begünstigten jedoch unbehelligt lässt. Dies kann so auf Dauer nicht bleiben.
Lassen Sie mich diese
Überlegungen mit einer Beobachtung schließen, aus der wir auch Konsequenzen im
Blick auf eine der nächsten Landessynoden bereits vorgesehen haben. Ich sehe in
der öffentlichen Diskussion über das, was in Deutschland Not tut, um eine
vernünftige soziale und ökonomische Entwicklung im europäischen Horizont zu
erreichen, einen Mangel darin, dass der globale Maßstab der Entwicklungen zu
wenig wahrgenommen, verstanden und berücksichtigt wird. Gerade aber für die
Globalisierung, die unsere nationalstaatlichen Traditionen herausfordert,
brauchen wir Verabredungen, Regelungen, Schutz vor einem Turbo-Kapitalismus,
der seine Grundlagen zu vernichten droht.
3.2 Einsatz
für Frieden
Leider müssen wir
feststellen, dass die Friedensarbeit in den Kirchengemeinden vor Ort nicht mehr
die Strahlkraft und Anziehung früherer Jahre entfaltet. Ich bedauere das sehr,
denn die Thematik ist nach wie vor dringlich und entscheidend für die Qualität
des Zusammenlebens der Nationen. Dem zuständigen Dezernat im Landeskirchenamt
danke ich für den beharrlichen Einsatz. Ich wünsche mir, dass diese wichtigen
Probleme trotz aller Beschäftigung mit den
Strukturfragen wieder mehr Leidenschaft in den Gemeinden entfachen.
Im Jahre 2005 wird die Mitte der Dekade
zur Überwindung der Gewalt erreicht.
Gemeinsam mit der Lippischen Landeskirche und der Evangelischen Kirche von
Westfalen ist für die Zeit ab Ostern das Programm "COURAGIERT GEWALT ÜBERWINDEN"
entwickelt worden, das den Gemeinden und Einrichtungen in diesen Tagen mit
einem Flyer bekannt gegeben wird.
Zu seinen Etappen gehören ein Folk-Fest in Rheinhausen am 21. Mai, eine Banner-Aktion auf Brücken, ein Dialog mit Kirche und Politik, ein Text-Projekt, das Gespräch zwischen den Kulturen. Das Projekt "Konfis stiften Frieden" umfasst zweitägige Trainings in gewaltfreier Konfliktbearbeitung; hierfür können Fördermittel bei der Landeskirche beantragt werden. Das Gesamtprogramm endet mit einem zentralen Fest in der Ev. Schule Gelsenkirchen am 17.09.2005; die Präsides und der Landessuperintendent sind Schirmherren dieser Veranstaltung.
Die Landeskirche veranstaltet im Winter 2004/2005 einen zweiten berufsbegleitenden Grundkurs in gewaltfreier Konfliktbearbeitung in Zusammenarbeit mit dem Oekumenischen Dienst Schalomdiakonat mit acht Teilnehmenden.
Die Projektförderung zur Dekade endet gemäß Synodalbeschluss mit dem Jahr 2005. Für 2004 sind Mittel in Höhe von 32.021,67 € beschlossen worden.
Viele unserer Gemeinden, Werke und Einrichtungen – leider muss man sagen: erst nach motivierenden Hinweisen aus dem LKA – haben die Chance aktiv aufgenommen, Projekte zu entwickeln und Kompetenz in Konfliktprävention sowie in gewaltfreier Konfliktlösung einzuüben. Sie setzen die vorrangige Option für die Gewaltfreiheit in konkretes Handeln um.
Das Anliegen der Dekade
lautet "Kirchen auf der Suche nach Frieden und Versöhnung". Der
Ökumenische Rat der Kirchen verbindet damit die Aufforderung, den "Einsatz
für Frieden und Versöhnung vom Rand in das Zentrum des Lebens und Zeugnisses
der Kirche zu rücken" (so Konrad Raiser) und eine Spiritualität der
Gewaltfreiheit zu entwickeln. Dieser Prozess beinhaltet auch die kirchliche
Selbstprüfung anhand der Frage, wie und wo unsere Kirche in Geschichte und
Gegenwart dazu beigetragen hat, Gewaltstrukturen religiös zu sanktionieren und
zu legitimieren. Das Amt der Versöhnung, das uns aufgetragen ist, erfordert
aktives Lernen und Handeln, um Konflikte zu transformieren, um Konfrontation in
Kooperation zu verwandeln. Ein aktiver, geistiger und geistlicher Prozess ist
nötig, um den Teufelskreis der Gewalt zu durchbrechen. Unser Ziel ist eine
Kultur des Friedens und der Gewaltlosigkeit. Auch bei nüchterner Wahrnehmung
des Weltgeschehens halten wir an dieser Hoffnung fest, die sich zuerst nicht
aus Analysen der Weltverhältnisse speist, sondern aus unserem Glauben an den
Gott, der diese Welt trägt und erhält.
In einem ganz anderen Geist
hat der amerikanische Präsident zwar den Sieg im Irak erklärt, dem Land jedoch
keinen Frieden gebracht. Im Irak wird täglich erbitterter, blutiger Widerstand
geleistet gegen die Besatzungsmacht und ihre Alliierten.
Weltweit bestehen erhebliche
Zweifel an der amerikanischen Militär- und Außenpolitik. Die kirchlichen
Stimmen in Europa gegen die Intervention im Irak waren eindeutig. Der Krieg
gegen den Irak lässt sich nicht als "ultima ratio" rechtfertigen. Er
wurde mit falschen Versprechungen, unwahren Behauptungen begonnen und hat zu
erschreckenden Verletzungen der Menschenrechte geführt. Seine Rechtfertigung
durch evangelikale Gruppierungen in den USA kann ich nur als eine falsche
Auslegung des Evangeliums bezeichnen.
Insbesondere die United Church of Christ (UCC) – nach ihrem Selbstverständnis eine Kirche des gerechten Friedens - betont die Notwendigkeit einer multilateralen Politik, die sich um Abstimmung, um konstruktive Konfliktlösung und um Einhaltung des international geltenden Rechts bemüht. Bei meinem Besuch im April 2004 in der Penn Central Conference, in der Southern Conference und beim National Office der UCC konnte ich verfolgen, wie sich unsere Partnerkirche mit dem "Bushismus" auseinander setzte und ihre Mitglieder zu politischen Diskussionen ermutigte.
Seine Außenpolitik hat der amerikanische Präsident mit einem Jesus-Wort verbunden: wer nicht für mich ist, ist gegen mich. Zur Begründung seines politischen Handelns verweist er auf das Gebet. Wer so handelt, darf sich nicht wundern über den Vorwurf, Gott und Glauben zu funktionalisieren. Politische Entscheidungen werden auch durch Gebete des Präsidenten nicht den Kriterien Wahrheit, Gerechtigkeit und Frieden enthoben. Gott lässt sich nicht spotten.
Ich habe in den USA
erfahren, wie sehr es die Menschen in den Gemeinden unserer Partnerkirche
beunruhigt, dass sich ihre Nation in Auseinandersetzungen immer auf Gewalt
verlassen hat. Dass mit dem 11. September 2001 der Terror in die USA kam, löst
bis heute Angst und Unsicherheit aus. Die politische Antwort des Präsidenten
liegt in der Beschwörung und im Einsatz einer "erlösenden"
Gegengewalt. Unsere Partnerkirche UCC verfolgt dagegen das Leitbild des
Gerechten Friedens. Sie fördert eine Kultur der Gewaltfreiheit und der
Versöhnung. Kirchengemeinschaft heißt für uns, in diesen Fragen eng zusammen zu
arbeiten.
1980/81 wurde die Kirchengemeinschaft zwischen der damaligen EKU und der UCC festgestellt. Das 25jährige Jubiläum dieses Ereignisses wird im November 2005 mit einer großen Konferenz in Berlin begangen, deren Ziel eine Vertiefung des theologischen Dialogs ist. Die Evangelische Kirche in Baden und die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau in der UEK, die nicht zur EKU gehörten, haben ihre Absicht bekundet, in die Kirchengemeinschaft mit der UCC einzutreten.
Die von unserer Kirche durchgeführten friedensethischen Fachtagungen der letzten Jahre haben geholfen, das Leitbild des gerechten Friedens zu vertiefen und zu klären. Die Beiträge der Tagung Unilateralismus und "Krieg gegen den Terror" am 18.03.2004 sind als epd-Dokumentation Nr. 16/2004 veröffentlicht worden.
Eine Konsequenz dieser Tagung besteht darin, die Gestaltung der transatlantischen Beziehungen auch als eine kirchliche und ökumenische Aufgabe zu begreifen. Gerade weil der Krieg gegen den Irak bzw. der sogenannte Krieg gegen den Terror auch dazu diente, die Logik des Krieges neu zu legitimieren, halten wir in den Kirchen an der Vision und der Konzeption eines gerechten Friedens fest. Politisch bedeutet dies u.a. die Forderung nach einer klaren Trennung von militärischen und zivilen Akteuren in Friedenseinsätzen, eine deutlichere Förderung ziviler Friedenskräfte, einen qualitativen Umbau des völkerrechtlichen Gefüges zu einer "Weltfriedensordnung".
Um die friedensethische Diskussion in unseren Gemeinden zu verstärken, wird zurzeit eine Arbeitshilfe zur Friedensarbeit erstellt (Auftrag der Landessynode 2004). Sie soll im Laufe des Jahres erscheinen.
3.3 Einsatz für die Bewahrung der Schöpfung
In unserer von Krieg,
Terror, Naturkatastrophen und Wirtschaftsproblemen geplagten Welt fällt es oft
schwer, die Welt als gute Schöpfung Gottes zu verstehen.
Der Glaube an Gott, den
Schöpfer von Himmel und Erde, und die Betonung der menschlichen Verantwortung
für einen ehrfürchtigen Umgang mit der Schöpfung Gottes ist Judentum,
Christentum und Islam grundsätzlich gemeinsam. Das Feiern von Erntedanktagen und Schöpfungszeiten bietet sich als Feld für konfessions- und
religionsübergreifende Begegnungen von Gemeinden an. Diese Tage sind ein kostbarer
Schatz: sie helfen, den Gesprächsfaden zu halten oder neu aufzunehmen. Ich
möchte die Gemeinden ermutigen, die damit verbundenen Möglichkeiten immer
wieder neu zu entdecken. Allen Agenda-Gruppen und dem Kirchenkreis Moers, die
organisatorische und liturgische Modelle zur Feier einer Schöpfungszeit in der
EKiR erarbeitet haben, möchte ich für ihren Einsatz danken
Gezielt habe ich das Gespräch mit Bäuerinnen und Bauern und mit Interessenvertretungen landwirtschaftlicher Organisationen diesmal im Norden unserer Kirche in Issum gesucht. Dabei habe ich dankbar erlebt, wie sie sich im ländlichen Raum engagieren, so dass regionale Kreisläufe, fairer Handel, Direktvermarktung der Produkte, Beziehungen zwischen Erzeugern und Verbrauchern bewusst und stärker zum Prinzip des Handelns werden.
Die grundlegenden Erfahrungen des Ringens um Lebensmittel sind aber
vielen Menschen der Wohlstandsgesellschaft kaum noch bekannt. Das
Verbraucherverhalten nimmt auf Umwelt und Nachhaltigkeit immer noch zu wenig
Rücksicht, sondern lässt sich zu sehr vom Preis leiten. Billige Lebensmittel
kosten jedoch vielen bäuerlichen Betrieben die Existenz. Die Devise
"Wachsen oder Weichen" beschleunigt den so genannten "Strukturwandel"
in den Dörfern nicht nur bei uns, sondern ebenso in Osteuropa und weltweit.
Das Argument, die Produktion
weiter verbilligen zu müssen, um dem Hunger in der Welt gerecht zu werden,
verschleiert das gigantische System der Fehlleitung von Ressourcen. Nicht der
Mangel an Lebensmitteln ist das Problem, dass wir nun gar mit Hilfe der
Gentechnik auch im Pflanzenanbau und in der Tierhaltung zu beheben trachten,
sondern das Diktat zunehmend rein wirtschaftlicher Interessen.
