Pressemitteilung

Vizepräses Bosse-Huber: Mit Jesaja die Sehnsucht Gottes nach seiner Welt spüren

Kirchenleitende predigen am Reformationstag (2)

  • Nr. 173 / 2007
  • 31.10.2007
  • 21545 Zeichen

Achtung: Sperrfrist 31. Oktober 2007, 19.30 Uhr – Es gilt das gesprochene Wort“

Die Vizepräses der rheinischen Kirche, Petra Bosse-Huber, predigt am heutigen Reformationstag in der Evangelischen Kirche Bielert, Bielertstraße 14, 51379 Leverkusen. Musikalisch begleitet wird der Gottesdienst vom Bachchor der Evangelischen Kirchengemeinde Opladen unter der Leitung von Kantor Michael Porr. An der Liturgie wirken örtliche Pfarrer und Gemeindemitglieder aus allen Opladener Bezirken sowie der katholische Stadtdechant, Pfarrer Heinz-Peter Teller, mit. Der Gottesdienst beginnt um 19.30 Uhr. Anschließend wird ins Gemeindehaus zu einem Gespräch mit Vizepräses Bosse-Huber eingeladen. Thema: „Ich bin gerne evangelisch – oder?“

Die Vizepräses thematisiert in ihrer Predigt zu Jesaja 62, 6.7.10-12 die visionären Bilder des Propheten Jesaja und ihre Kraft, Menschen „die Sehnsucht Gottes nach seiner Welt“ spüren zu lassen. Wer das Denken in statischen Bildern aufgebe, z.B. die Einteilung von Kirchenmitgliedern in die Kerngemeinde auf der einen Seite, Fernstehende und Kirchendistanzierte auf der anderen Seite, könne sich selbst neu entdecken – als Menschen in unsichern Zeiten und als Pilgernde, die nicht nur „zu Gott“, sondern immer schon „mit ihm“ unterwegs seien.

Hier das Manuskript:

„Friede sei mit euch!

Liebe Gemeinde!

Es sind seltsame Zeiten, in denen wir diesen Reformationsgottesdienst heute Abend feiern. Diffus, zwielichtig und zweideutig erscheint vieles, widersprüchliche Erfahrungen gehören zu unserer kirchlichen Gegenwart: Einerseits erleben wir als evangelische und katholische Volkskirchen heftige Umbrüche und Abbrüche, Sparpläne, Kooperationen oder Fusionsbemühungen. Anstrengende Zeiten sind das, auch für unsere Evangelische Kirche im Rheinland, auch für Ihre Gemeinde hier in Opladen. Andererseits erleben wir aber gleichzeitig, dass das Thema Religion geradezu Hochkonjunktur hat. Junge und alte Menschen sehnen sich nach Sinn und Inhalten, lassen sich nicht mehr abspeisen mit schalem Konsum und billigem „Hab Spaß, gib Gas!“. Viele Menschen verlangt es nach mehr, nach Höherem und Tieferem. Sie suchen intensiv nach Orientierung und Halt.

Allerdings haben diese Zeitgenossinnen und Zeitgenossen bei ihrer spirituellen Suche nicht mehr automatisch die Kirche im Blick. Große Teile der Renaissance der Religion im Jahr 2007 spielen sich, so scheint es, außerhalb unserer Kirchen ab.

Ich will versuchen, Ihnen diesen widersprüchlichen Zeitgeist an einem Beispiel zu verdeutlichen: Vielleicht gehören auch Sie zu den begeisterten Leserinnen und Lesern von Harpe Kerkelings Schilderungen über seine Wanderung nach Santiago de Compostela. Dieses Buch „Ich bin mal eben weg“ des bekannten Fernsehunterhalters erzählt von seiner Pilgerreise auf dem alten Jakobsweg. Seine Reisebetrachtungen sind soeben in der 47. Auflage erschienen. Mehr als 2, 2 Millionen Mal ist allein das Buch über die Ladentheke gegangen und darüber hinaus noch unzählige Male als Hörbuch verkauft worden. Radiofeatures, Internetdiskussionen, Talkshows, Autorenlesungen und Fernsehberichte haben sich mit dieser unglaublichen Bestsellergeschichte beschäftigt.

