Landessynode 2005

 

 

"Jesus Christus spricht:
Ich habe für dich gebeten,
dass dein Glaube nicht aufhöre."

(Lukas 22,32a)

 

 

 

 

 

BERICHT

ÜBER DIE FÜR DIE KIRCHE

BEDEUTSAMEN EREIGNISSE

 

der Landessynode

gemäß Artikel 139 der Kirchenordnung

erstattet von

 

Präses Nikolaus Schneider

 

 

 

 

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Sperrfrist: 10. Januar 2005, 13.00 Uhr

(Es gilt das gesprochene Wort.)
Gliederung

 

Gedanken zur Jahreslosung

1.     Jesus Christus ist unser Stellvertreter vor Gott und tritt ein für unseren Glauben.

1.1        Notwendigkeit persönlicher Frömmigkeit

1.2        Bedeutung theologischer Arbeit und Ausbildung

1.3  Unverwechselbarer Beitrag der christlichen Kirche im Dialog mit dem Judentum

1.4        Notwendiger Beitrag der christlichen Kirche im Dialog mit dem Islam

2.     Jesus Christus ist unser Stellvertreter vor Gott, damit wir eintreten für die Schwestern und Brüder

2.1   Einsatz für unsere Schwestern und Brüder in der Evangelischen Kirche im Rheinland

2.2  Strukturfragen in der Evangelischen Kirche im Rheinland

2.3   Einsatz der Evangelischen Kirche im Rheinland für die EKD und die UEK

2.4   Einsatz der Evangelischen Kirche im Rheinland für die Ökumene

2.5  Gemeinschaft mit Schwestern und Brüdern der anderen christlichen Konfessionen

3.     Jesus Christus ist unser Stellvertreter vor Gott, damit wir als seine Kirche eintreten für alle Welt

3.1   Einsatz für soziale Gerechtigkeit

3.2   Einsatz für Frieden

3.3   Einsatz für Bewahrung der Schöpfung

3.4   Einsatz für Integration

3.5   Einsatz für Bildung und Erziehung

3.6   Einsatz für Menschenwürde

Schlussbemerkung


Bericht des Präses

über die für die Kirche bedeutsamen Ereignisse

 

 

Hohe Synode,

verehrte Gäste,

liebe Schwestern und Brüder!

 

Gedanken zur Jahreslosung 2005

"Ich habe für dich gebeten, dass dein Glaube nicht aufhöre." (Lukas 22,32a)

 

Jesus Christus tritt ein für unseren Glauben, damit wir im Vertrauen auf Gottes Wort eintreten für unsere Schwestern und Brüder, damit wir als Kirche Jesu Christi eintreten für alle Welt.

 

Das Eintreten Jesu Christi im Gebet vor Gott für die Beständigkeit des Glaubens von Simon Petrus ist eine wesentliche Form seines stellvertretenden Lebens auf der Erde. Die Stellvertretung Jesu Christi für uns Menschen geschieht in zweierlei Bewegungen: zum einen tritt Jesus Christus selbst für die Schwachheit und das Versagen seiner Jüngerinnen und Jünger, seiner Nachfolgerinnen und Nachfolger vor Gott immer wieder ein. Versöhnung und Friede mit Gott durch diesen 'Gott-mit-uns', diesen Immanuel sind auf diese Weise ermöglicht worden. Zum anderen eröffnet er für unsere menschliche Existenz ein 'Wir-mit-Gott' , das heißt ein am Wort und Willen Gottes verantwortlich gestaltetes menschliches Denken, Handeln und Leben. Diese beiden Bewegungen der Gnade und Liebe Gottes schenken eine der menschlichen Existenz aus sich heraus unmögliche Gerechtigkeit vor Gott und Teilhabe an bzw. Hoffnung auf das Reich Gottes. Gnade und Liebe Gottes in Jesus Christus bringt Glaube notwendig auch in Form persönlicher Frömmigkeit des einzelnen Menschen hervor und bewirkt seine Glaubensgewissheit.

 

Jesus Christus selbst verbindet seine Stellvertretung für uns vor Gott mit dem Auftrag an uns: Stärkt eure Schwestern und Brüder!

 

Jesus Christus spricht uns so an: 'wenn euer Glaube stark und lebendig ist durch mein Eintreten für euch, dann maßt euch nicht die anklagende, versuchende und verurteilende Rolle des Satans an. Sondern: wie ich eingetreten bin für euch und euren Glauben, so tretet ein für den Glauben eurer Mitchristen und Mitchristinnen und für das Wohl und das Heil der Welt.'

 

Jesus Christus tritt ein für unseren Glauben, damit wir im Vertrauen auf Gottes Wort eintreten für unsere Schwestern und Brüder, damit wir als Kirche Jesu Christi eintreten für alle Welt.

 

Mit dem Kapitel 22 beginnt Lukas seinen Bericht vom Leiden, Sterben und Auferstehen Jesu Christi (Kap 22,1 – 24,53): Die politisch Verantwortlichen trachten danach, Jesus zu töten. Judas vollzieht den Verrat an Jesus (Kap 22,1-6) und feiert anschließend mit den anderen Jüngern gemeinsam mit Jesus das Passahmahl. Dabei deutet Jesus – anknüpfend an die Funktion des Passahlammes – sein kommendes Leiden und Sterben als Versöhnungshandeln Gottes für uns Menschen: "Das ist mein Leib, der für euch gegeben wird …, das ist der neue Bund in meinem Blut, das für euch vergossen wird" (22,7-21).

 

Im anschließenden Gespräch über Rangordnungen und Machtpositionen in der jesuanischen Gemeinschaft verweist Jesus auf die dem Gottesreich entsprechende Funktion des Dienens: "Der Größte unter euch soll sein wie der Jüngste und der Vornehmste wie ein Diener. … Ich aber bin unter euch wie ein Diener." (22,24-27).

 

Jesus will den Jüngern, seinen Nachfolgern, das Reich Gottes zueignen, so wie es ihm von Gott, dem Vater, zugeeignet wurde (22,29).

 

Während Satan in der Rolle des Anklägers uns das Reich Gottes streitig zu machen sucht, tritt Jesus betend ein für unseren schwachen Glauben. Jesus tritt stellvertretend ein für unsere Gerechtigkeit vor Gott, für unser Zutrauen in unsere Gotteskindschaft, für unsere Teilhabe am Reich Gottes: "Simon, Simon, siehe der Satan hat begehrt, euch zu sieben wie Weizen. Ich aber habe für dich gebeten, dass dein Glaube nicht aufhöre."

 

Und noch in demselben Vers fährt Jesus fort: 'Wenn du, Simon Petrus dann wieder zurückfindest aus deinen Ängsten, deinem Zweifel, deiner Anfechtung, wenn du dich wieder "bekehrst" zu Glaube und Vertrauen dann stärke deine Brüder' (22,31 und 32)

 

1.     Jesus Christus ist unser Stellvertreter vor Gott und tritt ein für unseren Glauben

"Jesus Christus für uns heißt: Jesus Christus ist als dieser eine wahre Mensch in der Autorität, Vollmacht und Kompetenz des einen wahren Gottes   a n  u n s e r e, an vieler Menschen  S t e l l e  getreten, um daselbst in Sachen unserer Versöhnung mit Gott und also zu unserer Errettung und zu unserem Heil ohne unsere Mitwirkung, in unserer Vertretung, in unserem Namen und so gültig und kräftig für uns zu handeln." (Karl Barth, Kirchliche Dogmatik, IV 1, S. 252)

 

Das ist die durch das Evangelium bewirkte und befreiende reformatorische Erkenntnis und das unserem Denken, Planen und Handeln vorlaufende Zeugnis des Evangeliums:

 

Menschen erarbeiten und verdienen nicht durch eigene Leistung – weder ethischer noch spiritueller noch intellektueller Art - die Liebe und das Reich Gottes.

 

Menschen sind geliebt von Gott vom Mutterleib an.

 

Menschen sind im Leben, Leiden und Sterben Jesu Christi gerechtfertigt ohne eigenen Verdienst oder eigene Würde – wenn sie sich durch ihn mit Gott versöhnen lassen.

 

Das stellvertretende Gebet und Handeln Jesu für die Menschen macht sie aber nicht zu verantwortungslosen Marionetten, sondern ermöglicht und fordert Glaubensantworten "im Beten und Tun des Gerechten", wie Dietrich Bonhoeffer formulierte.

 

1.1        Notwendigkeit persönlicher Frömmigkeit

'Die Botschaft von der in Jesus Christus erschienenen freien Gnade Gottes auszurichten an alles Volk' ist Berufung von allen Christinnen und Christen und Beruf der Theologinnen und Theologen.

 

Die Stellvertretung Jesu Christi für die Menschen ist ein Grundthema der Predigten und der gottesdienstlichen Liturgie sowie der Gesangbuchlieder.

 

Nur zu oft wird – aus sehr unterschiedlichen Gründen – vergessen oder vermieden, anderen Rechenschaft zu geben über die ganz persönliche Ausrichtung des eigenen Glaubens auf Jesus Christus hin, über persönliche Glaubenszweifel und Glaubensgewissheiten, über die persönliche Spiritualität. Ich sagen in Glaubensdingen, das eigene Verhältnis zu Jesus Christus thematisieren, erscheint vielen als für die Offenlegung Dritten gegenüber nicht geeignet.

 

Ich will hier nicht einem aufdringlichen ‚Hausieren' mit persönlichen Bekehrungserlebnissen das Wort reden oder einer sektiererischen, aggressiven Mission.

 

Aber ich will Mut dazu machen, in Gesprächen über Glaubensfragen und in der Verkündigung wieder 'Ich' zu sagen. Analog zum Liebesgebot Christi 'Liebe deinen Nächsten wie dich selbst' gilt für Christinnen und Christen auch ein Glaubensgebot: 'Wecke und stärke den Glauben deiner Nächsten wie deinen eigenen.'

 

Die Rede von persönlicher Frömmigkeit zielt darauf, dass Glaube etwas anderes und mehr ist als eine religiöse Ansicht oder Meinung. Glaube ist die kraftvolle Gegenwart Jesu Christi in unserem Leben. Glaube ist ein Existenzvollzug, Prägung unserer Persönlichkeit und Ausdruck unserer Lebendigkeit. All' das bedarf der Form und der Pflege – und natürlich auch der theologischen Reflexion.

 

Darüber hinaus werden wir ohne die Pflege der persönlichen Frömmigkeit, ohne die Stärkung eigener Spiritualität in unserer Arbeit und in unserem Engagement für unsere Kirche ausbrennen.

 

Darum sind z.B. die Arbeit des Pastoralkollegs und des 'Hauses der Stille' unverzichtbar: hier finden Christinnen und Christen, Pfarrerinnen und Pfarrer einen Ort, um eine Auszeit aus ihrem Alltag zu nehmen und ganz persönliche Betreuung zur Pflege ihrer Spiritualität zu finden.

 

Darum sind Veranstaltungen wie das 'Missionale' so wichtig: sie halten in unserer großen und unterschiedlich geprägten Volkskirche die Frage nach unserer persönlichen Gottesbindung und unserem persönlichen Glaubenszeugnis wach und bieten Einübungen und Ermutigungen für viele Christenmenschen auch über die Grenzen unserer rheinischen Kirche hinaus an.

 

Darum war auch im letzten Jahr die intensive Diskussion in der kirchlichen und säkularen Presse über den Film 'Die Passion Christi' so wichtig: er forderte kirchlich und theologisch engagierte Menschen neu heraus darüber nachzudenken, was Jesu Christi stellvertretendes Leiden und Sterben für uns und unseren Glauben bedeuten und wie darüber in angemessener Weise zu reden bzw. ein Film zu drehen ist.

 

1.2        Bedeutung theologischer Arbeit und Ausbildung

Eine dualistische Trennung von 'Glauben' und 'Denken', von 'Herz' und 'Kopf' steht in der Gefahr, Frömmigkeit zu Fundamentalismus pervertieren zu lassen. Glaube und Theologie fordern den ganzen Menschen mit allen Sinnen, deshalb sind theologische Arbeit und Ausbildung grundlegend für unsere Kirche.

 

Nach wie vor entscheiden sich junge Menschen für das Studium der evangelischen Theologie.

 

Am 1. Oktober 2004 waren 217 Studentinnen und Studenten in der Liste der rheinischen Theologiestudierenden gemeldet. Dies waren 10 % weniger als ein Jahr zuvor (241) und weniger als ein Siebtel des Höchststandes von 1986 mit 1.680 Studierenden.

 

Die Landessynode hat sich mit der rückläufigen Entwicklung der Studierendenzahlen schon auseinandergesetzt und die Kirchenleitung aufgefordert, für das Theologiestudium zu werben. Das ist auch geschehen, und es bleibt abzuwarten, wie sich diese Maßnahmen auswirken werden. Gegenwärtig ist jedoch zu berücksichtigen, dass sich unsere Kirche weiterhin in der schwierigen Situation befindet, in den nächsten Jahren eine erhebliche Zahl von Theologinnen und Theologen leider nicht in den Dienst übernehmen zu können. Angesichts der weiter zu erwartenden Aufhebung von Pfarrstellen wegen der zurückgehenden Gemeindegliederzahl und der hohen Zahl der Pfarrerinnen und Pfarrer im Wartestand wird sich in den nächsten sechs Jahren die Situation für unseren theologischen Nachwuchs nicht entspannen.

 

Für die weitere Entwicklung unserer theologischen Arbeit und Ausbildung wird auch entscheidend sein, welche positiven Impulse vom Theologischen Zentrum Wuppertal (ThZW) ausgehen werden. Inzwischen sind alle Einrichtungen auf dem "Heiligen Berg" angekommen. Die Umsetzung der Reformüberlegungen läuft gut an. Einige der anvisierten Kooperationen und Projekte sind bereits realisiert worden. Eine gemeinsame Verwaltung wurde eingerichtet und hat ihre Arbeit aufgenommen.

 

Der Runde Tisch tagt seit Februar. Die Leitenden der Einrichtungen informieren sich gegenseitig über ihre Arbeitsbereiche, entwickeln Ideen zur Kooperation und bieten 'Exportmodule' für die jeweiligen anderen Bereiche an. Das Konzept der 'Synapsenbildung' zwischen autonomen Einrichtungen bewährt sich dabei sehr. So führt beispielsweise das Amt für Gemeindeentwicklung und missionarische Dienste (GMD) einen Kurs im Pastoralkolleg durch zum Thema 'Spirituelles Gemeindemanagement', in dem geistliche und betriebswirtschaftliche Gesichtspunkte des Gemeindeaufbaus aufeinander bezogen werden, der Sektenbeauftragte hat Fortbildungskurse zu aktuellen Entwicklungen angeboten, KiHo-Professoren beteiligen sich an Fortbildungskursen u.v.m.

 

Am 25.6.04 hat Bischof Huber das ThZW besucht. Er zeigte sich beeindruckt von der Gesamtkonzeption und bezeichnete das ThZW als zukunftsfähiges Modell für die EKD.

 

Kirchliche Hochschule (KiHo), Amt für Gemeindeentwicklung und missionarische Dienste (GMD), Predigerseminar, Pastoralkolleg, Ökumenische Werkstatt und Amt für Gemeindeberatung/Organisationsentwicklung loten zurzeit die Möglichkeiten eines kostenneutralen Instituts für Gemeindeaufbau und Kybernetik aus, das einen wichtigen Beitrag zur besseren Aus- und Fortbildung in Gemeindeaufbau leisten könnte. Außerdem wäre es ein konkreter Schritt zur Realisierung des 'AUF-SENDUNG-Prozesses'. Der Beirat der Gemeindeberatung/Organisationsentwicklung würde ein solches Projekt unterstützen. Ebenfalls wird die Zusammenarbeit mit dem Institut für Gemeindeaufbau in Greifswald angestrebt.

 

Es sei aber ausdrücklich darauf hingewiesen, dass eine endgültige Umsetzung dieses Reformkonzeptes erst erfolgen kann, wenn

a)     die Standortfrage der Kirchlichen Hochschule (KiHo) dauerhaft geklärt

und

b)     die Frage nach Bachelor- und Masterabschlüssen für den Pfarramtsstudiengang

EKD-weit entschieden ist.

 

Eine weitere Chance des Standortes Wuppertal wird in Zukunft sein, dass Theologen und Nichttheologinnen bei Fortbildungsveranstaltungen oder bei anderer Gelegenheit gemeinsam theologisch arbeiten werden. Die Kirche als 'Gemeinschaft von (Schwestern) und Brüdern' wird auf diese Weise in Aus- und Fortbildung konkret erfahrbar – und das ist ein besonderes Anliegen unserer Kirche.

 

Auf der Ebene der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) sieht die Kirchenkonferenz die Kirchlichen Hochschulen grundsätzlich als gesamtkirchliche Aufgabe an und hat 1,6 Mill. € Umlagezuschuss für grundsätzlich zwei KiHo's, also Bethel/Wuppertal und Neuendettelsau beschlossen.

 

Die Verhandlungen zwischen der Evangelischen Kirche im Rheinland (EKiR) und der Evangelischen Kirche von Westfalen (EKvW) über die KiHo's sind noch nicht abgeschlossen. Nach einigen Irritationen sind sich beide Kirchenleitungen aber einig, dass eine KiHo mit einer Außenstelle entstehen soll, welche diakonische Aus- und Fortbildung, insbesondere postgraduierte Weiterbildung anbietet. Ein entsprechender Fusionsvertrag wird zurzeit verhandelt. Wir gehen davon aus, der Synode im Jahre 2006 von einem Ergebnis berichten zu können.

 

Unsere bundesrepublikanische Gesellschaft und ihre Politik erkennen zunehmend, dass für ein solidarisches und gemeinschaftsförderliches Zusammenleben in unserem Staat eine Rückbesinnung auf und eine Rückbindung an christliche Werte und Traditionen hilfreich ist. Von allen Parteien wird eine neue Wertedebatte angestoßen und gefordert. Die evangelisch-theologischen Fakultäten an den staatlichen Universitäten Bonn und Mainz sowie alle evangelisch-theologischen Fachbereiche an Universitäten im Bereich unserer Kirche, die Lehrerinnen und Lehrer ausbilden, leisten unverzichtbare Dienste für diesen Diskurs. Sie tun dies zunächst durch ihre eigene sachgerechte Arbeit, aber auch durch fächerübergreifende Forschung und Lehre an den jeweiligen Hochschulen. Das Angebot theologischer Lehrmodule für die Ausbildung in anderen Fächern ist eine weitere Form theologischer Dienstleistung für die Wertebildung der gesamten Gesellschaft, die zudem die Verankerung theologischer Fakultäten und Fachbereiche an den Universitäten festigt.

 

Grundlage für unser theologisches Arbeiten und Denken war und ist die Heilige Schrift. Sie ist das unverwechselbare Zeugnis des Wortes Gottes und seines Willens für alle christlichen Kirchen. Allerdings ist die Bindung an die Heilige Schrift  nicht zu verwechseln mit einem unkritischen Buchstabenglauben. Christinnen und Christen bekennen Jesus Christus als das lebendige Wort Gottes, der uns in den tradierten und zeitbedingten Glaubenszeugnissen der Bibel verbindlich begegnet. Glaube und Theologie waren und sind immer auch mit dem 'Zeitgeist' ihrer jeweiligen Epoche verbunden. Deshalb ist Wissenschaftliche, methodisch verantwortete Theologie zum Umgang mit der Heiligen Schrift für unsere Kirche unabdingbar.

 

Wissenschaftliche und zeitbezogene Theologie sind gerade keine Verdunkelung des Wortes Gottes, sondern seine notwendige Konkretion und gleichzeitig Zeugnis der Gegenwärtigkeit des Heiligen Geistes.

 

Für die theologische Arbeit und Ausbildung in unserer Kirche hat neben dieser grundlegenden Bindung an die Heilige Schrift auch der Bezug auf die Bekenntnisschriften der Reformation als normae normatae und auf deren Neubezeugung, die 'Barmer Theologische Erklärung', wesentliche Bedeutung. Unsere theologische Arbeit zu den Fragen der Kirchenzucht ist Ausdruck dieser Überzeugung.

 

Der Beschluss Nr. 34 der Landessynode 2004 "Eingeladen sind alle. Warum die Kirche nicht vom Mahl des Herrn ausschließen darf." hat für ein vielfältiges Echo und eine Vielzahl von Reaktionen aus der EKD und ihren Gliedkirchen wie aus Kirchen der 'Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen' (ACK) gesorgt.

 

Das große Interesse zeigt sich auch in der Reaktion auf die Einladung zu einem Symposion am 24. Mai 2004: knapp 90 Vertreterinnen und Vertreter aus der EKD, dem Reformierten Bund, der Union Evangelischer Kirchen in der EKD (UEK), der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) versammelten sich zu einem Lehrgespräch.

 

Drei Referate erläuterten und beleuchteten den systematisch-theologischen, den neutestamentlichen und den kirchengeschichtlichen Hintergrund des Synodenbeschlusses. (vgl. EPD-Dokumentation Nr. 44/2004)

 

Bereits während des Symposions wurden erste kritische Rückfragen gestellt. Inzwischen liegt eine Reihe von Voten aus unserer Landeskirche und aus Gliedkirchen der EKD vor. Die Kammer für Theologie der EKD hat eine Stellungnahme erarbeitet, der der Rat der EKD am 10.12.2004 im Grundsatz zugestimmt hat.

 

Während fast alle Reaktionen aus bislang 20 Presbyterien, Kreissynoden und Kreissynodalvorständen unserer Landeskirche (Stand 10. Dezember 2004) dem Beschluss zustimmen und positiv bewerten, dass er auch zu einer neuen Diskussion über das Mahl des Herrn motivierte, sind die Rückmeldungen aus der EKD durchweg kritisch.

 

Ich nenne einige Kritikpunkte aus den Reaktionen, ohne sie zu bewerten:

 

Die Zeugnisse von der Tischgemeinschaft Jesu mit Zöllnern und Sündern vor seinem letzten Mahl mit dem Jüngerkreis dürfen nicht unreflektiert als Abendmahlstexte im engeren Sinn gelesen werden.

 

Neutestamentliche Belege zum Thema "Kirchenzucht" werden verharmlosend und ihre Härte verschleiernd interpretiert.

 

Für die neutestamentlichen Zeugen wäre es unvorstellbar, dass es für die Teilnahme am Mahl des Herrn keine anderen Bedingungen geben könne als für den Empfang der Vergebung der Sünden im Hören der Predigt.

 

Der für das Abendmahl zentrale Gesichtspunkt der Christusgemeinschaft wird im Aspekt der Vergebung nicht zur Geltung gebracht.

 

Der im Beschluss zum Vorschein kommende Dualismus zwischen Botschaft und Ordnung ist mit den Aussagen der 3. Barmer These nicht vereinbar.

 

Mit dem vorliegenden Synodalbeschluss steht die Evangelische Kirche im Rheinland in der Gefahr, sich in der eigenen Bekenntnisgemeinschaft und in der Ökumene zu isolieren.

 

Neben kritischen Rückfragen resultiert aus der Auseinandersetzung mit unserem Synodalbeschluss die Anregung der Kammer für Theologie, die Kirchen der EKD sollten sich für die Zukunft auf ein vorlaufendes gemeinsames Konsultationsverfahren in bekenntnisrelevanten Fragen verständigen.

 

Wir hören die Anregungen und die kritischen Stimmen, nehmen sie ernst und werden sie im Rahmen der Lehrgespräche berücksichtigen. Der Ständige Theologische Ausschuss wird bis zu den Sommerferien dieses Jahres auf Grund der kritischen Voten die Vorlage zu Abendmahl und Kirchenzucht überprüfen und ihre Aussagen präzisieren, korrigieren und auch bestätigen.

 

Im September wird dann die innerprotestantische Diskussion fortgesetzt; im Spätherbst sollen Gespräche mit ACK-Kirchen folgen. Die Ergebnisse der Diskussion werden in einer Vorlage zusammengefasst, die nach den Beratungen in den Ständigen Ausschüssen der Landessynode 2007 vorgelegt wird.

 

Ich bin mir sicher, dass für den gesamten Diskussionsprozess dann gesagt werden kann, was der Rat der EKD für die bereits geführten Gespräche "dankbar zur Kenntnis (nimmt), (nämlich) dass das Bemühen um Klärung der mit dem Beschluss der Landessynode der Evangelischen Kirche im Rheinland "Eingeladen sind alle" verbundenen Frage auf allen Seiten mit großer theologischer Intensität und Ernsthaftigkeit erfolgt" (Beschluss des Rates der EKD vom 10.12.2004).

 

Im vergangenen Jahr jährte sich die Verabschiedung der 'Barmer Theologischen Erklärung' zum 70. Mal.

 

Der (damals noch) Kirchenkreis Barmen hat aus diesem Anlass Gedenkveranstaltungen zum Teil unter Beteiligung der benachbarten jüdischen Gemeinde und Synagoge organisiert. Die enge Nachbarschaft zur und die alltäglichen Gemeinsamkeiten mit der Synagoge verleihen der 1934 nicht formulierten 7. These vom zu verwerfenden Antisemitismus sicht- und erfahrbar Ausdruck.

 

Die Aktualität dieser Bekenntnisformulierungen und die Bedeutung der Barmer Synode von 1934 zeigte sich daran, dass sowohl die Hauptversammlung des Reformierten Bundes in diesem Jahr wie auch die Jahresversammlung des Evangelischen Arbeitskreises der CDU–NRW in der Gemarker Kirche stattfanden.

 

Auf beiden Veranstaltungen habe ich referiert.

 

Die Zentralität der Thesen: Jesus Christus ist das eine Wort Gottes, die bleibende Wegweisung der Aussagen zum Verständnis der Kirche, Gemeinschaft von Brüdern(und Schwestern), keine Über-/Unterordnung, allen anvertrauter Dienst, zur Aufgabe des Staates, unter Androhung und Ausübung für Recht und Frieden sorgen und zur Aufgabe der Kirche, die Botschaft von der freien Gnade Gottes ausrichten an alles Volk, entfalten auch heute in Kirche und Gesellschaft hinein orientierende Kraft. Kirche und Gesellschaft fragen nach und benötigen Theologie! (s. Anlage 1)

 

Drei herausragende Persönlichkeiten unserer Kirche, die die Barmer Theologische Erklärung als Grundlage ihres Dienstes in der Bekennenden Kirche verstanden, sind von der Gedenkstätte ‚Yad Va Schem' in Jerusalem als ‚Gerechte der Völker' geehrt worden. Das Pfarrerehepaar Käthe und Johannes Böttcher und der erste Präses unserer Kirche, Heinrich Held versteckten in der Essen-Rüttenscheider Kirche und später im Pfarrhaus Jüdinnen und Juden, die so der Vernichtung entkamen. In einer bewegenden Gedenkfeier in der Alten Synagoge in Essen wurden den Familienmitgliedern die Urkunden übergeben und die Ausgezeichneten durch mehrere Ansprachen geehrt. Hier zeigte sich, welche im Sinn des Wortes lebensbewahrende Kraft rechte Theologie entfalten kann.

 

1.3    Unverwechselbarer Beitrag der christlichen Kirchen im Dialog mit den Judentum

Unsere diesjährige Synode steht wesentlich unter dem Gedenken und Bedenken des Synodalbeschlusses von 1980 'Zur Erneuerung des Verhältnisses von Christen und Juden'.

 

Dieser Synodalbeschluss markiert über die Grenzen der Evangelischen Kirche im Rheinland hinaus einen Meilenstein christlicher Hermeneutik: die Identität unserer Kirche und unser Verständnis der biblischen Botschaft werden gebunden an die Erwählungs- und Verheißungsgeschichte Israels.

 

Christlicher Glaube kann nicht ohne, vor allem aber nicht gegen diese Geschichte gedacht und gelebt werden.