Kleinere und größere Bausteine fügen sich
wie in einem Puzzle zu einem lebendigen Bild, in dem unverwechselbar die
Botschaft Jesu Christi, die Zuwendung Gottes zu den Schwachen, sichtbar wird.
An zentralen Erntedanktagen, wie in den vergangenen Jahren oder in diesem Jahr
im Kirchenkreis Simmern-Trarbach, auf der Grünen Woche in Berlin, bei Gemeindefesten
und Veranstaltungen der Jugend- und Erwachsenenbildung in Seminaren und
Publikationen werden Probleme der Gentechnik diskutiert und für faire
Handelsbeziehungen geworben. Auch die Förderung von Arbeitsplätzen in der
Landwirtschaft statt flächenbezogener Hilfen der EU ist ein weiteres Anliegen,
das wir ins Gespräch einbringen.
Sorgentelefone und die Beratung für bäuerliche Familien bieten denen Begleitung an, die in dem rasanten Verdrängungsprozess auf der Strecke bleiben. Die Probleme z.B. der Generationenfolge oder die seelische Not von Menschen, die bei Tierseuchen alles verloren haben, bleiben Herausforderungen besonderer seelsorglicher Begleitung.
Die
Erwartungen an Kirche auf dem Lande als Gesprächspartnerin und Moderatorin in
diesem gewaltigen Prozess der Umstrukturierung sind nach wie vor hoch und
unsere Präsenz von großer Bedeutung.
3.4 Einsatz für Integration
Im Juli 2004 ist es endlich
gelungen, im Vermittlungsverfahren zwischen Bundestag und Bundesrat einen
Kompromiss für ein Zuwanderungsgesetz
zu erreichen. Damit ist ein quälender Prozess zu Ende gegangen, der im Jahr
2001 mit der Berufung der "Süßmuth-Kommission" so hoffnungsvoll
begonnen hatte.
Immerhin wird mit dem neuen Gesetz anerkannt, dass Deutschland ein
Zuwanderungsland ist und die Integration von Migranten eine gesellschaftliche
und politische Schlüsselaufgabe der kommenden Jahre darstellt. Dabei ist nicht
allein der Gesetzgeber gefragt, sondern es kommt wesentlich auf die in unserer
Gesellschaft herrschenden Mentalitäten und nicht zuletzt auf die Bereitschaft
der Migranten selbst an.
Im Rahmen unserer Möglichkeiten sind auch wir als Evangelischen Kirche im Rheinland gefordert. Ich begrüße deshalb ausdrücklich die wichtigen Vorarbeiten, die in unserer Landeskirche mit den Broschüren "Durchgangsland oder Bleibegesellschaft?" und "Integration braucht ein Konzept" geleistet worden ist und die sich darin fortsetzt, dass wir uns auch zukünftig an der Integrationsoffensive mit dem Motto "Integration mit aufrechtem Gang" beteiligen werden.
Wichtig bleibt, alles dafür
zu tun, dass es zu einem fruchtbaren Miteinander von Zugewanderten und
Mehrheitsgesellschaft kommt.
Altfallregelung: Was im Vermittlungsverfahren für das Zuwanderungsgesetz versäumt wurde,
kann sich jetzt in der Praxis als eine gewaltige Last herausstellen. Ich
spreche von den mehr als 200.000 Menschen, die als "Geduldete" in unserem
Land leben und keine Perspektive haben.
Schon
vor In-Kraft-Treten des Zuwanderungsgesetzes haben wir mit Eingaben an die Konferenz
der Innenminister und -senatoren der Länder versucht, eine Lösung in Form einer
"Altfallregelung" – analog zu den Regelungen von 1999 – zu erreichen.
Die Innenministerkonferenz will aber zunächst die Erfahrungen mit dem
Zuwanderungsgesetz abwarten und das Thema gegebenenfalls im Mai erneut
aufgreifen.
Die Kirchenleitung wird sich
über den Bevollmächtigten des Rates der EKD an die Bundesregierung wenden, um
darauf hinzuwirken, dass die Bundesregierung im Einvernehmen mit den Ländern
eine Altfallregelung ermöglicht. Damit könnten lange in Deutschland lebende
Familien, die längst integriert sind, eine sichere Lebensperspektive erhalten.
Ein
zentraler Baustein in den Vermittlungsverhandlungen für ein Zuwanderungsgesetz
war die gesetzliche Regelung von Härtefällen. Mit § 23a Aufenthaltsgesetz haben
die Länder die Möglichkeit erhalten, Härtefall-Kommissionen einzurichten. Die
gesetzlichen Vorgaben sind von dem Hin und Her im Vermittlungsverfahren
gekennzeichnet. Es sollte auf jeden Fall ein weiterer Rechtszug vermieden und
eine großzügige Behandlung von Härtefällen verhindert werden. Die jetzt
getroffene Regelung geht von "dringenden humanitären oder persönlichen
Gründen" aus, alles unbestimmte Rechtsbegriffe, die ggf. gerichtlich überprüft
werden müssten. Sollte dies geschehen, gerät die gesamte – vorläufig auf 5
Jahre befristete – Regelung in Gefahr.
Wie nicht anders zu erwarten, ergibt sich für die Einrichtung von Härtefallkommissionen kein einheitliches Bild.
Die für unser Kirchengebiet
relevanten Verordnungen siedeln die Härtefallkommissionen beim
Petitionsausschuss (Hessen) oder dem zuständigen Fachministerium für Inneres
(und Sport) an (Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz); im Saarland beruft
der Landtag den Vorsitzenden, während die anderen Mitglieder entsprechend der
vom saarländischen Kabinett gebilligten Verordnung auf Zeit berufen werden. Das
Fachministerium stellt eine Geschäftsstelle zur Verfügung, die von den
Mitgliedern der Härtefallkommission für die Vorbereitung des Sachvortrags im
Rahmen der gesetzlich normierten Selbstbefassung in Anspruch genommen werden
kann.
Die Kirchen hatten sich
weder einen solchen föderalen "Verordnungs-Reichtum" noch die damit
verbundenen Gefahren bürokratischer wie verfassungsrechtlicher Provenienz
gewünscht. Die Praxis muss jetzt zeigen, ob der politische Wille zur
Einrichtung einer Härtefallkommission stark genug ist, administrative wie
strukturelle Schwächen zu überwinden.
Kirche und Diakonie im
Rheinland haben immer wieder mit innovativen
Projekten zur Weiterentwicklung und Humanisierung unseres Gemeinwesens
beigetragen.
Beispiele hierfür sind die Verfahrensberatung
für Asylsuchende und Flüchtlinge, die heute längst Standard sind und von
anderen Ländern übernommen wurden; oder die Arbeit der Härtefallkommission, die
in 8 Jahren an annähernd 6.000 Einzelentscheidungen mitgewirkt hat und
schließlich die seit 3 Jahren europaweit einzige Abschiebungsbeobachtungsstelle am Flughafen Düsseldorf, die zur
Ausreise verpflichtete Ausländer begleitet.
Die
dort geleistete Arbeit hat über NRW hinaus Interesse geweckt und war Gegenstand
einer ersten europaweiten Tagung mit dem Ziel, eine Harmonisierung von
Abschiebungsstandards in der Europäischen Union zu erreichen. Im Frühjahr 2005
soll der zusammen mit dem Bevollmächtigen des Rates der EKD begonnene Dialog
unter Beteiligung des Bundesgrenzschutzes bzw. niederländischer und
französischer Grenzschutzstellen fortgesetzt werden.
In diesem Kontext sind auch die seit sieben Jahren durchgeführten europäischen Asylrechtstagungen zu sehen, die von unserer Landeskirche zusammen mit der Evangelischen Landeskirche in Baden, der Église Réformée de France, der CIMADE und dem Diakonischen Werk der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Württemberg durchgeführt werden.
Gerade im Migrationsbereich zeigt sich deutlich, dass lokale Aufgabenstellungen nur noch im europäischen Horizont sachgerecht angegangen werden können.
Ich nutze die Gelegenheit,
um allen, die als Haupt- oder Ehrenamtliche in dieser wichtigen
zivilgesellschaftlichen Aufgabenstellung engagiert sind, für ihre Mitarbeit in
unserer Kirche und Diakonie zu danken.
Integration: Gestritten wird seit Neuestem über Scheitern und Chancen der
multikulturellen Gesellschaft. Was gestern als Versprechen einer kosmopolitischen
Zukunft galt, weckt heute Verdacht und macht Angst.
Anlass
für die Diskussion sind Ereignisse in unserer unmittelbaren Umgebung. Anlass
ist die Überzeugung, es könnte auch bei uns geschehen, was in New York, in
Madrid und zuletzt in den Niederlanden viele Menschen erschreckt hat.
Was jetzt wie eine
Zeitenwende beschrieben wird, haben wir selbst zu verantworten durch eine
jahrzehntelange Fehlpolitik. Die Probleme, deren Beschreibung jetzt jedem wie
selbstverständlich von den Lippen geht, sind hausgemacht. Unser Land ist ein begehrtes
Zielland für Zuwanderer. Die meisten wurden angeworben, viele sind dann über
die Familienzusammenführung oder als Flüchtlinge dazu gekommen.
Zwei Grundfehler begleiten
die bisherige Zuwanderung:
a) wir
suchten Arbeitskräfte, es kamen aber Menschen (M. Frisch),
b) wir
hofften auf Assimilation und stellen fest, dass sich Parallelgesellschaften
entwickelt haben.
Die Arbeitsmigration ist wie die gesamte Zuwanderungspolitik begleitet von Selbsttäuschungen: gedacht war an zeitlich befristete Aufenthalte, an die Möglichkeit, sich durch Arbeit eine bessere Zukunft im Herkunftsland zu verschaffen und vor allem, die spätere Rückkehr ins Herkunftsland.
Diese Illusion ist schon lange geplatzt. Die Menschen blieben und vor allem sie blieben, was sie waren.
Die Frage muss gestellt werden, was die Aufnahmegesellschaft unternahm, die Zuwanderer zu integrieren? Da ist wenig Hilfreiches zu nennen. Sprachkompetenz, Kenntnisse über das Aufnahmeland, soziale Beziehungen zur Nachbarschaft waren nicht erforderlich. Die Arbeitskraft war gefragt.
Die Folgen sind leicht feststellbar. Man blieb unter sich und suchte und fand billige Unterkünfte in den Sanierungsgebieten der Großstädte und gründete eigene Kultur- und Religionsgemeinschaften, lebte weitgehend nach den eigenen Normen und Wertvorstellungen.
Was jetzt in unser Bewusststein gebracht wird, hat hier seinen Anfang genommen und ist keineswegs neu, wie uns jetzt suggeriert wird.
Die Aufnahmegesellschaft hat darauf gehofft, alles würde sich von selbst klären. Die Zugewanderten sahen sich einer appelativen Mehrheit gegenüber, die über Anwerbestopp, Rückkehrprämien und restriktive Ausländergesetze glaubte, den wachsenden innenpolitischen Spannungen Herr werden zu können.
Die
Spannungen ließen sich in der Phase wirtschaftlichen Aufschwungs ignorieren. Spätestens
mit dem staatlichen Einigungsprozess, dem wirtschaftlichen Abschwung, wachsender
Arbeitslosigkeit, Einschnitten in das soziale System wurden Ausländer zur Zielscheibe
politischer Manifestationen. Daran hat sich wenig geändert.
Deutschland wird
multikulturell bleiben. Deutschland ist ein Zuwanderungsland. Zuwanderung wird
gebraucht, sie verändert unser Land. Unterschiede bleiben und sind möglich,
sofern das Verhältnis von Identität und Differenz eine lebensdienliche Gestalt
bekommt.
3.5 Einsatz für Bildung und Erziehung
Es ist besorgniserregend,
dass in unserem Land soziales Schicksal und Bildungsschicksal eng miteinander
verknüpft sind. Denn Bildung steht in einem ursächlichen Zusammenhang zur
gesellschaftlichen Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger.
Für unsere Kirche gilt: wir sind ganz bei unserer eigenen Sache, wenn wir über Bildung reden. Daran zu erinnern, ist immer wieder notwendig. Das Wort Bildung weist auf 'Schöpfung' hin.
