Pressemitteilung

Vizepräses Bosse-Huber: „Geistliche Leitung braucht die Rückbindung an Gott“

Rheinische Theologin ist heute zu Gast beim Pfarrertag in Berlin

  • Nr. 115/2012
  • 5.9.2012
  • 5238 Zeichen

Petra Bosse-Huber, Vizepräses der Evangelischen Kirche im Rheinland, hat Pfarrerinnen und Pfarrer dazu ermutigt, geistliches Leben zu stärken – im eigenen Leben wie auch in der Gemeinde. Nur aus geistlichem Leben heraus sei auch „Geistliches Leiten“ von Gemeinde und Kirche möglich, unterstrich die Theologin in einem Vortrag heute beim Pfarrerinnen- und Pfarrertag der Evangelischen Kirche von Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz in Berlin: „Geistliche Leitung ist Teil des Transformationsprozesses, in dem sich unsere Gemeinden, Kirchenkreise und Landeskirchen seit Jahren befinden und den sie selbstbewusst auf ihre eigene Weise gestalten und nicht nur verwalten wollen.“ Beim Thema „Geistlich Leiten“ gehe es um Transformation; sowohl im Blick auf den Einzelnen wie auch im Blick auf Gruppen, Gemeinden, Kirchenkreise und Landeskirchen.

Alle Menschen, die Geistliche Leitung ausüben, bedürften der Rückbindung an Gott, so Vizepräses Bosse-Huber. In besonderer Weise gelte dies jedoch für Pfarrerinnen und Pfarrer, zu deren Amt die Aufgabe der Leitung immer dazu gehöre. „Ich höre oft von Kolleginnen und Kollegen in Krisensituationen, dass sie lange nicht außerhalb der Gottesdienstliturgie gebetet haben, dass sie keine Zeit finden für Bibellese und dass sich ihre „stille Zeit“ auf genau die zwei Minuten erstreckt, die sie brauchen, um vor dem Frühstück Losung, Lehrtext und Gebet zu lesen. Diese Kolleginnen und Kollegen wissen selbst, dass sie sich abgeschnitten haben von einer ihrer Kraftquellen“, sagte die rheinische Theologin am Vormittag vor rund 350 Pfarrerinnen und Pfarrern in Berlin.

Nicht nur reden, sondern auch hören; nicht nur geben, sondern empfangen

Die Leere und die Hoffnungslosigkeit, die sie empfinden, habe oft damit zu tun, dass sie sich selbst und ihre Beziehung mit Gott unter dem Druck der Arbeit und der Pflichten vernachlässigt hätten: „Dass sie gute Gründe dafür haben und dass die Belastungen des Pfarramts und der Familie an allen Ecken und Enden an ihnen zerren, kann ich gut verstehen. Dennoch ist es eine große Tragik, wenn so viele von uns, die geistlich leiten und begleiten sollen, das nicht leben können, was sie predigen: Wenn es organisatorisch oder emotional irgendwann nicht mehr möglich zu sein scheint, aus dem Tun in die Stille zu gehen; wenn keine Zeit bleibt, nicht zu reden, sondern zu hören, nicht zu geben, sondern zu empfangen“, so Petra Bosse-Huber in ihrem Vortrag weiter.

Diese Analyse sei kein Vorwurf, betonte Vizepräses Bosse-Huber, sondern beinhalte vielmehr die Anfrage, wie es bei Pfarrerinnen und Pfarrer um den persönlichen Zugang zu den Quellen der Kraft stehe: „Und falls die schon recht verschüttet sind, ist die nächste Frage, was helfen könnte, den Zugang wieder breiter zu machen, den Weg zu den erfrischenden und belebenden Quellen neu zu bahnen.“

Sie selbst habe die Erfahrung gemacht, dass gemeinsames Beten besonders hilfreich zur Stärkung des geistlichen Lebens in einer Gemeinde und ihren Gruppen sei. „Es gibt hier manchmal zu Beginn Widerstände, weil das Beten in der Kultur vieler volkskirchlicher Gemeinden etwas zu Persönliches, ja fast Intimes zu sein scheint. Aber mit Achtsamkeit und Geduld können Gemeindekirchenräte, Kindergottesdienst-Teams und Mitarbeitendenrunden spannende Erfahrungen mit dem Beten machen“, ermutigte Petra Bosse-Huber. Gerade für die Leitungsgremien könne es erstaunlich und ermutigend sein zu entdecken, wie sehr eine veränderte Gebetspraxis den geistlichen Aspekt ihrer Gemeinschaft und ihres Dienstes stärkt. Ihr Fazit: „Je voller die Tagesordnungen sind, desto weniger hilfreich ist es, wenn die Leitungsgremien der Versuchung erliegen, dadurch Zeit zu sparen, dass sie den geistlichen Impuls oder die gemeinsame Bibelarbeit streichen. Ein liturgischer Rahmen mit Gebet und Segen stellt die Verbindung zu dem her, von dem die Leitenden ihre Aufgabe und ihr Ziel erhalten haben.“

Bibellektüre, Gebet und engagierte Diskussion

„Wohin geht der Weg?“ fragte Vizepräses Bosse-Huber am Ende ihres Vortrags: „Das ist oft unsere Frage in Gemeinden, Kirchenkreisen und in den Landeskirchen. Wir alle haben keinen Routenplaner und kein Navi dafür. Bibellektüre, Gebet, engagierte Diskussion – sie alle werden uns nicht die eindeutigen Anweisungen einer freundlichen Computerstimme geben, die wir in schwierigen Situationen gerne hätten. ,Demnächst die Autobahn an der Ausfahrt Fusion verlassen!’ oder ,Wenn möglich, bitte wenden!’ – das werden wir in dieser Klarheit kaum jemals vernehmen, auch wenn Gott in etlichen biblischen Geschichten sehr klar zu Menschen gesprochen hat, die er auf einen neuen Weg schicken wollte. Aber genau damit umzugehen ist ebenfalls Teil der Aufgabe, die die geistliche Leitung an uns stellt. Gut, wenn man da nicht allein auf dem Weg ist, sondern in einer Gruppe, in der verschiedene Leitungstypen mit all ihren Stärken und Schwächen vertreten sind!“