 

Wie Sie dem Rückblick in der Vorlage 'Zur Erneuerung des Verhältnisses von Christen und Juden – Würdigung des Beschlusses und der Thesen der Landessynode von 1980 nach 25 Jahren' entnehmen können, sind wir mit unserem Beschluss von 1980 in eine große ökumenische Gemeinschaft hineingewachsen: über die EKD hinaus in die Gemeinschaft Protestantischer Kirchen in Europa (Leuenberger Kirchengemeinschaft), in die Römisch Katholische Kirche und sogar in jüdische Gemeinden hinein und zu Vertreterinnen und Vertretern des Rabbinats. Der Prozess der Erneuerung des Verhältnisses von Christen und Juden ist auch ein wichtiger Prozess der Erneuerung der Beziehungen innerhalb der christlichen Ökumene.

 

Dies wird nicht nur auf den Kirchentagen und in gemeinsamen Kommissionen deutlich, sondern in diesem Jahr z.B. auch dadurch, dass ich im Oktober dieses Jahres von der Diözese Aachen eingeladen bin, auf einer großen Gedenkveranstaltung zur Erklärung des 2. Vatikanischen Konzils "Nostra Aetate" vor 40 Jahren zu sprechen. Kurz danach werden wir Gelegenheit haben, katholische Vertreter auf unserem Symposion "Gemeinsame Bibel – Gemeinsame Sendung, 25 Jahre Rheinischer Synodalbeschluss..." zu begrüßen. Das Programm finden Sie auf Ihren Tischen.

 

Den Vätern und Müttern dieses Beschlusses und uns heute geht es dabei nicht um die Aufgabe oder Verwässerung eigener christlicher Glaubensgrundlagen, sondern um ein an der ganzen Heiligen Schrift orientiertes Verständnis eben dieser Grundlagen. Die leider zu lange in der neutestamentlichen Exegese dominierende Regel, nur was weder aus jüdischer noch aus hellenistischer Tradition erklärt werden könne, sei ‚echtes' Wort Jesu, hat uns theologisch in eine Sackgasse geführt und war ein Baustein für christlichen Antijudaismus.

 

Dankbar nehme ich den reichen Schatz neuer theologischer Erkenntnisse auf, nicht nur unser Verhältnis zum Judentum in Geschichte und Gegenwart betreffend, sondern unser trinitarisches Reden von Gott, unser Verständnis von Verheißung und Erfüllung, Versöhnung und Erlösung, von Anthropologie und Ethik, von Evangelium und Gebot, vom Verhältnis von Kirche und Staat.

 

Gleichzeitig sehe ich auch den vorsichtigen Beginn einer kritischen Befragung der Folgen frühchristlicher Theologiebildung, die die Grundlagen des christlichen Glaubens mit Hilfe der Kategorien griechischer Philosophie ausgearbeitet haben.

 

Als ein Baustein für christlichen Antijudaismus oder Antisemitismus kann eine solidarisch-kritische Auseinandersetzung mit der Politik der gegenwärtigen Regierung Israels und dem Israel-Palästina-Konflikt nicht gewertet werden. Kirchenleitung, Dezernat und die Studienstelle 'Christen und Juden' bemühen sich um sachgemäße Gespräche mit Vertretern der Konfliktparteien.

 

Wir haben das im Juni des vergangenen Jahres zum Beispiel im FFFZ ein ganzes Wochenende lang mit Christen, Juden und Muslimen aus Israel und Palästina getan. Wir unterstützen durch 'Nes Ammim' und 'Aktion Sühnezeichen Friedensdienste', durch das 'Leo-Baeck-College' und durch das 'Neve Schalom' Schulzentrum Dialogprogramme in Israel. Wir fördern Begegnungsprogramme der Evangelisch- Lutherischen Kirche in Jordanien und Palästina. Wir unterstützen 'Studium in Israel' und 'Interfaith Association', wo Menschen mit der Realität der verschiedenen am Konflikt Beteiligten konfrontiert werden und sich ein eigenes Urteil bilden können. Es gibt Mitglieder unserer Kirche, die durch 'Amnesty-international' an die Regierung Israels appellieren, Völkerrecht und Menschenrechte einzuhalten. Zurzeit arbeitet ein Pfarrer z.A. im Begegnungszentrum "Abrahams Herberge" in Beit Jala.

 

Auch seitens der EKD werden Gespräche geführt. Sie sollten institutionalisiert und intensiviert werden. Vermeiden möchten wir eine politische Schelte, die einen gerechten Frieden und die Selbstbestimmung Palästinas keinen Schritt näher rückt, uns selbst zu nichts verpflichtet und die Möglichkeiten der "politischen Seelsorge" zerstört.

 

Unsere eigenen christlichen Glaubensvorstellungen und Glaubensaussagen, die wir als unverwechselbaren Beitrag in den Dialog mit Menschen jüdischen Glaubens einbringen, bündeln sich im 2. Artikel des Apostolikums:

 

Jesus Christus ist Gottes einziger durch seinen Geist gezeugter Sohn.

 

Jesus Christus hat mit seinem Leben, Leiden und Sterben den 'Heiden' – also auch uns – einen Weg in die Erwählungs- und Verheißungsgeschichte Gottes hinein eröffnet.

 

Der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, der Gott des Volkes Israel wird durch Jesus Christus und in Jesus Christus für alle Menschen zu Gott, dem Vater.

 

Gott selbst hat Jesus Christus erhöht und ihm einen Namen gegeben, der über alle Namen ist.

 

Jesus Christus, auferstanden von den Toten und aufgefahren in den Himmel, sitzt zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters und wird uns am Ende der Zeiten als Richter und Retter entgegenkommen.

 

Jesus Christus ist unser Stellvertreter vor Gott, der eintritt für unseren Glauben, für unsere Gerechtigkeit vor Gott und für unsere Teilhabe am Reich Gottes.

 

Zum Schluss dieser Bemerkungen soll ein großer Dank an alle stehen, die als Lehrer und Lehrerinnen der Theologie, im Gemeindepfarramt und im Schuldienst, im Ausschuss Christen und Juden, im Theologischen Ausschuss, in der Studienstelle Christen und Juden, im deutschen Nes Ammim Verein und in den Christlich-Jüdischen Gesellschaften den Beschluss von 1980 vorangebracht und seine Konsequenzen beharrlich beackert haben. Und ein ebensolcher Dank gilt auch unseren Gemeindegliedern, die sich haben bewegen lassen zur Erneuerung ihres Denkens, Fühlens und Handelns.

 

1.4        Notwendiger Beitrag der Christen im Dialog mit dem Islam

In der Bundesrepublik Deutschland leben inzwischen mehr als 3 Millionen Muslime. Davon stammt die große Mehrheit aus der Türkei.

 

Die Europäische Union beginnt im Herbst dieses Jahres 'ergebnisoffene Beitrittsverhandlungen' mit der Türkei, einem Land, das einen sunnitischen Islam staatlicherseits fördert und kontrolliert. Grundsätzlich gilt: vorurteils­freie Begegnungen und vertrauenschaffende Gespräche zwischen Christen­tum und Islam sind für ein friedliches Zusammenleben in unserem Land und in Europa unverzichtbar.

 

Der Islam hat allerdings gegenwärtig ein erhebliches "Imageproblem" in unseren westlichen Gesellschaften. Er gilt weiten Teilen der Bevölkerung als Religion der bärtigen Gotteskrieger mit antiwestlicher Grundhaltung, als Religion unterdrückter Frauen, der Selbstmordattentäter usw.. Selbst in Bildungsmilieus mit größerem Differenzierungsvermögen gelingt es dem Islam kaum, seine Friedensliebe und Toleranzbereitschaft durch überzeugende Kritik etwa aller Fundamentalismen zu demonstrieren. Auch die mediale Darstellung des Islam dient nicht immer einer differenzierten Wahrnehmung dieser großen Religion.

 

Ein wesentlicher Ansatzpunkt, der allein neben den notwendigen Dialogen der Fachleute auf Dauer zu echter interreligiöser Konvivenz führen kann, ist die Ebene der möglichst niederschwelligen Alltagsbegegnungen. Die Einladungen zum Besuch der islamischen Zentren, Moscheen usw. verbunden mit Gesprächen zum Beispiel über Islam und Christentum oder über die Chancen und Probleme einer Integration des Islam in unserer Gesellschaft werden gepflegt und wahrgenommen. Die Gegenbesuche der islamischen Gemeinschaft in der christlichen Kirche oder im Gemeindehaus fallen leider noch häufig aus. (In Duisburg haben sie in den letzten Jahren meines Wissens aber einen erfreulichen Stand erreicht.) Diese Gegenbesuche sind genauso wichtig, um sich persönlich kennen zu lernen und der jeweils anderen Religion ein konkretes Gesicht zu geben. Frauengruppen besuchen Frauengruppen, Senioren treffen Senioren etc.. Das Zusammenleben von Muslimen und Christen im Alltag muss sich konkret gestalten. Erst der Alltag stellt die Probe aufs Exempel für jede Verständigung dar.

 

Der Dialog der christlichen Kirchen mit dem Islam kann nicht denselben Stellenwert haben wie der Dialog mit dem Judentum. Jesus Christus war in seinem irdisch-menschlichen Leben Jude. Den größeren Teil unserer Heiligen Schrift verdanken wir dem Judentum. Mit Israel sind und bleiben wir in der Wurzel verbunden.

 

Die beschönigende Rede 'Wir haben ja alle denselben Gott' und die strukturelle Gleichsetzung von Judentum, Christentum und Islam unter dem Begriff der 'drei Abrahamitischen Religionen' werden unserem spezifischen Verständnis von Gott und unseren Glaubensantworten auf die Herausforderung durch den Vater Jesu Christi nicht gerecht.

 

Von dem uns im Evangelium offenbarten ‚fleischgewordenen' Wort Gottes Jesus Christus her verbietet sich eine strukturelle Gleichsetzung der jeweiligen Symbole 'Kreuz' und 'Kopftuch'. Das Kreuz ist das Zeichen des stellvertretenden Lebens, Leidens, Sterbens und Auferstehens Jesu Christi. Das Kreuz symbolisiert das Erlösungs- und Heilswerk Jesu Christi 'für uns'.

 

Das Kopftuch als religiöses Gebot für Frauen symbolisiert dagegen zumindest auch die ethische Forderung eines patriarchal gedachten Gottes. Frauenleben einschränkende, traditionelle Rollenfixierung eines Geschlechtes können auf diese Weise religiös legitimiert werden.

 

Das Zeugnis von Jesus Christus, der vor Gott für unseren Glauben und unsere Gerechtigkeit eintritt, haben wir in den christlich-muslimischen Dialog zuerst selbstkritisch und dann aber auch kritisch einzubringen. Nach unserem Bekenntnis ist Jesus Christus als das lebendige und menschgewordene Wort Gottes in die Welt gekommen, um sie zu retten, nicht um sie zu vernichten.

 

Endgültige Urteile und Verurteilungen über Menschen und Gesellschaftssysteme stehen allein Gott zu, nicht religiösen Instanzen.

 

Kreuzzüge, Ketzerprozesse und Hexenverbrennungen der christlichen Kirchen sind Teile ihrer Schuldgeschichte und ihrer Verirrungen – nicht Ausdruck besonderer Glaubensstärke.

 

Deshalb haben wir entschieden und eindeutig allen muslimischen Vorstellungen und Äußerungen zu widersprechen, die zu blutigen 'Heiligen Kriegen' aufrufen oder die Terroristinnen und Terroristen als 'Märtyrer für Gott' glorifizieren. Das Gleiche gilt für die arabische Finanzierung des Terrors und der Familien von Terroristinnen und Terroristen nach deren Verbrechen oder die Anwerbung und systematische Verhetzung von Kindern und Jugendlichen zur Vorbereitung dieser Verbrechen.

 

Unterdrückung und gewalttätige Formen der Intoleranz in muslimischen Republiken oder vom Islam geprägten Staaten haben wir klar und deutlich beim Namen zu nennen und so auch einzutreten für unsere christlichen Glaubensgeschwister, die dort diskriminiert, verfolgt oder umgebracht werden.

 

Ausdrücklich möchte ich aber betonen: zu einem offenen Gespräch mit dem Islam gibt es keine Alternative. Den Muslimen in unserem Land schulden wir Respekt und Achtung. Wir sollten wissen, dass das uns zu Distanzierung und Verurteilung bewegende Bild des Islam nur von kleinen islamistischen Gruppen geprägt wird. Wir selber sind verpflichtet, eigene Anstrengungen zum Verständnis der Anliegen dieser Religion zu unternehmen. Das nüchterne und kritische Gespräch mit Muslimen ist kein Ausdruck von Ablehnung, sondern von Vertrauen in die Belastbarkeit einer inzwischen gewachsenen Gesprächsbasis.

 

Dem friedlichen Zusammenleben und dem besseren Verständnis wird schließlich helfen, wenn es bald gelingt, einen deutschsprachigen Islam­unterricht in gemeinsamer Verantwortung von Staat und islamischen Glaubensgemeinschaften an unseren öffentlichen Schulen flächendeckend einzurichten.

 

2.     Jesus Christus ist unser Stellvertreter vor Gott, damit wir eintreten für unsere Schwestern und Brüder

"Weil Jesus – das Leben, unser Leben – als der Mensch gewordene Sohn Gottes stellvertretend für uns gelebt hat, darum ist alles menschliche Leben durch ihn wesentlich stellvertretendes Leben. Weil er das Leben ist, ist durch ihn alles Leben zur Stellvertretung bestimmt." (D. Bonhoeffer, Ethik, München 1958, S. 175)

 

Das stellvertretende Leben Jesu Christi für uns will nicht unser eigenverantwortliches 'Beten und Tun des Gerechten' ersetzen, sondern uns eben dazu ermutigen und befähigen. Leben in der Nachfolge heißt für uns 'an Christi statt' für unsere Schwestern und Brüder einzutreten und einzustehen.

 

Leben in der Nachfolge heißt für uns Leben in Gemeinschaft, Leben in Ausrichtung auf andere Menschen.

 

Das neutestamentliche Bild der Kirche als ‚Leib Christi', an dem wir alle als verschiedene Glieder voneinander und füreinander leben, macht deutlich: unsere persönliche Bindung an Gottes Wort und Willen, unsere persönliche Glaubensgewissheit kommen nur zu ihrem Ziel, wenn sie sich in den Dienst nehmen lassen für unsere Schwestern und Brüdern.

 

2.1   Einsatz für unsere Schwestern und Brüder in der Evangelischen Kirche im Rheinland

Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit auf ein Großereignis lenken, das es in dieser Form in unserer Kirche noch nicht gegeben hat:

am 23. April 2005 werden wir in Bonn den ersten Tag rheinischer Presbyterinnen und Presbyter veranstalten. Auch wenn wir ihn bewusst ein Jahr nach den Wahlen zu den Presbyterien durchführen, die viele zum ersten Mal in die Leitungsverantwortung gebracht haben, er richtet sich an alle: an erfahrene Presbyterinnen und Presbyter, die sich über eine Möglichkeit zum "Auftanken" freuen; an "die Neuen", die nach etwas mehr als einem Jahr hungrig auf Austausch und Information sind; an alle miteinander, die sich im Leitungsalltag nach geistlicher "Nahrung" und theologischer Orientierung sehnen.

 

Die Vorbereitungen sind in vollem Gange. Sie werden von einem Team getragen, in dem der Kirchenkreis Bonn, die Gemeindeberatung/Organisationsentwicklung, das Amt für Gemeindeentwicklung und missionarische Dienste sowie das Landeskirchenamt, das Frauenreferat und die Pressestelle unserer Kirche zusammenarbeiten. Vor allem aber: diesem Team gehören Presbyterinnen und Presbyter unserer Kirche an, also Leute, die wissen, welche Fragen und Themen ihnen – und damit ihren Mitpresbyterinnen und Mitpresbytern – unter den Nägeln brennen.

 

In diesen Tagen werden die Einladungs- und Programmhefte verschickt. Es wird acht Großforen mit jeweils mehreren Arbeitsgruppen geben. Die Themen richten sich nach den Ergebnissen einer Fragebogenaktion, mit deren Hilfe die Eingeladenen an der Vorbereitung "ihres" Tages beteiligt worden sind:

 

-   Gottesdienste gestalten und erleben

-   Entscheidungen treffen

-   (Um-)Baustelle Gemeinde

-   Ökumene – weltweit und ortsnah

-   Christsein im Wertewandel

-   Gemeinde zwischen Arbeit und Freizeit

-   Glauben leben

-   Vom offenen Himmel erzählen.

 

Alle Foren werden musikalisch begleitet; es wird Kabarett geben, Informationsstände und anderes mehr.

 

Den Rahmen bilden eine gemeinsame Auftaktveranstaltung sowie ein fröhlich-festlicher Abschlussgottesdienst.

 

Im vorigen Jahr habe ich Sie gebeten, sich den Termin vorzumerken. Heute sage ich: Kommen Sie – Ihre Kirche lädt Sie ein!

 

Im Bereich der kirchenmusikalischen Arbeit unserer Landeskirche haben sich trotz einschneidender Sparmaßnahmen erfreuliche Aktivitäten ent­wickelt und in entsprechenden Veranstaltungen große Resonanz gefunden. Im Zusammenhang mit dem von unseren synodalen Ausschüssen verfassten Diskussionspapier "Erweitertes Musikspektrum" fand im Februar 2004 ein Symposium zum Thema "Popmusik in der Kirche" statt. Diese Veranstaltung initiierte die jetzt im November stattgefundene Gründung eines "Netzwerkes Popularmusik und Kirche" für den Bereich unserer Landeskirche.

 

Im Zusammenwirken mit der westfälischen und der Lippischen Landeskirche hat der Gospelkirchentag Bochum deutlich werden lassen, dass sich unsere Kirche auch durch die Musik im Aufbruch befindet.

 

Der im September 2004 in Bochum durchgeführte 2. Gospelkirchentag hat sich mit mehr als 2.500 aktiv Teilnehmenden einen besonderen Platz in der kirchlichen Gospelszene erworben. Das Zusammenwirken mit der westfälischen und der Lippischen Landeskirche hat sich im Blick auf diese Großveranstaltung nicht nur aus Finanzgründen bewährt. Die rege Teilnahme - insbesondere von nebenamtlichen Chorleiterinnen und Chorleitern - zeigt die gegenwärtig große Popularität der Gospelmusik.

 

Vor dem Hintergrund unseres landeskirchlichen Diskussionspapiers "Erweitertes Musikspektrum" haben wir wahrzunehmen, welcher Schatz evangelischer Kirchenmusik aus allen Jahrhunderten uns anvertraut ist.

 

Dies geschieht z.B. in der Arbeit der Posaunenchöre, die 2004 ihren Landesposaunentag mit großer Resonanz in Düsseldorf begangen haben.

 

Im Juni 2004 fand in Düsseldorf der zweijährig vom Posaunenwerk durchgeführte Posaunentag für den gesamten Bereich unserer Landeskirche statt. Neben reger Teilnahme der  angeschlossenen Chöre, zeigte sich einmal mehr die musikalische Vielseitigkeit und der gemeindebildende Ansatz kirchlicher Bläserarbeit.

 

Daneben gab es ein großes Kinderchorfestival mit Frau Vizepräses Bosse-Huber als Schirmherrin, das mit 800 Kindern in der Bonner Kreuzkirche zu einem fulminanten Erfolg wurde.

 

Im Oktober 2004 war die Durchführung eines Kinderchor-Festivals mit 700 Kindern und Chorleitenden in Bonn zum Thema "Taufe" ein wichtiger Beitrag zur Förderung der Musik mit Kindern. Unter dem Thema "Kinder singen in der Kirche" unterstützt der Landesverband der Kirchenchöre auch durch Bereitstellung geeigneter Literatur (u.a. vertonte Taufsprüche) diesen für unsere Kirche sehr wichtigen Zweig der musikalischen Gemeindearbeit.

 

An dieser Stelle darf aber auch nicht verschwiegen werden, dass die kirchenmusikalische Arbeit in den Gemeinden vielerorts an finanzielle Grenzen stößt und die Besetzung hauptamtlicher Kirchenmusikerstellen zunehmend nicht mehr zu 100% möglich ist.  Als Arbeitgeberin Kirche haben wir uns mit dem nicht sozialverträglichen Teilzeitangebot kritisch auseinander zu setzen.

 

Der Besetzung hauptamtlicher Kirchenmusikstellen ist der Hang zu Prozentstellen (häufig 75 %) sehr abträglich. Es bewerben sich auf solche Stellen nur wenige Personen, wodurch eine qualifizierte Auswahl immer schwieriger wird. Der Nettoverdienst bewegt sich für Alleinverdienende am Rande der wirtschaftlichen Existenz. Erfreulicherweise entstehen aber zunehmend gemeindeübergreifende Konstruktionen, die eine Besetzung im vollen Stellenumfang zulassen. Wegen der Qualität der kirchenmusikalischen Arbeit sind solche Projekte sehr unterstützenswert.

 

Der zahlenmäßige Rückgang an nebenamtlichen Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusikern nimmt zu. Wenn verdiente nebenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Ruhestand gehen, mangelt es oft an geeignetem Nachwuchs. Zudem wollen sich viele Menschen nicht mehr jedes Wochenende dienstlich gebunden wissen und streben daher keine regelmäßige vertragliche Bindung an. In den Kirchenkreisen sollte verstärkt für die Ausbildung nebenamtlicher Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusiker geworben werden, damit  in vielen Teilen der Landeskirche nicht bald erhebliche Besetzungsprobleme bei C‑Stellen entstehen.

 

Die Kirchenmusik leistet einen wichtigen Beitrag zum Gemeindeaufbau und hat in den Gemeindekonzeptionen vieler Gemeinden einen wichtigen Platz gefunden.

 

Im Februar hat die in meinem letzten Bericht angekündigte Evaluation des Konzeptionsprozesses in den Gemeinden begonnen. Aus dem Fragebogen I, den wir verschickt haben und der eine sehr gute Rücklaufquote hatte, geht hervor, dass etwa ein Viertel der 810 rheinischen Gemeinden bereits eine Gesamtkonzeption ihrer Arbeit haben und weitere knapp 34 % daran arbeiten. Wenn wir bedenken, dass eine solche Arbeit viel Zeit und Kraft kostet und dass sie neben dem alltäglichen Geschäft bewältigt werden muss, dann ist es – vier Jahre nach dem Synodenbeschluss – sehr erfreulich, dass 479 Gemeinden mit oder an einer Gesamtkonzeption gemeindlicher Aufgaben arbeiten. Offenbar war und ist der Gedanke einsichtig, die in jeder Gemeinde vorhandenen unausgesprochenen Konzeptionen und informellen Systeme ins Bewusstsein zu heben, sie zu überdenken und das Ergebnis zu verschriftlichen, um es zur Grundlage der Weiterarbeit zu machen. Deshalb möchte ich auch die Gemeinden, die unmittelbar vor dem Beginn der Arbeit an einer Gesamtkonzeption stehen, vor allem aber diejenigen, die – aus welchen Gründen auch immer – noch nicht damit angefangen haben, nachdrücklich ermuntern, das doch zu tun!

 

Es geht ja nicht nur darum, einem Synodenbeschluss und dem Artikel 7 der Kirchenordnung zu folgen. Es geht darum, die Arbeit transparenter und damit letztlich – für "Insider" wie für sich Nähernde – leichter zu machen. Gemeindeglieder und Mitarbeitende haben Anspruch auf solche Transparenz!

 

In den letzten Jahren wurde das Profil der Evangelischen Kirche im Rheinland noch einmal schärfer herausgearbeitet und zwar hinsichtlich des Personalangebots der Gemeinden. Grundsätzlich stehen unsere Pfarrerinnen und Pfarrer im "Kontext des Mitarbeitergefüges", nicht isoliert, nicht für alles zuständig, nicht allein verantwortlich. Sie sind teamfähig, das ist eine zentrale Kompetenz.

 

Es ist bisher gelungen, durch weitsichtige Personalplanung die meisten Nachwuchstheologinnen und -theologen in kirchlichen Arbeitsfeldern zu beschäftigen und gleichzeitig die Arbeitsplätze der Angehörigen der anderen kirchlichen Berufe, also der Kirchenmusiker und Kirchmusikerinnen und Gemeindepädagogen und Gemeindepädagoginnen, der Küster und Küsterinnen sowie der Büro- und Verwaltungskräfte weitgehend zu erhalten. Wir beklagen die schmerzlichen Fälle, in denen das nicht möglich war und bedauern die damit verbundenen menschlichen Enttäuschungen. Den Presbyterien, die manchmal unter großen Anstrengungen Stellenkürzungen und Entlassungen vermieden haben, ist zu danken. Typisch für rheinische Gemeinden ist und bleibt das multiprofessionelle Team von haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.

 

Auf der Linie dieses Profils liegen einige Diskussionsstränge, die auch auf dieser Synode noch eine Rolle spielen werden:

 

-                 das einheitliche Ordinationsrecht, das nun allen Mitarbeitenden - ehrenamtlichen und hauptamtlichen, theologischen und anderen -  den Zugang zur Ordination öffnet;

-                 das Gemeinsame Pastorale Amt, das in den Gemeinden, die sich an diesem zukunftsweisenden Modell orientieren wollen, Diakoninnen und Diakone oder Gemeindehelferinnen und Gemeindehelfer sowie Gemeindepädagoginnen und Gemeindepädagogen gleichberechtigt am Pfarramt beteiligt;

-                 schließlich trägt auch das bewährte Konzept des Mitarbeiterpresbyters, ursprünglich auch ein umstrittener rheinischer Sonderweg, dazu bei, alle Hauptamtlichen an der Leitung der Gemeinde zu beteiligen. Die Möglichkeiten dieses Konzepts sind bei weitem noch nicht ausgeschöpft.

 

Kirchen öffnen sich: was in römisch-katholischen Kirchen selbstverständlich ist, ist nun auch in evangelischen Kirchen zunehmend anzutreffen: Gäste finden eine offene Kirchentüre und werden willkommen geheißen. Viele Menschen nutzen dieses Angebot zur Stille und zum Gebet mitten im Alltag. Davon zeugen die Gästebücher, die in geöffneten Kirchen ausliegen und davon berichten die Gemeinden, die schon seit Jahren mit der Öffnung ihrer Kirche gute Erfahrungen machen.

 

Die Evangelische Kirche im Rheinland würdigt seit Pfingsten den Mut und Dienst der Gemeinden im Rahmen der Kirchenöffnung mit dem Signet für "Verlässliche geöffnete Kirche".

 

24 Gemeinden im Rheinland haben das Signet bereits  zugesprochen bekommen, außerdem weisen 24 Banner "Kirche geöffnet" nun auf offene Kirchen hin. Das Amt für Gemeindeentwicklung und Missionarische Dienste steht den Gemeinden in Fragen rund um die Kirchenöffnung beratend und unterstützend zur Seite. Wir sind zuversichtlich, dass die Signetverleihungen ermutigend auf andere Gemeinden wirken und sie ebenfalls ihre Kirchentüren verlässlich öffnen.

 

Eine offene Kirche ist eine unkomplizierte und freundliche Einladung zur Begegnung mit Gott und seiner Gemeinde.

 

Die Kircheneintrittsstellen sind ebenfalls in ihrer Weise offene Türen, die den Zugang zu unserer Kirche erleichtern. Diese Stellen arbeiten sehr erfolgreich.

 

Exemplarisch seien die Ergebnisse der Kölner Wiedereintrittsstelle berichtet: durchschnittlich haben 32 Menschen pro Monat den Weg in unsere Kirche gefunden, davon ist die Anzahl der unter 60 Jährigen deutlich höher als die der über 60 Jährigen. Die Anzahl der Frauen beträgt 237, die der Männer 149. Bisher sind über den Berichtszeitraum November 2003 bis November 2004 mehr als 400 Menschen in die evangelische Kirche aufgenommen worden.

 

Der Dienst der Eintrittsstellen wurde in manchen Kommentierungen als ‚Eintritt light' bezeichnet. Diese Charakterisierung verkennt, dass die Eintrittsstellen von Seelsorgerinnen und Seelsorgern – meist ehrenamtlich - betreut werden, so dass es zu Gesprächen über den Lebensweg der jeweiligen Menschen kommt. Ferner geht es dabei natürlich auch um die Anbindung an eine konkrete Form gemeindlichen Lebens in der Evangelischen Kirche im Rheinland.

 

Zum 19. Oktober 2004 wurde je eine Stiftung für die Polizeiseelsorge und die Notfallseelsorge errichtet.