Damit ist eine grundlegende Aussage zum Menschenbild der jüdisch-christlichen Tradition gemacht. Es gehört zur unverlierbaren Würde des Menschen, dass sein Menschsein in Beziehung zu Gott steht. Diese Beziehung ist von Gott gesetzt und kann deshalb auch nicht verloren gehen. "Dass der Mensch als Gottes Geschöpft Person ist, verdankt er allein Gott; verantwortlich ist er dafür, was er aus sich selbst im Prozess der Bildung macht, wie er mit der ihm verliehenen geschöpflichen Freiheit umgeht." (Jüngel) Man kann es auch so sagen: der Mensch als Person ist schon unerreichbar mehr, als er in Bildungsprozessen aus sich machen kann.
Der biblische Bezug zum
Thema Bildung erinnert einen Verheißungsüberschuss, der in diesem Begriff
steckt. Deshalb sagen wir:
-
Bildung
beschränkt sich nicht auf Wissen und Können, sondern hat stets mit Identitätsbildung
zu tun;
-
Bildung
schafft durch die Unterscheidung von Person und Werk Distanz zur eigenen
Situation. Das Erreichte ist nicht das Endgültige. Im Wort der Bildung steckt
eine Verheißung, dass der Mensch sich im Bildungsgeschehen dem nähern kann, was
er vor Gott schon ist.
-
es
ist kritisch auf jene Stellen hinzuweisen, wo es Brüche und Verzerrungen gibt.
Denn Bildung ist auch jener Vorgang, der aufdeckt, wann immer Menschen
zerbrochen werden oder gesellschaftliche Verhältnisse sie daran hindern, zu
sich selbst zu finden bzw. wann immer Verhältnisse nicht mehr lebensdienlich
sind.
Vor diesem Hintergrund lernen wir neu zu verstehen, dass Bildung den Zusammenhang von Lernen, Wissen und Können, Wertebewusstsein, Handlungsfähigkeit und Sinn beschreibt. Kinder und Jugendliche heute müssen mehr wissen als früher. Sie müssen flexibler umgehen können mit ihrem Wissen. Sie müssen sich einstellen auf Überraschendes, nicht Vorhersehbares. Dabei wird es immer schwieriger, die Frage nach dem eigenen Lebenssinn unter den vielen Deutungsangeboten zu beantworten.
Unsere Aufgabe ist eine doppelte:
Wir müssen eintreten für eine "Befähigungsgerechtigkeit". Gegenüber den Schwachen haben wir eine anwaltliche Aufgabe. D.h.: wir treten dafür ein, dass die Gaben, die Gott in einen Menschen gelegt hat, auch zur Entfaltung gebracht werden, und zwar unabhängig von Geschlecht und sozialer Herkunft.
Und wir müssen dafür eintreten, dass evangelisches Profil in dieser Arbeit erkennbar ist.
Die Evangelische Kirche im
Rheinland hat eine über 150jährige Tradition in der Arbeit mit Tageseinrichtungen für Kinder. Eine
Wiege dieser Arbeit steht in Kaiserswerth. Unsere Gemeinden möchten diese
Aufgabe in der Regel gerne weiterführen. Viele sind aber nicht mehr in der Lage
dazu. Wenn ich mir den Kindergartenbericht anschaue, der in diesem Jahr zum
ersten Mal vom Ständigen Ausschuss für Erziehung und Bildung vorgelegt wird,
dann sieht die Prognose düster aus. Ich möchte es so ausdrücken: wir können uns
auf der einen Seite über immer bessere Qualität und Schärfung des Profils
evangelischer Tageseinrichtung freuen und können auf diese Entwicklung stolz
sein. Die betriebswirtschaftliche Seite ist andererseits jedoch in der
bisherigen Form für viele Presbyterien nicht mehr zu schultern. Auch die
Politik kann vor dieser Entwicklung nicht die Augen verschließen. Sie kann die
demographische Entwicklung nicht abwarten und gleichzeitig in ihren
Sparprogrammen auf jene Einrichtungen zielen, die zuerst schließen müssen. Das
wären dann die konfessionellen. Die der anderen freien Träger würden bleiben
und zu 100% ausfinanziert werden. Das ist eine Entwicklung, die wir nicht
akzeptieren können. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass sie politisch
gewollt ist.
In Zukunft sollte es
Trägerverbünde geben, die zu einem effektiveren und flexibleren Personal- und
Ressourceneinsatz führen. Die Trägerbelastung muss sinken, in einem ersten
Schritt auf 15%, wie in NRW 1998 versprochen. Als Zielperspektive halte ich 10%
aller Trägerkosten für angemessen.
Der Ganztagsbereich in Schulen
hat sich zu einem neuen Arbeitsfeld entwickelt. Ich begrüße es, dass Gemeinden
und diakonische Einrichtungen sich diesen neuen Herausforderungen gestellt
haben. Schon jetzt sind die evangelischen Kirchen in Rheinland-Pfalz die
größten und wegen ihrer Qualität sehr geschätzten Partnerinnen der Schulen für
außerunterrichtliche Ganztagsangebote. In Nordrhein-Westfalen erfolgt ein
zügiger Ausbau von ‚Offenen Ganztagsgrundschulen'. Die Erweiterung der
Ganztagsangebote für den Bereich der Sekundarstufe I wird angestrebt. Rahmenvereinbarungen in Rheinland-Pfalz und
Nordrhein-Westfalen stützen die Zusammenarbeit von Schule und kirchlichen Angeboten
der Jugendhilfe.
Zur Orientierung für unsere Gemeinden in Nordrhein Westfalen ist in diesen Tagen eine Handreichung erschienen, die Informationen, praktische Anregungen und Entscheidungshilfen anbietet. Wir sollten wahrnehmen, dass durch neue Formen der Zusammenarbeit von Kirche und Schule sich zusätzlich zum Religionsunterricht und bisherigen Formen religiöser Gestaltung des Schullebens ein neuer Bereich religiöser Bildung in der Schule anbietet, dessen Bedeutung hoch einzuschätzen ist.
Gleichzeitig ist es pädagogisch erforderlich, durch die Zusammenarbeit von Familie, Schule, Kinder- und Jugendhilfe und weiteren außerschulischen Trägern ein neues Verständnis von Schule zu entwickeln. Bei der Gestaltung der pädagogischen Arbeit sind Betreuung, Bildung und Erziehung integrativ so miteinander zu verbinden, dass jedes Kind seine Fähigkeiten möglichst umfassend entdecken, erfahren und entfalten kann und dabei die Förderung erhält, die es nach seinen individuellen Bedürfnissen braucht. Kinder und Jugendliche brauchen eine Schule, die sie als einen sinnerfüllten Lebensraum erfahren. Dies gilt für die Unterrichtsgestaltung wie für die Gestaltung des außerunterrichtlichen Bereichs.
Dabei sind Veränderungsmöglichkeiten und -notwendigkeiten der eigenen Arbeit zu bedenken, wobei eine kirchliche Beteiligung an Angeboten der Ganztagsschulen eine eigene profilierte kirchliche Arbeit mit Kindern und Jugendlichen nicht ersetzen kann.
Die Kirchengemeinden und
Kirchenkreise und die diakonischen Einrichtungen werden die Entwicklung von
Ganztagsangebote an den Schulen in ihrem Bereich sorgfältig beobachten müssen.
Mitwirkungsmöglichkeiten an Bedarfsplanungen in Jugendhilfe- und
Schulausschüssen sollten sie aktiv wahrnehmen und Konsequenzen für die Arbeit
mit Kindern und Jugendlichen in Schule und Kirchengemeinde klären. Eins aber
lassen sie uns vor allem vermeiden, nämlich eine ideologisch aufgeladene
Debatte über Schulorganisation zu führen. Was wir dringend benötigen, ist eine
nachhaltige Verbesserung der Unterrichtsbedingungen in den Klassen!
Mehr als 30.000 Menschen werden jedes Jahr durch die Arbeit unserer Beratungsstellen erreicht. Die meisten
von ihnen befinden sich in schwierigen persönlichen oder familiären
Krisensituationen (80% der Ratsuchenden bezeichnen sich selbst als schwer bzw.
sehr schwer belastet).
Zurzeit wird die Arbeit an 40 Standorten angeboten, nachdem im letzten Jahr in Essen zwei Standorte aus finanziellen Gründen aufgegeben worden sind. Hier wird die Beratungsarbeit durch andere Träger neu aufgenommen. In Krefeld wurden zwei Standorte zusammengelegt. (s. auch das Beratungsstellen-Portal im Internet: www.evangelische-beratung-nrw.de)
Schwerpunkt der
Beratungsarbeit sind zunehmend Familien, deren Mitglieder von Trennung und
Scheidung bedroht sind bzw. die sich nach einer Trennung und Scheidung neu
zurechtfinden müssen, als Alleinerziehende oder in neuen Verbindungen als
sogenannte Fortsetzungsfamilie.
Die
Ergebnisse der Familienforschung machen deutlich, dass es biographisch für die
Kinder und Jugendlichen sowie für die Erwachsenen entscheidend sein kann, ob in
Krisenzeiten kompetente Hilfsangebote zur Verfügung stehen.
Ziel evangelischer Beratungsarbeit ist es - wo möglich - die Bindungskräfte zwischen den Partnern und zwischen den Eltern und Kindern zu stärken. Kinder bleiben auch nach einer Trennung oder Scheidung ihrer Eltern angewiesen auf die sichere Bindung zu Vater und Mutter. Auch der Bildungserfolg der Kinder und Jugendlichen hängt mit von der Qualität der Beziehung zur Herkunftsfamilie und Erziehungsfähigkeit der Eltern ab.
Mit der Einführung der sogenannten Hartz-Gesetzgebung ist zu erwarten, dass die finanziellen Probleme Unsicherheiten und Krisen von Arbeitssuchenden und ihrer Familien zunehmen werden. Das geplante Arbeitslosengeld II wird das Eigenkapital vieler Familien aufzehren und sie zu gravierenden Veränderungen ihres Lebens zwingen, so dass psychische und familiäre Konflikte als Folge dieser Entwicklung zu einem erhöhten Beratungsbedarf führen werden. Gerade Armut von Kindern geht einher mit erhöhten gesundheitlichen, psychischen und Entwicklungsproblemen sowie mit Bildungsbenachteiligung.
Schon jetzt erfahren viele Arbeitslose und ihre Familien vielfältige Unterstützung in unseren Beratungsstellen. Es gilt, sie in persönlichen Krisen zu stabilisieren und das Selbstwertgefühl und die Handlungsfähigkeit zu erhalten, aufzubauen bzw. wieder herzustellen. Ängste z.B. vor Bewerbungssituationen müssen abgebaut und realistische Berufsperspektiven erarbeitet werden. Manchmal bedeutet dies auch, von unerfüllbaren Lebensplänen Abschied nehmen zu müssen.
Eine zukünftige Kooperation der Beratungsstellen mit den neu eingerichteten Agenturen für Arbeit wird möglich sein, die Grundsätze der Beratungsarbeit aber wie z.B. die strikte Verschwiegenheit müssen gewahrt bleiben.
In der Bearbeitung der
Krisenphänomene unserer Gesellschaft gehört die Erziehungs-, Ehe- und
Lebensberatung zu den zentralen Seelsorgeangeboten unserer Kirche und erfüllt
einen immer wichtiger werdenden Dienst.
3.6 Einsatz für Menschenwürde
Für die Achtung der Würde
des Menschen grundsätzlich und umfassend einzutreten, ist eine wesentliche
Verpflichtung für unsere Kirche. Dass der Mensch nach dem Bilde Gottes
geschaffen ist, verleiht ihm eine unverlierbare Würde, die ihm unabhängig von
seinen Fähigkeiten und Kräften und in jeder Lebensphase zukommt, als Embryo
genauso wie als alter Mensch.
Die Zahl der alten Menschen in unserer Gesellschaft
und damit auch in unseren Kirchengemeinden nimmt zu.