Es ist, als ob sich plötzlich eine ganze Gesellschaft auf dem Pilgerweg befände. Menschen, die nach eigenem Bekunden, nichts mit dem christlichen Glauben zu tun hatten, berichten von aufrüttelnden spirituellen Erfahrungen. Und auch in unsere evangelische Kirche schwappt diese Pilgerbegeisterung schon etwas länger hinein: Die Polizeiseelsorge weiß sich bei ihrem Angebot von Pilgerangeboten für den sonst eher hartgesottenen Berufsstand der Polizisten kaum zu retten, von Wartelisten berichten aber ebenso die evangelische Männerarbeit oder viele unserer pilgererfahrenen Gemeinden. Gemeinden, die häufig – zu meiner großen Freude – das Pilgern bewusst ökumenisch gestalten. Unvorstellbar wäre solch ein Phänomen noch vor wenigen Jahren gewesen: Nordrheinwestfälische Polizeibeamte oder evangelische Männergruppen, die pilgern?

Was ist das für eine tiefe Sehnsucht, die da plötzlich mitten in unserer Gesellschaft aufbricht und sichtbar wird? Auf welchen Pilgerweg in die Zukunft machen sich unsere Zeitgenossen da auf? Und sind wir dabei? Wollen wir dabei sein? Welche Rolle wollen wir als evangelische Kirche dabei übernehmen?

Auslöser für seine Wanderung im Jahr 2001 waren bei dem Komiker Harpe Kerkeling Krankheitserfahrungen. Nun wollte er wandernd über sein Leben nachdenken und sich neu orientieren. Harpe Kerkeling hat über seine eigenen Motive für seine Pilgerei in seinem Buch Auskunft gegeben und dafür als preisgekrönter Fernsehstar ein sehr einprägsames Bild aus dem ihm so vertrauten Medienalltag gewählt. Er schreibt:

„Gott ist für mich so eine Art preisgekrönter Film wie ‚Gandhi‘, mehrfach preisgekrönt und einfach großartig! Und die Amtskirche ist lediglich das Dorfkino, in dem das Meisterwerk gezeigt wird. Die Projektionsfläche für Gott. Die Leinwand hängt leider schief, ist verknittert, vergilbt und hat Löcher. Die Lautsprecher knistern, manchmal fallen sie ganz aus oder man muss irgendwelche nervigen Durchsagen während der Vorführungen anhören … Kein Vergnügen wahrscheinlich, sich einen Kassenknüller wie Gandhi unter solchen Umständen ansehen zu müssen. Viele werden rausgehen und sagen: ‚Ein schlechter Film‘. Wer aber genau hinsieht, erahnt, dass es sich doch um ein großartiges Meisterwerk handelt … Leinwand und Lautsprecher geben nur das wieder, wozu sie in der Lage sind. Das ist menschlich. Gott ist der Film und die Kirche ist das Kino, in dem er läuft. Ich hoffe, wir können uns den Film irgendwann in bester 3-D- und Stereo-Qualität unverfälscht und in voller Länge angucken! Und vielleicht spielen wir ja mit!“

Vermutlich würden viele Menschen um uns herum ihren Eindruck von Kirche in diesem Bild vom heruntergekommenen Dorfkino wiederfinden. Gerade wer wenig oder gar keinen Kontakt mehr zu Gemeinden hat und sich sein Urteil aus der Distanz nur aufgrund von Medienberichten zusammensetzt, wird leicht zu solchen Einschätzungen kommen.

Nun weiß ich aber sicher, dass heute Abend hier im Opladener Reformationsgottesdienst Menschen sitzen, die an diesem verzerrten Bild von Kirche leiden. Jugendliche, Frauen und Männer, Ehrenamtliche und Hauptamtliche, die es besser wissen und die unendlich viel ihrer Ideen, Kraft, Nerven und Zeit darein investieren, dieses schiefe Kirchenbild in unserer Gesellschaft zurecht zu rücken.