 

Zweck der Stiftungen ist es, der schwierigen Haushaltslage entgegenzuwirken und mitzuhelfen, die finanzielle Basis der Arbeit langfristig zu sichern.

 

Ziele der Stiftungen sind unter anderem die Unterstützung der Seminararbeit der Polizeiseelsorge, der berufsethischen Aus- und Fortbildung in der Polizei, der Polizeiseelsorge bei und nach Großeinsätzen und in der Öffentlichkeitsarbeit sowie die Anschaffung von Ausrüstungs- und Einsatzmitteln.

 

Die Notfallseelsorge hat sich gerade jetzt bei der Begleitung von Flugzeugen, die Menschen aus den Katastrophengebieten nach der Flut­welle in Asien begleitet und Angehörige auf den Flughäfen betreut haben, sehr bewährt. Herzlich danken möchte ich allen Notfallseelsorgerinnen und –seelsorgern, die diesen wichtigen seelischen Beistand geleistet haben.

 

Die Bundeswehr befindet sich in einem drastischen Einsparprozess. Standorte werden aufgelöst oder zusammengelegt. Dies betrifft unmittelbar auch die rheinische Kirche.

 

Konnte bisher die Seelsorge in der Bundeswehr durch zwei Leitende Dekane innerhalb der rheinischen Kirche betreut werden, wird es zukünftig nur noch eine Leitende Dekanstelle geben. Durch die Schließung von Standorten wird sich der Zuschnitt der Pfarrbezirke verändern. Ein neues Standortkonzept muss erarbeitet werden, das nicht allein den räumlichen Verschiebungen Rechnung trägt. Vor allem die Auslandseinsätze bringen erhebliche Belastungen für die Soldatinnen und Soldaten und ihre Familien mit sich. Seelsorge erlangt in dieser Situation eine besondere Bedeutung.

 

Die Ergebnisse der Presbyteriumswahlen liegen nach langem Bemühen vollständig vor (s. Statistik zur Landessynode 2005 Heft A).

 

Die Presbyterien setzen sich aus 8414 Presbyterinnen und Presbytern sowie 963 Mitarbeiterpresbyterinnen und Mitarbeiterpresbytern zusammen. Von diesen 9377 Mitgliedern sind 52,7% Frauen. Dieser Prozentsatz hat zugenommen. Den Hauptanteil der Presbyterinnen und Presbyter bilden die 45 - 60Jährigen. Dieses Jahr wurde zum letzen Mal das halbe Presbyterium neu gewählt. Bei der nächsten Wahl 2008 scheiden alle Presbyterinnen und Presbyter aus und werden neu gewählt.

 

Die Wahlbeteiligung lag bei 10,4%, genau wie 2000. Jedoch ist in den Wahlbezirken, in denen eine Wahlbenachrichtigungskarte versandt wurde, die Wahlbeteiligung mit 11% um 4 % Punkte höher als in den anderen Wahlbezirken, die rund 7% haben.

 

Die Wahlbeteiligung der jungen Wählerinnen und Wähler, die unter 20 Jahre sind, betrug lediglich 8,4 % der Wahlberechtigten. Es stellt sich hier die Frage, inwieweit unsere letzte Presbyterwahlreform zugunsten der Konfirmierten sich wirklich positiv ausgewirkt hat; die Anfrage verschärft sich, wenn man den Verwaltungsaufwand beim Erfassen dieser Wählergruppe in die Wahlverzeichnissen mitberücksichtigt.

 

Der Anstieg der Zahl der Wahlbezirke, in denen keine Wahl stattgefunden hat, ist das auffälligste Ergebnis der Wahl. In 45 % der Wahlbezirke fand keine Wahl statt. Das ist fast jeder 2. Wahlbezirk. Bei der Wahl 2000 lag diese Quote noch bei 37 %. Bei der Wahl der Mitarbeiterpresbyterinnen und Mitarbeiterpresbyter ist sogar in 90% der Kirchengemeinden keine Wahl zustande gekommen. In ländlichen Wahlbezirken war Nichtwahl mit 61 % häufiger anzutreffen als in Großstadtgemeinden mit 37 %. In den überwiegend ländlichen Kirchenkreisen im Südrhein wie Simmern-Trabach (90%), Birkenfeld (83%) und An Nahe und Glan (70 %) lagen die Zahlen für die Wahlbezirke ohne Wahl am höchsten.

 

Der sich in diesen Zahlen abzeichnende Trend besorgt mich. Denn es gehört zu den Grundprinzipien unserer Ordnung, dass sich Leitung durch Wahl konstituiert. Wenn die ‚Basiswahlen' für die Wahl aller Leitungsfunktionen nur noch zu knapp 50% stattfinden, ist ein wesentliches Element unserer Verfassungsstruktur in Frage gestellt.

 

2.2        Strukturfragen in der Evangelischen Kirche im Rheinland

Die Auseinandersetzung mit Strukturfragen ist unserer Synode vertraut. Schon 1994 hat es eine Sondersynode zu dieser Thematik gegeben. Im Jahre 2002 hat diese Synode Beschlüsse gefasst, die mit der Aufgabe der Standorte Mülheim für die Evangelische Akademie, Bad Kreuznach für das Predigerseminar und Rengsdorf für das Pastoralkolleg verbunden waren. Über die Fortführung der Arbeit des Predigerseminars und des Pastoralkollegs wurde schon berichtet. Der Neuanfang der Akademie in Bad Godesberg  verbunden mit dem Weggang der Direktorin zeigt erste Konturen, so dass eine Berichterstattung dazu noch zu früh ist. Neben den Veränderungen auf landeskirchlicher Ebene vollziehen sich vergleichbare Prozesse bei Kirchengemeinden, Verbänden und Kirchenkreisen. Beispielhaft sei nur das Zusammengehen der beiden Duisburger und Wuppertaler Kirchenkreise zu jeweils einem neuen Kirchenkreis genannt.

 

Die Umstrukturierung der Medienarbeit ist zu einem ersten Abschluss gelangt.

 

Der Medienverband der Evangelischen Kirche im Rheinland wurde im Januar durch die Zusammenführung des Presseverbandes und des FFFZ Medienhauses gegründet. Im Mai wurde ein neuer Geschäftsführer eingestellt, seit September sind sämtliche Aktivitäten des Medienverbandes am Standort Kaiserswerther Straße in Düsseldorf gebündelt.

 

Der Medienverband hat den Wandlungsprozess hin zu einem leistungsfähigen Medien- und Dienstleistungsunternehmen der Kirche eingeleitet. Seine Publikationen sind ein verlängerter Arm der Gemeinden, mit denen wir auch die Menschen erreichen, die sonst keinerlei Bezugspunkte zur evangelischen Kirche hätten.

 

Mit den Säulen Print-Publizistik, Online-Services, Fortbildung, Hörfunk- und Fernsehstudios sowie dem Medienverleih ist der Medienverband zugleich kompetenter Ansprechpartner von Gemeinden und Einrichtungen in Medien­fragen. Ganz bewusst soll sich dieses Medienunternehmen auch im außer­kirchlichen Markt bewegen und damit seine Arbeit im Vergleich zu Wettbe­werbern messen. Erste Ergebnisse der Arbeit des Medienverbandes sind ermutigend.

 

Erfolgreich abgeschlossen ist die Markteinführung von 'chrismon plus rheinland'. Mit dem Beschluss, den 'WEG' einzustellen und u.a. durch ein anspruchsvolles Monatsmagazin zu ersetzen, hat die Synode eine Erweiterung der traditionellen Zielgruppen forciert. Seit September ist die Abonnement-Entwicklung von 'chrismon plus rheinland' positiv. Das neue Magazin findet seine Leserschaft. Die EKD-Synode hat im November dieses Jahres beschlossen, das Monatsmagazin 'Chrismon' für mindestens weitere fünf Jahre fortzuführen, so dass die Basis für die Weiterentwicklung unserer Publikation gegeben ist.

 

Zur Zeit steht allerdings noch eine wirklich überzeugende Lösung dafür aus, den traditionellen Zielgruppen des 'WEG' die für sie notwendigen und interessanten Informationen aus dem Leben ihrer Kirche zukommen zu lassen. Die Beilage 'Kontrovers' kann ich noch nicht als den Endpunkt dieses versprochenen Angebotes verstehen.

 

Eine publizistische Sondersituation haben wir im Saarland. Hier hat die Synode für die Fortführung der Wochenzeitung 'SONNTAGSGRUSS' in Herausgeberschaft des Evangelischen Pressevereins Saar votiert. Mit sehr begrenztem Budget und trotz minimaler Werbeaufwendungen, konnte die Zeitung ihre Auflage bei etwa 5000 Exemplaren halten. Weitere notwendige Maßnahmen zur Kostenreduzierung sind eingeleitet. Eine Grundsatzent­scheidung über die Zukunft des 'SONNTAGSGRUSS' steht im kommenden Jahr an.

 

Die rheinische Kirche ist keine virtuelle Kirche, aber sie ist virtuell - d.h. im Internet - stark vertreten. Mittlerweile betreiben Gemeinden und Kirchenkreise, Landeskirche und Einrichtungen rund 500 Homepages und rund 1000 E-mail-Adressen allein auf den Servern der rheinischen Kirche. Allerdings ist noch mehr Vernetzung notwendig, damit wir als Evangelische Kirche im Rheinland erkennbar und sichtbar im weltweiten Datenmeer sind. Wenn Gemeinden Angebote der Landeskirche und Kirchenkreise nutzen, stärkt dies die gemeinsame Präsenz und schont auch die Ressourcen vor Ort.

 

Offensichtlich trifft die Kirche auf eine große Nachfrage. Die Zahl der User, die sich auf den verschiedenen Webseiten informiert, steigt. Auch die Angebote zu Verkündigung und Seelsorge wachsen und finden Resonanz. Projekte wie www.trauernetz.de und www.chatseelsorge.de hat die rheinische Kirche auf den Weg gebracht bzw. trägt sie aktiv mit: Seelsorgerinnen und Seelsorger aus dem Rheinland sind hier Ansprechpartner für Menschen, die niedrigschwellig Rat und Hilfe suchen.

 

Spannend ist auch das Projekt "evangelisch – das Ganze leben" (www.evangelisch.info). In schöner Regelmäßigkeit fragen hier User an: Wie kann ich in die evangelische Kirche eintreten? Da wiederholt sich die Erfolgsgeschichte der realen Kircheneintrittsstellen im Internet.

 

Zur Medienarbeit gehört auch unser Kontakt und unsere Zusammenarbeit mit den Journalistinnen, den Redakteuren und mit den Menschen, die Medienpolitik betreiben. Die Zahl der Anfragen an unsere Kirche, in Radio und Fernsehen, in Zeitungen oder anderen Mediendiensten Stellung zu nehmen, ist groß. In der Regel ist unsere protestantisch-profilierte Meinung nicht nur gefragt, sondern auch erwünscht.

 

Die Tagesordnung der diesjährigen Landessynode wird auch von der Frage geprägt sein, auf welche Weise die Prioritätendiskussion auf landeskirchlicher Ebene im Jahre 2005 geführt werden soll. Schon die Anlage der Diskussion macht deutlich, dass die Beschlüsse der Landessynode 2006 eine neue Qualität haben werden. Wir müssen Entscheidungen vorbereiten, die nicht nur zum Zusammenlegen oder zum Ortswechsel, sondern auch zur Aufgabe landeskirchlicher Dienste führen werden!

 

Dazu haben Sie eine ausführliche Vorlage erhalten, deren Diskussion und Würdigung ich an dieser Stelle nicht vorwegnehmen will. Aber etwas Grundsätzliches möchte ich doch bemerken:

auch wenn wir bei der Gleichstellung von Männern und Frauen schon ein gutes Stück vorangekommen sind, dürfen in für Kirche und Gesellschaft nicht einfachen Zeiten Grundwerte unseres Zusammenlebens nicht in Frage gestellt werden. Hierzu gehört die Gemeinschaft von Frauen und Männern in der Kirche und die gerechte Teilhabe beider Geschlechter an Ämtern und Leitungspositionen. Das bedeutet unter anderem, dass die Verantwortlichen in Gemeinden, Kirchenkreisen, Ämtern, Werken und Einrichtungen Ernst machen mit der Umsetzung des Gleichstellungsgesetzes, das einen Stein im Mosaik "Gleichstellung von Frauen und Männern" darstellt.

 

Wir dürfen nicht nachlassen in unserem Bemühen um gerechten Sprachgebrauch in Liturgie und Gottesdienst. So kann etwa für Frauen mit schlagenden und vergewaltigenden Vätern eine sich nur auf Gott, den 'Vater' konzentrierende theologische Sprache problematische Folgen haben.

 

Zur Arbeit am Ziel einer wirklichen Geschlechtergerechtigkeit gehört auch der stetige Einsatz gegen Gewalt an Frauen und Mädchen. Ich bin allen dankbar, die in ihrer haupt- und ehrenamtlichen Arbeit für die Stärkung von Mädchen- und Frauenrechten als Menschenrechte eintreten durch Aufklärung und Kampagnen gegen Genitalverstümmelung, Zwangsprostitution, Zwangsverheiratung und sexualisierte Gewalt. Oder die den Blick darauf lenken, dass es vor allem Frauen sind, die neu an Aids erkranken, weil Männer nicht bereit sind, sie (und sich) zu schützen.

 

2.3   Einsatz der Evangelischen Kirche im Rheinland für die EKD und die UEK

Auf der EKD Synode in Wetzlar im Jahre 1997 hat der damals aus dem Amt scheidende Ratsvorsitzende, Landesbischof Engelhardt, in seinem Ratsbericht auf eine strukturelle Konzentration in der Evangelischen Kirche in Deutschland gedrungen. Nachhaltige Konsequenzen sind aus diesem Anstoß zunächst nicht gezogen worden. Erst mit dem Beschluss der Mitgliedskirchen der Evangelischen der Union (EKU) und der Arnoldshainer Konferenz (AKf), sich in der UEK zusammen zu schließen ist eine neue Entwicklung im Jahre 2002 eingeleitet worden.

 

Im Rahmen der Kirchenkonferenz der Gliedkirchen der EKD wurde daher im Dezember 2002 ein Ad-hoc-Ausschuss aus Mitgliedern der Kirchenkonferenz unter Vorsitz von Landesbischof Engelhardt eingesetzt. Von der Evangelischen Kirche im Rheinland nahm Vizepräsident Drägert teil, der im Interesse der Synode den Strukturprozess gemeinsam mit anderen energisch voranbrachte.

 

Dieser Ausschuss hat sich mit einer Reihe von Modellen für den Reformprozess beschäftigt. Er ist im Rahmen seines Beratungsprozesses zu der Entscheidung gekommen, das sogenannte "Verbindungsmodell" für den weiteren Prozess vorzuschlagen. Dieses Modell hat der Ausschuss im Dezember 2003 der Kirchenkonferenz vorgelegt. Der Rat der EKD hat ebenso wie die Vollkonferenz der UEK und die Generalsynode der VELKD den beschrittenen Weg begrüßt.

 

Der Kerngedanke dieses Modells ist es, dass die gliedkirchlichen Zusammenschlüsse ihren Auftrag in der EKD erfüllen und nicht mehr neben ihr. Sie tun dies auf der Grundlage von jeweils mit der EKD abgeschlossenen Verträgen. Damit bleiben sie - solange sie es selbst wollen - selbständige Subjekte, die nach ihrem jeweiligen Selbstverständnis organisiert sind. Ihren Auftrag nehmen sie in eigener Verantwortung in der EKD wahr.

Eckpunkte dieses Modells sind vor allem:

 

-        Die EKD nimmt grundsätzlich als die Gemeinschaft aller Gliedkirchen deren Gemeinschaftsaufgaben wahr.

-        Der Erfüllung der Aufgaben von EKD, UEK und VELKD bedarf es nur eines Kirchenamtes an einem Standort, in das Ämter der UEK und der VELKD einbezogen sind.

-        Ziel ist es, soviel Gemeinsamkeit aller Gliedkirchen zu erreichen wir möglich und soviel Differenzierung für die gliedkirchlichen Zusammenschlüsse vorzunehmen wie aus deren Verständnis nötig ist.

 

Im Frühjahr 2004 haben EKD, UEK und VELKD kleine Arbeitsgruppen gebildet, die im Sommer Vertragsentwürfe auf der Grundlage dieses Verbindungsmodells ausgearbeitet haben.

 

Die UEK-Arbeitsgruppe bestand aus fünf Personen unter Leitung des Vorsitzenden der UEK, Landesbischof Fischer, Karlsruhe. Mitglied war auch Vizepräsident Drägert als stellvertretender Vorsitzender der UEK. Die Vertragstexte sind seitens der UEK, der VELKD und der EKD auf der Kirchenkonferenz im Dezember 2004 paraphiert worden.

 

Bei einer weitgehenden wörtlichen Übereinstimmung der UEK- und der VELKD-Vertragstexte weichen die beiden Verträge doch an einigen Stellen voneinander ab. Damit soll dem jeweiligen Selbstverständnis und den unterschiedlichen Zielvorstellungen von UEK und VELKD Rechnung getragen werden. Der Vertrag mit der UEK hat einen stärker integrativen Ansatz.

 

Eine nicht im Detail in diesen Verträgen geregelte Materie ist die der Ökumene. Eine Arbeitsgruppe unter Vorsitz von Landesbischof Friedrich, München, und mir hat im Zuge der Vertragsverhandlungen festgestellt, dass dieser Bereich weiterer Bearbeitung bedarf, nicht aber Gegenstand dieser Verträge sein kann, da auch hier die Gliedkirchen selbst so wie die Missionswerke und der Kirchliche Entwicklungsdienst betroffen sind. Im UEK-Vertrag ist hierzu festgestellt, dass die EKD im Auftrag der UEK deren ökumenische Beziehungen wahrnimmt.

 

Die EKD leitet nun das Stellungnahmeverfahren in den Gliedkirchen für die erforderliche  Änderung der Grundordnung der EKD ein. Auf der Landes­synode 2006 werden wir eine entsprechende Beschlussvorlage bekommen, die wir aber im Beratungsprozess nicht mehr verändern können – es sei denn, die Landessynode ist der Meinung, den gesamten Prozess aus schwerwiegenden Gründen aufhalten oder scheitern lassen zu müssen.

 

Die Entscheidungsverfahren innerhalb der VELKD und der UEK werden im Jahre 2005 durchgeführt. Geplant ist, dass die gesetzlichen und vertrag­lichen Regelungen zum 1. Januar 2007 in Kraft treten können. Damit wird einer der wichtigsten Strukturänderungsprozesse in Deutschland auf evangelischer Seite in den letzten Jahrzehnten zu einem positiven Ende geführt.

 

Diese Strukturreform wird dann hoffentlich bei Wahrung der jeweiligen Konfessionalität Kräfte bündeln und vorhandene Ressourcen effektiver nutzen können. Dabei sollen Parallelstrukturen soweit wie möglich vermieden werden. Die Möglichkeiten der EKD zur Information, Koordination, Beratung und vor allem zur theologischen  Reflexion werden gestärkt.

 

Diese Veränderung setzt aber auch ein sensibles Umgehen des Kirchenamtes der EKD mit den landeskirchlichen Strukturen voraus, die Rücksichtnahme auf unterschiedliche Zeitbedürfnisse und den Verzicht auf jegliche Form des Zentralismus.

 

2.4   Einsatz der Evangelischen Kirche im Rheinland für die Ökumene

Vom 23. Juli bis 8. August 2004 haben Oberkirchenrat Wilfried Neusel, meine Frau und ich nebst Pressevertretern Indonesien bereist, um uns mit unseren in der VEM zusammengeschlossenen Partnerkirchen vertraut zu machen, aber auch um nach der heißen Phase des Wahlkampfs um das Präsidentenamt und die Sitzverteilung im Parlament einen Eindruck von den politischen, wirtschaftlichen und religiösen Kräfteverhältnissen im Land zu gewinnen. Ein wichtiges Ziel war nicht zuletzt, die Christinnen und Christen in West-Papua unserer Solidarität im Kampf um die Durchsetzung der Menschenrechte und der politischen und kulturellen Selbstbestimmung zu versichern.

 

Die Reise ist - dank der journalistischen Begleitung von unserem Pressesprecher Jens-Peter Iven, Frau Fritz/epd und Dr. Görtz/freier Journalist - von der Presse in Deutschland zeitnah verfolgt und kommentiert worden.

 

Auf Sumatra, der großen Insel im Westen des Vielvölkerstaats, lernten wir das Leben von sechs Partnerkirchen kennen, insbesondere von der Huria Kristen Batak Protestan (HKBP), die mit ca. 3 Mio. Mitgliedern die größte protestantische Kirche in Südostasien ist. Leider ist diese wichtige Kirche nach wie vor von der Kirchenspaltung in den Jahren 1992 bis 1998 gezeichnet.

 

Wir wurden mit großer Herzlichkeit empfangen und hatten angesichts der Kürze der Zeit unerwartet offene Gespräche. Gleich zu Beginn der Reise konnte ich in Pematang Siantar mit dem Ephorus der HKBP 40 Pastorinnen und Pastoren ordinieren, Konsequenz eines Partnerschaftsvertrags mit der HKBP, der während der Reise feierlich unterzeichnet wurde und auf der Basis der Leuenberger Konkordie volle Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft vorsieht.

 

Wir können uns nicht vorstellen, was diese Gemeinschaft für die von Missionar L.I. Nommensen ins Leben gerufene Kirche bedeutet. Die Heilsgeschichte geht für sie nicht von Jerusalem, Rom oder Genf aus, sondern von Wuppertal-Barmen, dem Sitz der ehemaligen Rheinischen Missionsgesellschaft, deren Nachfolgerin die Vereinte Evangelische Mission ist.

 

Beim Besuch der zahlreichen Schulen, Waisenhäuser, diakonischen Einrichtungen und Ausbildungsstätten lernten wir dann aber neben den beachtlichen Bemühungen um die Förderung von Jugendlichen, Behinderten und Kranken inmitten einer muslimischen Mehrheit auch die Tücken eines ethnozentrischen Kirchentums kennen. Drei kirchliche technische Oberschulen und drei Waisenhäuser am selben Ort, jeweils als "Werbeprojekte" für drei verschiedene Mitgliedskirchen der Vereinten Evangelischen Mission (VEM) verstanden und von höchst unterschiedlicher Qualität, bringen ins Grübeln: was ist mit der grenzüberschreitenden Kraft des Evangeliums im Kontext der traditionellen Gesetze und Normen der ethnischen Gruppen? Ein Kirchenführer antwortet ganz offen: "Die Adat, das traditionelle Recht, dominiert nach wie vor!" Und das bringt mit sich, dass die Kirchen Sumatras nicht nur Gemeinden für ihre auf anderen Inseln lebenden Glieder gegründet haben, sondern auch in den USA und in Kanada ihre pastorale Versorgung organisieren.

 

Deutlich haben wir die auch in unseren Partnerkirchen noch zu verwirklichende Gendergerechtigkeit thematisiert, und ich habe betont, dass Kirchenleitungen den Rahmen für unsere Partnerschaften gewährleisten können, dass sie aber nur auf der Ebene der Gemeinden und Kirchenkreise wirklich lebendig und konkret werden.

 

Unsere Delegation besuchte Menschenrechts- und Umweltaktivisten, davon Mitglieder unserer Partnerkirchen im Gefängnis in Balige. Wir hörten eindrucksvolle Berichte über die Gründe der Inhaftierung, das Leben im Gefängnis und versicherten die Gefangenen unserer geschwisterlichen Verbundenheit. Allein schon der Besuch, die Erfahrung, nicht vergessen zu sein, war Hilfe und Ermutigung für die Gefangenen. Später mussten wir leider erfahren, dass das von unserer Kirche für Anwälte und Versorgung zur Verfügung gestellte Geld offenbar nicht umgehend zweckentsprechend weitergeleitet worden war. Solche Erfahrungen werden z.B. vom Kirchenkreis Krefeld-Viersen bestätigt.

 

Diese Erfahrungen bedeuten für mich nicht, dass ich das VEM-Programm und kreiskirchliche Partnerschaften in Frage stelle; im Gegenteil, nur so kann ökumenische Gemeinschaft in der Mission tragfähig werden. Aber wir müssen in der VEM offensiv Misswirtschaft und Korruption bekämpfen und dafür sorgen, dass der kirchliche Entwicklungsdienst  zur Qualifizierung kirchlicher Partner in Afrika und Asien beiträgt. Der Paradigmenwechsel vom Geldtransfer zur themen-zentrierten Zusammenarbeit wird noch einige Zeit und Mühe kosten.

 

Mühsam waren auch die Gespräche über die von der indonesischen Regierung seit Jahren geforderten Pensionsfonds für die hauptamtlichen Mitarbeitenden der VEM-Mitgliedskirchen. Jede will bilateral mit Hilfe unserer Kirche die mehr oder weniger großen Finanzierungslöcher stopfen. Unser Plädoyer für eine gemeinsame Strategie im Verbund der VEM wurde mit sichtlicher Enttäuschung zur Kenntnis genommen. Angesichts von überall in Indonesien herrschender Vetternwirtschaft, Korruption und Raffgier ist es offensichtlich auch für die kirchlichen Leitungsorgane nicht leicht, den schmalen Weg von langfristiger und konzertierter Planung, Transparenz, Rechenschaftspflicht und Uneigennützigkeit zu wählen.

 

Ähnliche Erfahrungen machte unsere Delegation in Jakarta. Da trafen wir Menschen, die lange Jahre im Büro der Indonesischen Kirchengemeinschaft gearbeitet hatten und mit 17 Euro Pension zurecht kommen müssen und somit keine Chance haben, ihre medizinische Versorgung zu bestreiten.

 

Wir sprachen mit der Staatspräsidentin Megawati Soekarnoputri, die vom Innenminister und Geheimdienstchef begleitet und beobachtet die Lage ihres Landes in diplomatischem Jargon weich zeichnete und die Ängste christlicher Gemeinden angesichts extremistischer muslimischer Anschläge als bedauerliche Einzelfälle herunter spielte. Auf die brennenden Fragen der Bevölkerung West-Papuas ging sie leider überhaupt nicht ein

 

Ganz anders die Begegnungen mit dem ehemaligen Staatspräsidenten Abdurrahman Wahid und anderen Repräsentanten der muslimischen Verbände Nadhlatul Ulama und Muhammadiya, die zusammen fast 60 Mio. Muslime vertreten. Hier hörten wir erstaunlich viel Selbstkritisches über Korruption, militärische Willkür und die Kultur der Straflosigkeit. Der Islam in Indonesien ist nicht frauenfeindlich, nicht anti-westlich und akzeptiert die multikulturellen Zugänge zum Glauben. Nach anfänglichen Bestrebungen, in Indonesien die Scharia einzuführen (1959), erkannte man die Gefahren des Islamismus aufgrund der Entwicklungen im Nahen und Mittleren Osten, und man betrachtet die Bestrebungen extremer Islamisten in Europa und Amerika als "hoffnungslos rückwärtsgewandt" und perspektivlos. Hier ist Potenzial für einen Dialog mit Christinnen und Christen in Indonesien und Europa, der von der VEM und von unserer Kirche intensiver als bisher genutzt werden muss. Mit der Kirchlichen Hochschule Wuppertal wollen wir die Chancen dieser Gespräche für unseren europäischen christlich-muslimischen Dialog weiter verfolgen.

 

Dem widerspricht in keiner Weise, die immer wieder stattfindenden Anschläge auf Kirchen und Gemeindeglieder akribisch zu dokumentieren und entsprechend politisch und diplomatisch zu intervenieren. Nur so wird es einen ehrlichen Dialog geben, der über Schönwetter-Reden hinausführt. Unsere kirchlichen Partner wären anders auch nicht an einem solchen Dialog interessiert.