Dabei betrachten wir das
Alter nicht allein unter dem Blickwinkel abnehmender Lebenskräfte. Viele
Menschen gehen relativ früh, mit einer guten Berufsausbildung, guter Gesundheit
und einer hohen Bereitschaft zum Engagement in die Zeit des Ruhestandes. Sie
orientieren sich in ihrem Leben neu und suchen nach Gemeinschaft. Unsere Kirchengemeinden
und ihre Diakonie verfügen über ein dichtes Netz von Treff- und
Bildungsmöglichkeiten. Damit können sie in der Gemeinde, dem Gemeinwesen und
den Stadtteilen eine hohe Zahl älterer Menschen ansprechen und ihnen Räume für
die Entfaltung ihrer Interessen und Bedürfnisse anbieten.
Die Kirchengemeinden können
aber auch mit Erwartungen auf alte Menschen zugehen, wenn sie ihnen
Möglichkeiten zur Selbstorganisation bieten und sie bei der Neuorientierung
unterstützen.
Die
Diakonie und die Erwachsenenbildung haben in den vergangenen Jahren hervorragende
Konzepte für die Selbstorganisation entwickelt. Beispielhaft seien die
'Freiwilligen-Zentralen' genannt, die Unterstützungsbedarf z.B. junger Familien
und Unterstützungsangebote älterer Menschen zu einander führen. Auf diese Weise
wird auch wieder erfahrbar, dass Leben grundsätzlich 'generativ' ist, alle
Generationen also miteinander verbunden sind und einander brauchen.
Solche Angebote gilt es, in möglichst vielen Gemeinden und diakonischen Einrichtungen umzusetzen. Die Landeskirche wird dabei insbesondere die Weiterentwicklung der Konzepte und die Fort- und Weiterbildung der haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen/Mitarbeiter unterstützen.
Das Alter ist nicht nur,
aber auch eine Zeit abnehmender Lebenskräfte und der Vorbereitung auf das
eigene Sterben und den Tod. Dazu haben die EKD und die DBK
konfessionsübergreifend Hilfestellungen entwickelt, wie z.B. die Christliche Patientenverfügung.
Die gegenwärtige Diskussion um die Reichweite von Patientenverfügungen
und um die entsprechenden Verlautbarungen der Enquete-Kommission der
Bundesregierung und der vom Bundesjustizministerium eingesetzten Arbeitsgruppe
"Patientenautonomie am Lebensende"
hat der landeskirchliche Arbeitskreis Krankenhaus zum Anlass genommen,
am 6. September 2004 eine Tagung für Mitarbeitende im Krankenhaus
durchzuführen.
Im Evangelischen Krankenhaus Oberhausen trafen sich unter dem Thema "Patientenverfügung zwischen Autonomie und Fürsorge" Angehörige aller Berufsgruppen aus verschiedenen Krankenhäusern der Landeskirche zu einem intensiven fachlichen Austausch. Dabei ging es vor allem um die Frage: In welchem Verhältnis zueinander stehen das Selbstbestimmungsrecht des Patienten und sein Angewiesensein auf Gott und auf seine Mitmenschen?
In der Spannung zwischen den ökonomischen Notwendigkeiten, die nicht in Abrede gestellt werden können, und den christlich-ethischen Überzeugungen, gilt es für uns als Kirche dafür einzutreten, dass das Grundprinzip der Unverfügbarkeit des menschlichen Lebens nicht angetastet wird. Patientenverfügungen sollen dazu beitragen, ein menschenwürdiges Sterben zu ermöglichen, ohne einem uneingeschränkten Freiheits- und Verfügungsrecht des Menschen über sein Leben Vorschub zu leisten.
Diese Tagung hat deutlich
gemacht, dass wir in der öffentlichen Diskussion Position ergreifen müssen,
gleichzeitig aber auch Foren zur Meinungsbildung in unseren Gemeinden und
Krankenhäusern anbieten sollten. Dazu stehen unsere Krankenhausseelsorgerinnen
und Krankenhausseelsorger als Ansprechpartner gerne zur Verfügung.
Die Veranstaltungsreihe zu medizinisch-ethischen Fragestellungen wird auch in diesem Jahr fortgesetzt; im Frühjahr in der Kreuznacher Diakonie und im Herbst im Evangelischen Krankenhaus in Saarbrücken.
Schlussbemerkung
Inspiriert von der
Jahreslosung für das vor uns liegende Jahr 2005 habe ich den Ihnen vorgelegten
Bericht unter das Thema 'Stellvertretung' gestellt.
Stellvertretung als
Eintreten Jesu Christi für uns und Stellvertretung als unser Eintreten für unsere
Schwestern und Brüder und für die Welt, das ist gleichsam eine Klammer für den
Grund und den Auftrag unserer Kirche.
Das vergangene Jahr war für
Sie alle, die Sie viel Zeit, Kraft und Herzblut in die Arbeit für unsere Kirche
investierten, nicht immer einfach. Und wir wissen, dass auch die kommenden
Jahre für unsere Kirche auf allen Ebenen nicht einfacher werden.
Ich möchte Ihnen
ausdrücklich danken für Ihr Zeugnis und für Ihren Einsatz im Dienst Jesu
Christi, für Ihr Eintreten und Handeln an 'Christi statt'. Danken möchte ich
insbesondere auch allen Mitarbeitenden im Landeskirchenamt, dem Kollegium und
der Kirchenleitung. Sie alle sind häufig für mich eingetreten und haben mich
bestärkt und ermutigt.
Stärken und ermutigen möchte
ich uns alle mit den unsere Jahreslosung ergänzenden Gedanken des Apostel
Paulus im 8. Kapitel des Römerbriefes: Desgleichen hilft der lebendige Geist
Gottes unserer Schwachheit auf. Wenn wir verzagt und unsicher sind, vertritt
uns der Geist Gottes selbst mit unaussprechlichem Seufzen.
Wenn also Gott für uns ist,
wer kann wider uns sein? Wer will verdammen? Christus Jesus ist hier, der
gestorben ist, ja vielmehr, der auch auferweckt ist, der zur Rechten Gottes ist
und uns vertritt (vgl. Röm. 8,26 und 31-38).
So können wir gewiss sein,
dass weder Tod noch Leben, weder Engel, noch Mächte, noch Gewalten, weder
Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Finanzkrisen noch Strukturdebatten, weder
persönliche Schicksalsschläge noch Naturkatastrophen uns scheiden können von
der Liebe Gottes, die uns in Jesus Christus erschienen ist, unserem Herrn und
unserem Stellvertreter vor Gott. In dieser Gewissheit gehen wir getrost in
dieses Jahr mit allen seinen Aufgaben.
Anlage 1
Vortrag bei der
Landesdelegiertentagung
des Evangelischen
Arbeitskreises der CDU NRW
20. November 2004, 15.00
Uhr, Gemarker Kirche, Wuppertal
Nikolaus Schneider
Präses der Evangelischen
Kirche im Rheinland
Über die andauernde
Bedeutung der "Barmer Theologische Erklärung" (BTE) nachzudenken, ist
immer wieder neu eine Herausforderung und dieses gerade hier in der Gemarker
Kirche tun zu dürfen, ist ein besonderer Anreiz. Ich habe daher diese Einladung
gerne angenommen.
Ich begrüße es sehr, dass
Sie, die Sie in der Politik Verantwortung tragen, das Thema "70 Jahre
Barmer Theologische Erklärung und ihre Bedeutung heute" in ihr
Tagungsprogramm aufgenommen haben. Diese Erklärung ist eben nicht nur ein
theologisches Dokument, sondern richtet sich auch an diejenigen, die unsere Gesellschaft
mitgestalten wollen und die sie leitenden Werte mit bestimmen.
Die Bekenntnissynode der
Deutschen Evangelischen Kirche hat sich in den letzten Maitagen des Jahres 1934
hier in der Gemarker Kirche versammelt.
Die Wuppertaler werden an
dieses Ereignis täglich – im wahrsten Sinne des Wortes "beiläufig" -
erinnert: Nur wenige Meter von hier steht in der belebten Einkaufszone von
Barmen das Denkmal mit den zwei Gesichtern. Auf der einen Seite ist eine
jubelnde Menge zu sehen, die dem selbsternannten "Führer" huldigt;
auf der anderen Seite steht die kleinere Schar derer, die Orientierung in der
Bibel suchen. Neben dem Hinweis auf die Tagung der Bekenntnissynode und der
Veröffentlichung der Barmer Theologischen Erklärung ist auch die leitende
Erkenntnis in Bronze gegossen: "Des Herren Wort bleibt in Ewigkeit".
"Des Herren Wort bleibt in Ewigkeit" – das ist auch Mahnung und
Orientierung für uns, die wir in der Kirche und für die Kirche Verantwortung
tragen. Deshalb steht eine Kopie dieses Denkmals im Eingangsbereich unseres
Landeskirchenamtes in Düsseldorf.
Zur Barmer Theologischen Erklärung
Entstehung
Die BTE gilt bis heute als
schriftgemäße, für den Dienst der Kirche verbindliche Bezeugung des Evangeliums
und hat in der Evangelisch-reformierten Kirche sogar den Rang einer
Bekenntnisschrift.
Wie
bei allen historischen Dokumenten muss zum richtigen Verständnis der Kontext
der Entstehung beachtet werden. In der Rezeption ist die BTE zeitweilig als
eine kirchliche Begründung politischen Widerstandes gegen die aufkommende Nazidiktatur
gesehen worden oder als eine zeitgemäße Neuformulierung reformatorischer
Bekenntnisse.
Das
ist sie in ihrer Konsequenz auch geworden. Das war aber nicht ursprünglich
intendiert. Vielmehr war es das Ziel, in der Vorbereitung und dann auf der
Synode in Barmen selber eine Vergewisserung über den biblisch begründeten
evangelischen Standpunkt für die Vertreter und Vertreterinnen reformierten,
lutherischen und unierten Bekenntnisses in Not und Bedrängnis dieser Zeit zu erreichen,
damit Kirche "Kirche Jesu Christi" bleibt. Denn es bestand die
Gefahr, dass die Evangelische Kirche, getrieben von der ‚Glaubensbewegung der
Deutschen Christen', in einen deutsch-völkischen Götzenkult abglitt.
Die "Theologische
Erklärung zur gegenwärtigen Lage der Deutschen Evangelischen Kirche" von
1934 legitimiert sich zunächst mit einem Verweis auf die geltende
Kirchenverfassung und die Orientierung an den Bekenntnissen der Kirche. Daran
anschließend werden in sechs Thesen "Evangelische Wahrheiten"
formuliert. Sie haben für die Synodalen Bekenntnisrang und richten sich gegen
die "die Kirche verwüstenden und damit auch die Einheit der Deutschen
Evangelischen Kirche sprengenden Irrtümer der ‚Deutschen Christen' und der
gegenwärtigen Reichskirchenregierung".
Die Erklärung wird mit einem
Brief an die Evangelischen Gemeinden und Christen in Deutschland gesandt,
verbunden mit der Bitte, alle kirchlichen Verlautbarungen dahin gehend zu
prüfen, ob sie bibel- und bekenntnisgemäß sind. Angehängt wird noch eine
"Erklärung der Bekenntnissynode zur Rechtslage der Deutschen Evangelischen
Kirche".
Die
BTE war also eine unmittelbare Reaktion auf eine Bedrohung der Kirche. Diese
Bedrohung war zunächst keine massive physische Bedrohung von außen etwa in dem
Sinne, dass die Kirche verboten werden sollte oder dass ihre Mitglieder verfolgt
und eingekerkert werden (das hat es dann zweifellos später auch gegeben).
Die
Bedrohung hatte vielmehr primär innerkirchliche Ursachen. Eine geistliche
Machtübernahme und Infragestellung der Grundlagen und Ziele der Evangelischen
Kirche war im Gange durch die "Deutschen Christen" in Kooperation mit
der NSDAP und Organen des nationalsozialistischen Staates. Adolf Hitler selber
griff massiv in die Kirchenwahlen des Jahres 1933 ein. Am Vorabend des
Wahltages warb er in einer Rundfunkrede massiv für die Kandidatinnen und
Kandidaten der deutschen Christen. Das Ergebnis waren deutliche Mehrheiten für
die "Glaubensbewegung Deutsche Christen", so dass lediglich in
Bayern, Württemberg und Hannover die deutschen Christen nicht die
Leitungsorgane okkupieren konnten.