Diesen engagierten Leuten wird in diesem Gottesdienst zum 490. Geburtstag unserer evangelischen Kirche ein kostbares Geschenk überreicht. Ein uralter Text aus dem Jesajabuch, mehr als 2500 Jahre alt, spricht in unsere widersprüchlichen Zeiten hinein. Vielleicht fremd, aber kraftvoll und energisch, ermutigend und aufrüttelnd. Ich lese Jesaja 62, 6 –7, 10 – 12:

„O Jerusalem, ich habe Wächter über deine Mauern bestellt, die den ganzen Tag und die ganze Nacht nicht mehr schweigen sollen. Die ihr den Herrn erinnern sollt, ohne euch Ruhe zu gönnen, lasst ihm keine Ruhe, bis er Jerusalem wieder aufrichte und es setze zum Lobpreis auf Erden!

Gehet ein, gehet ein durch die Tore! Bereitet dem Volk den Weg! Machet Bahn, machet Bahn, räumt die Steine hinweg! Richtet ein Zeichen auf für die Völker!

Siehe der Herr lässt es hören bis an die Enden der Erde: Saget der Tochter Zion: Siehe dein Heil kommt! Siehe, was er gewann, ist bei ihm, und was er erwarb, geht vor ihm her!

Man wir sie nennen „Heiliges Volk“, „Erlöste des Herrn“, und dich wird man nennen „Gesuchte“ und „Nicht mehr verlassene Stadt“.“

Hier redet ein Prophet mit brennendem Herzen und scharfem Verstand. Aber er redet anders als alle öffentlichen Redner seiner Zeit. Er redet aus der Perspektive Gottes, reißt mit seinen Bildern von der Zukunft Gottes seine erschöpften und enttäuschten Zuhörenden mit. Müde Menschen sind das, zu denen er spricht, heimgekehrt aus dem Exil stehen sie vor den Trümmern Jerusalems und den Ruinen des Tempels. Aufmunternde Worte findet der Prophet für diese kleine tapfere Schar, die nach fünfzig Jahren Verbannung zurückgekehrt sind. Vor sich die scheinbar nicht zu bewältigende Aufgabe, die Ärmel aufzukrempeln, anzupacken und Jerusalem aus Trümmern wieder erstehen zu lassen. Menschenunmöglich sagt der Prophet, aber gottmöglich.

Atemberaubende Bilder voller Dynamik ziehen in diesem prophetischen Text der Hebräischen Bibel an den Trümmerfrauen und –männern damals und an uns heute vorbei. Das sind Bilder mindestens so eindringlich schrecklich und schön wie in dem Gandhifilm: Da sind 1. Wachsoldaten auf der zerstörten Mauer – außerdem 2. hartschuftende Arbeiter beim Straßenbau – und am Schluss 3. das leidenschaftliche und drängende Werben um eine geliebte Frau.

Lassen Sie uns eine Weile bei diesen drei alten Bildern verweilen, uns auf dieses Wortkino statt auf das Dorfkino konzentrieren. Uns die Szenen vor unser inneres Auge zaubern:

1. Der Prophet erzählt von den Soldaten auf der zerstörten Stadtmauer und ihrer besonderen Verantwortung für die Stadt Jerusalem. Sinnlos scheint ihr Dienst zunächst. Wie sollen sie wachen, wenn die Stadtmauer zerstört ist? Es wird von Jesaja nichts schöner geredet als es ist. Die Bibel ist auch hier nüchtern, ehrlich und illusionslos. Doch trotz oder vielleicht gerade wegen der kaputten Umstände haben diese Mauersoldaten eine unaufgebbare Funktion. Gerade eine friedlose und heillose Gegenwart braucht die Wächter Zions und Jerusalems. Sie sollen „gedenken“ und „erinnern“ (hebr.: „s-ch-r“). Aus unserer eigenen, christlicher Perspektive würden wir hier vielleicht sagen, diese Menschen sollen das Wächteramt der Kirche wahrnehmen. Doch was für erstaunliches Wächteramt wird hier bei Jesaja beschrieben: Nicht die Welt soll die christliche Kirche mit ihren geistreichen oder kritischen Anmerkungen und Sonntagsreden, Kommentaren und Kampagnen wach halten, sondern Gott selbst. So laut und eindringlich sollen wir klagen, jammern, bitten und schreien, als ob Gott ohne unser Lamento tatsächlich die Not der Welt und die Sehnsucht seiner Menschen verschlafen würde. „Die ihr den Herrn erinnern sollt, ohne euch Ruhe zu gönnen, lasst ihm keine Ruhe…“ Als Wächterinnen und Wächter sollen wir lernen unser kleines Leben, unsere enge Welt mit den großen Verheißungen Gottes zu verknüpfen. Nerven dürfen wir ihn, unseren Gott in den Ohren liegen, an seine Worte gedenken und ihn immer und immer wieder an seine Versprechen erinnern bis er seine Zukunftsverheißungen endlich einlöst. So nervenzerfetzend wie jene Witwe in den Evangelien, die mit ihrem nicht enden wollenden Bitten sogar einen ungerechten Richter überwand und so unverschämt wie jene syrophönizische Frau, bei der selbst Jesus klein beigeben musste.