 

Ähnlich offen und erhellend waren die Gespräche mit führenden Frauen und Männern aus Wirtschaft und Gesellschaft im Haus des ehemaligen Moderators der VEM, Dr. S.A.E. Nababan. Den korrupten Filz der indonesischen Gesellschaft zu durchbrechen, ist offensichtlich nicht in erster Linie von den politischen, wirtschaftlichen und religiösen Eliten zu erwarten, sondern von Aktivisten und Aktivistinnen der zahlreichen Nichtregierungsorganisationen und Basisnetzwerke sowie von den Medien. Und diese Akteure haben seit dem Sturz Soehartos 1998 in der Tat ein spürbar verändertes Klima in den urbanen Ballungsgebieten Indonesiens geschaffen. Die Menschen reden freier, kritischer. Gerichte verhandeln über wirtschaftlichen Missbrauch und Verbrechen des Militärs mutiger als vor sechs Jahren.

 

Besonders beeindruckt haben unsere Delegation die Begegnungen mit Repräsentanten der protestantisch-christlichen und der römisch-katholischen Kirche in West-Papua, 5000 km östlich von Sumatra gelegen. Diese 1963 von Indonesien annektierte östlichste Provinz ist seit 40 Jahren Opfer des javanischen Rassismus und beklagt die Ermordung von mehr als 100.000 Papuas durch indonesisches Militär und paramilitärische Spezialeinheiten.

 

Die bevölkerungsarme Provinz West-Papua (2 Mio. Einwohner auf einer Fläche von der Größe Schwedens) ist wegen der reichen fossilen und mineralischen Rohstoffe ein streng gehütetes Faustpfand der Indonesischen Ökonomie und Politik. Schon in Jakarta bekamen wir einen Eindruck von der Stimmung in West-Papua. In einem Sozialzentrum des PGI, der indonesischen Kirchengemeinschaft, verabschiedete sich eine Frau aus West-Papua mit Tränen in den Augen. Vor wenigen Tagen waren ihr Mann und sein Bruder wegen angeblicher anti-indonesischer Aktivitäten ermordet worden, vermutlich von militärischen Spezialeinheiten.

 

Immer wieder versucht das Militär, z.T. mit Hilfe gekaufter abtrünniger Splittergruppen der Befreiungsbewegung OPM, Konflikte zu inszenieren, um seine übermächtige Präsenz in West-Papua zu legitimieren. Mit dem ökumenischen Programm "West-Papua - Land des Friedens" versuchen unsere Partnerkirche GKI, die größte im Lande, die römisch- katholische Kirche und einige Freikirchen in bemerkenswerter Eintracht ein Klima zu schaffen, das die Logik des Militärs neutralisiert.

 

Mit großer Spannung warteten unsere Partner auf den Ausgang der Stichwahl um die Präsidentschaft. Viele hofften auf den Kandidaten Yudhoyono, denn er hatte den Papua im Wahlkampf versprochen, die 2001 beschlossene "Sonderautonomie" für die Provinz West-Papua zu implementieren. Das würde der einheimischen Bevölkerung größere Mitspracherechte über die Zukunft ihres Landes geben, in dem sie selbst zu Fremden geworden sind. Bis dato gibt es heftigen juristischen und politischen Streit um ein Gesetz von 1999, dass die Dreiteilung der Provinz vorsieht und auf diese Weise faktisch die Sonderautonomie unmöglich macht. Eine Delegation der Botschafter der EU-Staaten in Indonesien hatte vor eineinhalb Jahren in West-Papua nachdrücklich für das Programm "Sonderautonomie" geworben und die Bevölkerung vor Abspaltungsversuchen gewarnt. Seitdem vermissen die Kirchenführer jegliche Initiative der EU, ihre Option mit entsprechendem Nachdruck auch bei der Zentralregierung in Erinnerung zu bringen. Wir haben versprochen, hier solidarisch mit den Christinnen und Christen West-Papuas zu sein und bei der EU unsere Anwaltschaft geltend zu machen.

 

Ich will hier nur ein Beispiel von vielen erwähnen, das sich nach unserer Rückkehr in West-Papua ereignete: Am 24. November erhielt Dr. Benny Giay, Dozent an einer Theologischen Schule in der Nähe der Provinzhauptstadt Jayapura, während seiner Abwesenheit in seinem Hause Besuch von vier Soldaten, die ihre Gesichter schwarz-grün gestreift bemalt hatten. Die Angestellten bekamen zu hören, man wolle lediglich ein Weihnachtsgeschenk überreichen; man werde wiederkommen. Benny Giay ist bekannt durch seine kritischen Veröffentlichungen, besonders durch sein Buch über die Ermordung des Papua-Führers Theys Eluay durch Soldaten der indonesischen Armee im November 2002. Andere Aktivisten erhielten Pakete mit zerstückelten Hühnern oder mit Hundeköpfen.

 

Unterhalb des Äquatorgletschers Puncak Jaya sind vor wenigen Wochen Tausende von Papua vor dem Militär in die Wälder geflüchtet und leiden unter Hunger, Kälte und Krankheiten.

 

Unsere Partner vermuten, dass das Militär auf diese Weise die Versprechen des neuen Präsidenten hintertreiben und ihn bei der örtlichen Bevölkerung diskreditieren will.

 

So ist verständlich, dass der Empfang unserer Delegation im Hochland West-Papuas zur kulturellen und politischen Demonstration der Papuabevölkerung wurde. Mehr als 500 traditionell gekleidete Frauen und Männer eskortierten mich und meine Begleiter zur Festhalle, allen voran zwei Polizisten auf Motorrädern. Ein unnachahmliches Singen, Ululieren und Brummen umgab uns wie eine Wolke. 10 traditionell in Erdhöhlen gegarte Schweine warteten auf die Festgemeinschaft, und immer wieder wurde betont, Präses Schneider sei der erste europäische Kirchenführer, der die Gereja Kristen Injili seit ihrer Gründung besucht habe. Unsere Partner waren glücklich, durch diesen Besuch zu erfahren, dass sie nicht allein sind mit ihren Sorgen und dass wir an ihrem Schicksal Anteil nehmen.

 

Die Flutkatastrophe und die vielen Seebebenopfer fordern die Bewährung unserer Kirchengemeinschaft in der VEM heraus. Gerade auf Sumatra und den vorgelagerten Inseln Nias und Mentawei sind Zerstörungen und Opfer in bisher noch nicht überschaubarer Zahl zu beklagen. Dank des Verbindungsnetzes der VEM wird es uns möglich sein, effektiv und zielgerichtet zu helfen. Sie alle möchte ich dringlich bitten, ihre Möglichkeiten zu schneller und hochherziger Hilfe zu nutzen.

 

Einstimmig hatte unsere Landessynode im letzten Jahr die Erklärung "Erinnern, versöhnen, gemeinsam Zukunft gestalten. 100 Jahre Beginn des antikolonialen Befreiungskrieges in Namibia" verabschiedet. Sie hat damit nicht nur den Dialog mit unserer Partnerkirche in Namibia vertieft, sondern auch unsere internationale Missionsgemeinschaft VEM zu einer fast gleichlautenden Erklärung veranlasst. Diese war dann einerseits für den internen Dialog auf der Vollversammlung der VEM in Manila wichtig, andererseits aber auch für die gemeinsamen Bemühungen unserer Kirche und der VEM, den ausscheidenden und den neuen Bundespräsidenten zu einem Besuch Namibias zu bewegen, verbunden mit der Bitte, die Völker Namibias, die Opfer des Genozid deutscher Kolonialtruppen wurden, um Vergebung zu bitten. Beide Präsidenten sahen sich außerstande, die Sprachregelung des Außenministeriums zu verlassen, die besagte, dass keine "entschädigungsrelevanten" Sätze geäußert werden dürfen. Die Kontakte zur Ministerin Wieczorek-Zeul waren verheißungsvoller, und ihre Bitte um Vergebung für deutsche Kolonialverbrechen und für den Genozid am 14. August stellte die deutsch-namibischen Beziehungen auf eine neue Grundlage. Der Moderator der VEM und Bischof unserer Partnerkirche in Namibia (ELCRN), Dr. Zephania Kameeta, hatte ausführlich Gelegenheit, mit der Ministerin im Vorfeld ihrer bemerkenswerten Ansprache in Okakarara über ihr Vorhaben zu sprechen und das schwierige Terrain verschiedenster Erwartungen in Namibia zu erklären. Er würdigte die Rede der Ministerin namens der ELCRN und der VEM "als bahnbrechende Erklärung".

 

Aufgrund dieses Vorganges wird der nächste Peter-Beier-Preis diesen beiden Persönlichkeiten verliehen werden.

 

Sowohl die Ministerin als auch Bischof Kameeta wollen den Peter-Beier-Preises mit großer Freude annehmen. Die Preisverleihung wird voraussichtlich in der ersten Hälfte dieses Jahres möglich sein. Die Zuerkennung des Preises hat in der interessierten Öffentlichkeit bundesweit für Aufmerksamkeit gesorgt.

 

Auf einer internationalen wissenschaftlich-politischen Namibia-Konferenz unter der Schirmherrschaft von Bürgermeister Henning Scherf in Bremen im November vergangenen Jahres sorgte er dafür, dass die Vertreter der Herero nicht mit tribalistischen Forderungen den nun geforderten "bedeutungsvollen und strukturierten Dialog über einen Ausgleich für die historischen Ungerechtigkeiten" im Keim erstickten.

 

Seitens der EKD wurde auf der Synode im November vergangenen Jahres ebenfalls des Genozid gedacht, und der Ratsvorsitzende nahm die Rede von Alphons Maharero, Nachkomme des damaligen Oberhäuptlings Samuel Maharero, zum Anlass, auch namens der EKD um Vergebung zu bitten. Denn nicht nur Missionare der Rheinischen Missionsgesellschaft, sondern auch durch die Deutsche Evangelische Kirche entsandte Seelsorger für die weißen Siedler waren in die Kolonialverbrechen involviert. Eine Aufarbeitung dieser Vorgeschichte der EKD steht allerdings noch aus. Sie ist von unserer Kirche erbeten worden.

 

Es steht nun zu hoffen, dass VEM, Evangelische Kirche im Rheinland und EKD gemeinsam die politischen Kräfte unterstützen, die vertreten durch Bundesministerin Wieczorek-Zeul den schwierigen Weg der Versöhnung mit den Völkern Namibias gehen wollen. Und zur Versöhnung gehört nach namibischem Verständnis auch ein Ausgleich für begangenes Unrecht, sonst bleibt die generationenübergreifende Lebensgemeinschaft unwiederbringlich zerstört.

 

Das Erinnerungsjahr wurde von den Kirchenkreisen, die mit der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Namibia seit langem verbunden sind, zum Anlass für intensive Begegnungen mit Christinnen und Christen aus und in Namibia genommen.

 

Die Leiterin unseres Frauenreferats, Frau Dr. Korenhof, nahm mit sechs weiteren Frauen unserer Kirche vom 3. bis 19. April 2004 an einer Begegnung mit Frauen unserer Partnerkirche in Namibia teil, auch im Kontext der ‚Erinnerung an den Krieg 1904-1907'. Im September fand ein Pastoralkolleg unter der Leitung des Direktors, Pfarrer Süselbeck, in Namibia zum Thema ‚Erinnerung und Versöhnung' statt, und im Juli veranstaltete der Gemeindedienst für Mission und Ökumene im Süden der EKiR ein Wochenendseminar mit Vertretern der ELCRN und dem Bischof der deutschsprachigen Lutheraner in Namibia ELCIN (DELK), das Sie in der epd-Dokumentation Nr. 39/40 vom 14.9.2004 aufgezeichnet finden.

 

Unsere Kirche unterstützte darüber hinaus mit 20.000 Euro auch einschlägige Veranstaltungen der namibischen Kirchen im Gedenkjahr.

 

In allem machten die Beteiligten die gute Erfahrung, dass Gott verändert und versöhnt, im Kleinen und im Großen. Und diese Erfahrung soll uns beflügeln, auch in anderen Zusammenhängen Neues und Heilsames zu erwarten.

 

"Siehe, ich mache alles neu! - Mission, Kraft der Erneuerung", unter dieser Überschrift tagte Ende September bis Anfang Oktober in Manila zum dritten Mal seit Bestehen die Generalversammlung der Vereinten Evangelischen Mission. Angesichts der unbeschreiblichen Elendsviertel der 19-Millionen-Stadt, der stickig-dreckig-schwülen Hitze der Metropole war die Verheißung am Ende der Apokalypse des Johannes eine Herausforderung, die auch durch die gute klimatisierte Versorgung am Tagungsort nicht verdrängt werden konnte.

 

Die gastgebende Vereinte Kirche Christi in den Philippinen, bekannt für ihr gesellschaftspolitisches Profil, zeichnete dann auch auf Grund ihrer Erfahrungen in der globalisierten Welt apokalyptisch anmutende missionstheologische Bilder, die zwar im Kontext einer nach wie vor starken imperialen Präsenz der USA in den Philippinen nachvollziehbar waren, aber doch in ihrer holzschnittartigen Zuspitzung von den meisten Delegierten  der 34 Mitgliedskirchen aus Afrika, Asien und Deutschland nicht übernommen wurden.

 

Wirtschaftliche Gerechtigkeit angesichts eines neo-liberalen Ökonomismus steht bei allen Kirchen ganz oben auf der Tagesordnung. Ökonomie ist eine Frage, die das Zentrum unseres Glaubens betrifft! Soweit der Konsens. Aber in den Entschließungen wurde deutlich, dass gegen die Verteufelung wirtschaftlicher und politischer Akteure - allen voran natürlich die USA - von der VEM eine klare Analyse der positiven und negativen Folgen der Globalisierung gefordert und der Dialog mit den relevanten Akteuren gesucht wird.

 

Die VEM möchte prophetisch reden und handeln, in der Hoffnung, dass nicht erst am Ende der Tage, sondern schon jetzt die Verhältnisse menschenfreundlicher gestaltet werden, ob in der Kriegsregion Zentralafrika, in der von der indonesischen Zentralregierung unterdrückten Provinz West-Papua oder in den aufstrebenden Wirtschaftszentren Südostasiens.

 

Mission, Kraft der Erneuerung wurde auch in der Auseinandersetzung mit den starken charismatischen und pfingstkirchlichen Strömungen durchbuchstabiert, die in unterschiedlicher Intensität alle Mitglieder der VEM herausfordert. Mehr noch als in Deutschland werden die Kirchen in Afrika und Asien verunsichert, weil gerade viele engagierte Gemeindeglieder, besonders unter der Jugend, von den lebendigen und partizipatorischen Gottesdiensten charismatisch geprägter Gemeinden angezogen werden. In einer immer anonymeren und konkurrenzgestressten urbanen Gesellschaft suchen Menschen nach einer verbindlichen Gemeinschaft und nach Zeichen der heilenden Gegenwart des Heiligen Geistes. Pfingstlich geprägte überschaubare christliche Gemeinschaften scheinen die Antwort auf den spirituellen Hunger vieler Christinnen und Christen zu sein. Die VEM öffnet sich dem Dialog mit der charismatischen Bewegung und den Pfingstkirchen, aber doch so, dass die Charismen, die Gnadengaben in ihren traditionsreichen Mitgliedskirchen nicht schamhaft verleugnet werden.

 

Der Geist Gottes ist auch in Kirchen zu finden, die nicht die Zungenrede pflegen oder Exorzismus praktizieren! Treue zum Evangelium und Geistesgegenwart findet sich auch unter denen, die im säkularen Bereich Erneuerung und Heilung suchen, mehr Gerechtigkeit, Frieden und Versöhnung. Die Mitglieder der VEM fragen auch kritisch nach den sozialen und wirtschaftlichen Ursachen des charismatischen Booms, fragen, was solche Gemeinschaften zum interreligiösen Dialog sagen, der in allen Regionen der VEM, in Deutschland, in Afrika und Asien notwendiger denn je ist.

 

Dennoch, die charismatische Bewegung wird jenseits aller Verirrungen und Übertreibungen im emotionalen Bereich als eine bleibende Herausforderung verstanden, in der Gestaltung von Gottesdiensten, in der Debatte über das Verhältnis von Heil und Heilung, in der Diskussion über das Verhältnis von Predigt des Wortes Gottes und persönlicher Erfahrung und in Afrika und Asien auch in der Auseinandersetzung mit dem Glauben an Dämonen und teuflische Mächte. Unsere deutschen, von der Aufklärung geprägten Mitgliedskirchen stehen nicht außen vor, weil etliche ihrer Mitglieder auf elementare Weise von der charismatischen Bewegung fasziniert sind und z. T. durch charismatische afrikanische und asiatische Migrantengemeinden in den Bann gezogen werden.

 

Das von Oberkirchenrat i.R. Dr. Regul auf der Generalversammlung 2000 eingebrachte Thema "HIV/Aids" ist für die VEM mittlerweile ein Schwerpunkt der Arbeit geworden. Alle Mitgliedskirchen der VEM sind aktiv in Prävention und Sorge für Betroffene. Die Mittel werden dank großzügiger Spenden mühelos aufgebracht.

 

Zwar gibt es nach wie vor Kirchenobere, die den Gebrauch von Kondomen tabuisieren und gleichgeschlechtliche Liebe zur Wurzel allen Übels machen wollen, aber das von der Generalversammlung verabschiedete theologische Grundsatzpapier ist ein im besten Sinne evangelisches Dokument. Und die Berichte aus Namibia, aus Ruanda und aus dem Kongo zeigen, dass Betroffene ohne Angst in ihrer Kirche Zuflucht und Beistand finden können. Claudia und Dirk Haarmann, promovierte Vikarin und Vikar unserer Kirche, entwickeln in Namibia bahnbrechende Strategien zur Bekämpfung von Aids, die auch von der Regierung mit Respekt diskutiert werden. Die härteste Nuss bleibt die Verständigung über Wesen und Grenzen verantwortlicher menschlicher Sexualität.

 

Kaum glaublich das Selbstbewusstsein der jungen Erwachsenen und der Frauen auf dieser Generalversammlung. Noch vor acht Jahren zitierten Bischöfe aus Afrika und Asien "ihre" weiblichen und jugendlichen Delegierten zu sich, um ihnen klar zu machen, was gesagt werden durfte und was nicht. In Manila hatten die drei Vertreter der Kirchen, die noch keine Frauen ordinieren, Mühe, ihre Situation zu rechtfertigen. Ergebnis: Bis 2008 soll es in der VEM keine Kirche mehr geben, die Frauen nicht ordiniert.

 

Durch Satzungsänderung wurde gewährleistet, dass ab sofort drei junge Erwachsene unter 27 Jahren stimmberechtigte Mitglieder des Rates der VEM sind, der zwischen den Generalversammlungen die Geschicke der VEM leitet.

 

Ein Zeichen der Bedeutung junger Erwachsener in der internationalen Missionsgemeinschaft war auch die Wahl der Beauftragten für Menschenrechtsfragen in Asien, Imelda Simangunsong, zur Vizemoderatorin der VEM. Die indonesische Pop- und Jazzsängerin überwand die engen Schranken des traditionellen männlichen Führungsanspruchs und wurde nach eingehenden Verhandlungen mit den asiatischen Delegierten statt ihres Bischofs neben Bischof Kameeta und Oberkirchenrat Wilfried Neusel Repräsentantin der VEM.

 

Wie in der Zeit der Reformation hat die VEM die Bedeutung von Liturgie und Musik für das christliche Zeugnis entdeckt. Gemeinsam mit CEVAA und CWM, den aus der Pariser und Londoner Mission hervorgegangenen Missionsgemeinschaften, will die VEM die ökumenischen liturgischen und musikalischen Impulse für das Gemeindeleben der  VEM-Mitglieder fruchtbar machen. Mehr davon im nächsten Jahr von Landeskirchenmusikdirektor Cyganek.

 

Ein Highlight war die Wahl der VEM-Hymne auf der Generalversammlung in Manila, in der unser Hennefer Pfarrer Morgenroth mit dem Song "Eins im Glauben" unter 63 Bewerberinnen und Bewerbern den Sieg davon trug.

 

Es gab eine angenehme Bewegung hin zur kritischen Wahrnehmung kircheninterner Gewaltstrukturen. Ein Verhaltenskodex gegen sexuelle Belästigung und ein Kodex gegen Korruption in den kirchlichen Beziehungen wurden verabschiedet. Deutlich kamen Zögerlichkeiten der Mitgliedskirchen im Einsatz für Menschenrechte zur Sprache. Oft finden die kirchlich bestellten Kontaktpersonen kaum Unterstützung durch ihre Kirchenleitungen. Trotz gendergerechter Stipendienpolitik der VEM sind Frauen in den afrikanischen und asiatischen Mitgliedskirchen nicht zufrieden mit ihren Mitwirkungsrechten. Das Erfreuliche ist, dass dies nun offen thematisiert werden kann. Kirchliche Benachteiligung von Alleinerziehenden und geschiedenen Müttern wird nicht mehr verschwiegen.

 

Erfreulich ist das Eingehen der VEM auf die Standards der kirchlichen Entwicklungsdienste. Es gibt Kriterien für die Bezuschussung von und Berichterstattung über Projekte(n) und Programme(n), die angesichts knapperer Finanzen den Einsatz der finanziellen Mittel optimieren.

 

Es ist zu hoffen, dass die für den Herbst diesen Jahres von unserer Kirche angefragte Evaluierung der Arbeit der VEM zu einer Rechenschaft eines exemplarischen ökumenischen missionarischen Bündnisses führt, das die Mitgliedskirchen und die von Bodelschwinghschen Anstalten in Bethel in der Mission zu neuen Ufern treibt.

 

Der internationale Austausch von Finanzen, Gütern, Dienstleistungen, Arbeitsplätzen und Technologien hat ein Maß erreicht, das zur Einschränkung staatlicher Souveränität führte. Es sind solche Phänomene der Globalisierung, die die Einheit von Staats-, Wirtschafts- und Sozialraum beenden und den Staat in ein immer engeres Netz transnationaler Abhängigkeiten und Verhandlungsbeziehungen hineinbringen. Diese "Entgrenzung" der Staaten erschwert die Prozesse der demokratischen Willensbildung und der politischen Identifikation. Da viele Aufgaben im Bereich der Sicherheit, der Umwelt, der Wirtschaft und des Handels im nationalen Rahmen allein nicht zu lösen sind, wird über internationale Kooperationen praktisch eine eigenständige Handlungsebene geschaffen.

 

Als dominante Faktoren erweisen sich die internationalen Finanzmärkte und ein lediglich quantitativ bemessenes wirtschaftliches Wachstum. Die Frage, wie sich die ökonomischen Folgen der Globalisierung auf Menschen und Schöpfung auswirken, scheint irrelevant in einem Kontext, der von einer nahezu religiösen Verherrlichung des Marktes geprägt ist.

 

Mit einer öffentlichen Fachtagung am 25. November 2004 wurde ein Studienprozess zu Fragen und Konsequenzen der ökonomischen Globalisierung in der EKiR eingeleitet. In Aufnahme eines ökumenischen Dokumentes von 2002 ("Wirtschaften für das Leben. Ein Brief an die Kirchen in Westeuropa" als Ergebnis einer ökumenischen Tagung in Soesterberg/NL, s. Anlage 2) sowie von Beschlüssen der Generalversammlung des Reformierten Weltbundes 2004 in Accra wurde ein Rahmen für die notwendige kirchliche Debatte abgesteckt.

 

Die neoliberale Wirtschaftsordnung und die Konzentration auf die Geldwirtschaft stehen auf dem Prüfstand. Unsere Kirche ist selbst eine ökonomische Akteurin. Ihr Handeln geschieht in der Bindung an die biblische Überlieferung – darüber müssen wir uns auch hinsichtlich ökonomischer Fragen verständigen.

 

Das beabsichtigte Arbeitsvorhaben soll Gemeinden und Kirchenkreise, die Gruppen und Träger des Konziliaren Prozesses sowie unsere Partnerkirchen in Europa, USA, Asien und Afrika einbeziehen. Zu seinen Eckdaten gehören die Dekade zur Überwindung von Gewalt wie auch die UN-Millenniumsziele, die u.a. die Halbierung der Armut bis 2015 anstreben.

 

Eine weitere Fachtagung vom 4.-5. April in unserer Akademie in Bonn-Bad Godesberg soll dazu dienen, Verabredungen über den Studienprozess zu treffen. Vor allem Gemeinden und Kirchenkreise sind herzlich zur Beteiligung eingeladen.

 

Angesichts des immer härteren Kampfes der Wohlfahrtsorganisationen um Spenden sollten wir ‚unseren' Hilfswerken, wie der Kindernothilfe, besondere Beachtung schenken: die Kindernothilfe, 1959 von engagierten Gemeindegliedern in Duisburg gegründet, arbeitet heute in 27 Ländern. Im Mittelpunkt steht die Förderung von Kindern und Jugendlichen, die ein Leben in Armut führen. Zur Armut kommen oft Erfahrungen von Gewalt und Ausbeutung, wie es die Schicksale von Kindersoldaten, Kindern in Prostitution und Kinderarbeitern zeigen. Aidswaisen leiden unter Ausgrenzung und behinderte Kinder sind in vielen Kulturen nach wie vor ein Makel.

 

Hier setzt die Arbeit der Kindernothilfe an. Die Besonderheit der Arbeit der Kindernothilfe ist es, Projekte christlicher Partner vor Ort zu unterstützen und zu begleiten. Dabei werden die Familien und Kinder in die Strategien zur Armutsüberwindung einbezogen. In der Kooperation mit den Partnern und der Orientierung an den Kindern als den Schwächsten in der Gesellschaft sind die Projekte Zeugnis gelebten Glaubens. Ihre Projekte sind langfristig angelegt mit dem Ziel der Hilfe zur Selbsthilfe. Neben der Entwicklungszusammenarbeit leistet sie je nach Möglichkeit auch Katastrophenhilfe, wie z.B. in Beslan und nun nach der Flutkatastrophe.

 

Die Arbeit wird getragen von Patenschaften und Projektpartnerschaften. Ihre diakonische Arbeit versteht die Kindernothilfe im Zusammenhang mit dem Einsatz für Kinderrechte, wie sie in der UN-Kinderrechtskonvention festgelegt sind. Durch Lobbyarbeit, aber auch durch Materialien für Gemeindearbeit und Schule will sie im Inland ein waches Bewusstsein schaffen für die Situation der Kinder in Armut.

 

Dies zeigt auch das Jahresthema 2005: "Armut bekämpfen. Mädchen können mit uns rechnen."

 

Die Kindernothilfe versteht sich als das ökumenisches Kinderhilfswerk, das durch viele Gemeinden und Christen in Deutschland unterstützt wird und mit christlichen Partnern weltweit zusammenarbeitet. Das Spendenmanagement und Finanzverhalten der Kindernothilfe ist transparent. Die Kindernothilfe erhält seit 1992 jährlich das Spendensiegel des Deutschen Zentralinstitutes für soziale Fragen (DZI).

 

Ich bitte die rheinischen Gemeinden und alle ihr Gemeindeglieder, diese wichtige Arbeit weiterhin zu unterstützen.

 

2.5  Gemeinschaft mit Schwestern und Brüdern der anderen christlichen Konfessionen

Im schriftlichen Teil seines Berichtes vor der Synode der EKD in Magdeburg Anfang November hat der Ratsvorsitzende, Bischof Huber, die Beziehungen zur römisch-katholischen Kirche, wie ich finde, zutreffend bewertet, indem er betonte, es ließen sich weder Verunsicherung noch Neuorientierung auf beiden Seiten völlig leugnen, um dann fortzufahren: "Die ökumenische 'Sturm- und Drangzeit', in der viel erreicht wurde, ist vorbei. Substantielle Unterschiede treten deutlicher hervor. ... Beide Kirchen stehen vor der Aufgabe, sich der jeweils anderen zu öffnen und die eigene Identität zu formulieren. So lässt sich die derzeitige ökumenische Gesprächssituation weniger als 'Abkühlung', sondern eher als eine Phase der Klarheit charakterisieren."

Zur Klarheit gehören auch Ent-Täuschungen im direkten Sinn des Wortes.

 

Zu nennen ist die enttäuschende Ablehnung des Pfingstmontags als "Tag der Einheit" durch die Vollversammlung der deutschen Bischofskonferenz auf ihrer Frühjahrstagung Anfang März 2004 in Bergisch-Gladbach. Im Jahre 2001 war dieser Vorschlag gerade vom Zentralkomitee der Deutschen Katholiken im Laufe der Vorbereitungen auf den Ökumenischen Kirchentag in Berlin 2003 in seinem von sehr vielen evangelischen und katholischen Christen begrüßten Text "Ermutigung zur Ökumene" gemacht worden.