Vor
diesem Hintergrund fühlten sich lutherische und reformierte Christen, seit der
Reformation an Schrifttreue als leitendes Prinzip orientiert, herausgefordert,
selbst Position zu beziehen. Dieses Prinzip, sich in Bindung an die Heilige
Schrift auf die Herausforderungen der Zeit zu beziehen, führte zu dem Dokument,
dem wir auch heute noch bekenntnishaft formulierte "evangelische
Wahrheiten" entnehmen können.
Der in
Barmen vorgelegte Text ist nicht aus dem Augenblick heraus entstanden. Er hatte
Vorläufer: Zum Beispiel Erklärungen von Ulm, Bethel und Düsseldorf.
Die Thesen - Aufbau und Inhalt
Die Stärke der BTE liegt in
ihrer sprachlichen und gedanklichen Konzentration bei gleichzeitiger Konkretion
und konsequentem Schriftbezug.
Allen 6 Thesen sind
Bibelworte voran gestellt. Sie sind als Kurzfassung von Kernaussagen der
Heiligen Schrift zu dem jeweiligen Thema zu verstehen und sind somit konstitutiver
Bestandteil der Thesen.
Dann sind alle Thesen so
aufgebaut, dass zunächst eine Position dargestellt wird (Affirmation) –
formuliert als Aussage und Bekenntnis. Den Abschluss bildet jeweils die
Verwerfung von als falsch erkannter Lehren.
Die BTE ist
somit zugleich Beispiel für den zentralen theologischen Grundsatz aller
kirchlichen Verkündigung und aller Bekenntnisformulierungen: Kein Nein ohne das
begründende Ja! Vom biblischen Wort her sind die Bekenntnisaussagen wie die
Verwerfungen zu verstehen. Das Ja ist dem Nein vorgeordnet. Karl Barth, dem die
Formulierung der BTE wesentlich zu verdanken ist, hat das so verdeutlicht:
"Das Nein hat keine selbständige Bedeutung. Es hängt ganz an dem Ja. Es
kann nur laut werden, indem das Ja laut wird." An anderer Stelle hat er
hinzugefügt: Durch das Ja muss der Ruf nach vorwärts erkennbar werden.
Das Fundament der BTE ist
das eine Wort Gottes, das den Namen Jesus Christus trägt. Von ihm sagt die I.
These, dass er das in der Bibel bezeugte eine Wort Gottes ist, das allein wir
zu hören, dem wir im Leben wie im Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben.
Diese 1. These hat für die gesamte Erklärung die gleiche Funktion wie das 1.
Gebot für die 10 Gebote: es ist die Mitte, aus der sich alles Übrige ergibt.
Die II. These macht geltend,
das Gottes Wort tröstlicher und befreiender Zuspruch, aber damit zugleich auch
Anspruch auf unser ganzes Leben ist.
Die III. und
IV. These sagen, dass und wie von diesem Wort her die Kirche von der Gemeinde
her zu begreifen ist, wie sie ihren
Auftrag als Dienst der ganzen Gemeinde mit ihren unterschiedlichen Ämtern zu
verrichten hat.
Die V. These verdeutlicht,
dass nicht nur die Kirche Ausdruck und soziale Gestalt der heilsamen Gegenwart
und Kraft des Wortes Gottes ist, sondern auch der Staat. Seine Funktion besteht
nach Gottes Willen darin, nach menschlichem Maß für Recht und Frieden zu
sorgen.
Schließlich
werden Selbstverständnis und Auftrag der Kirche kurz und prägnant in These VI
formuliert: "Der Auftrag der Kirche, in welchem ihre Freiheit gründet, besteht
darin, an Christi Statt und also im Dienst seines eigenen Wortes und Werkes
durch Predigt und Sakrament die Botschaft von der freien Gnade Gottes auszurichten
an alles Volk."
Die Kirche hat
also eine Botschaft "auszurichten", sie hat den Botendienst von der
freien Gnade Gottes zu leisten in ihrem Dienst, nicht aus eigener Machtvollkommenheit,
sondern an Christi Statt; ohne staatliche Machtausübung, ohne Zwang, ohne
Gewalt. Die Gnadenzusage gilt allen, ob sie es hören wollen oder nicht. Das
heißt auch, die Verkündigung hat überall ihren Ort: im kleinsten Gemeindekreis
und auf den Podien der Welt. Sie ist eine Herausforderung, sich auch an die zu
wenden, die ihre eigenen Konzepte für die Welt haben und deshalb meinen, auf
ein darüber hinaus gehendes Hören verzichten zu können.
Zum Verhältnis
von Kirche und Staat vor dem Hintergrund der V. These der BTE
Während sich die meisten
Thesen der BTE mit dem schriftgemäßen Selbstverständnis der Kirche befassen,
werden in der V. These Staat und Kirche ihre jeweiligen Aufgaben zugeordnet. Diese
Ordnung bezieht sich auf "die noch nicht erlösten Welt", auf die Welt
wie sie ist, ohne "paradiesische Zustände". Die Welt soll also
akzeptiert werden in ihren Begrenzungen, mit ihren Fehlern. Es geht darum
nüchtern zu erkennen, dass sie unter der Herrschaft der Sünde steht.
Das
vorangestellte biblische Wort:
"Fürchtet Gott, ehrt den König." (1. Petr. 2,17)
ist wie bei den anderen
Thesen auch nicht "ornamental", sondern konstitutiv für das Verständnis
der nachfolgenden Aussagen!
Aber: Es geht hier nicht um
"Untertanengehorsam" und auch nicht um ein beziehungsloses
Nebeneinander der sogenannten "Zwei Reiche" – des Reiches Gottes und
der durch Könige regierten Reiche dieser Welt.
Die Beziehung aufeinander,
ja sogar die Rangfolge sind in dem kurzen Bibelwort festgelegt: Die Furcht (im Sinne von "Ehrfurcht"
oder in Luthers Verständnis "Liebe") gebührt Gott; die Ehre (im Sinne
von Achtung) und Respekt kommt dem König / dem Staat zu !
Wir können heute prägnanter
formulieren:
Die BTE sieht gerade den
säkularen Staat im Wort Gottes begründet. Die biblische Überlieferung
befürwortet einen Staat, der "in der noch nicht erlösten Welt …nach dem
Maß menschlicher Einsicht und menschlichen Vermögen …für Recht und Frieden
sorgt." Wir vertrauen also der Vernunft der Politik, die sich allerdings
auf Werte zu beziehen hat. Der Verneinung von Werten und der neuerlich zu
hörenden Einschätzung, es gebe gar keine Werte, sondern nur Spielregeln des
Marktes widersprechen wir energisch!
Das wird durch die
Positionsbestimmung der V. These der BTE noch verdeutlicht: Der Staat ist, wenn
er Gottes Anordnung gemäß für Recht und Frieden sorgt, eine Wohltat, die den
Menschen zu Dank und Ehrfurcht veranlasst – allerdings: nicht gegenüber dem
Staat, sondern - gegenüber Gott (!).
Es geht also nicht um eine
bedingungslose Anerkennung des Staates in jeder Form oder gar um Unterwerfung.
Vielmehr wird anerkannt, dass es in dieser Welt ordnende Strukturen braucht,
die hergestellt werden müssen (Rechtsfindung und Rechtssetzung) und die
erhalten werden müssen (Frieden). Da diese Prinzipien nicht inhaltlich
definiert sind, kommt es bei der Festlegung und Durchsetzung auf "das Maß
menschlicher Einsicht und des menschlichen Vermögens" an – Recht und Frieden kommen nicht ohne Konsens
in der jeweiligen Situation aus.
Während der Staat zur
Aufrechterhaltung der Rechts- und Friedensordnung als "ultima ratio"
Gewalt androhen darf, gilt für die Kirche allein, dass sie der Kraft des Wortes
vertraut und gehorcht. In diesem Sinne richtet sich die Kirche an die Regierenden
und Regierten, indem sie an "Gottes Reich, an Gottes Gebot und Gerechtigkeit"
erinnert.
Damit gibt sie keine
direkten politischen Handlungsanweisungen, sondern nennt Maßstäbe,
Rahmenbedingungen und Kriterien, an denen politisches Handeln zu prüfen und zu
messen ist. Selbst wenn die Kirche aus der Gewissheit her lebt, dass "Gott
alle Dinge trägt", so erfolgt daraus noch keine klerikale politische Bevormundung.
Die relative Eigenständigkeit des Staates wird anerkannt.
Kirche soll also nicht
selbst Politik machen, sondern sie soll Politik möglich machen. Ich möchte in
diesem Zusammenhang besonders hervorheben, dass Barmen die Verantwortung der
Regierten nennt. Diese Verantwortung kann nicht einfach abgeschoben werden, so
dass sich die populäre Einschätzung der Politik als ‚schmutziges Geschäft', von
dem man sich tunlichst fernhalten muss, ausdrücklich verbietet. Hier wird eine
grundsätzliche Eigenverantwortung aller Bürgerinnen und Bürger für das
Gemeinwesen festgelegt.
Weil aber der Staat keinen
Absolutheits- oder Totalitätsanspruch hat, ist die Eigenständigkeit des Staates
als ordnungssetzende Kraft relativ.
Das wird im zweiten Teil der
V. These der BTE, in der Verwerfung, ausgesagt.
Im Einbringungsreferat hieß
es seinerzeit in Barmen (von Hans Asmussen):
"Verkündigt der Staat sein ewiges Reich, ein ewiges Gesetz und
eine ewige Gerechtigkeit, dann verdirbt er sich selbst und mit sich sein
Volk!"
Ewig ist weder
Staat noch Kirche. Das müssen sie auf dem Hintergrund der Rede vom
1000-jährigen Reich hören! Ewig ist das eine Wort Gottes, lebendig geworden in
Jesus Christus, der beide – Staat und Kirche – trägt und erhält.
Totalitäre
Ansprüche des Staates werden so deutlich zurückgewiesen – das gilt aber
natürlich auch für alle Ansprüche dieser Art, z.B. die Ansprüche eines alle
Bereiche des Lebens dominierenden Marktes.
Herausforderungen und Aktualisierung für heute:
Kirche im
säkularen Staat
Weltverantwortung als Auftrag
Der aus dem
Missionsbefehl abgeleitete und in BTE VI formulierte Auftrag der Kirche, sich
"an alles Volk" zu wenden, führt die Kirche über sich selbst hinaus.
Ihr Reden ist gebunden an die Botschaft des Evangeliums, ihr Handeln ist
eingebunden in die Nachfolge Christi – und hat dem Heil und dem Wohl aller
Menschen zu dienen. Deshalb kann und wird Kirche gerade dann ihren Auftrag
verraten, wenn sie nur bei sich selber ist, sich allein auf eigene Interessen
konzentriert.
Allerdings
wird deutlich gewarnt davor, dass sich die Kirche – bzw. einzelne ihrer
Mitglieder und Repräsentanten – in den Dienst anderer Zwecke nehmen lassen.
Und es geht darum, dass die Kirche daran erinnert wird, dass sie ihr Argumentieren
und Handeln in dieser Welt auszurichten hat "an Christi Statt", also nach der Klärung der theologischen
Grundpositionen und der Anforderungen des Glaubens und der Bekenntnisse.
Auch die Art
des Auftretens Jesu in dieser Welt ist maßgebend für die Kirche. Sie hat keine
staatliche Art und soll staatliche Macht nicht okkupieren.
In einer
Klammerbemerkung möchte ich an dieser Stelle auf ein selten öffentlich
ausgesprochenes ökumenisches Problem hinweisen: Für uns Evangelische ist es ein
theologisches Problem, dass der Vatikan ein Staat und damit ein Subjekt des
Völkerrechts ist. Der Pabst ist also auch ein Staatsoberhaupt. Kardinäle
besitzen einen Diplomatenpass. All' das steht quer zu unseren evangelischen
theologischen Vorstellungen von Kirche.
Erinnern an
Gottes Reich – Vergewisserung über grundlegende Prinzipien
Kirche, die in
die Welt wirken will, muss zunächst ihre eigenen Prinzipien deutlich machen
beziehungsweise muss sich ihrer immer wieder neu vergewissern.
