Pressemitteilung

Begegnungs- und Versöhnungsbesuch in der Ukraine

Wiedersehen mit ehemaliger Zwangsarbeiterin nach 60 Jahren

  • Nr. 61
  • 2.6.2005
  • 5667 Zeichen


Um das Schicksal ehemaliger Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, die in Einrichtungen von Kirche und Diakonie arbeiten mussten, geht es bei der Reise einer 16-köpfigen Gruppe der Evangelischen Kirche im Rheinland und ihrer Diakonie nach Kiew. Auf dem Programm der einwöchigen Reise, die am 6. April beginnt, stehen – zum dritten Mal – Begegnungen mit Menschen, die im zweiten Weltkrieg von den deutschen Besatzern aus der Ukraine nach Deutschland verschleppt und als Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter eingesetzt wurden.


So wird es während der Reise zu einem besonderen Wiedersehen nach 60 Jahren zwischen dem Geschwisterpaar Ako und Maike Haarbeck und Maria Buzas kommen. Der 70-jährige Theologe Dr. Ako Haarbeck war bis 1997 Landessuperintendent der Lippischen Landeskirche und lebt heute in Bonn. Maria Buzas wurde 1942 aus der Ukraine verschleppt und arbeitete von 1941 bis 1945 im elterlichen Pfarrhaushalt der Haarbecks in Düsseldorf, Kleve und Wuppertal. Hier sorgte sie sich besonders um das Wohl der Kinder.


Die Reise nach Kiew unter der Leitung des Theologen Jörn-Erik Gutheil, Landeskirchenrat und stellvertretender Abteilungsleiter der Abteilung VI im Landeskirchenamt (Finanzen, Liegenschaften, Diakonie), und dem Historiker Dr. Uwe Kaminsky ist Teil des Begegnungs- und Versöhnungsprojektes der Evangelischen Kirche im Rheinland und ihrer Diakonie mit ehemaligen Zwangs-arbeiterinnen und -arbeitern.


Die ersten Begegnungen gab es im November 2002, ebenfalls in Kiew. Im April 2003 kam es zu einem Gegenbesuch in der rheinischen Kirche mit Visiten in den Einrichtungen, in denen Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter einmal arbeiten mussten, z.B. in der Kaiserwerther Diakonie in Düsseldorf und in der Kreuznacher Diakonie. Im Rahmen dieses Gegenbesuchs erstellten Schülerinnen und Schüler des Berufskollegs der Kaiserswerther Diakonie eine umfangreiche Ausstellung über Zwangsarbeit in der rheinischen Kirche mit dem Titel „Dienen unter Zwang“. Diese Ausstellung wurde inzwischen ins Ukrainische und ins Russische übersetzt. Während ihres Aufenthaltes in Kiew Anfang April werden deutsche Schülerinnen und Schüler der Diakonenausbildung die Ausstellung in einem dreitägigen Workshop zusammen mit ukrainischen Schülerinnen, Schülern, Studentinnen und Studenten erweitern. Es geht vor allem darum, Elemente über das Schicksal der Verschleppten nach ihrer Rückkehr in die damalige Sowjetunion aufzunehmen. Die meisten von ihnen wurden zu Hause keineswegs mit offenen Armen empfangen, sondern der Kollaboration beschuldigt und erneut verfolgt, diesmal im eigenen Land. An dem Workshop werden Zeitzeuginnen und Zeitzeugen teilnehmen. Die Ausstellung wird dann am 10. April in Kiew erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Anschließend geht sie als Wanderausstellung in weitere ukrainische Städte und später wieder nach Deutschland.


Mit ihrem Begegnungs- und Versöhnungsprojekt befasst sich die Evangelische Kirche seit Jahren mit einem dunklen Kapitel ihrer Geschichte, nämlich der Zwangsarbeit in der eigenen Kirche und ihrer Diakonie. Schätzungsweise 1200 ausländische Arbeitskräfte arbeiteten zwischen 1939 und 1945 in der rheinischen Kirche und ihrer Diakonie – in der Landwirtschaft, in der Hauswirtschaft von Krankenhäusern und Heimen sowie in den Haushalten einzelner Pfarrfamilien. Sicher nachgewiesen wurden durch Nachforschungen des Historikers Uwe Kaminsky 478 Frauen und Männer, von denen 250 aus Osteuropa stammten. Eine ausführliche Bilanz legte der Wissenschaftler im Jahre 2002 mit seinem 320 Seiten starken Buch „Dienen unter Zwang. Studien zu ausländischen Arbeitskräften in evangelischer Kirche und Diakonie im Rheinland“ vor.


Vom Besuch der rheinischen Gruppe nach Kiew im November 2003 wurde eine Dokumentation erstellt, herausgegeben von Jörn-Erik Gutheil und Uwe Kaminsky. Die DIN A 5-Broschüre mit dem Titel „Ich weiß die Namen nicht mehr …“ Deportation – Zwangsarbeit – Rückkehr“ schildert auf 128 Seiten die Geschichte und ganz persöhnliche Schicksale Betroffener sowie Interviews mit ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und –arbeitern.*


Der rheinischen Kirche geht es bei dem Begegnungs- und Versöhnungsprogramm nicht nur darum, die eigene Verstrickung mit dem Zwangsarbeitersystem der Nationalsozialisten aufzuklären. Sie unterstützt mit dem Programm auch die Betroffenen in ihrer Gesundheitsvorsorge und Lebensbewältigung. Außerdem will sie, vor allem mit der Ausstellung, das Geschichtsbewusstsein junger Menschen durch die Verknüpfung von Begegnungs- und Versöhnungsarbeit schärfen. Gleichzeitig sollen Initiativen unterstützt und miteinander in Kontakt gebracht werden, die der zivilgeschichtlichen Entwicklung dienen.


Die Begegnungsreise und der Workshop werden mit Unterstützung der „Aktion Sühnezeichen Friedensdienste“, die in Kiew ein Koordinationsbüro unterhält, der ukrainischen Partnerstiftung der Bundesstiftung und dem ukrainischen Häftlingsverband durchgeführt. Gefördert wird das Projekt vom Zukunftsfonds der Bundesstiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“.



* Hinweis für Journalistinnen und Journalisten:
Von der og. Dokumentation „Ich weiß die Namen nicht mehr…“ sind noch einige Exemplare vorhanden, die wir Ihnen bei Interesse gerne kostenlos zu Verfügung stellen – Anruf genügt!
Die Dokumentation ist als pdf-Datei angehangen
(Achtung: Lange Ladezeit, da lange Texte und viele Fotos)