 

Ferner beobachten wir seit Jahren eine sich ausweitende Marienfrömmigkeit und Mariologie. Deutlich wurde das nicht zuletzt bei dem feierlichen Gedenken an die Verkündigung des Dogmas von der unbefleckten Empfängnis Mariens vor 150 Jahren durch Papst Pius IX. Mit ihr begann 1854 das sogenannte marianische Jahrhundert. Die neuen Mariendogmen des 19. und 20. Jahrhunderts sind nach wie vor für evangelische Christen fremd und befremdlich.

 

Von evangelischer Seite hat die EKD-Schrift zum Verständnis des Abendmahles Unterschiede zum römisch-katholischen Eucharistieverständnis so deutlich herausgearbeitet, dass auch diese Veröffentlichung zu Enttäuschungen führte. Zu nennen ist sicher auch der letztjährige Beschluss unserer Synode zum Abendmahl als Mittel der Kirchenzucht.

 

Freuen möchte ich mich aber vor allem über die vielen Bereiche, in denen die ökumenische Zusammenarbeit mit der römisch-katholischen Kirche reibungslos verläuft und durch gemeinsames Auftreten auch sehr effektiv ist. Dabei denke ich an  das gemeinsame Eintreten für eine kinderfreundliche Familienpolitik in unserem Land. Gemeinsam war es möglich, in den Bundesländern für unsere Belange in Sachen Kindertagesstätten, Schulen, Jugendarbeit, Beratungsstellen und Arbeit für und mit Migrantinnen und Migranten einzutreten. Schließlich danke ich allen Kirchengemeinden, engagierten ökumenischen Gruppen und Kreisen, die das Bemühen um Verständigung und Einheit im Leibe Christi zu ihrer Sache gemacht haben. Mit Herzblut bemühen sie sich um eine Klarheit, die dem Partner gegenüber Respekt und Offenheit zum Ausdruck bringt und vor dem Herrn der Kirche bestehen kann. Dazu gehört auch, dass der Abschluss von Partnerschaftsverträgen zwischen evangelischen und römisch-katholischen Kirchengemeinden nach wie vor zu vermelden ist.

 

Dankbar bin ich für die auf allen Ebenen langjährige und verlässliche Gemeinschaft mit der griechisch-orthodoxen Kirche,  mit der eine unkomplizierte Zusammenarbeit möglich ist.

 

Wir freuen uns über das geschwisterliche Miteinander mit den Landeskirchlichen Gemeinschaften und den Freikirchen. Die dort ablaufenden Klärungsprozesse führen hoffentlich zu einem weiteren, verlässlichen und vertrauensvollen gemeinsamen Dienst.

 

Es ist Ausdruck eines vertrauten und vertrauensvollen Miteinanders, dass die Altkatholische Gemeinde in Bonn – ebenso wie die freie Gemeinde - ganz selbstverständlich und kostenfrei ihre Räumlichkeiten zur Durchführung unseres Bonner Presbytertages zur Verfügung stellt.

 

Sorge bereitet hingegen die Zukunft der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen, nachdem die EKD weitere Kürzungen des Etats vollzogen hat, so dass die Arbeitsfähigkeit dieser von Orthodoxie, Freikirchen, Deutscher Bischofskonferenz (DBK) und EKD getragenen Einrichtung gefährdet erscheint. Diese Gemeinschaft und Arbeitsbasis für gemeinsames Zeugnis und gemeinsamen Dienst ist eine wichtige ökumenische Realität in unserem Land, die zu erhalten uns wichtig bleiben muss.

 

3.     Jesus Christus ist unser Stellvertreter vor Gott, damit wir als seine Kirche eintreten für alle Welt

"Wenn Christus uns …vor Gott vertritt, so bedeutet dies für die Gruppe der Gläubigen, dass auch sie vor Gott für jemanden einzustehen hat. Dies kann für die Kirche nichts anderes sein als die Welt, die sie vor Gott vertritt." (D. Soelle, Stellvertretung, Stuttgart 1965, S. 149f).

 

14 Tage nach unserem Feiern der Geburt Jesu Christi klingt die Weihnachtsbotschaft der Engel noch in uns nach: "Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volke wiederfahren wird."

 

Und die Botschaft des Predigttextes am Heiligen Abend hat uns daran erinnert: 'Gott hat unsere Welt so sehr geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn sandte, damit die Welt gerettet und nicht gerichtet würde.'

 

In Jesus Christus ist das Reich Gottes angebrochen, mitten in unserer unheilen Menschenwelt und gleichzeitig zum Heil und zur Rettung für die ganze Menschenwelt.

 

Unserem Auftrag als Kirche Jesu Christi entspricht es daher nicht, uns von der säkularen Welt abzusetzen und einer nur vermeintlich 'frommen' Weltflucht das Wort zu reden. Unserem Auftrag als Kirche Jesu Christi entspricht es vor allem nicht, Teile unserer Welt und Gesellschaft als 'Reich des Bösen' zu identifizieren oder zu vernichten. Denn als missionarische Kirche sind wir gebunden, 'an Christi statt' einzutreten für alle Welt!

 

Unser Ziel kann dabei aber nicht sein, einen perfekten Gottesstaat auf Erden zu errichten und der Kirche die Oberaufsicht über staatliches Handeln anzumaßen.

 

Aber es entspricht unserem Auftrag als 'Missionarische Volkskirche' aller Welt und allen Menschen Zeugnis zu geben von Gottes Wort und Willen zur Gestaltung des menschlichen Lebens, des individuellen wie des gemeinschaftlichen Lebens. Die Begriffe 'Mission' und 'Volkskirche' stehen dabei in einer gewissen Spannung zu einander, vor nicht wenigen Jahren hätten wir diesen Begriff als 'Widerspruch in sich' bezeichnet. Diese alten Gegensätze sind heute aber überwunden: dass missionarisches Wirken nicht ohne Weltverantwortung dem Evangelium entsprechend geübt werden kann, ist genau so akzeptiert wie die Erkenntnis, dass die verantwortliche Gestaltung der Welt dieser das explizite Zeugnis von Gott als Schöpfer und Jesus Christus als Erlöser und Heil der Welt nicht schuldig bleiben darf.

 

Das heißt: als Kirche Jesu Christi bezeugen wir den Menschen unseren Glauben an den Vater Jesu Christi als den Gott, der sich durch Jesus Christus auch mit ihnen versöhnen will und gleichzeitig treten wir ein für Gerechtigkeit, Frieden und  Bewahrung der Schöpfung und für die Achtung vor der Würde aller Menschen.

 

Ich hoffe, dass unsere Kirche auf dieser Synode weitere Schritte auf diesem Weg gehen wird. Unsere Beschäftigung mit den in der Vorlage 'Prioritätendiskussion' dargestellten Überlegungen zu einem Leitbild 'Missionarische Volkskirche' wird dazu weitere Konkretionen liefern. Das gilt ebenso für den thematischen Schwerpunkt dieser Synodaltagung, der sich mit den Antworten zum Proponendum 'Auf Sendung' beschäftigen wird.

 

Bedanken möchte ich mich in diesem Zusammenhang bei allen unserer Kirche verbundenen Politikerinnen und Politikern. Ein Dank geht auch an alle, die ihre persönliche Bindung an Gottes Wort und Willen einbringen in die Arbeit und das Leben von Parteien, Gewerkschaften, Verbänden und Medien unseres Landes.

 

3.1   Einsatz für soziale Gerechtigkeit

In der Bundesrepublik Deutschland erleben wir gegenwärtig einen weitreichenden Umbau des gesamten Sozialbereiches, der für eine Vielzahl von Menschen, auch in unserer Kirche, ganz unmittelbare Folgen hat und mit zum Teil erheblichen finanziellen Verschlechterungen für viele Einzelne und Familien verbunden ist.

 

Dass in Deutschland Reformen dringend geboten sind, um volkswirtschaftliches Leistungsvermögen und Finanzierung sozialer Sicherung wieder in Übereinstimmung zu bringen, wird seit vielen Jahren von niemandem bestritten. Aber Bundesregierung, Parlamente, Kirchen, Parteien, Verbände und Wissenschaften divergieren, in welche Richtung die Weichen gestellt werden müssen. Zum Teil quälende Auseinandersetzungen und Aushandlungsprozesse haben daher von Anfang an die gesetzgeberischen Initiativen und Bemühungen der Tarifparteien und anderer Akteure begleitet und oft genug nach kurzem blockiert. Es zeigte sich: oft waren die Einzelinteressen oder gar parteitaktisches Kalkül stärker als der gemeinsame Wille zu sinnvollen Reformen. Eine lagerübergreifende Orientierung am Gemeinwohl ist eine vordringliche Zielsetzung. Damit wäre eine tragfähige Basis für alle weiteren Sachdiskussionen gegeben.

 

Im Blick auf das, was beschlossen und nun in Gang gesetzt worden ist, möchte ich einige Punkte hervorheben.

 

Ich sehe keine überzeugenden Gründe, warum wir unsere grundsätzliche kirchliche Position, die wir 1997 mit dem Gemeinsamen Wort der Kirchen und seinem Plädoyer "Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit" deutlich gemacht haben, heute revidieren müssten. Im Gegenteil. Wir werden weiterhin den sozialpolitischen Umbau im ganzen und seine einzelnen Maßnahmen daraufhin prüfen und daran messen, ob sie der großen gemeinsamen Orientierung an Gerechtigkeit und Solidarität entsprechen werden oder nicht. Solidarität und Gerechtigkeit bleiben unsere Maßstäbe.

 

Die Bejahung der Notwendigkeit von Reformen ist kein Freibrief für Formen von sozialer Ausgrenzung der unterschiedlichsten Art. Die Fliehkräfte in unserer Gesellschaft nehmen zu, die soziale Kohäsion ab. Das ist eine große Gefahr - wir müssen ihr in Wort und Tat widerstehen.

 

Die Bejahung von notwendigen Reformen ist auch kein Freibrief für Regierungen, dem Sozialversicherungssystem Finanzlasten aufzubürden, die dort nicht hingehören, sondern von der Gesellschaft als Ganzes zu tragen sind. Kritische Prüfung bzw. Rechtfertigung tut Not verbunden mit einem besseren Schutz der von Arbeitgebern und z.T. allein oder zunehmend überwiegend von Arbeitnehmern eingezahlten Gelder.

 

Dies schließt zugleich auch den sorgfältigen Umgang mit den Sozialversicherungssystemen ein: das gilt für den "kleinen" Leistungsmissbrauch ebenso wie für die millionenschweren einzelwirtschaftlichen Kostenverlagerungen in die Sozialversicherung hinein: wer "sozialverträglich Beschäftigungsanpassung" vereinbart, Beschäftigungsabbau unter kräftiger Mitfinanzierung der Sozialversicherung (vom strukturellen Kurzarbeitergeld bis zur Frühverrentung) praktiziert  u n d  im gleichen Atemzug die steigenden Lohnzusatzkosten beklagt, verhält sich - auch intellektuell - u n r e d l i c h.

 

Zu einzelnen Themenbereichen haben wir in der zurückliegenden Zeit öffentlich Stellung bezogen: zum Beispiel zur Reform des Gesundheitswesens (Juli 2003), zur Frage zunehmender sozialer Polarisierung in unserem Land (August 2004, Arbeitshilfe  "Reichtum braucht ein Maß - Armut eine Grenze").

 

Die Evangelische Kirche im Rheinland und ihre Diakonie sprechen sich unter Beachtung verabredeter Standards für die Einrichtung solcher ‚Arbeitsgelegenheiten' aus. Sie raten dazu, für die Koordination der Arbeitsgelegenheiten in der Region, wie auch der sozialpädagogischen Begleitung der Teilnehmer/innen, eng mit den Beschäftigungs- und Qualifizierungsträgern der Diakonie zusammen zu arbeiten.

 

Die Angebote sollen dem Ziel der Integration in den allgemeinen Arbeitsmarkt durch den Erhalt bzw. die Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit dienen. Qualifizierung soll hierbei in enger Verzahnung mit der Beschäftigung an den individuellen Fähig- und Fertigkeiten des Einzelnen ansetzen und zum Gelingen der Eingliederungsvereinbarungen beitragen.

 

Ich habe hierzu gemeinsam mit dem Direktor des DW Rheinland einen Leitfaden an die Gemeinden und diakonischen Einrichtungen unserer Landeskirche herausgegeben, den zur Kenntnis zu nehmen ich Sie freundlich bitte.

 

Beim Umbau des Sozialstaates haben folgende fünf Zielsetzungen, die von den Reformbefürwortern in Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat genannt worden sind, unsere volle Zustimmung:

1.    Verbesserte Reintegration von Langzeitarbeitslosen in den regulären Arbeitsmarkt

2.    Verzahnung aller Arbeitsmarktreformmaßnahmen mit einer nachhaltigen Beschäftigungspolitik.

3.     Vermeidung sozialer Armut und Vermeidung sozialen Absturzes von Personen, die ihren Arbeitsplatz verlieren und dauerhaft keine Chance auf dem Arbeitsmarkt finden. Das sind mittlerweile nicht nur die Älteren und die Erwerbsfähigen mit Handicaps.

4.    Nachhaltige Stabilisierung der sozialstaatlichen Strukturen und Finanzierungsregelungen.

5.    Kostenentlastung der Gemeinden, um ihnen wieder die Möglichkeit zu eröffnen, wichtige Zukunftsaufgaben selber anzugehen und zu finanzieren.

 

Eine besondere Verantwortung unserer Kirche im gegenwärtigen Umgestal­tungsprozess sehe ich darin, dass wir sehr genau und kritisch darauf zu achten haben, wie die Lasten der Veränderung auf die verschiedenen Bevölkerungsgruppen aufgeteilt werden.

 

Im Bereich unserer Landeskirche haben in den letzten Monaten zwei Landesregierungen Sozialberichte vorgelegt, in denen auf wissenschaftlicher Basis Daten und Fakten zur Armuts- und zum Teil auch zur Reichtumsentwicklung aufgearbeitet worden sind. Die Sozialberichte von Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen (NRW) lassen deutlich erkennen, wer die Gewinner und Verlierer der augenblicklichen Veränderungsprozesse in unserem Land sind. Der jüngst vorgelegte Sozialbericht für NRW informiert z.B. darüber, dass die prozentuale Abgabenlast im unteren Einkommensbereich deutlich höher ausfällt als im oberen Einkommens- und Vermögensbereich der Bevölkerung. Die Berichte belegen einhellig: die Zahl armer Menschen nimmt zu, während sich gleichzeitig die Schere zwischen Arm und Reich weiter öffnet. Zu den größten Armutsrisiken gehört die Arbeitslosigkeit. Zu den besonders gefährdeten Gruppen gehören Familien, Alleinerziehende und ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger bzw. Migrantinnen und Migranten.

 

Während die sogenannte Altersarmut in Deutschland derzeit rückläufig ist, rücken die Kinder, denen unsere besondere Fürsorge gelten muss, auf der Armutsskala nach vorne. Eine Million Kinder und Jugendliche leben in Deutschland von Sozialhilfe. Eine weitere Million Kinder und Jugendliche leben in relativer Armut. An diesem Punkt sehe ich den größten Handlungsbedarf für die Politik, aber auch für uns in Kirche und Diakonie. Unsere Anstrengungen, die wir unternehmen, reichen hier noch nicht aus. Wir werden daher auf der nächsten Landessynode im Jahr 2006 unsere besondere Aufmerksamkeit dem Thema Familienförderung zuwenden.

 

Unterbeschäftigung und Arbeitslosigkeit sind Ausdruck der größten Zielverfehlung in unserem Lande: seit 4 Jahren nimmt die Erwerbstätigenzahl ab, und besonders ausgeprägt verringert sich die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Das muss uns alle mit großer Sorge erfüllen. Und dies verlangt makroökonomisches Handeln für mehr Beschäftigung.

 

Eine wichtige Aufgabe für die Kirche bleibt die Weiterführung unserer erfolgreichen Arbeit in den Beratungs-, Qualifizierungs- und Beschäftigungsprojekten, insbesondere für Langzeitarbeitslose. Wir werden uns dagegen wehren, dass es nicht nur in diesem Bereich zu einer Verdrängung von existenzsichernden Arbeitsplätzen durch die Arbeitsgelegenheiten und die sogenannten 1-Euro-Jobs kommen wird.

 

Insgesamt ist in der Umgestaltung unserer sozialstaatlichen und marktwirtschaftlichen Regelungen darauf zu achten, dass nicht Einzelinteressen und kurzfristige Reaktionsmuster die Oberhand gewinnen, sondern dass die gesamtgesellschaftliche Wohlfahrt und entsprechende Rationalität gestärkt werden. Ich meine, dass dazu der Protestantismus in der Vergangenheit entscheidendes beigetragen hat und dieser Tradition und Kenntnis entsprechend auch heute wesentliche Impulse setzen kann.

 

Die Bundesregierung propagiert für ihre Reformmaßnahmen das Motto "Fordern und Fördern". Dieses Motto ist irreführend. Denn tatsächlich ist das Fordern groß und das Fördern kleingeschrieben. Es werden erheblich Pflichten auferlegt, die Ersparnisse bei den Beziehern des Arbeitslosengeldes II angerechnet, es wird fast jede Arbeit als zumutbar angesehen, während die Unterstützungsangebote bescheiden sind. Eine Verletzung des Gerechtigkeitsgrundsatzes sehe ich jedoch vor allem darin, dass das Programm des Forderns und Förderns einseitig an die Arbeitslosen und Marginalisierten adressiert ist, die in unserer Gesellschaft Begünstigten jedoch unbehelligt lässt. Dies kann so auf Dauer nicht bleiben.

 

Lassen Sie mich diese Überlegungen mit einer Beobachtung schließen, aus der wir auch Konsequenzen im Blick auf eine der nächsten Landessynoden bereits vorgesehen haben. Ich sehe in der öffentlichen Diskussion über das, was in Deutschland Not tut, um eine vernünftige soziale und ökonomische Entwicklung im europäischen Horizont zu erreichen, einen Mangel darin, dass der globale Maßstab der Entwicklungen zu wenig wahrgenommen, verstanden und berücksichtigt wird. Gerade aber für die Globalisierung, die unsere nationalstaatlichen Traditionen herausfordert, brauchen wir Verabredungen, Regelungen, Schutz vor einem Turbo-Kapitalismus, der seine Grundlagen zu vernichten droht.

 

3.2   Einsatz für Frieden

Leider müssen wir feststellen, dass die Friedensarbeit in den Kirchengemeinden vor Ort nicht mehr die Strahlkraft und Anziehung früherer Jahre entfaltet. Ich bedauere das sehr, denn die Thematik ist nach wie vor dringlich und entscheidend für die Qualität des Zusammenlebens der Nationen. Dem zuständigen Dezernat im Landeskirchenamt danke ich für den beharrlichen Einsatz. Ich wünsche mir, dass diese wichtigen Probleme trotz aller Beschäftigung mit den  Strukturfragen wieder mehr Leidenschaft in den Gemeinden entfachen.

 

Im Jahre 2005 wird die Mitte der Dekade zur Überwindung der Gewalt erreicht. Gemeinsam mit der Lippischen Landeskirche und der Evangelischen Kirche von Westfalen ist für die Zeit ab Ostern das Programm "COURAGIERT GEWALT ÜBERWINDEN" entwickelt worden, das den Gemeinden und Einrichtungen in diesen Tagen mit einem Flyer bekannt gegeben wird.

 

Zu seinen Etappen gehören ein Folk-Fest in Rheinhausen am 21. Mai, eine Banner-Aktion auf Brücken, ein Dialog mit Kirche und Politik, ein Text-Projekt, das Gespräch zwischen den Kulturen. Das Projekt "Konfis stiften Frieden" umfasst zweitägige Trainings in gewaltfreier Konfliktbearbeitung; hierfür können Fördermittel bei der Landeskirche beantragt werden. Das Gesamtprogramm endet mit einem zentralen Fest in der Ev. Schule Gelsenkirchen am 17.09.2005; die Präsides und der Landessuperintendent sind Schirmherren dieser Veranstaltung.

 

Die Landeskirche veranstaltet im Winter 2004/2005 einen zweiten berufsbegleitenden Grundkurs in gewaltfreier Konfliktbearbeitung in Zusammenarbeit mit dem Oekumenischen Dienst Schalomdiakonat mit acht Teilnehmenden.

 

Die Projektförderung zur Dekade endet gemäß Synodalbeschluss mit dem Jahr 2005. Für 2004 sind Mittel in Höhe von 32.021,67 € beschlossen worden.

 

Viele unserer Gemeinden, Werke und Einrichtungen – leider muss man sagen: erst nach motivierenden Hinweisen aus dem LKA – haben die Chance aktiv aufgenommen, Projekte zu entwickeln und Kompetenz in Konfliktprävention sowie in gewaltfreier Konfliktlösung einzuüben. Sie setzen die vorrangige Option für die Gewaltfreiheit in konkretes Handeln um.

 

Das Anliegen der Dekade lautet "Kirchen auf der Suche nach Frieden und Versöhnung". Der Ökumenische Rat der Kirchen verbindet damit die Aufforderung, den "Einsatz für Frieden und Versöhnung vom Rand in das Zentrum des Lebens und Zeugnisses der Kirche zu rücken" (so Konrad Raiser) und eine Spiritualität der Gewaltfreiheit zu entwickeln. Dieser Prozess beinhaltet auch die kirchliche Selbstprüfung anhand der Frage, wie und wo unsere Kirche in Geschichte und Gegenwart dazu beigetragen hat, Gewaltstrukturen religiös zu sanktionieren und zu legitimieren. Das Amt der Versöhnung, das uns aufgetragen ist, erfordert aktives Lernen und Handeln, um Konflikte zu transformieren, um Konfrontation in Kooperation zu verwandeln. Ein aktiver, geistiger und geistlicher Prozess ist nötig, um den Teufelskreis der Gewalt zu durchbrechen. Unser Ziel ist eine Kultur des Friedens und der Gewalt­losigkeit. Auch bei nüchterner Wahrnehmung des Weltgeschehens halten wir an dieser Hoffnung fest, die sich zuerst nicht aus Analysen der Weltverhältnisse speist, sondern aus unserem Glauben an den Gott, der diese Welt trägt und erhält.

 

In einem ganz anderen Geist hat der amerikanische Präsident zwar den Sieg im Irak erklärt, dem Land jedoch keinen Frieden gebracht. Im Irak wird täglich erbitterter, blutiger Widerstand geleistet gegen die Besatzungsmacht und ihre Alliierten.

 

Weltweit bestehen erhebliche Zweifel an der amerikanischen Militär- und Außenpolitik. Die kirchlichen Stimmen in Europa gegen die Intervention im Irak waren eindeutig. Der Krieg gegen den Irak lässt sich nicht als "ultima ratio" rechtfertigen. Er wurde mit falschen Versprechungen, unwahren Behauptungen begonnen und hat zu erschreckenden Verletzungen der Menschenrechte geführt. Seine Rechtfertigung durch evangelikale Gruppierungen in den USA kann ich nur als eine falsche Auslegung des Evangeliums bezeichnen.

 

Insbesondere die United Church of Christ (UCC) – nach ihrem Selbstverständnis eine Kirche des gerechten Friedens - betont die Notwendigkeit einer multilateralen Politik, die sich um Abstimmung, um konstruktive Konfliktlösung und um Einhaltung des international geltenden Rechts bemüht. Bei meinem Besuch im April 2004 in der Penn Central Conference, in der Southern Conference und beim National Office der UCC konnte ich verfolgen, wie sich unsere Partnerkirche mit dem "Bushismus" auseinander setzte und ihre Mitglieder zu politischen Diskussionen ermutigte.

 

Seine Außenpolitik hat der amerikanische Präsident mit einem Jesus-Wort verbunden: wer nicht für mich ist, ist gegen mich. Zur Begründung seines politischen Handelns verweist er auf das Gebet. Wer so handelt, darf sich nicht wundern über den Vorwurf, Gott und Glauben zu funktionalisieren. Politische Entscheidungen werden auch durch Gebete des Präsidenten nicht den Kriterien Wahrheit, Gerechtigkeit und Frieden enthoben. Gott lässt sich nicht spotten.

 

Ich habe in den USA erfahren, wie sehr es die Menschen in den Gemeinden unserer Partnerkirche beunruhigt, dass sich ihre Nation in Auseinandersetzungen immer auf Gewalt verlassen hat. Dass mit dem 11. September 2001 der Terror in die USA kam, löst bis heute Angst und Unsicherheit aus. Die politische Antwort des Präsidenten liegt in der Beschwörung und im Einsatz einer "erlösenden" Gegengewalt. Unsere Partnerkirche UCC verfolgt dagegen das Leitbild des Gerechten Friedens. Sie fördert eine Kultur der Gewaltfreiheit und der Versöhnung. Kirchengemeinschaft heißt für uns, in diesen Fragen eng zusammen zu arbeiten.

 

1980/81 wurde die Kirchengemeinschaft zwischen der damaligen EKU und der UCC festgestellt. Das 25jährige Jubiläum dieses Ereignisses wird im November 2005 mit einer großen Konferenz in Berlin begangen, deren Ziel eine Vertiefung des theologischen Dialogs ist. Die Evangelische Kirche in Baden und die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau in der UEK, die nicht zur EKU gehörten, haben ihre Absicht bekundet, in die Kirchengemeinschaft mit der UCC einzutreten.

 

Die von unserer Kirche durchgeführten friedensethischen Fachtagungen der letzten Jahre haben geholfen, das Leitbild des gerechten Friedens zu vertiefen und zu klären. Die Beiträge der Tagung Unilateralismus und "Krieg gegen den Terror" am 18.03.2004 sind als epd-Dokumentation Nr. 16/2004 veröffentlicht worden.

 

Eine Konsequenz dieser Tagung besteht darin, die Gestaltung der transatlantischen Beziehungen auch als eine kirchliche und ökumenische Aufgabe zu begreifen. Gerade weil der Krieg gegen den Irak bzw. der sogenannte Krieg gegen den Terror auch dazu diente, die Logik des Krieges neu zu legitimieren, halten wir in den Kirchen an der Vision und der Konzeption eines gerechten Friedens fest. Politisch bedeutet dies u.a. die Forderung nach einer klaren Trennung von militärischen und zivilen Akteuren in Friedenseinsätzen, eine deutlichere Förderung ziviler Friedenskräfte, einen qualitativen Umbau des völkerrechtlichen Gefüges zu einer "Weltfriedensordnung".

 

Um die friedensethische Diskussion in unseren Gemeinden zu verstärken, wird zurzeit eine Arbeitshilfe zur Friedensarbeit erstellt (Auftrag der Landessynode 2004). Sie soll im Laufe des Jahres erscheinen.

 

3.3   Einsatz für die Bewahrung der Schöpfung

In unserer von Krieg, Terror, Naturkatastrophen und Wirtschaftsproblemen geplagten Welt fällt es oft schwer, die Welt als gute Schöpfung Gottes zu verstehen.

 

Der Glaube an Gott, den Schöpfer von Himmel und Erde, und die Betonung der menschlichen Verantwortung für einen ehrfürchtigen Umgang mit der Schöpfung Gottes ist Judentum, Christentum und Islam grundsätzlich gemeinsam. Das Feiern von Erntedanktagen und Schöpfungszeiten bietet sich als Feld für konfessions- und religionsübergreifende Begegnungen von Gemeinden an. Diese Tage sind ein kostbarer Schatz: sie helfen, den Gesprächsfaden zu halten oder neu aufzunehmen. Ich möchte die Gemeinden ermutigen, die damit verbundenen Möglichkeiten immer wieder neu zu entdecken. Allen Agenda-Gruppen und dem Kirchenkreis Moers, die organisatorische und liturgische Modelle zur Feier einer Schöpfungszeit in der EKiR erarbeitet haben, möchte ich für ihren Einsatz danken

 

Gezielt habe ich das Gespräch mit Bäuerinnen und Bauern und mit Interessenvertretungen landwirtschaftlicher Organisationen diesmal im Norden unserer Kirche in Issum gesucht. Dabei habe ich dankbar erlebt, wie sie sich im ländlichen Raum engagieren, so dass regionale Kreisläufe, fairer Handel, Direktvermarktung der Produkte, Beziehungen zwischen Erzeugern und Verbrauchern bewusst und stärker zum Prinzip des Handelns werden.