"Erinnern
an Gottes Reich, an Gottes Gebot und Gerechtigkeit heißt zum Beispiel,
dass Kirche
ihr Verständnis von der Gottesebenbildlichkeit des Menschen und der daraus
resultierenden Würde jedes Einzelnen immer wieder neu betont; das heißt auch,
dass sie ihr Eintreten für die Sicherung der Grundbedürfnisse des Menschen, wie
das tägliche Brot, die Arbeit, die Gesundheit, aber auch die Sorge für die
Seele, biblisch legitimieren kann; oder es heißt, dass sie ihre Vorstellungen
vom Zusammenleben der Menschen, zum Beispiel den Schutz der Schwachen und
Bedürftigen, den Einsatz für Recht und Gerechtigkeit und auch den verantwortlichen
Umgang mit Besitz und Reichtum mit Gottes Weisungen, wie sie in der Bibel
bezeugt werden, begründet.
Insofern ist die Ausformulierung einer evangelischen Sozialethik oder einer evangelischen Wirtschaftsethik kein Selbstzweck, sondern antwortet auf die berechtigte Erwartung an eine klare, diskutierbare Positionierung unserer Kirche auf diesem Gebieten.
Das darf nicht
atemlos und mit andauernden Appellen geschehen, sondern bedarf des wohl
begründeten Argumentierens und Agierens; nicht anmaßend im Sinne eines
klerikalen Herrschaftsanspruches, sondern als Angebot zum kritischen Dialog.
Besonders der
Hinweis auf Gottes Reich ist mir wichtig. Er enthält für die Politik
gleichzeitig eine Mahnung und einen Trost. Ihr Handeln als Politikerinnen und
Politiker soll keinen Ewigkeitsanspruch haben. Das ist aber auch nicht nötig:
das Vorläufige und Begrenzte, auch das Fehlerhafte ist das menschliche Maß.
Mehr müssen sie nicht leisten. Sie sollen aber auch daran denken, dass wir alle
einmal Rechenschaft ablegen müssen vor unserem himmlischen Richter. Paulus sagt
das so: wir werden gerichtet nach unseren Werken und gerettet nach unserem Glauben.
Präsenz der
Kirche in der Welt – in Freiheit, mit Distanz und Engagement
Kirche, die
die frohe Botschaft des Evangeliums verkündet, muss auch etwas von der Welt
verstehen.
Kirche, die sich
nicht zurückdrängen lässt oder sich zurückzieht auf innerkirchliche Aufgaben,
muss als Institution und mit ihren Mitgliedern präsent sein in dieser Welt. Die
gesellschaftliche Entwicklung mit allen ihren Ausdifferenzierungen in den
Bereichen von Kultur, Sozialordnung, Politik, Wirtschaft und anderem, ist zu beobachten,
nach Möglichkeit ist daran mitzuwirken. Laien und Theologen müssen gemeinsam
als Kirche mit ihrem Sachverstand für diese Welt eintreten.
Unsere Kirche
lebt nicht in einem isolierten Raum. Sie ist Bestandteil eines Staates, der
sich einer positiven weltanschaulichen Neutralität verpflichtet weiß. Dieses
schafft ihr die rechtliche Freiheit. Die gültigen staatlichen Gesetze und
Ordnungen sind somit anzuerkennen und zu achten.
Die Regierung wird aber
nicht als Repräsentanz Gottes angesehen, sondern gemäß ihrer weltlichen Natur
anerkannt und daran erinnert, dass auch sie Gott verantwortlich bleibt.
Die Achtung der weltlichen
Ordnung geschieht allerdings aus der Distanz der eigenen Positionierung heraus.
Nur dieses ermöglicht Kooperation bei gemeinsamen Zielen oder kritische
Begleitung und Rückfragen. Die entscheidende Frage im Blick auf den Staat ist,
ob er dem Recht und dem Frieden dient. An die Wirtschaft muss die Frage
gestellt werden, ob sie letztlich – bei aller berechtigten Eigennützigkeit -
dem Gemeinwohl verpflichtet ist. Kirche, die in diesen Dingen sachgerecht sein
will, braucht Distanz und muss sie wahren – aber: sie muss sich auch in den öffentlichen
Dialog begeben.
Wenn der Kirche ein
"Wächteramt in unserer Gesellschaft" zugesprochen wird, so ist damit
gemeint, dass sie sich nach selbstkritischer Prüfung des Grundes ihres Seins
und ihres Auftrages in kritischer Freiheit der Tagesordnung der Welt zuwenden
kann und soll.
Entsprechend ist die BTE
solch ein Dokument kritischer evangelischer Freiheit. Sie verpflichtet die
Kirche dazu, diese Freiheit zu wahren, sie zu nutzen und wahrzunehmen; und sie
richtet die Erwartung an den Staat, diese Freiheit zu achten. Sie erinnert
alle, die politischen und kirchlichen Repräsentanten nicht weniger als die
Staatsbürger, an ihre Verantwortung vor Gott und an ihre gemeinsame Pflicht,
für Recht und Frieden einzutreten.
Lassen Sie mich auf zwei
aktuelle Herausforderungen dieser Tage in besonderer Weise eingehen: Zum einen
bitte ich Sie herzlich darum, uns bei allen Bemühungen zu unterstützen, dass
z.B. die Weihnachtsmärkte erst nach dem Ewigkeitssonntag beginnen. Es ist von
herausragender Bedeutung, dass nicht nur für den einzelnen Menschen, sondern
für eine ganze Gesellschaft das Leben einen Rhythmus von Feiertag, Fest und
Alltag bzw. Arbeit hat. Eine Einebnung des Lebens in ein ewig gleiches Maß der
Zeit tut uns allen nicht gut – die Fest verlieren ihren Glanz, Arbeit und
Alltag werden ermüdend. Deshalb ist es auch so wichtig, bei der Diskussion um
die Feiertage in unserem Land eine klare Position zu beziehen.
Zum anderen möchte ich auf
die erschreckenden Vorgänge in unserem Nachbarland Holland eingehen. Es zeigt
sich, dass Toleranz einer Wertefundamentierung bedarf. Es reicht nicht aus,
Menschen mit fremder kultureller und religiöser Prägung einfach aufzunehmen und
sie dann sozusagen gewähren zu lassen. Notwendig ist ein begründetes, aus dem
eigenen Werteverständnis abgeleitetes Gespräch über Gemeinsames und
Unterschiedliches, über die Grenzen des Erträglichen und im gegenseitigen
Respekt. Nur wer sich selbst und das Eigene definieren kann, der kann auch mit
dem Fremden im Zu- und Widerspruch vernünftig umgehen. Es sei angemerkt, dass
auch unsere z.B. muslimischen Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner Wert
darauf legen zu erfahren, aus welchen religiösen und kulturellen Bindungen
heraus die deutschen Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner mit ihnen
sprechen bzw. zusammenleben.
Die
Herausforderung und den Selbstanspruch, die eigene Botschaft und die Mittel der
Verkündigung auf den sozialen, kulturellen, politischen oder wirtschaftlichen
Kontext zu beziehen, hat es für die Kirche zu allen Zeiten gegeben. Die
reformatorischen Schriften oder die Barmer Bekenntnissynode sind nur zwei
herausragende Beispiele für entsprechende Reaktionen.
Abschließende Bemerkungen
1.
Die
BTE formuliert "evangelische Wahrheiten", die nach wie vor Anspruch
darauf haben, als Kriterien für den Glauben an Jesus Christus und das Handeln
der Kirche zu gelten. Veränderte Rahmenbedingungen – nicht nur im politischen
System – fordern dazu auf, uns stets der Grundlagen zu vergewissern und sie auf
neue Herausforderungen hin anzuwenden. Insofern bleiben alle Thesen der BTE aktuell.
2. Die BTE ist ein Grundlagentext evangelischer Orientierung und
definiert in Grundzügen das evangelische Selbstverständnis. Die in der BTE
begründete grundsätzliche Freiheit eines Christenmenschen und der Kirche wird
eindeutig und ohne jede Einschränkung an Auslegung und Verkündigung der
Botschaft des Evangeliums gebunden, das heißt an die freie Gnade Gottes. Dieses
ist und bleibt letzter Prüfstein für den Auftrag der Kirche. Sie kann und darf
sich nur verstehen im Dienst an Christi Statt. Die Verfolgung eigenmächtiger Zwecke
aus vermeintlich selbstherrlicher Vollmacht heraus entbehrt jeder legitimierender
Grundlage. Kirche hat keinen Wert jenseits ihres Auftrages.
3. Die von der Bindung an das Evangelium abgeleitete Freiheit der
Kirche ist eine geschenkte Freiheit, nicht erworben oder erkämpft. Sie äußert
sich in der freien Verkündigung, aber auch in einem kritisch-konstruktiven
Gegenüber zum Staat oder zu anderen weltlichen Mächten und Gewalten. Die
Eigenständigkeit und Freiheit der Kirche einerseits und die sich als selbst
begrenzt sehenden menschlichen Ordnungen andererseits, wie etwa Staat oder
Wirtschaft, ermöglichen nach der Prüfung der Ziele eine Kooperation zum Wohle
aller. Widerstand ist jedoch gefordert, wenn sich weltliche Institutionen als
"einzige und totale Ordnung menschlichen Lebens" verstehen und
erklären. Das gilt auch für totalitäre Ansprüche, etwa aus dem Bereich der Ökonomie.
4. In diesem Sinne mahnen die 6 Thesen der BTE die Kirche zur
ständigen Wachsamkeit, menschliche Selbstherrlichkeit und eigenmächtig gewählte
Wünsche, Zwecke und Pläne auf ihre Grundlagen und Ziele hin zu überprüfen.
Dieses gilt auch und zuerst für Selbstverständnis, Verlautbarungen und Erscheinungsform
der Kirche selbst, denn anders könnte sie ihren notwendigen Dienst an Politik
und Gesellschaft nicht leisten.
Ich danke
Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Anlage 2
Brief der
Soesterberg-Konsultation an die Kirchen Westeuropas
Juni 2002
Liebe Schwestern und Brüder
in Christus,
Wir schreiben diesen Brief
von der ökumenischen Konsultation zur Wirtschaft im Dienst des Lebens, die vom
15. bis zum 19. Juni in Soesterberg (Niederlande) stattfand. Großzügiger
Gastgeber dieser Konsultation war der Niederländische Kirchenrat. Mehr als 80
Vertreterinnen und Vertreter westeuropäischer Kirchen sowie Gäste von Kirchen
Zentral- und Osteuropas, Nordamerikas, Afrikas und Asien, vom Vatikan und von
ökumenischen Organisationen, versammelten sich unter der Trägerschaft des
Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK), des Reformierten Weltbundes (RWB), des
Lutherischen Weltbundes (LWB), der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) und des
Europäischen Gebietsausschuss des RWB.
Der Prozess
Die Konsultation in
Soesterberg war Teil eines fortlaufenden Prozesses, in dem Kirchen die durch
die ökonomische Globalisierung gestellten Herausforderungen in ihren
Auswirkungen auf das Leben von Menschen und Mitwelt begutachten und auf sie
antworten.
Die RWB Generalversammlung
1997 in Debrecen (Ungarn) rief die Kirchen "zu einem engagierten Prozess
der Erkenntnis, der Aufklärung und des Bekennens (processus confessionis) im Hinblick auf wirtschaftliche
Ungerechtigkeit und Umweltzerstörung " auf. Die Vollversammlung des ÖRK
bestätigte wenig später in Harare diese Stellungnahme und betonte, "dass
alle Kirchen weltweit beginnen müssen, die Bedeutung und den Sinn des
christlichen Bekenntnisses in dieser Zeit zunehmender Ungerechtigkeit und
ununterbrochener Umweltzerstörung zu bedenken”. Der LWB hat einen auf diese
Aufrufe bezogenen Prozess mit einem Arbeitspapier zum "Engagement einer
Gemeinschaft von Kirchen angesichts der Globalisierung der Wirtschaft"
eingeleitet. Drei gemeinsame Konsultationen haben bereits stattgefunden: 1999
in Bangkok und 2001 in Budapest und Fiji.