Doch noch einmal zurück zum Reformationstag: Am 31. Oktober 1517 hat ein solcher Wachsoldat auf der Mauer die Öffentlichkeit in Wittenberg gesucht, indem er seine Thesen an die Schlosskirche gut lesbar anschlug. Auch Luther hatte wie der Prophet ganz anderes zu verkündigen als die üblichen öffentlichen Redner seiner Zeit. Auch er stand wie Jesaja in unversöhnlichem Kontrast und Widerspruch zum Zeitgeist.

Im Januar 2007 kamen wieder in Wittenberg Hunderte von Delegierten zusammen, um über die „Kirche der Freiheit. Perspektiven für die evangelische Kirche im 21. Jahrhundert“ zu debattieren. Ein wichtiges, ein notwendiges Reformpapier für die evangelische Kirche in Deutschland stand und steht zur Diskussion.

Und doch, so erinnert uns der jüdische Prophet aus seiner eigenen Glaubenserfahrung, entscheidet sich die Erneuerung einer Kirche nicht an den tatsächlich dringend benötigten Reformkonzepten sondern zuletzt an ihrem drängenden und leidenschaftlichem Beten. Kirche wird da lebendig, stark und zukunftsfähig, wo gebetet wird. Wo Menschen Gott festlegen auf das Kommen des Reiches Gottes und nicht locker lassen. Wo Juden oder Christen das Beten auf die Spitze treiben. Auch und immer noch für seine Stadt Jerusalem und sein Volk Israel, das wie damals bei Jesaja auch heute in Unfrieden und Angst lebt. Wo allerdings heute statt der Trümmermauer eine Betonmauer entsteht, Angst und Unfrieden, in Beton gegossen.

Wie solches Beten angesichts des Zustands unseres persönlichen Lebens, unserer Kirche und unserer Welt aussehen kann, ist uns aus dem Leben Martin Luthers überliefert. Als er in Weimar an Philipp Melanchthons Krankenbett stand, erschüttert darüber, dass der Freund bis zur Unkenntlichkeit verändert und entstellt war, wandte er sich zum Fenster und bestürmte Gott: „Allda mußte mir unser Herrgott herhalten, denn ich warf ihm den Sack vor die Tür und rieb ihm die Ohren mit allen Verheißungen von der Erhörung des Gebets, die ich in der Heiligen Schrift zu erzählen wusste, dass er mich musste erhören…“ (Zitiert in: M. Brecht, Martin Luther. 3. Bd. 1987, 210). „Gott die Ohren mit seinen Verheißungen zu reiben, dass er uns erhören muss“ – das gilt es bei Jesaja und bei Luther zu lernen. Um zu lernen, das Beten auf die Spitze zu treiben, kann man bei dem Propheten und bei dem Reformator in die Lehre gehen.