 

Die grundlegenden Erfahrungen des Ringens um Lebensmittel sind aber vielen Menschen der Wohlstandsgesellschaft kaum noch bekannt. Das Verbraucherverhalten nimmt auf Umwelt und Nachhaltigkeit immer noch zu wenig Rücksicht, sondern lässt sich zu sehr vom Preis leiten. Billige Lebensmittel kosten jedoch vielen bäuerlichen Betrieben die Existenz. Die Devise "Wachsen oder Weichen" beschleunigt den so genannten "Struktur­wandel" in den Dörfern nicht nur bei uns, sondern ebenso in Osteuropa und weltweit.

 

Das Argument, die Produktion weiter verbilligen zu müssen, um dem Hunger in der Welt gerecht zu werden, verschleiert das gigantische System der Fehlleitung von Ressourcen. Nicht der Mangel an Lebensmitteln ist das Problem, dass wir nun gar mit Hilfe der Gentechnik auch im Pflanzenanbau und in der Tierhaltung zu beheben trachten, sondern das Diktat zunehmend rein wirtschaftlicher Interessen.

 

Kleinere und größere Bausteine fügen sich wie in einem Puzzle zu einem lebendigen Bild, in dem unverwechselbar die Botschaft Jesu Christi, die Zuwendung Gottes zu den Schwachen, sichtbar wird. An zentralen Erntedanktagen, wie in den vergangenen Jahren oder in diesem Jahr im Kirchenkreis Simmern-Trarbach, auf der Grünen Woche in Berlin, bei Gemeindefesten und Veranstaltungen der Jugend- und Erwachsenenbildung in Seminaren und Publikationen werden Probleme der Gentechnik diskutiert und für faire Handelsbeziehungen geworben. Auch die Förderung von Arbeitsplätzen in der Landwirtschaft statt flächenbezogener Hilfen der EU ist ein weiteres Anliegen, das wir ins Gespräch einbringen.

 

Sorgentelefone und die Beratung für bäuerliche Familien bieten denen Begleitung an, die in dem rasanten Verdrängungsprozess auf der Strecke bleiben. Die Probleme z.B. der Generationenfolge oder die seelische Not von Menschen, die bei Tierseuchen alles verloren haben, bleiben Herausforderungen besonderer seelsorglicher Begleitung.

 

Die Erwartungen an Kirche auf dem Lande als Gesprächspartnerin und Moderatorin in diesem gewaltigen Prozess der Umstrukturierung sind nach wie vor hoch und unsere Präsenz von großer Bedeutung.

 

3.4   Einsatz für Integration

Im Juli 2004 ist es endlich gelungen, im Vermittlungsverfahren zwischen Bundestag und Bundesrat einen Kompromiss für ein Zuwanderungsgesetz zu erreichen. Damit ist ein quälender Prozess zu Ende gegangen, der im Jahr 2001 mit der Berufung der "Süßmuth-Kommission" so hoffnungsvoll begonnen hatte.

 

Immerhin wird mit dem neuen Gesetz anerkannt, dass Deutschland ein Zuwanderungsland ist und die Integration von Migranten eine gesellschaftliche und politische Schlüsselaufgabe der kommenden Jahre darstellt. Dabei ist nicht allein der Gesetzgeber gefragt, sondern es kommt wesentlich auf die in unserer Gesellschaft herrschenden Mentalitäten und nicht zuletzt auf die Bereitschaft der Migranten selbst an.

 

Im Rahmen unserer Möglichkeiten sind auch wir als Evangelischen Kirche im Rheinland gefordert. Ich begrüße deshalb ausdrücklich die wichtigen Vorarbeiten, die in unserer Landeskirche mit den Broschüren "Durchgangsland oder Bleibegesellschaft?" und "Integration braucht ein Konzept" geleistet worden ist und die sich darin fortsetzt, dass wir uns auch zukünftig an der Integrationsoffensive mit dem Motto "Integration mit aufrechtem Gang" beteiligen werden.

 

Wichtig bleibt, alles dafür zu tun, dass es zu einem fruchtbaren Miteinander von Zugewanderten und Mehrheitsgesellschaft kommt.

 

Altfallregelung: Was im Vermittlungsverfahren für das Zuwanderungsgesetz versäumt wurde, kann sich jetzt in der Praxis als eine gewaltige Last herausstellen. Ich spreche von den mehr als 200.000 Menschen, die als "Geduldete" in unserem Land leben und keine Perspektive haben.

 

Schon vor In-Kraft-Treten des Zuwanderungsgesetzes haben wir mit Eingaben an die Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder versucht, eine Lösung in Form einer "Altfallregelung" – analog zu den Regelungen von 1999 – zu erreichen. Die Innenministerkonferenz will aber zunächst die Erfahrungen mit dem Zuwanderungsgesetz abwarten und das Thema gegebenenfalls im Mai erneut aufgreifen.

 

Die Kirchenleitung wird sich über den Bevollmächtigten des Rates der EKD an die Bundesregierung wenden, um darauf hinzuwirken, dass die Bundesregierung im Einvernehmen mit den Ländern eine Altfallregelung ermöglicht. Damit könnten lange in Deutschland lebende Familien, die längst integriert sind, eine sichere Lebensperspektive erhalten.

 

Ein zentraler Baustein in den Vermittlungsverhandlungen für ein Zuwanderungsgesetz war die gesetzliche Regelung von Härtefällen. Mit § 23a Aufenthaltsgesetz haben die Länder die Möglichkeit erhalten, Härtefall-Kommissionen einzurichten. Die gesetzlichen Vorgaben sind von dem Hin und Her im Vermittlungsverfahren gekennzeichnet. Es sollte auf jeden Fall ein weiterer Rechtszug vermieden und eine großzügige Behandlung von Härtefällen verhindert werden. Die jetzt getroffene Regelung geht von "dringenden humanitären oder persönlichen Gründen" aus, alles unbestimmte Rechtsbegriffe, die ggf. gerichtlich überprüft werden müssten. Sollte dies geschehen, gerät die gesamte – vorläufig auf 5 Jahre befristete – Regelung in Gefahr.

 

Wie nicht anders zu erwarten, ergibt sich für die Einrichtung von Härtefallkommissionen kein einheitliches Bild.

 

Die für unser Kirchengebiet relevanten Verordnungen siedeln die Härtefallkommissionen beim Petitionsausschuss (Hessen) oder dem zuständigen Fachministerium für Inneres (und Sport) an (Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz); im Saarland beruft der Landtag den Vorsitzenden, während die anderen Mitglieder entsprechend der vom saarländischen Kabinett gebilligten Verordnung auf Zeit berufen werden. Das Fachministerium stellt eine Geschäftsstelle zur Verfügung, die von den Mitgliedern der Härtefallkommission für die Vorbereitung des Sachvortrags im Rahmen der gesetzlich normierten Selbstbefassung in Anspruch genommen werden kann.

 

Die Kirchen hatten sich weder einen solchen föderalen "Verordnungs-Reichtum" noch die damit verbundenen Gefahren bürokratischer wie verfassungsrechtlicher Provenienz gewünscht. Die Praxis muss jetzt zeigen, ob der politische Wille zur Einrichtung einer Härtefallkommission stark genug ist, administrative wie strukturelle Schwächen zu überwinden.

 

Kirche und Diakonie im Rheinland haben immer wieder mit innovativen Projekten zur Weiterentwicklung und Humanisierung unseres Gemeinwesens beigetragen.

 

Beispiele hierfür sind die Verfahrensberatung für Asylsuchende und Flüchtlinge, die heute längst Standard sind und von anderen Ländern übernommen wurden; oder die Arbeit der Härtefallkommission, die in 8 Jahren an annähernd 6.000 Einzelentscheidungen mitgewirkt hat und schließlich die seit 3 Jahren europaweit einzige Abschiebungs­beobachtungsstelle am Flughafen Düsseldorf, die zur Ausreise verpflichtete Ausländer begleitet.

 

Die dort geleistete Arbeit hat über NRW hinaus Interesse geweckt und war Gegenstand einer ersten europaweiten Tagung mit dem Ziel, eine Harmonisierung von Abschiebungsstandards in der Europäischen Union zu erreichen. Im Frühjahr 2005 soll der zusammen mit dem Bevollmächtigen des Rates der EKD be­gonnene Dialog unter Beteiligung des Bundesgrenzschutzes bzw. niederländischer und französischer Grenzschutzstellen fortgesetzt werden.

 

In diesem Kontext sind auch die seit sieben Jahren durchgeführten europäischen Asylrechtstagungen zu sehen, die von unserer Landeskirche zusammen mit der Evangelischen Landeskirche in Baden, der Église Réformée de France, der CIMADE und dem Diakonischen Werk der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Württemberg durchgeführt werden.

 

Gerade im Migrationsbereich zeigt sich deutlich, dass lokale Aufgabenstellungen nur noch im europäischen Horizont sachgerecht angegangen werden können.

 

Ich nutze die Gelegenheit, um allen, die als Haupt- oder Ehrenamtliche in dieser wichtigen zivilgesellschaftlichen Aufgabenstellung engagiert sind, für ihre Mitarbeit in unserer Kirche und Diakonie zu danken.

 

Integration: Gestritten wird seit Neuestem über Scheitern und Chancen der multikulturellen Gesellschaft. Was gestern als Versprechen einer kosmopolitischen Zukunft galt, weckt heute Verdacht und macht Angst.

 

Anlass für die Diskussion sind Ereignisse in unserer unmittelbaren Umgebung. Anlass ist die Überzeugung, es könnte auch bei uns geschehen, was in New York, in Madrid und zuletzt in den Niederlanden viele Menschen erschreckt hat.

 

Was jetzt wie eine Zeitenwende beschrieben wird, haben wir selbst zu verantworten durch eine jahrzehntelange Fehlpolitik. Die Probleme, deren Beschreibung jetzt jedem wie selbstverständlich von den Lippen geht, sind hausgemacht. Unser Land ist ein begehrtes Zielland für Zuwanderer. Die meisten wurden angeworben, viele sind dann über die Familienzusammenführung oder als Flüchtlinge dazu gekommen.

 

Zwei Grundfehler begleiten die bisherige Zuwanderung:

a)     wir suchten Arbeitskräfte, es kamen aber Menschen (M. Frisch),

b)     wir hofften auf Assimilation und stellen fest, dass sich Parallelgesellschaften entwickelt haben.

 

Die Arbeitsmigration ist wie die gesamte Zuwanderungspolitik begleitet von Selbsttäuschungen: gedacht war an zeitlich befristete Aufenthalte, an die Möglichkeit, sich durch Arbeit eine bessere Zukunft im Herkunftsland zu verschaffen und vor allem, die spätere Rückkehr ins Herkunftsland.

 

Diese Illusion ist schon lange geplatzt. Die Menschen blieben und vor allem sie blieben, was sie waren.

 

Die Frage muss gestellt werden, was die Aufnahmegesellschaft unternahm, die Zuwanderer zu integrieren? Da ist wenig Hilfreiches zu nennen. Sprachkompetenz, Kenntnisse über das Aufnahmeland, soziale Beziehungen zur Nachbarschaft waren nicht erforderlich. Die Arbeitskraft war gefragt.

 

Die Folgen sind leicht feststellbar. Man blieb unter sich und suchte und fand billige Unterkünfte in den Sanierungsgebieten der Großstädte und gründete eigene Kultur- und Religionsgemeinschaften, lebte weitgehend nach den eigenen Normen und Wertvorstellungen.

 

Was jetzt in unser Bewusststein gebracht wird, hat hier seinen Anfang genommen und ist keineswegs neu, wie uns jetzt suggeriert wird.

 

Die Aufnahmegesellschaft hat darauf gehofft, alles würde sich von selbst klären. Die Zugewanderten sahen sich einer appelativen Mehrheit gegenüber, die über Anwerbestopp, Rückkehrprämien und restriktive Ausländergesetze glaubte, den wachsenden innenpolitischen Spannungen Herr werden zu können.

 

Die Spannungen ließen sich in der Phase wirtschaftlichen Aufschwungs ignorieren. Spätestens mit dem staatlichen Einigungsprozess, dem wirtschaftlichen Abschwung, wachsender Arbeitslosigkeit, Einschnitten in das soziale System wurden Ausländer zur Zielscheibe politischer Manifestationen. Daran hat sich wenig geändert.

 

Deutschland wird multikulturell bleiben. Deutschland ist ein Zuwanderungsland. Zuwanderung wird gebraucht, sie verändert unser Land. Unterschiede bleiben und sind möglich, sofern das Verhältnis von Identität und Differenz eine lebensdienliche Gestalt bekommt.

 

3.5   Einsatz für Bildung und Erziehung

Es ist besorgniserregend, dass in unserem Land soziales Schicksal und Bildungsschicksal eng miteinander verknüpft sind. Denn Bildung steht in einem ursächlichen Zusammenhang zur gesellschaftlichen Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger.

 

Für unsere Kirche gilt: wir sind ganz bei unserer eigenen Sache, wenn wir über Bildung reden. Daran zu erinnern, ist immer wieder notwendig. Das Wort Bildung weist auf 'Schöpfung' hin.

 

Damit ist eine grundlegende Aussage zum Menschenbild der jüdisch-christlichen Tradition gemacht. Es gehört zur unverlierbaren Würde des Menschen, dass sein Menschsein in Beziehung zu Gott steht. Diese Beziehung ist von Gott gesetzt und kann deshalb auch nicht verloren gehen. "Dass der Mensch als Gottes Geschöpft Person ist, verdankt er allein Gott; verantwortlich ist er dafür, was er aus sich selbst im Prozess der Bildung macht, wie er mit der ihm verliehenen geschöpflichen Freiheit umgeht." (Jüngel) Man kann es auch so sagen: der Mensch als Person ist schon unerreichbar mehr, als er in Bildungsprozessen aus sich machen kann.

 

Der biblische Bezug zum Thema Bildung erinnert einen Verheißungsüberschuss, der in diesem Begriff steckt. Deshalb sagen wir:

-           Bildung beschränkt sich nicht auf Wissen und Können, sondern hat stets mit Identitätsbildung zu tun;

-         Bildung schafft durch die Unterscheidung von Person und Werk Distanz zur eigenen Situation. Das Erreichte ist nicht das Endgültige. Im Wort der Bildung steckt eine Verheißung, dass der Mensch sich im Bildungsgeschehen dem nähern kann, was er vor Gott schon ist.

-         es ist kritisch auf jene Stellen hinzuweisen, wo es Brüche und Verzerrungen gibt. Denn Bildung ist auch jener Vorgang, der aufdeckt, wann immer Menschen zerbrochen werden oder gesellschaftliche Verhältnisse sie daran hindern, zu sich selbst zu finden bzw. wann immer Verhältnisse nicht mehr lebensdienlich sind.

 

Vor diesem Hintergrund lernen wir neu zu verstehen, dass Bildung den Zusammenhang von Lernen, Wissen und Können, Wertebewusstsein, Handlungsfähigkeit und Sinn beschreibt. Kinder und Jugendliche heute müssen mehr wissen als früher. Sie müssen flexibler umgehen können mit ihrem Wissen. Sie müssen sich einstellen auf Überraschendes, nicht Vorhersehbares. Dabei wird es immer schwieriger, die Frage nach dem eigenen Lebenssinn unter den vielen Deutungsangeboten zu beantworten.

 

Unsere Aufgabe ist eine doppelte:

Wir müssen eintreten für eine "Befähigungsgerechtigkeit". Gegenüber den Schwachen haben wir eine anwaltliche Aufgabe. D.h.: wir treten dafür ein, dass die Gaben, die Gott in einen Menschen gelegt hat, auch zur Entfaltung gebracht werden, und zwar unabhängig von Geschlecht und sozialer Herkunft.

Und wir müssen dafür eintreten, dass evangelisches Profil in dieser Arbeit erkennbar ist.

 

Die Evangelische Kirche im Rheinland hat eine über 150jährige Tradition in der Arbeit mit Tageseinrichtungen für Kinder. Eine Wiege dieser Arbeit steht in Kaiserswerth. Unsere Gemeinden möchten diese Aufgabe in der Regel gerne weiterführen. Viele sind aber nicht mehr in der Lage dazu. Wenn ich mir den Kindergartenbericht anschaue, der in diesem Jahr zum ersten Mal vom Ständigen Ausschuss für Erziehung und Bildung vorgelegt wird, dann sieht die Prognose düster aus. Ich möchte es so ausdrücken: wir können uns auf der einen Seite über immer bessere Qualität und Schärfung des Profils evangelischer Tageseinrichtung freuen und können auf diese Entwicklung stolz sein. Die betriebswirtschaftliche Seite ist andererseits jedoch in der bisherigen Form für viele Presbyterien nicht mehr zu schultern. Auch die Politik kann vor dieser Entwicklung nicht die Augen verschließen. Sie kann die demographische Entwicklung nicht abwarten und gleichzeitig in ihren Sparprogrammen auf jene Einrichtungen zielen, die zuerst schließen müssen. Das wären dann die konfessionellen. Die der anderen freien Träger würden bleiben und zu 100% ausfinanziert werden. Das ist eine Entwicklung, die wir nicht akzeptieren können. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass sie politisch gewollt ist.

 

In Zukunft sollte es Trägerverbünde geben, die zu einem effektiveren und flexibleren Personal- und Ressourceneinsatz führen. Die Trägerbelastung muss sinken, in einem ersten Schritt auf 15%, wie in NRW 1998 versprochen. Als Zielperspektive halte ich 10% aller Trägerkosten für angemessen.

 

Der Ganztagsbereich in Schulen hat sich zu einem neuen Arbeitsfeld entwickelt. Ich begrüße es, dass Gemeinden und diakonische Einrichtungen sich diesen neuen Herausforderungen gestellt haben. Schon jetzt sind die evangelischen Kirchen in Rheinland-Pfalz die größten und wegen ihrer Qualität sehr geschätzten Partnerinnen der Schulen für außerunterrichtliche Ganztagsangebote. In Nordrhein-Westfalen erfolgt ein zügiger Ausbau von ‚Offenen Ganztagsgrundschulen'. Die Erweiterung der Ganztagsangebote für den Bereich der Sekundarstufe I wird angestrebt.  Rahmenvereinbarungen in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen stützen die Zusammenarbeit von Schule und kirchlichen Angeboten der Jugendhilfe.

 

Zur Orientierung für unsere Gemeinden in Nordrhein Westfalen ist in diesen Tagen eine Handreichung erschienen, die Informationen, praktische Anregungen und Entscheidungshilfen anbietet. Wir sollten wahrnehmen, dass durch neue Formen der Zusammenarbeit von Kirche und Schule sich zusätzlich zum Religionsunterricht und bisherigen Formen religiöser Gestaltung des Schullebens ein neuer Bereich religiöser Bildung in der Schule anbietet, dessen Bedeutung hoch einzuschätzen ist.

 

Gleichzeitig ist es pädagogisch erforderlich, durch die Zusammenarbeit von Familie, Schule, Kinder- und Jugendhilfe und weiteren außerschulischen Trägern  ein neues Verständnis von Schule zu entwickeln. Bei der Gestaltung der pädagogischen Arbeit sind Betreuung, Bildung und Erziehung integrativ so miteinander zu verbinden, dass jedes Kind seine Fähigkeiten möglichst umfassend entdecken, erfahren und entfalten kann und dabei die Förderung erhält, die es nach seinen individuellen Bedürfnissen braucht.  Kinder und Jugendliche brauchen eine Schule, die sie als einen sinnerfüllten Lebensraum erfahren. Dies gilt für die Unterrichtsgestaltung wie für die Gestaltung des außerunterrichtlichen Bereichs.

 

Dabei sind Veränderungsmöglichkeiten und -notwendigkeiten der eigenen Arbeit zu bedenken, wobei eine kirchliche Beteiligung an Angeboten der Ganztagsschulen eine eigene profilierte kirchliche Arbeit mit Kindern und Jugendlichen nicht ersetzen kann.

 

Die Kirchengemeinden und Kirchenkreise und die diakonischen Einrichtungen werden die Entwicklung von Ganztagsangebote an den Schulen in ihrem Bereich sorgfältig beobachten müssen. Mitwirkungsmöglichkeiten an Bedarfsplanungen in Jugendhilfe- und Schulausschüssen sollten sie aktiv wahrnehmen und Konsequenzen für die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen in Schule und Kirchengemeinde klären. Eins aber lassen sie uns vor allem vermeiden, nämlich eine ideologisch aufgeladene Debatte über Schulorganisation zu führen. Was wir dringend benötigen, ist eine nachhaltige Verbesserung der Unterrichtsbedingungen in den Klassen!

 

Mehr als 30.000 Menschen werden jedes Jahr durch die Arbeit unserer Beratungsstellen erreicht. Die meisten von ihnen befinden sich in schwierigen persönlichen oder familiären Krisensituationen (80% der Ratsuchenden bezeichnen sich selbst als schwer bzw. sehr schwer belastet).

 

Zurzeit wird die Arbeit an 40 Standorten angeboten, nachdem im letzten Jahr in Essen zwei Standorte aus finanziellen Gründen aufgegeben worden sind. Hier wird die Beratungsarbeit durch andere Träger neu aufgenommen. In Krefeld wurden zwei Standorte zusammengelegt. (s. auch das Beratungsstellen-Portal im Internet: www.evangelische-beratung-nrw.de)

 

Schwerpunkt der Beratungsarbeit sind zunehmend Familien, deren Mitglieder von Trennung und Scheidung bedroht sind bzw. die sich nach einer Trennung und Scheidung neu zurechtfinden müssen, als Alleinerziehende oder in neuen Verbindungen als sogenannte Fortsetzungsfamilie.

 

Die Ergebnisse der Familienforschung machen deutlich, dass es biographisch für die Kinder und Jugendlichen sowie für die Erwachsenen entscheidend sein kann, ob in Krisenzei­ten kompetente Hilfsangebote zur Verfügung stehen.

 

Ziel evangelischer Beratungsarbeit ist es - wo möglich - die Bindungskräfte zwischen den Part­nern und zwischen den Eltern und Kindern zu stärken. Kinder bleiben auch nach einer Tren­nung oder Scheidung ihrer Eltern angewiesen auf die sichere Bindung zu Vater und Mutter. Auch der Bildungserfolg der Kinder und Jugendlichen hängt mit von der Qualität der Beziehung zur Herkunftsfamilie und Erziehungsfähigkeit der Eltern ab.

 

Mit der Einführung der sogenannten Hartz-Gesetzgebung ist zu erwarten, dass die finanziellen Probleme Unsicherheiten und Krisen von Arbeitssuchenden und ihrer Familien zu­nehmen werden. Das geplante Arbeitslosengeld II wird das Eigenkapital vieler Familien aufzeh­ren und sie zu gravierenden Veränderungen ihres Lebens zwingen, so dass psychische und familiäre Konflikte als Folge dieser Entwicklung zu einem erhöhten Beratungsbedarf führen werden. Gerade Armut von Kindern geht einher mit erhöhten gesundheitlichen, psychischen und Entwicklungsproblemen sowie mit Bildungsbenachteiligung.

 

Schon jetzt erfahren viele Arbeitslose und ihre Familien vielfältige Unterstützung in unseren Beratungsstellen. Es gilt, sie in persönlichen Krisen zu stabilisieren und das Selbstwertgefühl und die Handlungsfähigkeit zu erhalten, aufzubauen bzw. wieder herzustellen. Ängste z.B. vor Bewerbungssituationen müssen abgebaut und realistische Berufsperspektiven erarbeitet wer­den. Manchmal bedeutet dies auch, von unerfüllbaren Lebensplänen Abschied nehmen zu müssen.

 

Eine zukünftige Kooperation der Beratungsstellen mit den neu eingerichteten Agenturen für Arbeit wird möglich sein, die Grundsätze der Beratungsarbeit aber wie z.B. die strikte Verschwiegenheit müssen gewahrt bleiben.

 

In der Bearbeitung der Krisenphänomene unserer Gesellschaft gehört die Erziehungs-, Ehe- und Lebensberatung zu den zentralen Seelsorgeangeboten unserer Kirche und erfüllt einen immer wichtiger werdenden Dienst.

 

3.6   Einsatz für Menschenwürde

Für die Achtung der Würde des Menschen grundsätzlich und umfassend einzutreten, ist eine wesentliche Verpflichtung für unsere Kirche. Dass der Mensch nach dem Bilde Gottes geschaffen ist, verleiht ihm eine unverlier­bare Würde, die ihm unabhängig von seinen Fähigkeiten und Kräften und in jeder Lebensphase zukommt, als Embryo genauso wie als alter Mensch.

 

Die Zahl der alten Menschen in unserer Gesellschaft und damit auch in unseren Kirchengemeinden nimmt zu.

 

Dabei betrachten wir das Alter nicht allein unter dem Blickwinkel abnehmender Lebenskräfte. Viele Menschen gehen relativ früh, mit einer guten Berufsausbildung, guter Gesundheit und einer hohen Bereitschaft zum Engagement in die Zeit des Ruhestandes. Sie orientieren sich in ihrem Leben neu und suchen nach Gemeinschaft. Unsere Kirchengemeinden und ihre Diakonie verfügen über ein dichtes Netz von Treff- und Bildungsmöglichkeiten. Damit können sie in der Gemeinde, dem Gemeinwesen und den Stadtteilen eine hohe Zahl älterer Menschen ansprechen und ihnen Räume für die Entfaltung ihrer Interessen und Bedürfnisse anbieten.

 

Die Kirchengemeinden können aber auch mit Erwartungen auf alte Menschen zugehen, wenn sie ihnen Möglichkeiten zur Selbstorganisation bieten und sie bei der Neuorientierung unterstützen.

 

Die Diakonie und die Erwachsenenbildung haben in den vergangenen Jahren hervorragende Konzepte für die Selbstorganisation entwickelt. Beispielhaft seien die 'Freiwilligen-Zentralen' genannt, die Unterstützungsbedarf z.B. junger Familien und Unterstützungsangebote älterer Menschen zu einander führen. Auf diese Weise wird auch wieder erfahrbar, dass Leben grundsätzlich 'generativ' ist, alle Generationen also miteinander verbunden sind und einander brauchen.

 

Solche Angebote gilt es, in möglichst vielen Gemeinden und diakonischen Einrichtungen umzusetzen. Die Landeskirche wird dabei insbesondere die Weiterentwicklung der Konzepte und die Fort- und Weiterbildung der haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen/Mitarbeiter unterstützen.

 

Das Alter ist nicht nur, aber auch eine Zeit abnehmender Lebenskräfte und der Vorbereitung auf das eigene Sterben und den Tod. Dazu haben die EKD und die DBK konfessionsübergreifend Hilfestellungen entwickelt, wie z.B. die Christliche Patientenverfügung.

 

Die gegenwärtige Diskussion um die Reichweite von Patientenverfügungen und um die entsprechenden Verlautbarungen der Enquete-Kommission der Bundesregierung und der vom Bundesjustizministerium eingesetzten Arbeitsgruppe "Patientenautonomie am Lebensende"  hat der landeskirch­liche Arbeitskreis Krankenhaus zum Anlass genommen, am 6. September 2004 eine Tagung für Mitarbeitende im Krankenhaus durchzuführen.

 

Im Evangelischen Krankenhaus Oberhausen trafen sich unter dem Thema "Patientenverfügung zwischen Autonomie und Fürsorge" Angehörige aller Berufsgruppen aus verschiedenen Krankenhäusern der Landeskirche zu einem intensiven fachlichen Austausch. Dabei ging es vor allem um die Frage: In welchem Verhältnis zueinander stehen das Selbstbestimmungsrecht des Patienten und sein Angewiesensein auf Gott und auf seine Mitmenschen?