In Antwort auf diesen
fortlaufenden Prozess trafen wir uns in Soesterberg, um zu analysieren, wie
ökonomische Globalisierung und die Rolle, die das Geld dabei spielt, die
Gesellschaften Westeuropas betrifft und eine Antwort westeuropäischer Kirchen
auf Fragen, die zuvor von Kirchen in Zentral- und Osteuropa und im Süden
gestellt wurden, zu entwickeln. Als Anlage zu diesem Brief erhaltet ihr einen Bericht
der Tagung mit weiteren Informationen zu den Beratungen über das internationale
Finanzsystems wie auch Kopien von Briefen zu Kirchen im Süden und in Zentral-
und Osteuropa. Diese drei Briefe, die aus der Konsultation hervorgegangen sind,
gehören zusammen.
Problembereiche, die angesprochen wurden
Die Konsultation bot eine
Gelegenheit, das globale Finanzsystem und die Auswirkungen des unregulierten
Flusses riesiger Kapitalmengen auf nationale Wirtschaften zu analysieren. Die
Zahl und der Umfang internationaler Finanztransaktionen sind so unglaublich
stark angestiegen, dass zur Zeit nur etwa 2% der Geldbewegungen durch
Handelsaktivitäten begründet sind. Die finanziellen Krisen in Asien, Russland
und kürzlich in Argentinien hatten und haben weiterhin verheerende Auswirkungen
auf Menschen und ihre Lebensgrundlagen - in vielen Länder über die schon
untragbare Schuldenlast hinaus. Andere Aspekte des beschleunigten Prozesses der
ökonomischen Globalisierung und des sich verändernden Kontextes wurden
ebenfalls diskutiert. Finanzmärkte und Handel in Waren und Dienstleistungen
sind mehr und mehr integriert, die Freizügigkeit für Menschen jedoch wird
weiter eingeschränkt. Wachsende Ungleichheit führt zugleich zu einer steigenden
Zahl von Migranten, denen dieselben Rechte wie anderen Bürgern verweigert werden.
Sie finden sich selbst und ihre Familien in sehr schwierigen Verhältnissen vor
und sind konfrontiert mit neuen Formen des Rassismus.
Wir wurden auch daran
erinnert, dass die Kriege im früheren Jugoslawien und insbesondere die NATO
Bombenangriffe im Kosovokrieg negative Auswirkungen auf die Beziehungen
zwischen den Kirchen in West- und Zentral- und Osteuropa hatten. Wir teilten miteinander
tiefe Sorge über die Militarisierung globaler Politik, steigende
Militärausgaben und den starken Unilateralismus der Regierung der Vereinigten
Staaten von Amerika (USA) auf Kosten des multilateralen Systems der Vereinten
Nationen. Die neue Konzentration auf Sicherheit untergräbt den Sinn für
geteilte Verwundbarkeit menschlicher Gemeinschaften und der Solidarität mit denen,
die im Prozess der ökonomischen Globalisierung zu den Verlierern gehören.
Leben in Fülle für alle Menschen und die ganze Schöpfung - neoliberale
Globalisierung überwinden
Wir fragten uns selbst, wie
hilft uns das Versprechen des Evangeliums bei der ethischen Urteilsbildung im
gegenwärtigen Kontext:
·
Das
Evangelium verspricht Leben in Fülle für alle Menschen und die ganze Schöpfung
(Joh. 10:10). Dieses Versprechen nahm Gestalt an und wurde Teil der Schöpfung
in Jesus Christus. Niemand ist ausgeschlossen von Gottes Haushalt des Lebens.
Die christliche Gemeinschaft spiegelt diese Vision wieder um der ganzen Welt
willen. Geleitet von dieser Vision, erstreben wir eine Wirtschaft im Dienst des
Lebens. Märkte und Geld sollten den Austausch von Gütern ermöglichen, um
menschliche Bedürfnisse zu befriedigen und zum Aufbau der menschlichen
Gemeinschaft beizutragen.
·
Heute
jedoch sehen wir, wie zunehmend wirkliches Leben von privaten finanziellen und
Geschäftsinteressen beherrscht wird. Die ökonomische Globalisierung ist von
einer Logik geleitet, die der Anhäufung von Kapital, uneingeschränktem
Wettbewerb und der Sicherstellung von Gewinn in enger werdenden Märkten
Priorität gibt. Politische und militärische Macht werden als Instrumente
benutzt, um ungefährdeten Zugang zu Ressourcen und zum Schutz von Investitionen
und Handel sicherzustellen. Diese leitende Logik wird als Neoliberalismus
bezeichnet. Die neoliberale Wirtschaftslehre entbindet die Kräfte der
ökonomischen Globalisierung auf eine Weise, die Grenzen nicht anerkennt. Diese
Form der Liberalisierung hat schnell zu tiefgreifenden politischen, sozialen,
kulturellen und sogar religiösen Rückwirkungen geführt, die das Leben von Menschen in aller Welt durch wachsende
Ungleichheit, Verarmung, Ungerechtigkeit und Umweltzerstörung betreffen.
·
Kirchen,
die an dem ökumenischen Prozess (z.B. bei der ÖRK Vollversammlung in Harare)
teilgenommen haben, bekräftigten, dass die Ideologie des Neoliberalismus
unvereinbar ist mit der Vision der oikoumene,
der Einheit der Kirche und der ganzen bewohnten Erde. Weitreichende und
wachsende Ungerechtigkeit, Ausschluss und Zerstörung sind der Gegensatz zum
Teilen und zur Solidarität, die unabdingbar dazugehören, wenn wir Leib Christi
sein wollen. Was hier auf dem Spiel steht, ist die Qualität kirchlicher
Gemeinschaft, die Zukunft des Gemeinwohls der Gesellschaft sowie die
Glaubwürdigkeit des Bekenntnisses der Kirchen und ihrer Verkündigung Gottes,
der mit den Armen und für die Armen da ist.
·
Um
der Integrität ihrer Gemeinschaft und ihres Zeugnisses willen, sind Kirchen
aufgerufen, gegen die neoliberale Wirtschaftslehre und -praxis aufzutreten und
Gott zu folgen. Die Konsultationen, die bisher stattfanden, zeigen wachsende
Übereinstimmung darin, dass es Götzendienst gleichkommt, den globalen Markt
nach Maßgabe einer unhinterfragten neoliberalen Wirtschaftslehre auszugestalten,
weil dies zu Ausschluss, Gewalt und Tod führt. Diese Wirklichkeit, aber auch
die Möglichkeit zur Veränderung und von Alternativen, wurden sichtbar, als wir
von Geschichten derer, die unter den Auswirkungen der Umsetzung des
Neoliberalismus leiden, berichteten und auf den Brief und die Botschaften von
Schwestern und Brüdern aus dem Süden und aus Zentral- und Osteuropa hörten.
Fragen zur Weiterarbeit
Wir bitten Gemeinden und
Synoden unserer Kirchen die folgenden Fragen im Blick auf Positionen und
Praktiken der Kirchen selbst im fortlaufenden Prozess zu bedenken:
-
Was
bedeutet die Einheit der Kirchen als der eine Leib Christi, was bedeuten Taufe,
Abendmahl und Amt im Kontext der ökonomischen Globalisierung? Wie sprechen in
diesem Zusammenhang im Lauf des Kirchenjahres Bibellesungen und Liturgien zu
uns[1]?
-
Warum
machen unsere Kirchen die Armut zum Thema, zögern jedoch, sich mit Reichtum und
Wohlstand auseinanderzusetzen?
-
Wie
gehen unsere Kirchen mit ihrem eigenen Geld um, mit ihren Pensionskassen,
Investitionen und Immobilienbesitz? Sind Banken, mit denen unsere Kirchen
verbunden sind, verwickelt in Steuerflucht, in ethisch nicht verantwortbare
Investitionen, spekulative Praktiken sowie andere Aktivitäten, die die
Fähigkeit von Staaten untergraben, für das Gemeinwohl zu sorgen?
-
Ist
unsere Beobachtung korrekt, dass in vielen europäischen Ländern der Staat sich
mehr und mehr dem Konzept des freien Marktes unterworfen hat, indem er seine
historische Rolle als Wächter des Gemeinwohls und Verteidiger der Schwachen
reduziert hat?
-
Insoweit
wir als Kirchen mit unseren Sozial- und Gesundheitsdiensten in vom Wettbewerb
bestimmten Märkten eingebunden sind, realisieren wir unsere Fähigkeit, die
Marktbedingungen im Interesse des öffentlichen Wohl wie im Interesse unserer
Kirchen zu gestalten? Wie antworten wir auf die fortschreitende Privatisierung
öffentlicher und sozialer Güter und Dienstleistungen, die für das Leben
wesentlich sind wie Wasser, Gesundheitsdienste, Bildung etc.?
-
Welche
Form des Konsums und welchen Lebensstil praktizieren und fördern wir? Wie
können wir als Kirchen und individuelle Kirchenglieder das Bewusstsein für den
Klimawandel verstärken und für Umweltschutz arbeiten, indem wir, z.B.
sorgfältiger mit dem Energieverbrauch umgehen in unseren Kirchen, in Wohnhäusern,
im Transport etc.?
-
Wie
engagieren wir uns in der öffentlichen Debatte zur Wirtschaftspolitik und mit
Institutionen, die neoliberale ökonomische Praktiken fördern und umsetzen? Wie
bilden wir Bündnisse mit sozialen Bewegungen, die Regierungen aufrufen, für das
Gemeinwohl und für die Wiederherstellung gerechter und nachhaltiger politischer
und sozialer Rahmenbedingungen für wirtschaftliche Aktivitäten zu sorgen?
Konkrete Initiativen und gemeinsame Aktivitäten
Wir sind uns völlig bewusst
und begrüßen, dass Kirchen in unserer Region und auch die Konferenz
Europäischer Kirchen bereits Maßnahmen ergreifen. Wir bekräftigen insbesondere die Aussagen des Dokumentes der
Nord-Süd Arbeitsgruppe der Konferenz Europäischer Kirchen "Europäische
soziale Marktwirtschaft - eine alternatives Modell zur Globalisierung?” und
möchten die Ausrichtung auf die wichtigen fundamentalen menschlichen Werte
hervorheben, die in Kapitel 5 dieses Dokumentes genannt werden[2].
Wir sind dankbar für viele
konkrete Initiativen, die bereits auf nationaler, regionaler und globaler Ebene
existieren. Wir ermutigen unsere Kirchen zu beraten, wie die folgenden Beispiele
diese Arbeit weiter vorbringen können:
mit Bezug zur Schuldenfrage
·
Unterstützung
der Kirchen für die Anerkennung der historischen und sich gegenwärtig
aufhäufenden sozialen und ökologischen Schulden, die tatsächlich Menschen und
Ländern des Südens geschuldet werden - wie durch die Evangelische Kirche von
Schweden (Svenska Missionsförbundet), Jubilee South, Freunde der Erde und
Accion Ecologica (Ecuador);
·
Fortsetzung
der Anstrengungen zum Erlass von bi- und multilateralen Schulden der ärmsten
Entwicklungsländer und die Einrichtung eines Mechanismus zur
Schuldensschlichtung, um die Schuldenlast anderer Entwicklungsländer substantiell
zu verringern; die Nichtanerkennung illegitimer und moralisch verwerflicher
Schulden - so im Anschluss an die Strategie von Jubilee 2000 und Jubilee South;
mit Bezug zum Finanzsystem
·
Reform
der internationalen Finanzarchitektur, die eine angemessene Repräsentation
aller Entwicklungsländer wie der Zivilgesellschaft in Entscheidungsprozessen
sicherstellen sollte - wie durch die Begegnungen mit leitenden Repräsentanten
des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank als Initiative des
ÖRK;
·
einen
Mechanismus zur Abschreckung maßloser und destabilisierender Währungsspekulation
( wie eine effektive Steuer auf Finanztransaktionen, die Tobin Steuer) - wie
durch die Arbeit von ATTAC[3]
und ökumenischen Gruppen und Kirchen, die sie unterstützen;
·
eine
Untersuchung der Möglichkeit, Geld wie andere Waren zu behandeln und mit
Steuern zu belegen, da ja Währungen nicht länger Instrumente im Dienst der
Wirtschaft sind, sondern ihrerseits in Finanzmärkten gehandelt werden;
·
mehr
Kontrolle über die Geldpolitik und hinsichtlich der Märkte durch nationale und
regionale Zentralbanken; Entwicklung eines multilateralen Ansatzes zur
Definition gemeinsamer Standards für die Einschränkung der Möglichkeiten
transnationaler Konzerne und Investmentfonds zur Steuerhinterziehung;
·
multilaterale
Vereinbarungen, die es Staaten erlauben, transnationale Konzerne auf einer
global-einheitlichen Basis zu besteuern zusammen mit angemessenen Mechanismen,
die Steuereinnahmen international zuzuweisen;
·
eine
internationale Konvention, die Auffindung und Rückführung von Vermögen
ermöglicht, die illegal angeeignet wurden aus nationalen Finanzministerien von
Entwicklungsländern;
·
Aufstockung
offizieller Entwicklungshilfe und alternativer Fonds für Investitionen in
öffentliche Güter (Gesundheit, Bildung, sanitäre Einrichtungen, Wasser) und
grundlegende soziale Dienste - wie durch die Weiterarbeit am Folgeprozess des
Gipfels der Vereinten Nationen zur Entwicklungsfinanzierung durch das ökumenische
Team des ÖRK und kirchennahe Nichtregierungsorganisationen aus Süd und Nord
(z.b. Social Watch Bericht, Montevideo);
mit Bezug zur Geschäftswelt
·
rechtliche
Rahmenbestimmungen, die soziale und umweltbezogene Rechenschaftspflicht für
Unternehmen garantieren - wie durch eine Initiative der Evangelisch
Lutherischen Kirche in Kanada;
·
stärkere
Unterstützung von Kirchen für andere Formen, Geschäfte zu betreiben, mit
höheren sozialen Erträgen, die Idee einer ökologischen und sozialen Komponente
im Geschäftsleben - wie verwirklicht im
Fairen Handel, Oikocredit, der Gemeinschaftswirtschaft der Focolare Bewegung,
etc.