Dann das zweite Bild: Knochenarbeit beim Straßenbau. Nicht anders als heute mussten auch im alten Israel zunächst die herumliegenden Felsen und Steine weggeräumt werden, um eine Straße bauen zu können. Vielleicht hat jemand unter Ihnen sich schon einmal einen Eindruck verschaffen können, wie steinig und felsig Israel und besonders Jerusalem ist. „Machet Bahn, machet Bahn, räumt die Steine hinweg!“ ermuntert der Prophet hartnäckig. Und diesmal heißt es nicht „Bereitet dem Herrn den Weg“ (Jes. 40, 3) wie an anderer Stelle im Jesajabuch. Nein, denn der Herr ist ja schon da. Diesmal heißt es deshalb: „Bereitet dem Volk den Weg! Machet Bahn, machet Bahn, räumt die Steine hinweg!“ Manchmal denke ich, dass wir selbst mit unseren steinharten Überzeugungen und unerschütterlichen Selbstsicherheiten anderen den Weg in unsere Kirche am wirkungsvollsten versperrt haben. Dass wir selbst all zu oft „dem Volk“ im Weg stehen, anstatt wirklich „Volks-Kirche“ zu sein und dem Volk den Weg zu ebnen. Es wird tatsächlich höchste Zeit, dass wir es lernen „Missionarisch Volkskirche zu sein“. Soviel Geröll liegt im Weg, dass tatsächlich nur Insider und wenige Eingeweihte den Weg zur Schatzkammer des christlichen Glaubens finden. Denn einen Schatz halten wir ja tatsächlich mit der Heiligen Schrift in den Händen und sollten die Türen zu dieser Schatzkammer mit jedem Gottesdienst, jeder Kirchenmusik, jeder Veranstaltung sperrangelweit öffnen. „Gehet ein, gehet ein durch die Tore! Bereitet dem Volk den Weg“ feuert uns der Prophet über den Abstand der Zeiten hin an. Nicht der exklusive Zirkel einiger weniger ist eine biblische, eine evangelische Vision von Zukunft, sondern die Stadt mit den weit offenen Toren, tatsächlich eine „Kirche der Freiheit“. In einer sich erneuernden Kirche der Reformation werden die herumliegenden Geröllbrocken und Steine weggeräumt. Da laden „Offene Kirchen“ auch die Suchenden und Pilgernden, die im Glauben heimatlos Gewordenen zum Innehalten ein, da erlauben „Wiedereintrittsstellen“ eine individuelle Annäherung an Kirche und da freuen wir uns über solche Nachrichten wie der in der Zeitschrift Focus aus der vergangenen Woche, dass in der rheinischen Kirche im Jahr 2006 die niedrigsten Austrittszahlen seit 1980 verzeichnet wurden. In Focus wird dann dazu ein hessen-nassauischer Oberkirchenrat zitiert, der zu dieser Erfolgsmeldung flachste: „Wenn die SPD unsere Austrittsquote hätte, würde sie Gottesdienste feiern.“ Schöne Vorstellung, dass die SPD Gottesdienste feiert, aber vielleicht sollten wir darauf lieber nicht warten, sondern stattdessen Menschen aus SPD und CDU, von den Gründen, Liberalen, Linken oder woher auch immer die Tore weit öffnen. „Bereitet dem Volk den Weg.“

Zuletzt das dritte Bild: Leidenschaftlich verliebt wirbt hier einer um einen begehrten Menschen: „Gesuchte“ und „Nicht mehr verlassene Stadt“ nennt er seine unerreichbare Geliebte. Der Prophet wählt ein erotisches Bild, um die unstillbare tiefe Sehnsucht Gottes nach uns Menschen auszudrücken. Uns, evangelische ebenso wie katholische Christinnen und Christen, die wir uns auch im Jahr 2007 manchmal so allein und sitzen gelassen, so verlassen und hoffnungslos vorkommen, begehrt Gott mit allen Fasern seines Herzens. Oder in den wunderschönen Liebesworten des Propheten ausgedrückt: „Man soll dich nicht mehr nennen „Verlassene“ und dein Land nicht mehr „Einsame“ sondern du sollst heißen „Meine Lust“ und dein Land „Liebes Weib“; denn der Herr hat Lust an dir … und wie sich ein Bräutigam freut über seine Braut, so wird sich dein Gott über dich freuen.“ (Jes. 62, 4f.)