 

In der Spannung zwischen den ökonomischen Notwendigkeiten, die nicht in Abrede gestellt werden können, und den christlich-ethischen Überzeugungen, gilt es für uns als Kirche dafür einzutreten, dass das Grundprinzip der Unverfügbarkeit des menschlichen Lebens nicht angetastet wird. Patientenverfügungen sollen dazu beitragen, ein menschenwürdiges Sterben zu ermöglichen, ohne einem uneingeschränkten Freiheits- und Verfügungsrecht des Menschen über sein Leben Vorschub zu leisten.

 

Diese Tagung hat deutlich gemacht, dass wir in der öffentlichen Diskussion Position ergreifen müssen, gleichzeitig aber auch Foren zur Meinungsbildung in unseren Gemeinden und Krankenhäusern anbieten sollten. Dazu stehen unsere Krankenhausseelsorgerinnen und Krankenhausseelsorger als Ansprechpartner gerne zur Verfügung.

 

Die Veranstaltungsreihe zu medizinisch-ethischen Fragestellungen wird auch in diesem Jahr fortgesetzt; im Frühjahr in der Kreuznacher Diakonie und im Herbst im Evangelischen Krankenhaus in Saarbrücken.

 

 

Schlussbemerkung

Inspiriert von der Jahreslosung für das vor uns liegende Jahr 2005 habe ich den Ihnen vorgelegten Bericht unter das Thema 'Stellvertretung' gestellt.

 

Stellvertretung als Eintreten Jesu Christi für uns und Stellvertretung als unser Eintreten für unsere Schwestern und Brüder und für die Welt, das ist gleichsam eine Klammer für den Grund und den Auftrag unserer Kirche.

 

Das vergangene Jahr war für Sie alle, die Sie viel Zeit, Kraft und Herzblut in die Arbeit für unsere Kirche investierten, nicht immer einfach. Und wir wissen, dass auch die kommenden Jahre für unsere Kirche auf allen Ebenen nicht einfacher werden.

 

Ich möchte Ihnen ausdrücklich danken für Ihr Zeugnis und für Ihren Einsatz im Dienst Jesu Christi, für Ihr Eintreten und Handeln an 'Christi statt'. Danken möchte ich insbesondere auch allen Mitarbeitenden im Landeskirchenamt, dem Kollegium und der Kirchenleitung. Sie alle sind häufig für mich eingetreten und haben mich bestärkt und ermutigt.

 

Stärken und ermutigen möchte ich uns alle mit den unsere Jahreslosung ergänzenden Gedanken des Apostel Paulus im 8. Kapitel des Römerbriefes: Desgleichen hilft der lebendige Geist Gottes unserer Schwachheit auf. Wenn wir verzagt und unsicher sind, vertritt uns der Geist Gottes selbst mit unaussprechlichem Seufzen.

 

Wenn also Gott für uns ist, wer kann wider uns sein? Wer will verdammen? Christus Jesus ist hier, der gestorben ist, ja vielmehr, der auch auferweckt ist, der zur Rechten Gottes ist und uns vertritt (vgl. Röm. 8,26 und 31-38).

 

So können wir gewiss sein, dass weder Tod noch Leben, weder Engel, noch Mächte, noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Finanzkrisen noch Strukturdebatten, weder persönliche Schicksalsschläge noch Naturkatastrophen uns scheiden können von der Liebe Gottes, die uns in Jesus Christus erschienen ist, unserem Herrn und unserem Stellvertreter vor Gott. In dieser Gewissheit gehen wir getrost in dieses Jahr mit allen seinen Aufgaben.


Anlage 1

 

 

70 Jahre Barmer Theologische Erklärung und ihre Bedeutung heute

 

Vortrag bei der Landesdelegiertentagung

des Evangelischen Arbeitskreises der CDU NRW

20. November 2004, 15.00 Uhr, Gemarker Kirche, Wuppertal

 

Nikolaus Schneider

Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland

 

 

Über die andauernde Bedeutung der "Barmer Theologische Erklärung" (BTE) nachzudenken, ist immer wieder neu eine Herausforderung und dieses gerade hier in der Gemarker Kirche tun zu dürfen, ist ein besonderer Anreiz. Ich habe daher diese Einladung gerne angenommen.

Ich begrüße es sehr, dass Sie, die Sie in der Politik Verantwortung tragen, das Thema "70 Jahre Barmer Theologische Erklärung und ihre Bedeutung heute" in ihr Tagungsprogramm aufgenommen haben. Diese Erklärung ist eben nicht nur ein theologisches Dokument, sondern richtet sich auch an diejenigen, die unsere Gesellschaft mitgestalten wollen und die sie leitenden Werte mit bestimmen.

Die Bekenntnissynode der Deutschen Evangelischen Kirche hat sich in den letzten Maitagen des Jahres 1934 hier in der Gemarker Kirche versammelt.

Die Wuppertaler werden an dieses Ereignis täglich – im wahrsten Sinne des Wortes "beiläufig" - erinnert: Nur wenige Meter von hier steht in der belebten Einkaufszone von Barmen das Denkmal mit den zwei Gesichtern. Auf der einen Seite ist eine jubelnde Menge zu sehen, die dem selbsternannten "Führer" huldigt; auf der anderen Seite steht die kleinere Schar derer, die Orientierung in der Bibel suchen. Neben dem Hinweis auf die Tagung der Bekenntnissynode und der Veröffentlichung der Barmer Theologischen Erklärung ist auch die leitende Erkenntnis in Bronze gegossen: "Des Herren Wort bleibt in Ewigkeit". "Des Herren Wort bleibt in Ewigkeit" – das ist auch Mahnung und Orientierung für uns, die wir in der Kirche und für die Kirche Verantwortung tragen. Deshalb steht eine Kopie dieses Denkmals im Eingangsbereich unseres Landeskirchenamtes in Düsseldorf.

 

Zur Barmer Theologischen Erklärung

Entstehung

Die BTE gilt bis heute als schriftgemäße, für den Dienst der Kirche verbindliche Bezeugung des Evangeliums und hat in der Evangelisch-reformierten Kirche sogar den Rang einer Bekenntnisschrift.

Wie bei allen historischen Dokumenten muss zum richtigen Verständnis der Kontext der Entstehung beachtet werden. In der Rezeption ist die BTE zeitweilig als eine kirchliche Begründung politischen Widerstandes gegen die aufkommende Nazidiktatur gesehen worden oder als eine zeitgemäße Neuformulierung reformatorischer Bekenntnisse.

Das ist sie in ihrer Konsequenz auch geworden. Das war aber nicht ursprünglich intendiert. Vielmehr war es das Ziel, in der Vorbereitung und dann auf der Synode in Barmen selber eine Vergewisserung über den biblisch begründeten evangelischen Standpunkt für die Vertreter und Vertreterinnen reformierten, lutherischen und unierten Bekenntnisses in Not und Bedrängnis dieser Zeit zu erreichen, damit Kirche "Kirche Jesu Christi" bleibt. Denn es bestand die Gefahr, dass die Evangelische Kirche, getrieben von der ‚Glaubensbewegung der Deutschen Christen', in einen deutsch-völkischen Götzenkult abglitt.

Die "Theologische Erklärung zur gegenwärtigen Lage der Deutschen Evangelischen Kirche" von 1934 legitimiert sich zunächst mit einem Verweis auf die geltende Kirchenverfassung und die Orientierung an den Bekenntnissen der Kirche. Daran anschließend werden in sechs Thesen "Evangelische Wahrheiten" formuliert. Sie haben für die Synodalen Bekenntnisrang und richten sich gegen die "die Kirche verwüstenden und damit auch die Einheit der Deutschen Evangelischen Kirche sprengenden Irrtümer der ‚Deutschen Christen' und der gegenwärtigen Reichskirchenregierung".

Die Erklärung wird mit einem Brief an die Evangelischen Gemeinden und Christen in Deutschland gesandt, verbunden mit der Bitte, alle kirchlichen Verlautbarungen dahin gehend zu prüfen, ob sie bibel- und bekenntnisgemäß sind. Angehängt wird noch eine "Erklärung der Bekenntnissynode zur Rechtslage der Deutschen Evangelischen Kirche".

Die BTE war also eine unmittelbare Reaktion auf eine Bedrohung der Kirche. Diese Bedrohung war zunächst keine massive physische Bedrohung von außen etwa in dem Sinne, dass die Kirche verboten werden sollte oder dass ihre Mitglieder verfolgt und eingekerkert werden (das hat es dann zweifellos später auch gegeben).

Die Bedrohung hatte vielmehr primär innerkirchliche Ursachen. Eine geistliche Machtübernahme und Infragestellung der Grundlagen und Ziele der Evangelischen Kirche war im Gange durch die "Deutschen Christen" in Kooperation mit der NSDAP und Organen des nationalsozialistischen Staates. Adolf Hitler selber griff massiv in die Kirchenwahlen des Jahres 1933 ein. Am Vorabend des Wahltages warb er in einer Rundfunkrede massiv für die Kandidatinnen und Kandidaten der deutschen Christen. Das Ergebnis waren deutliche Mehrheiten für die "Glaubensbewegung Deutsche Christen", so dass lediglich in Bayern, Württemberg und Hannover die deutschen Christen nicht die Leitungsorgane okkupieren konnten.

Vor diesem Hintergrund fühlten sich lutherische und reformierte Christen, seit der Reformation an Schrifttreue als leitendes Prinzip orientiert, herausgefordert, selbst Position zu beziehen. Dieses Prinzip, sich in Bindung an die Heilige Schrift auf die Herausforderungen der Zeit zu beziehen, führte zu dem Dokument, dem wir auch heute noch bekenntnishaft formulierte "evangelische Wahrheiten" entnehmen können.

Der in Barmen vorgelegte Text ist nicht aus dem Augenblick heraus entstanden. Er hatte Vorläufer: Zum Beispiel Erklärungen von Ulm, Bethel und Düsseldorf.

 

Die Thesen - Aufbau und Inhalt

Die Stärke der BTE liegt in ihrer sprachlichen und gedanklichen Konzentration bei gleichzeitiger Konkretion und konsequentem Schriftbezug.

Allen 6 Thesen sind Bibelworte voran gestellt. Sie sind als Kurzfassung von Kernaussagen der Heiligen Schrift zu dem jeweiligen Thema zu verstehen und sind somit konstitutiver Bestandteil der Thesen.

Dann sind alle Thesen so aufgebaut, dass zunächst eine Position dargestellt wird (Affirmation) – formuliert als Aussage und Bekenntnis. Den Abschluss bildet jeweils die Verwerfung von als falsch erkannter Lehren.

Die BTE ist somit zugleich Beispiel für den zentralen theologischen Grundsatz aller kirchlichen Verkündigung und aller Bekenntnisformulierungen: Kein Nein ohne das begründende Ja! Vom biblischen Wort her sind die Bekenntnisaussagen wie die Verwerfungen zu verstehen. Das Ja ist dem Nein vorgeordnet. Karl Barth, dem die Formulierung der BTE wesentlich zu verdanken ist, hat das so verdeutlicht: "Das Nein hat keine selbständige Bedeutung. Es hängt ganz an dem Ja. Es kann nur laut werden, indem das Ja laut wird." An anderer Stelle hat er hinzugefügt: Durch das Ja muss der Ruf nach vorwärts erkennbar werden.

Das Fundament der BTE ist das eine Wort Gottes, das den Namen Jesus Christus trägt. Von ihm sagt die I. These, dass er das in der Bibel bezeugte eine Wort Gottes ist, das allein wir zu hören, dem wir im Leben wie im Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben. Diese 1. These hat für die gesamte Erklärung die gleiche Funktion wie das 1. Gebot für die 10 Gebote: es ist die Mitte, aus der sich alles Übrige ergibt.

Die II. These macht geltend, das Gottes Wort tröstlicher und befreiender Zuspruch, aber damit zugleich auch Anspruch auf unser ganzes Leben ist.

Die III. und IV. These sagen, dass und wie von diesem Wort her die Kirche von der Gemeinde her  zu begreifen ist, wie sie ihren Auftrag als Dienst der ganzen Gemeinde mit ihren unterschiedlichen Ämtern zu verrichten hat.

Die V. These verdeutlicht, dass nicht nur die Kirche Ausdruck und soziale Gestalt der heilsamen Gegenwart und Kraft des Wortes Gottes ist, sondern auch der Staat. Seine Funktion besteht nach Gottes Willen darin, nach menschlichem Maß für Recht und Frieden zu sorgen.

Schließlich werden Selbstverständnis und Auftrag der Kirche kurz und prägnant in These VI formuliert: "Der Auftrag der Kirche, in welchem ihre Freiheit gründet, besteht darin, an Christi Statt und also im Dienst seines eigenen Wortes und Werkes durch Predigt und Sakrament die Botschaft von der freien Gnade Gottes auszurichten an alles Volk."

Die Kirche hat also eine Botschaft "auszurichten", sie hat den Botendienst von der freien Gnade Gottes zu leisten in ihrem Dienst, nicht aus eigener Machtvollkommenheit, sondern an Christi Statt; ohne staatliche Machtausübung, ohne Zwang, ohne Gewalt. Die Gnadenzusage gilt allen, ob sie es hören wollen oder nicht. Das heißt auch, die Verkündigung hat überall ihren Ort: im kleinsten Gemeindekreis und auf den Podien der Welt. Sie ist eine Herausforderung, sich auch an die zu wenden, die ihre eigenen Konzepte für die Welt haben und deshalb meinen, auf ein darüber hinaus gehendes Hören verzichten zu können.

 

Zum Verhältnis von Kirche und Staat vor dem Hintergrund der V. These der BTE

Während sich die meisten Thesen der BTE mit dem schriftgemäßen Selbstverständnis der Kirche befassen, werden in der V. These Staat und Kirche ihre jeweiligen Aufgaben zugeordnet. Diese Ordnung bezieht sich auf "die noch nicht erlösten Welt", auf die Welt wie sie ist, ohne "paradiesische Zustände". Die Welt soll also akzeptiert werden in ihren Begrenzungen, mit ihren Fehlern. Es geht darum nüchtern zu erkennen, dass sie unter der Herrschaft der Sünde steht.

Das vorangestellte biblische Wort:

"Fürchtet Gott, ehrt den König." (1. Petr. 2,17)

ist wie bei den anderen Thesen auch nicht "ornamental", sondern konstitutiv für das Verständnis der nachfolgenden Aussagen!

Aber: Es geht hier nicht um "Untertanengehorsam" und auch nicht um ein beziehungsloses Nebeneinander der sogenannten "Zwei Reiche" – des Reiches Gottes und der durch Könige regierten Reiche dieser Welt.

Die Beziehung aufeinander, ja sogar die Rangfolge sind in dem kurzen Bibelwort festgelegt: Die Furcht (im Sinne von "Ehrfurcht" oder in Luthers Verständnis "Liebe") gebührt Gott; die Ehre (im Sinne von Achtung) und Respekt kommt dem König / dem Staat zu !

Wir können heute prägnanter formulieren:

Die BTE sieht gerade den säkularen Staat im Wort Gottes begründet. Die biblische Überlieferung befürwortet einen Staat, der "in der noch nicht erlösten Welt …nach dem Maß menschlicher Einsicht und menschlichen Vermögen …für Recht und Frieden sorgt." Wir vertrauen also der Vernunft der Politik, die sich allerdings auf Werte zu beziehen hat. Der Verneinung von Werten und der neuerlich zu hörenden Einschätzung, es gebe gar keine Werte, sondern nur Spielregeln des Marktes widersprechen wir energisch!

Das wird durch die Positionsbestimmung der V. These der BTE noch verdeutlicht: Der Staat ist, wenn er Gottes Anordnung gemäß für Recht und Frieden sorgt, eine Wohltat, die den Menschen zu Dank und Ehrfurcht veranlasst – allerdings: nicht gegenüber dem Staat, sondern - gegenüber Gott (!).

Es geht also nicht um eine bedingungslose Anerkennung des Staates in jeder Form oder gar um Unterwerfung. Vielmehr wird anerkannt, dass es in dieser Welt ordnende Strukturen braucht, die hergestellt werden müssen (Rechtsfindung und Rechtssetzung) und die erhalten werden müssen (Frieden). Da diese Prinzipien nicht inhaltlich definiert sind, kommt es bei der Festlegung und Durchsetzung auf "das Maß menschlicher Einsicht und des menschlichen Vermögens" an –  Recht und Frieden kommen nicht ohne Konsens in der jeweiligen Situation aus.

Während der Staat zur Aufrechterhaltung der Rechts- und Friedensordnung als "ultima ratio" Gewalt androhen darf, gilt für die Kirche allein, dass sie der Kraft des Wortes vertraut und gehorcht. In diesem Sinne richtet sich die Kirche an die Regierenden und Regierten, indem sie an "Gottes Reich, an Gottes Gebot und Gerechtigkeit" erinnert.

Damit gibt sie keine direkten politischen Handlungsanweisungen, sondern nennt Maßstäbe, Rahmenbedingungen und Kriterien, an denen politisches Handeln zu prüfen und zu messen ist. Selbst wenn die Kirche aus der Gewissheit her lebt, dass "Gott alle Dinge trägt", so erfolgt daraus noch keine klerikale politische Bevormundung. Die relative Eigenständigkeit des Staates wird anerkannt.

Kirche soll also nicht selbst Politik machen, sondern sie soll Politik möglich machen. Ich möchte in diesem Zusammenhang besonders hervorheben, dass Barmen die Verantwortung der Regierten nennt. Diese Verantwortung kann nicht einfach abgeschoben werden, so dass sich die populäre Einschätzung der Politik als ‚schmutziges Geschäft', von dem man sich tunlichst fernhalten muss, ausdrücklich verbietet. Hier wird eine grundsätzliche Eigenverantwortung aller Bürgerinnen und Bürger für das Gemeinwesen festgelegt.

Weil aber der Staat keinen Absolutheits- oder Totalitätsanspruch hat, ist die Eigenständigkeit des Staates als ordnungssetzende Kraft relativ.

Das wird im zweiten Teil der V. These der BTE, in der Verwerfung, ausgesagt.

Im Einbringungsreferat hieß es seinerzeit in Barmen (von Hans Asmussen):

"Verkündigt der Staat sein ewiges Reich, ein ewiges Gesetz und eine ewige Gerechtigkeit, dann verdirbt er sich selbst und mit sich sein Volk!"

Ewig ist weder Staat noch Kirche. Das müssen sie auf dem Hintergrund der Rede vom 1000-jährigen Reich hören! Ewig ist das eine Wort Gottes, lebendig geworden in Jesus Christus, der beide – Staat und Kirche – trägt und erhält.

Totalitäre Ansprüche des Staates werden so deutlich zurückgewiesen – das gilt aber natürlich auch für alle Ansprüche dieser Art, z.B. die Ansprüche eines alle Bereiche des Lebens dominierenden Marktes.

 

Herausforderungen und Aktualisierung für heute:

Kirche im säkularen Staat

Weltverantwortung als Auftrag

Der aus dem Missionsbefehl abgeleitete und in BTE VI formulierte Auftrag der Kirche, sich "an alles Volk" zu wenden, führt die Kirche über sich selbst hinaus. Ihr Reden ist gebunden an die Botschaft des Evangeliums, ihr Handeln ist eingebunden in die Nachfolge Christi – und hat dem Heil und dem Wohl aller Menschen zu dienen. Deshalb kann und wird Kirche gerade dann ihren Auftrag verraten, wenn sie nur bei sich selber ist, sich allein auf eigene Interessen konzentriert.

Allerdings wird deutlich gewarnt davor, dass sich die Kirche – bzw. einzelne ihrer Mitglieder und Repräsentanten – in den Dienst anderer Zwecke nehmen lassen.
Und es geht darum, dass die Kirche daran erinnert wird, dass sie ihr Argumentieren und Handeln in dieser Welt auszurichten hat "an Christi Statt", also nach der Klärung der theologischen Grundpositionen und der Anforderungen des Glaubens und der Bekenntnisse.

Auch die Art des Auftretens Jesu in dieser Welt ist maßgebend für die Kirche. Sie hat keine staatliche Art und soll staatliche Macht nicht okkupieren.

In einer Klammerbemerkung möchte ich an dieser Stelle auf ein selten öffentlich ausgesprochenes ökumenisches Problem hinweisen: Für uns Evangelische ist es ein theologisches Problem, dass der Vatikan ein Staat und damit ein Subjekt des Völkerrechts ist. Der Pabst ist also auch ein Staatsoberhaupt. Kardinäle besitzen einen Diplomatenpass. All' das steht quer zu unseren evangelischen theologischen Vorstellungen von Kirche.

 

Erinnern an Gottes Reich – Vergewisserung über grundlegende Prinzipien

Kirche, die in die Welt wirken will, muss zunächst ihre eigenen Prinzipien deutlich machen beziehungsweise muss sich ihrer immer wieder neu vergewissern.

"Erinnern an Gottes Reich, an Gottes Gebot und Gerechtigkeit heißt zum Beispiel,

dass Kirche ihr Verständnis von der Gottesebenbildlichkeit des Menschen und der daraus resultierenden Würde jedes Einzelnen immer wieder neu betont; das heißt auch, dass sie ihr Eintreten für die Sicherung der Grundbedürfnisse des Menschen, wie das tägliche Brot, die Arbeit, die Gesundheit, aber auch die Sorge für die Seele, biblisch legitimieren kann; oder es heißt, dass sie ihre Vorstellungen vom Zusammenleben der Menschen, zum Beispiel den Schutz der Schwachen und Bedürftigen, den Einsatz für Recht und Gerechtigkeit und auch den verantwortlichen Umgang mit Besitz und Reichtum mit Gottes Weisungen, wie sie in der Bibel bezeugt werden, begründet.

Insofern ist die Ausformulierung einer evangelischen Sozialethik oder einer evangelischen Wirtschaftsethik kein Selbstzweck, sondern antwortet auf die berechtigte Erwartung an eine klare, diskutierbare Positionierung unserer Kirche auf diesem Gebieten.

Das darf nicht atemlos und mit andauernden Appellen geschehen, sondern bedarf des wohl begründeten Argumentierens und Agierens; nicht anmaßend im Sinne eines klerikalen Herrschaftsanspruches, sondern als Angebot zum kritischen Dialog.

Besonders der Hinweis auf Gottes Reich ist mir wichtig. Er enthält für die Politik gleichzeitig eine Mahnung und einen Trost. Ihr Handeln als Politikerinnen und Politiker soll keinen Ewigkeitsanspruch haben. Das ist aber auch nicht nötig: das Vorläufige und Begrenzte, auch das Fehlerhafte ist das menschliche Maß. Mehr müssen sie nicht leisten. Sie sollen aber auch daran denken, dass wir alle einmal Rechenschaft ablegen müssen vor unserem himmlischen Richter. Paulus sagt das so: wir werden gerichtet nach unseren Werken und gerettet nach unserem Glauben.

 

Präsenz der Kirche in der Welt – in Freiheit, mit Distanz und Engagement

Kirche, die die frohe Botschaft des Evangeliums verkündet, muss auch etwas von der Welt verstehen.

Kirche, die sich nicht zurückdrängen lässt oder sich zurückzieht auf innerkirchliche Aufgaben, muss als Institution und mit ihren Mitgliedern präsent sein in dieser Welt. Die gesellschaftliche Entwicklung mit allen ihren Ausdifferenzierungen in den Bereichen von Kultur, Sozialordnung, Politik, Wirtschaft und anderem, ist zu beobachten, nach Möglichkeit ist daran mitzuwirken. Laien und Theologen müssen gemeinsam als Kirche mit ihrem Sachverstand für diese Welt eintreten.

Unsere Kirche lebt nicht in einem isolierten Raum. Sie ist Bestandteil eines Staates, der sich einer positiven weltanschaulichen Neutralität verpflichtet weiß. Dieses schafft ihr die rechtliche Freiheit. Die gültigen staatlichen Gesetze und Ordnungen sind somit anzuerkennen und zu achten.

Die Regierung wird aber nicht als Repräsentanz Gottes angesehen, sondern gemäß ihrer weltlichen Natur anerkannt und daran erinnert, dass auch sie Gott verantwortlich bleibt.

Die Achtung der weltlichen Ordnung geschieht allerdings aus der Distanz der eigenen Positionierung heraus. Nur dieses ermöglicht Kooperation bei gemeinsamen Zielen oder kritische Begleitung und Rückfragen. Die entscheidende Frage im Blick auf den Staat ist, ob er dem Recht und dem Frieden dient. An die Wirtschaft muss die Frage gestellt werden, ob sie letztlich – bei aller berechtigten Eigennützigkeit - dem Gemeinwohl verpflichtet ist. Kirche, die in diesen Dingen sachgerecht sein will, braucht Distanz und muss sie wahren – aber: sie muss sich auch in den öffentlichen Dialog begeben.

Wenn der Kirche ein "Wächteramt in unserer Gesellschaft" zugesprochen wird, so ist damit gemeint, dass sie sich nach selbstkritischer Prüfung des Grundes ihres Seins und ihres Auftrages in kritischer Freiheit der Tagesordnung der Welt zuwenden kann und soll.

Entsprechend ist die BTE solch ein Dokument kritischer evangelischer Freiheit. Sie verpflichtet die Kirche dazu, diese Freiheit zu wahren, sie zu nutzen und wahrzunehmen; und sie richtet die Erwartung an den Staat, diese Freiheit zu achten. Sie erinnert alle, die politischen und kirchlichen Repräsentanten nicht weniger als die Staatsbürger, an ihre Verantwortung vor Gott und an ihre gemeinsame Pflicht, für Recht und Frieden einzutreten.

Lassen Sie mich auf zwei aktuelle Herausforderungen dieser Tage in besonderer Weise eingehen: Zum einen bitte ich Sie herzlich darum, uns bei allen Bemühungen zu unterstützen, dass z.B. die Weihnachtsmärkte erst nach dem Ewigkeitssonntag beginnen. Es ist von herausragender Bedeutung, dass nicht nur für den einzelnen Menschen, sondern für eine ganze Gesellschaft das Leben einen Rhythmus von Feiertag, Fest und Alltag bzw. Arbeit hat. Eine Einebnung des Lebens in ein ewig gleiches Maß der Zeit tut uns allen nicht gut – die Fest verlieren ihren Glanz, Arbeit und Alltag werden ermüdend. Deshalb ist es auch so wichtig, bei der Diskussion um die Feiertage in unserem Land eine klare Position zu beziehen.

Zum anderen möchte ich auf die erschreckenden Vorgänge in unserem Nachbarland Holland eingehen. Es zeigt sich, dass Toleranz einer Wertefundamentierung bedarf. Es reicht nicht aus, Menschen mit fremder kultureller und religiöser Prägung einfach aufzunehmen und sie dann sozusagen gewähren zu lassen. Notwendig ist ein begründetes, aus dem eigenen Werteverständnis abgeleitetes Gespräch über Gemeinsames und Unterschiedliches, über die Grenzen des Erträglichen und im gegenseitigen Respekt. Nur wer sich selbst und das Eigene definieren kann, der kann auch mit dem Fremden im Zu- und Widerspruch vernünftig umgehen. Es sei angemerkt, dass auch unsere z.B. muslimischen Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner Wert darauf legen zu erfahren, aus welchen religiösen und kulturellen Bindungen heraus die deutschen Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner mit ihnen sprechen bzw. zusammenleben.

Die Herausforderung und den Selbstanspruch, die eigene Botschaft und die Mittel der Verkündigung auf den sozialen, kulturellen, politischen oder wirtschaftlichen Kontext zu beziehen, hat es für die Kirche zu allen Zeiten gegeben. Die reformatorischen Schriften oder die Barmer Bekenntnissynode sind nur zwei herausragende Beispiele für entsprechende Reaktionen.

 

Abschließende Bemerkungen

1.        Die BTE formuliert "evangelische Wahrheiten", die nach wie vor Anspruch darauf haben, als Kriterien für den Glauben an Jesus Christus und das Handeln der Kirche zu gelten. Veränderte Rahmenbedingungen – nicht nur im politischen System – fordern dazu auf, uns stets der Grundlagen zu vergewissern und sie auf neue Herausforderungen hin anzuwenden. Insofern bleiben alle Thesen der BTE aktuell.