·
Beitritt
zur Bewegung für sozial verantwortliche Investitionen, ethisches Investieren
und ethisch-ökologische Fonds - wie den niederländischen Grünen Fond;
·
Förderung
der Einführung von Steuergutschriften als Instrument, Investitionen in grüne
Fonds und ethisch-soziale Fonds zu steigern, z.B. in der jüngeren Gesetzgebung
in den Niederlanden;
·
wachsende
Verantwortung der einzelnen Konsumenten hinsichtlich Gütern,
Finanztransaktionen, Dienstleistungen - wie dokumentiert in "Einkaufen für
eine bessere Welt”;
mit Bezug zur Europäischen Union
·
Förderung
ökumenischer Einrichtungen, die europäische Politik und europäische politische
Institutionen beobachten - so durch Unterstützung für die Initiativen der
Kommission für Kirche und Gesellschaft der KEK, die Kommission der Kirchen für
Migranten in Europa, der dem ÖRK verbundenen Entwicklungsdienste (APRODEV) und
Eurodiakonia;
·
Stärkung
der Politik für soziale Kohäsion und Inklusion in Europa, sowohl in der
Europäischen Union wie in anderen europäischen Ländern und engagierte
Auseinandersetzung mit der Debatte zur Globalisierung, z.B. mit dem Dokument
der Europäischen Kommission ‚Antworten auf die Herausforderungen der Globalisierung';
·
aufgeschlossenere
und stärker unterstützende politische Maßnahmen für Migranten, Flüchtlinge und
Asylsuchende und gegen Frauenhandel;
·
Begleitung
der EU Entwicklungspolitik; die EU und ihre einzelnen Mitgliedsstaaten sollten
ihre Verantwortung für die Beseitigung der Armut weltweit durch entschlossenes
Handeln zum Ausdruck bringen;
·
Unterstützung
der vielen Initiativen von Bewegungen und Nichtregierungsorganisationen, die
die Position der EU in Verhandlungen zum internationalen Handel und in den
Internationalen Finanzinstitutionen (Weltbank und Internationaler Währungsfond)
beobachten und kritisieren;
·
faire,
gerechte und schnelle Verhandlungen zur Aufnahme in die EU;
·
mehr
öffentliche Rechenschaftspflicht der Europäischen Investment Bank (EIB)und der
Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE) besonders
hinsichtlich ihrer Rolle in Zentral- und Osteuropa;
mit Bezug zu internationalen Organisationen und dem
System der Vereinten Nationen
·
öffentliche
Rechenschaftspflicht internationaler Institutionen im allgemeinen sowie eine
stärkere Aufsichtsfunktion von Regierungen für das Gemeinwohl;
·
größere
Gleichheit des Zuganges und mehr demokratische Beteiligung in der
Welthandelsorganisation (WTO), Förderung des fairen Handels, Priorität der
Beseitigung der Armut im Süden und Schutz der Rechte Einzelner und von
Gemeinschaften - wie durch das Third World Network (Malaysia) und das Globale
Ökumenische Aktionsbündnis (Ecumenical Advocacy Alliance, EAA);
·
Stop
der Verhandlungen zur Vereinbarung zu Handel und Dienstleistungen der WTO, die
Druck auf Stadtverwaltungen und Regierungen ausüben sogar noch stärker
grundlegende öffentliche Dienstleistungen zu privatisieren (z.B. Wasser,
Energie, Gesundheit);
·
Übereinstimmung
der Entscheidungen und Aktionen von Regierungen und Internationalen
Institutionen, insbesondere des IWF,
der Weltbank und der WTO mit den Menschenrechtsinstrumenten der
Vereinten Nationen, einschließlich der ökonomischen, sozialen und kulturellen
Rechte – wie gefordert von LWB, ÖRK, Brot für die Welt, Food First
Informations- und Aktions- Netzwerk (FIAN) und dem Evangelischen Entwicklungsdienst
(EED);
·
Absage,
sich einzulassen auf die Rechtfertigung von Kriegen, Militarisierung globaler
Politik und steigender Militärausgaben im Namen des "Krieges gegen den
Terrorismus" anstatt die vorhandenen Mittel zu benutzen, die Grundursachen
des Terrorismus durch soziale und wirtschaftliche Gerechtigkeit und durch
bessere internationale Zusammenarbeit im System der Vereinten Nationen zu
beseitigen;
·
Beschränkung
des Waffenhandels – wie durch die Kleinwaffenkampagne;
mit Bezug auf die Zivilgesellschaft
·
Unterstützung
der Kirchen für zivilgesellschaftliche Gruppen und Bewegungen, die von
Regierungen gehört und ernst genommen werden müssen, so dass wirklicher Dialog
möglich wird – so durch Beitritt zu Bewegungen wie ATTAC wie gerade geschehen
durch den Reformierten Bund in Deutschland;
·
einen
auf mehreren Ebenen zugleich aktiven Ansatz der Kirchen mit Basisbewegungen in
Lobbyarbeit und Netzwerkbildung auf lokaler, nationaler, regionaler und
internationaler Ebene – so durch die Stärkung der Zusammenarbeit mit und zwischen
kirchennahen Entwicklungsdiensten, Missionsgesellschaften, ÖRK, weltweiten
Kirchengemeinschaften und ihren Mitgliedskirchen und Partnern;
·
die
Einrichtung eines Wahrheitsforums – wie vorgeschlagen vom Argentinischen Bund
der Evangelischen Kirchen[4].
Diese Initiativen sind
konkrete Schritte für eine Gezeitenwende und die Überwindung neoliberaler
Globalisierung. Sie sind Beispiele für die Auseinandersetzung und die
Kommunikation zwischen ökonomischen, ethischen und theologischen Perspektiven
mit sich häufig antagonistisch gegenüberstehenden zugrundeliegenden Werten,
Sprachen und institutionellen Logiken. Oft erfordern sie hohe Sensitivität, um
eine konstruktive Begegnung zu ermöglichen. Kirchen können möglicherweise eine
herausragende Rolle dabei spielen, die Kommunikation zwischen oft einander
entfremdeten Weltanschauungen zu entwickeln.
Zum Schluss unseres Briefes
an die Leitungen und Mitglieder unserer eigenen Kirchen, möchten wir
wiederholen, was wir ebenfalls unseren Schwestern und Brüdern im Süden und in
Zentral- und Osteuropa schreiben.
Während wir an dem
ökumenischen Prozess teilnehmen, möchten wir uns selbst und einander ermutigen:
·
in
ökumenischen Prozessen zusammenzukommen, um uns selbst auf Grund unserer Glaubensüberzeugungen
ernsthafter zu verpflichten, uns tatkräftiger für Gerechtigkeit in der
Wirtschaft und auf der Erde einzusetzen;
·
die
zerstörende Gewalt des gegenwärtigen ökonomischen Systems zu analysieren und
uns frei heraus gegen die Ungerechtigkeiten der ökonomischen Globalisierung
auszusprechen;
·
nach
Alternativen zu suchen, indem wir dafür finanzielle und spirituelle Unterstützung
gewähren, und bereits existierende und neu entstehende ökonomische und soziale
Alternativen zu fördern wie Oikocredit, die Gemeinschaftswirtschaft der
Focolare Bewegung und freien Handel;
·
mit
Bürgerbewegungen und sozialen Bewegungen Hand in Hand zusammenzuarbeiten, um
gemeinsame Ziele weiter voranzutreiben;
·
die
Bildung von Netzwerken zu ermöglichen, um Solidarität zwischen den Kirchen des
Südens und den Kirchen Zentral- und Osteuropas zu fördern;
·
faire,
gerechte und schnelle Verhandlungen zur EU-Integration und die Anerkennung der
berechtigten Forderungen derer, die noch nicht in diesen Prozess aufgenommen
sind, zu fordern;
·
für
soziale Inklusion aller zu arbeiten, die von den negativen Auswirkungen von Wirtschafts-
und Sozialpolitik betroffen sind;
·
Selbstbegrenzung
und Einfachheit als Merkmale des Lebensstiles anzunehmen im Widerstand gegen
die herrschenden kulturellen Verhaltensmuster der Konsumideologie;
·
die
Einrichtung eines Wahrheitsforums zu fordern wie vom Argentinischen Bund der Evangelischen
Kirchen vorgeschlagen[5];
·
Wiedergutmachung
zu verlangen für Ungerechtigkeiten wie die illegitimen Schulden und unfaire
Handelsbedingungen.
Um gemeinsam vorwärtszugehen
in Richtung auf eine Wirtschaft im Dienst des Lebens müssen wir voneinander
lernen und uns wechselseitig an die Hoffnung erinnern, die uns eint: Christus
und sein Leben schenkendes Evangelium.
[1] Der RWB veranstaltete eine Konsultation zu
Bibellesungen und Liturgien im July 2001 in Basel. Kairos Europa erstellte eine
Publikation mit hilfreichem Material.
[2] Werte der Würde, Gerechtigkeit, Freiheit, des
Friedens, der Nachhaltigkeit, Verantwortung, Solidarität und Subsidiarität
[3] Attac – die französische Abkürzung für "Vereinigung zur Besteuerung von Finanztransaktionen im Interesse der BürgerInnen” (Association pour une Taxation des Transactions financières pour l'Aide aux Citoyens
– wurde 1998 in Frankreich gegründet und hat nun über 80'000 Mitglieder weltweit. Es ist ein internationales Netzwerk von nationalen und lokalen Gruppen in 33 Ländern. Es tritt ein für die Idee einer internationalen Steuer auf Währungsspekulationen (Tobin Steuer) und Kampagnen Steueroasen illegal zu erklären, Pensionsfonds mit Staatspensionen zu ersetzen, die Schulden der 3. Welt zu erlassen, die Welthandelsorganisation zu reformieren oder aufzulösen und, genereller, den demokratischen Raum, der an die Finanzwelt verlorengegangen ist, wiederzuerobern.
[4] Vgl. In Memory of an encounter. Final document on the Ecumenical
Round Table on the situation in Argentina. In diesem Schlussdokument des ökumenischen runden Tisches zur Situation in
Argentinien schlagen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer vor: "1.1.1.3.
fördert die Schaffung eines permanenten Wahrheitsforums unter signifikanter
sozialer, ökumenischer und interreligiöser Beteiligung zusammen mit für
Menschenrechte und Gerechtigkeit arbeitenden Organisationen von und mit den
Kirchen des Nordens. Ziel ist es, das Verständnis zur Frage der
Auslandsschulden und der Bedingungen, die unseren Gesellschaften auferlegt
werden, in Gesellschaft und Regierung zu beeinflussen.”
[5] Vgl. Die vorige Anmerkung.