Pressemitteilung

Mit Redeverbot und Ausweisung gegen „scharfe Gegner“ in der eigenen Kirche

Neues Buch beleuchtet das Versagen des evangelischen Konsistoriums:

  • 15.10.2003


Mit einem neuen Buch über die Disziplinierung kirchlicher Mitarbeiter durch das Konsistorium der Rheinprovinz hat die rheinische Kirche der Erinnerung an verfolgte oder bedrängte Menschen in der Zeit des Nationalsozialismus ein weiteres Kapitel hinzugefügt. „Scharfe Gegner“ ist das Buch überschrieben, das Präses Nikolaus Schneider heute in der Evangelischen Akademie Mülheim vorgestellt hat. Im Auftrag der Evangelischen Kirche im Rheinland hat die Historikerin Dr. Simone Rauthe
u.a. rund 190 Biogramme von kirchlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zusammengetragen, die sich ab 1934 im Streit um die rechtmäßige Kirchenordnung und Kirchenorgane gegen den wachsenden Einfluss regimetreuer Kräfte in der Kirche zur Wehr setzten und/oder die sich in der Bekennenden Kirche engagierten.


„Wir können heute nicht an den Leidensweg auch dieser Männer und Frauen erinnern und Lehren aus der Vergangenheit ziehen, ohne Erkenntnis und Bekenntnis der eigenen Schuld, die sie nicht nur im Hinblick auf ihre Glieder, sondern auch im Blick auf sich selbst als Institution zu beklagen hat“, so Präses Schneider bei der Buchpräsentation. In sehr unterschiedlicher Intensität und mit unterschiedlichem Einsatz seien die Männer und Frauen „dem Bösen gegenüber mit skeptischer Sprödigkeit, hinhaltender Widersetzlichkeit, bisweilen mit drastischem Widerstand – wie bei Pfarrer Paul Schneider im KZ Buchenwald – entgegengetreten“. Schneider weiter: „Da stand neben dem Mut die Angst, neben der Tapferkeit das Versagen, neben dem Bekenntnis des Glaubens oft noch die Verhaftung an überkommene und schwer abzustreifende Traditionen, die zu schlimmen Fehlleistungen verführen konnte.“


Die Sanktionen des Konsistoriums der rheinischen Kirche im Namen des NS-Regimes reichten nach den Feststellungen von Historikerin Simone Rauthe von Gehaltsverlust über die Ausweisung aus bestimmten Arbeitsbereichen und Landstrichen, Redeverboten, Pfarrstellenverlust, Wartestandsversetzungen, Gestapo- bzw. KZ-Haft bis hin zum Martyrium. „Wir können unmöglich davon absehen, dass von Maßnahmen dieser Art auch Ehefrauen, Familien, Verwandte im wahrsten Sinne des Wortes in Mitleidenschaft gezogen wurden“, urteilte Nikolaus Schneider, „Die Namen der solchermaßen Betroffenen dürfen wir nicht der Vergessenheit anheimfallen lassen!“


Präses Schneider wertete die Forschungsarbeit von Dr. Simone Rauthe, die von einer ehrenamtlichen, wissenschaftlichen Arbeitsgruppe begleitet wurde, als „einen auf der einen Seite aufregenden Einblick in die Geschichte der evangelischen Pfarrerschaft der rheinischen Kirche während der Nazi-Zeit und andererseits die beschämende Geschichte einer binnenkirchlichen Bürokratie, die nach dem Beifall der ,weltlichen Fürsten‘ (Markus 10, 42) schielt und deren Methoden zu kopieren sie all zu schnell bereit war.“ Das Thema, so der Präses, sei längst noch nicht abgeschlossen: „Das Buch reizt hoffentlich zu weiterer Forschungsarbeit bei uns und anderswo“. „Unsere Kirche vor Entwicklungen wie in jener Zeit zu bewahren, ist unsere bleibende Aufgabe. Gestellt wurde sie bereits in Barmen 1934“, so Nikolaus Schneider abschließend.


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Der Buchtitel geht auf Äußerungen des seit 1937 amtierenden Konsistorialpräsidenten Dr. Walter Koch zurück, der besonders konsequente Pfarrer der Bekennenden Kirche (BK) in der seit 1933 andauernden Auseinandersetzung um das wahre Bekenntnis und die Auslegung der rheinisch-westfälischen Kirchenordnung als „scharfe Gegner“ bezeichnete.


 


Das Buch „Scharfe Gegner“ ist erschienen in der Schriftenreihe des Vereins für Rheinische Kirchengeschichte, ISBN 3-7749-3215-8. Es kostet 25 Euro.