2.    Die BTE ist ein Grundlagentext evangelischer Orientierung und definiert in Grundzügen das evangelische Selbstverständnis. Die in der BTE begründete grundsätzliche Freiheit eines Christenmenschen und der Kirche wird eindeutig und ohne jede Einschränkung an Auslegung und Verkündigung der Botschaft des Evangeliums gebunden, das heißt an die freie Gnade Gottes. Dieses ist und bleibt letzter Prüfstein für den Auftrag der Kirche. Sie kann und darf sich nur verstehen im Dienst an Christi Statt. Die Verfolgung eigenmächtiger Zwecke aus vermeintlich selbstherrlicher Vollmacht heraus entbehrt jeder legitimierender Grundlage. Kirche hat keinen Wert jenseits ihres Auftrages.

3.    Die von der Bindung an das Evangelium abgeleitete Freiheit der Kirche ist eine geschenkte Freiheit, nicht erworben oder erkämpft. Sie äußert sich in der freien Verkündigung, aber auch in einem kritisch-konstruktiven Gegenüber zum Staat oder zu anderen weltlichen Mächten und Gewalten. Die Eigenständigkeit und Freiheit der Kirche einerseits und die sich als selbst begrenzt sehenden menschlichen Ordnungen andererseits, wie etwa Staat oder Wirtschaft, ermöglichen nach der Prüfung der Ziele eine Kooperation zum Wohle aller. Widerstand ist jedoch gefordert, wenn sich weltliche Institutionen als "einzige und totale Ordnung menschlichen Lebens" verstehen und erklären. Das gilt auch für totalitäre Ansprüche, etwa aus dem Bereich der Ökonomie.

4.    In diesem Sinne mahnen die 6 Thesen der BTE die Kirche zur ständigen Wachsamkeit, menschliche Selbstherrlichkeit und eigenmächtig gewählte Wünsche, Zwecke und Pläne auf ihre Grundlagen und Ziele hin zu überprüfen. Dieses gilt auch und zuerst für Selbstverständnis, Verlautbarungen und Erscheinungsform der Kirche selbst, denn anders könnte sie ihren notwendigen Dienst an Politik und Gesellschaft nicht leisten.

 

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.


Anlage 2

 

Brief der Soesterberg-Konsultation an die Kirchen Westeuropas

Juni 2002

 

Liebe Schwestern und Brüder in Christus,

Wir schreiben diesen Brief von der ökumenischen Konsultation zur Wirtschaft im Dienst des Lebens, die vom 15. bis zum 19. Juni in Soesterberg (Niederlande) stattfand. Großzügiger Gastgeber dieser Konsultation war der Niederländische Kirchenrat. Mehr als 80 Vertreterinnen und Vertreter westeuropäischer Kirchen sowie Gäste von Kirchen Zentral- und Osteuropas, Nordamerikas, Afrikas und Asien, vom Vatikan und von ökumenischen Organisationen, versammelten sich unter der Trägerschaft des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK), des Reformierten Weltbundes (RWB), des Lutherischen Weltbundes (LWB), der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) und des Europäischen Gebietsausschuss des RWB.

Der Prozess

Die Konsultation in Soesterberg war Teil eines fortlaufenden Prozesses, in dem Kirchen die durch die ökonomische Globalisierung gestellten Herausforderungen in ihren Auswirkungen auf das Leben von Menschen und Mitwelt begutachten und auf sie antworten.

Die RWB Generalversammlung 1997 in Debrecen (Ungarn) rief die Kirchen "zu einem engagierten Prozess der Erkenntnis, der Aufklärung und des Bekennens (processus confessionis) im Hinblick auf wirtschaftliche Ungerechtigkeit und Umweltzerstörung " auf. Die Vollversammlung des ÖRK bestätigte wenig später in Harare diese Stellungnahme und betonte, "dass alle Kirchen weltweit beginnen müssen, die Bedeutung und den Sinn des christlichen Bekenntnisses in dieser Zeit zunehmender Ungerechtigkeit und ununterbrochener Umweltzerstörung zu bedenken”. Der LWB hat einen auf diese Aufrufe bezogenen Prozess mit einem Arbeitspapier zum "Engagement einer Gemeinschaft von Kirchen angesichts der Globalisierung der Wirtschaft" eingeleitet. Drei gemeinsame Konsultationen haben bereits stattgefunden: 1999 in Bangkok und 2001 in Budapest und Fiji.

In Antwort auf diesen fortlaufenden Prozess trafen wir uns in Soesterberg, um zu analysieren, wie ökonomische Globalisierung und die Rolle, die das Geld dabei spielt, die Gesellschaften Westeuropas betrifft und eine Antwort westeuropäischer Kirchen auf Fragen, die zuvor von Kirchen in Zentral- und Osteuropa und im Süden gestellt wurden, zu entwickeln. Als Anlage zu diesem Brief erhaltet ihr einen Bericht der Tagung mit weiteren Informationen zu den Beratungen über das internationale Finanzsystems wie auch Kopien von Briefen zu Kirchen im Süden und in Zentral- und Osteuropa. Diese drei Briefe, die aus der Konsultation hervorgegangen sind, gehören zusammen.

Problembereiche, die angesprochen wurden

Die Konsultation bot eine Gelegenheit, das globale Finanzsystem und die Auswirkungen des unregulierten Flusses riesiger Kapitalmengen auf nationale Wirtschaften zu analysieren. Die Zahl und der Umfang internationaler Finanztransaktionen sind so unglaublich stark angestiegen, dass zur Zeit nur etwa 2% der Geldbewegungen durch Handelsaktivitäten begründet sind. Die finanziellen Krisen in Asien, Russland und kürzlich in Argentinien hatten und haben weiterhin verheerende Auswirkungen auf Menschen und ihre Lebensgrundlagen - in vielen Länder über die schon untragbare Schuldenlast hinaus. Andere Aspekte des beschleunigten Prozesses der ökonomischen Globalisierung und des sich verändernden Kontextes wurden ebenfalls diskutiert. Finanzmärkte und Handel in Waren und Dienstleistungen sind mehr und mehr integriert, die Freizügigkeit für Menschen jedoch wird weiter eingeschränkt. Wachsende Ungleichheit führt zugleich zu einer steigenden Zahl von Migranten, denen dieselben Rechte wie anderen Bürgern verweigert werden. Sie finden sich selbst und ihre Familien in sehr schwierigen Verhältnissen vor und sind konfrontiert mit neuen Formen des Rassismus.

Wir wurden auch daran erinnert, dass die Kriege im früheren Jugoslawien und insbesondere die NATO Bombenangriffe im Kosovokrieg negative Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen den Kirchen in West- und Zentral- und Osteuropa hatten. Wir teilten miteinander tiefe Sorge über die Militarisierung globaler Politik, steigende Militärausgaben und den starken Unilateralismus der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika (USA) auf Kosten des multilateralen Systems der Vereinten Nationen. Die neue Konzentration auf Sicherheit untergräbt den Sinn für geteilte Verwundbarkeit menschlicher Gemeinschaften und der Solidarität mit denen, die im Prozess der ökonomischen Globalisierung zu den Verlierern gehören.

Leben in Fülle für alle Menschen und die ganze Schöpfung - neoliberale Globalisierung überwinden

Wir fragten uns selbst, wie hilft uns das Versprechen des Evangeliums bei der ethischen Urteilsbildung im gegenwärtigen Kontext:

·        Das Evangelium verspricht Leben in Fülle für alle Menschen und die ganze Schöpfung (Joh. 10:10). Dieses Versprechen nahm Gestalt an und wurde Teil der Schöpfung in Jesus Christus. Niemand ist ausgeschlossen von Gottes Haushalt des Lebens. Die christliche Gemeinschaft spiegelt diese Vision wieder um der ganzen Welt willen. Geleitet von dieser Vision, erstreben wir eine Wirtschaft im Dienst des Lebens. Märkte und Geld sollten den Austausch von Gütern ermöglichen, um menschliche Bedürfnisse zu befriedigen und zum Aufbau der menschlichen Gemeinschaft beizutragen.

·        Heute jedoch sehen wir, wie zunehmend wirkliches Leben von privaten finanziellen und Geschäftsinteressen beherrscht wird. Die ökonomische Globalisierung ist von einer Logik geleitet, die der Anhäufung von Kapital, uneingeschränktem Wettbewerb und der Sicherstellung von Gewinn in enger werdenden Märkten Priorität gibt. Politische und militärische Macht werden als Instrumente benutzt, um ungefährdeten Zugang zu Ressourcen und zum Schutz von Investitionen und Handel sicherzustellen. Diese leitende Logik wird als Neoliberalismus bezeichnet. Die neoliberale Wirtschaftslehre entbindet die Kräfte der ökonomischen Globalisierung auf eine Weise, die Grenzen nicht anerkennt. Diese Form der Liberalisierung hat schnell zu tiefgreifenden politischen, sozialen, kulturellen und sogar religiösen Rückwirkungen geführt, die das Leben von Menschen in aller Welt durch wachsende Ungleichheit, Verarmung, Ungerechtigkeit und Umweltzerstörung betreffen.

·        Kirchen, die an dem ökumenischen Prozess (z.B. bei der ÖRK Vollversammlung in Harare) teilgenommen haben, bekräftigten, dass die Ideologie des Neoliberalismus unvereinbar ist mit der Vision der oikoumene, der Einheit der Kirche und der ganzen bewohnten Erde. Weitreichende und wachsende Ungerechtigkeit, Ausschluss und Zerstörung sind der Gegensatz zum Teilen und zur Solidarität, die unabdingbar dazugehören, wenn wir Leib Christi sein wollen. Was hier auf dem Spiel steht, ist die Qualität kirchlicher Gemeinschaft, die Zukunft des Gemeinwohls der Gesellschaft sowie die Glaubwürdigkeit des Bekenntnisses der Kirchen und ihrer Verkündigung Gottes, der mit den Armen und für die Armen da ist.

·        Um der Integrität ihrer Gemeinschaft und ihres Zeugnisses willen, sind Kirchen aufgerufen, gegen die neoliberale Wirtschaftslehre und -praxis aufzutreten und Gott zu folgen. Die Konsultationen, die bisher stattfanden, zeigen wachsende Übereinstimmung darin, dass es Götzendienst gleichkommt, den globalen Markt nach Maßgabe einer unhinterfragten neoliberalen Wirtschaftslehre auszugestalten, weil dies zu Ausschluss, Gewalt und Tod führt. Diese Wirklichkeit, aber auch die Möglichkeit zur Veränderung und von Alternativen, wurden sichtbar, als wir von Geschichten derer, die unter den Auswirkungen der Umsetzung des Neoliberalismus leiden, berichteten und auf den Brief und die Botschaften von Schwestern und Brüdern aus dem Süden und aus Zentral- und Osteuropa hörten.

 

Fragen zur Weiterarbeit

Wir bitten Gemeinden und Synoden unserer Kirchen die folgenden Fragen im Blick auf Positionen und Praktiken der Kirchen selbst im fortlaufenden Prozess zu bedenken:

-          Was bedeutet die Einheit der Kirchen als der eine Leib Christi, was bedeuten Taufe, Abendmahl und Amt im Kontext der ökonomischen Globalisierung? Wie sprechen in diesem Zusammenhang im Lauf des Kirchenjahres Bibellesungen und Liturgien zu uns[1]?

-          Warum machen unsere Kirchen die Armut zum Thema, zögern jedoch, sich mit Reichtum und Wohlstand auseinanderzusetzen?

-          Wie gehen unsere Kirchen mit ihrem eigenen Geld um, mit ihren Pensionskassen, Investitionen und Immobilienbesitz? Sind Banken, mit denen unsere Kirchen verbunden sind, verwickelt in Steuerflucht, in ethisch nicht verantwortbare Investitionen, spekulative Praktiken sowie andere Aktivitäten, die die Fähigkeit von Staaten untergraben, für das Gemeinwohl zu sorgen?

-          Ist unsere Beobachtung korrekt, dass in vielen europäischen Ländern der Staat sich mehr und mehr dem Konzept des freien Marktes unterworfen hat, indem er seine historische Rolle als Wächter des Gemeinwohls und Verteidiger der Schwachen reduziert hat?

-          Insoweit wir als Kirchen mit unseren Sozial- und Gesundheitsdiensten in vom Wettbewerb bestimmten Märkten eingebunden sind, realisieren wir unsere Fähigkeit, die Marktbedingungen im Interesse des öffentlichen Wohl wie im Interesse unserer Kirchen zu gestalten? Wie antworten wir auf die fortschreitende Privatisierung öffentlicher und sozialer Güter und Dienstleistungen, die für das Leben wesentlich sind wie Wasser, Gesundheitsdienste, Bildung etc.?

-          Welche Form des Konsums und welchen Lebensstil praktizieren und fördern wir? Wie können wir als Kirchen und individuelle Kirchenglieder das Bewusstsein für den Klimawandel verstärken und für Umweltschutz arbeiten, indem wir, z.B. sorgfältiger mit dem Energieverbrauch umgehen in unseren Kirchen, in Wohnhäusern, im Transport etc.?

-          Wie engagieren wir uns in der öffentlichen Debatte zur Wirtschaftspolitik und mit Institutionen, die neoliberale ökonomische Praktiken fördern und umsetzen? Wie bilden wir Bündnisse mit sozialen Bewegungen, die Regierungen aufrufen, für das Gemeinwohl und für die Wiederherstellung gerechter und nachhaltiger politischer und sozialer Rahmenbedingungen für wirtschaftliche Aktivitäten zu sorgen?

 

Konkrete Initiativen und gemeinsame Aktivitäten

Wir sind uns völlig bewusst und begrüßen, dass Kirchen in unserer Region und auch die Konferenz Europäischer Kirchen bereits Maßnahmen ergreifen. Wir bekräftigen  insbesondere die Aussagen des Dokumentes der Nord-Süd Arbeitsgruppe der Konferenz Europäischer Kirchen "Europäische soziale Marktwirtschaft - eine alternatives Modell zur Globalisierung?” und möchten die Ausrichtung auf die wichtigen fundamentalen menschlichen Werte hervorheben, die in Kapitel 5 dieses Dokumentes genannt werden[2].

Wir sind dankbar für viele konkrete Initiativen, die bereits auf nationaler, regionaler und globaler Ebene existieren. Wir ermutigen unsere Kirchen zu beraten, wie die folgenden Beispiele diese Arbeit weiter vorbringen können:

mit Bezug zur Schuldenfrage

·        Unterstützung der Kirchen für die Anerkennung der historischen und sich gegenwärtig aufhäufenden sozialen und ökologischen Schulden, die tatsächlich Menschen und Ländern des Südens geschuldet werden - wie durch die Evangelische Kirche von Schweden (Svenska Missionsförbundet), Jubilee South, Freunde der Erde und Accion Ecologica (Ecuador);

·        Fortsetzung der Anstrengungen zum Erlass von bi- und multilateralen Schulden der ärmsten Entwicklungsländer und die Einrichtung eines Mechanismus zur Schuldensschlichtung, um die Schuldenlast anderer Entwicklungsländer substantiell zu verringern; die Nichtanerkennung illegitimer und moralisch verwerflicher Schulden - so im Anschluss an die Strategie von Jubilee 2000 und Jubilee South;

 

mit Bezug zum Finanzsystem

·        Reform der internationalen Finanzarchitektur, die eine angemessene Repräsentation aller Entwicklungsländer wie der Zivilgesellschaft in Entscheidungsprozessen sicherstellen sollte - wie durch die Begegnungen mit leitenden Repräsentanten des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank als Initiative des ÖRK;

·        einen Mechanismus zur Abschreckung maßloser und destabilisierender Währungsspekulation ( wie eine effektive Steuer auf Finanztransaktionen, die Tobin Steuer) - wie durch die Arbeit von ATTAC[3] und ökumenischen Gruppen und Kirchen, die sie unterstützen;

·        eine Untersuchung der Möglichkeit, Geld wie andere Waren zu behandeln und mit Steuern zu belegen, da ja Währungen nicht länger Instrumente im Dienst der Wirtschaft sind, sondern ihrerseits in Finanzmärkten gehandelt werden;

·        mehr Kontrolle über die Geldpolitik und hinsichtlich der Märkte durch nationale und regionale Zentralbanken; Entwicklung eines multilateralen Ansatzes zur Definition gemeinsamer Standards für die Einschränkung der Möglichkeiten transnationaler Konzerne und Investmentfonds zur Steuerhinterziehung;

·        multilaterale Vereinbarungen, die es Staaten erlauben, transnationale Konzerne auf einer global-einheitlichen Basis zu besteuern zusammen mit angemessenen Mechanismen, die Steuereinnahmen international zuzuweisen;

·        eine internationale Konvention, die Auffindung und Rückführung von Vermögen ermöglicht, die illegal angeeignet wurden aus nationalen Finanzministerien von Entwicklungsländern;

·        Aufstockung offizieller Entwicklungshilfe und alternativer Fonds für Investitionen in öffentliche Güter (Gesundheit, Bildung, sanitäre Einrichtungen, Wasser) und grundlegende soziale Dienste - wie durch die Weiterarbeit am Folgeprozess des Gipfels der Vereinten Nationen zur Entwicklungsfinanzierung durch das ökumenische Team des ÖRK und kirchennahe Nichtregierungsorganisationen aus Süd und Nord (z.b. Social Watch Bericht, Montevideo);

 

mit Bezug zur Geschäftswelt

·        rechtliche Rahmenbestimmungen, die soziale und umweltbezogene Rechenschaftspflicht für Unternehmen garantieren - wie durch eine Initiative der Evangelisch Lutherischen Kirche in Kanada;

·        stärkere Unterstützung von Kirchen für andere Formen, Geschäfte zu betreiben, mit höheren sozialen Erträgen, die Idee einer ökologischen und sozialen Komponente im Geschäftsleben -  wie verwirklicht im Fairen Handel, Oikocredit, der Gemeinschaftswirtschaft der Focolare Bewegung, etc.

·        Beitritt zur Bewegung für sozial verantwortliche Investitionen, ethisches Investieren und ethisch-ökologische Fonds - wie den niederländischen Grünen Fond;

·        Förderung der Einführung von Steuergutschriften als Instrument, Investitionen in grüne Fonds und ethisch-soziale Fonds zu steigern, z.B. in der jüngeren Gesetzgebung in den Niederlanden;

·        wachsende Verantwortung der einzelnen Konsumenten hinsichtlich Gütern, Finanztransaktionen, Dienstleistungen - wie dokumentiert in "Einkaufen für eine bessere Welt”;

 

mit Bezug zur Europäischen Union

·        Förderung ökumenischer Einrichtungen, die europäische Politik und europäische politische Institutionen beobachten - so durch Unterstützung für die Initiativen der Kommission für Kirche und Gesellschaft der KEK, die Kommission der Kirchen für Migranten in Europa, der dem ÖRK verbundenen Entwicklungsdienste (APRODEV) und Eurodiakonia;

·        Stärkung der Politik für soziale Kohäsion und Inklusion in Europa, sowohl in der Europäischen Union wie in anderen europäischen Ländern und engagierte Auseinandersetzung mit der Debatte zur Globalisierung, z.B. mit dem Dokument der Europäischen Kommission ‚Antworten auf die Herausforderungen der Globalisierung';

·        aufgeschlossenere und stärker unterstützende politische Maßnahmen für Migranten, Flüchtlinge und Asylsuchende und gegen Frauenhandel;

·        Begleitung der EU Entwicklungspolitik; die EU und ihre einzelnen Mitgliedsstaaten sollten ihre Verantwortung für die Beseitigung der Armut weltweit durch entschlossenes Handeln zum Ausdruck bringen;

·        Unterstützung der vielen Initiativen von Bewegungen und Nichtregierungsorganisationen, die die Position der EU in Verhandlungen zum internationalen Handel und in den Internationalen Finanzinstitutionen (Weltbank und Internationaler Währungsfond) beobachten und kritisieren;

·        faire, gerechte und schnelle Verhandlungen zur Aufnahme in die EU;

·        mehr öffentliche Rechenschaftspflicht der Europäischen Investment Bank (EIB)und der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE) besonders hinsichtlich ihrer Rolle in Zentral- und Osteuropa;

 

mit Bezug zu internationalen Organisationen und dem System der Vereinten Nationen

·        öffentliche Rechenschaftspflicht internationaler Institutionen im allgemeinen sowie eine stärkere Aufsichtsfunktion von Regierungen für das Gemeinwohl;

·        größere Gleichheit des Zuganges und mehr demokratische Beteiligung in der Welthandelsorganisation (WTO), Förderung des fairen Handels, Priorität der Beseitigung der Armut im Süden und Schutz der Rechte Einzelner und von Gemeinschaften - wie durch das Third World Network (Malaysia) und das Globale Ökumenische Aktionsbündnis (Ecumenical Advocacy Alliance, EAA);

·        Stop der Verhandlungen zur Vereinbarung zu Handel und Dienstleistungen der WTO, die Druck auf Stadtverwaltungen und Regierungen ausüben sogar noch stärker grundlegende öffentliche Dienstleistungen zu privatisieren (z.B. Wasser, Energie, Gesundheit);

·        Übereinstimmung der Entscheidungen und Aktionen von Regierungen und Internationalen Institutionen, insbesondere des IWF,  der Weltbank und der WTO mit den Menschenrechtsinstrumenten der Vereinten Nationen, einschließlich der ökonomischen, sozialen und kulturellen Rechte – wie gefordert von LWB, ÖRK, Brot für die Welt, Food First Informations- und Aktions- Netzwerk (FIAN) und dem Evangelischen Entwicklungsdienst (EED);

·        Absage, sich einzulassen auf die Rechtfertigung von Kriegen, Militarisierung globaler Politik und steigender Militärausgaben im Namen des "Krieges gegen den Terrorismus" anstatt die vorhandenen Mittel zu benutzen, die Grundursachen des Terrorismus durch soziale und wirtschaftliche Gerechtigkeit und durch bessere internationale Zusammenarbeit im System der Vereinten Nationen zu beseitigen;

·        Beschränkung des Waffenhandels – wie durch die Kleinwaffenkampagne;

 

mit Bezug auf die Zivilgesellschaft

·        Unterstützung der Kirchen für zivilgesellschaftliche Gruppen und Bewegungen, die von Regierungen gehört und ernst genommen werden müssen, so dass wirklicher Dialog möglich wird – so durch Beitritt zu Bewegungen wie ATTAC wie gerade geschehen durch den Reformierten Bund in Deutschland;

·        einen auf mehreren Ebenen zugleich aktiven Ansatz der Kirchen mit Basisbewegungen in Lobbyarbeit und Netzwerkbildung auf lokaler, nationaler, regionaler und internationaler Ebene – so durch die Stärkung der Zusammenarbeit mit und zwischen kirchennahen Entwicklungsdiensten, Missionsgesellschaften, ÖRK, weltweiten Kirchengemeinschaften und ihren Mitgliedskirchen und Partnern;

·        die Einrichtung eines Wahrheitsforums – wie vorgeschlagen vom Argentinischen Bund der Evangelischen Kirchen[4].

Diese Initiativen sind konkrete Schritte für eine Gezeitenwende und die Überwindung neoliberaler Globalisierung. Sie sind Beispiele für die Auseinandersetzung und die Kommunikation zwischen ökonomischen, ethischen und theologischen Perspektiven mit sich häufig antagonistisch gegenüberstehenden zugrundeliegenden Werten, Sprachen und institutionellen Logiken. Oft erfordern sie hohe Sensitivität, um eine konstruktive Begegnung zu ermöglichen. Kirchen können möglicherweise eine herausragende Rolle dabei spielen, die Kommunikation zwischen oft einander entfremdeten Weltanschauungen zu entwickeln.

 

Wir ermutigen uns selbst und einander

Zum Schluss unseres Briefes an die Leitungen und Mitglieder unserer eigenen Kirchen, möchten wir wiederholen, was wir ebenfalls unseren Schwestern und Brüdern im Süden und in Zentral- und Osteuropa schreiben.

Während wir an dem ökumenischen Prozess teilnehmen, möchten wir uns selbst und einander ermutigen:

·        in ökumenischen Prozessen zusammenzukommen, um uns selbst auf Grund unserer Glaubensüberzeugungen ernsthafter zu verpflichten, uns tatkräftiger für Gerechtigkeit in der Wirtschaft und auf der Erde einzusetzen;

·        die zerstörende Gewalt des gegenwärtigen ökonomischen Systems zu analysieren und uns frei heraus gegen die Ungerechtigkeiten der ökonomischen Globalisierung auszusprechen;

·        nach Alternativen zu suchen, indem wir dafür finanzielle und spirituelle Unterstützung gewähren, und bereits existierende und neu entstehende ökonomische und soziale Alternativen zu fördern wie Oikocredit, die Gemeinschaftswirtschaft der Focolare Bewegung und freien Handel;

·        mit Bürgerbewegungen und sozialen Bewegungen Hand in Hand zusammenzuarbeiten, um gemeinsame Ziele weiter voranzutreiben;

·        die Bildung von Netzwerken zu ermöglichen, um Solidarität zwischen den Kirchen des Südens und den Kirchen Zentral- und Osteuropas zu fördern;

·        faire, gerechte und schnelle Verhandlungen zur EU-Integration und die Anerkennung der berechtigten Forderungen derer, die noch nicht in diesen Prozess aufgenommen sind, zu fordern;

·        für soziale Inklusion aller zu arbeiten, die von den negativen Auswirkungen von Wirtschafts- und Sozialpolitik betroffen sind;

·        Selbstbegrenzung und Einfachheit als Merkmale des Lebensstiles anzunehmen im Widerstand gegen die herrschenden kulturellen Verhaltensmuster der Konsumideologie;

·        die Einrichtung eines Wahrheitsforums zu fordern wie vom Argentinischen Bund der Evangelischen Kirchen vorgeschlagen[5];

·        Wiedergutmachung zu verlangen für Ungerechtigkeiten wie die illegitimen Schulden und unfaire Handelsbedingungen.

Um gemeinsam vorwärtszugehen in Richtung auf eine Wirtschaft im Dienst des Lebens müssen wir voneinander lernen und uns wechselseitig an die Hoffnung erinnern, die uns eint: Christus und sein Leben schenkendes Evangelium.



[1] Der RWB veranstaltete eine Konsultation zu Bibellesungen und Liturgien im July 2001 in Basel. Kairos Europa erstellte eine Publikation mit hilfreichem Material.

[2] Werte der Würde, Gerechtigkeit, Freiheit, des Friedens, der Nachhaltigkeit, Verantwortung, Solidarität und Subsidiarität

[3] Attac – die französische Abkürzung für "Vereinigung zur Besteuerung von Finanztransaktionen im Interesse der BürgerInnen” (Association pour une Taxation des Transactions financières pour l'Aide aux Citoyens

– wurde 1998 in Frankreich gegründet und hat nun über 80'000 Mitglieder weltweit. Es ist ein internationales Netzwerk von nationalen  und lokalen Gruppen in 33 Ländern. Es tritt ein für die Idee einer internationalen Steuer auf Währungsspekulationen (Tobin Steuer) und Kampagnen Steueroasen illegal zu erklären, Pensionsfonds mit Staatspensionen zu ersetzen, die Schulden der 3. Welt zu erlassen, die Welthandelsorganisation zu reformieren oder aufzulösen und, genereller, den demokratischen Raum, der an die Finanzwelt verlorengegangen ist, wiederzuerobern.

 

[4] Vgl. In Memory of an encounter. Final document on the Ecumenical Round Table on the situation in Argentina. In diesem Schlussdokument des ökumenischen runden Tisches zur Situation in Argentinien schlagen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer vor: "1.1.1.3. fördert die Schaffung eines permanenten Wahrheitsforums unter signifikanter sozialer, ökumenischer und interreligiöser Beteiligung zusammen mit für Menschenrechte und Gerechtigkeit arbeitenden Organisationen von und mit den Kirchen des Nordens. Ziel ist es, das Verständnis zur Frage der Auslandsschulden und der Bedingungen, die unseren Gesellschaften auferlegt werden, in Gesellschaft und Regierung zu beeinflussen.”

 

[5] Vgl. Die vorige Anmerkung.