Jesaja pflanzt mit diesem heißen Liebesgedicht Hoffnung in die Herzen der müden und resignierten Heimkehrer in Israel. Und er öffnet einen Horizont, der nicht nur die jüdische Exilsgemeinde umfasst, sondern auch uns Heutige und unsere Kirche in den Blick nimmt. Gott hat Sehnsucht nach der ganzen Welt, nach allen Menschen, nach allen Völkern, auch und gerade nach uns, seiner Kirche: „Siehe der Herr lässt es hören bis an die Enden der Erde.“ (V.11).

Wir als Kirche sollten nicht dabei stehen bleiben, unsere Strukturen, Finanzen und Konzeptionen in Ordnung zu bringen. Stattdessen sollten wir uns anstecken lassen von der Sehnsucht Gottes nach seiner Welt. Wenn wir uns mitreißen lassen von seiner Liebe und Leidenschaft zu allem Lebendigen, werden wir uns verändern. Geliebte Menschen werden schöner und attraktiver, vielleicht auch gelassener und heiterer. Auch eine geliebte Kirche kann ihr Antlitz verändern, kann Anmut und Offenheit, Gottvertrauen und Gelassenheit ausstrahlen. Mag sein, dass auf eine solche lächelnde und heitere Kirche, befreit von der Sorge um sich selbst auch Kirchenungewohnte aufmerksam würden. Da sind unzählige Menschen wie Harpe Kerkeling, der seine eigene Sehnsucht mit den Worten zu Protokoll gibt: „Da ich gerade einen Hörsturz und die Entfernung meiner Gallenblase hinter mir habe, zwei Krankheiten, die meiner Einschätzung nach großartig zu einem Komiker passen, ist es für mich allerhöchste Zeit zum Umdenken – Zeit für eine Pilgerreise. … Wer nach Santiago pilgert, dem vergibt die katholische Kirche freundlich alle Sünden. Das ist für mich nun weniger Ansporn als die Verheißung, durch die Pilgerschaft zu Gott und damit auch zu mir zu finden. das ist doch einen Versuch wert.“

Natürlich ist Kerkelings Buch auch komisch, aber vor allem ist es aufrichtig. Das Reisetagebuch eines Menschen, der ehrlich und bekümmert die Nähe zu Gott und zu sich selbst vermisst.

Ich wünschte mir, wir würden uns anstecken lassen von der Aufrichtigkeit des Propheten Jesaja, von der Schönheit seiner visionären Bilder von den Soldaten auf der Mauer, vom Straßenbau und von der Liebe. Damit wir den Menschen, die sich mit einer tiefen und ehrlichen Sehnsucht nach Gott auf den Weg machen, Wegbegleiterinnen und Wegbegleiter werden. Mag sein, dass sich unser eigenes Bild von Kirche dabei radikal verändert. Dass wir nicht länger denken: Wir hier drinnen und die da draußen. Dass wir aufhören in so statischen Bildern zu denken wie der Kerngemeinde auf der einen und den Fernstehenden oder Kirchendistanzierten auf der anderen Seite. Vielleicht entdecken wir uns selbst neu als Menschen unterwegs in unsicheren Zeiten. Unterwegs mit unzähligen anderen, manche sehr anders als wir, aber viele wie wir mit einer tiefen Sehnsucht im Herzen. Pilgernde, unterwegs auf ihrem Weg zu Gott. Wir sind dann vielleicht nicht die Besserwisser, sondern Mitreisende, aber Reisebegleiter, die vom offenen Himmel erzählen können. Die erfahren haben, dass wir nicht nur zu Gott, sondern immer schon mit Gott unterwegs sind. Wir sind die Pilgernden, die die Geschichten von der unstillbaren Sehnsucht Gottes nach seiner Welt kennen. Die an bleiernen Tagen und in dunklen Nächten weitersagen können, dass vieles uns Menschen unmöglich, aber Gott sehr wohl möglich ist.

Sogar eine Reformation der evangelischen Kirche – in ökumenischer Weite.

Menschenunmöglich, aber gottmöglich. Ist das nicht schön?!

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft bewahre unser Herzen und Sinne in Christus Jesus unserem Herrn. Amen.“