Pressemitteilung

Präses Nikolaus Schneider predigt zum Jubiläum der Schülerarbeit

Predigt

  • Nr. Achtung, Sperrfrist: Beginn des Gottesdienstes! Es gilt das gesprochene Wort.
  • 15.11.2008
  • 9338 Zeichen

Predigt über Jesaja 58, 5-10 am Sonntag, 16. November 2008, zum 125-jährigen Bestehen der Evangelischen Schülerarbeit im Rheinland in der Stadtkirche zu Ohligs

 

Gnade und Frieden von Gott, unserem Vater und von unserem Herrn Jesus Christus sei mit uns allen. Amen


Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder, insbesondere: Ihr Lieben von der ESR!


Wie kann Leben gelingen?
Wie können wir glücklich leben und hoffnungsvoll sterben in dieser zugleich so schönen und so schrecklichen Welt?
Wie können wir uns „selbst verwirklichen“, die uns von Gott geschenkten Möglichkeiten, Fähigkeiten und Begabungen entwickeln und auskosten ohne die Bedürfnisse anderer Menschen zu ignorieren, ohne auf Kosten anderer Menschen zu leben und zu genießen?
Das, Ihr Lieben, sind nicht nur Fragen engagierter Schülerinnen und Schüler, das sind Fragen, die uns ein Leben lang begleiten.
Die Propheten des alten Israels waren davon überzeugt, dass die Bindung von uns Menschen an Gott, an Gottes Gebote und Weisungen ganz entscheidend ist für gelingendes Leben –  für den Einzelnen und für die menschlichen Gemeinschaft. Und die Propheten waren davon überzeugt, dass Gottesliebe und Menschenliebe sich nicht voneinander trennen lassen. 
Gesegnetes, also von Gottes Gerechtigkeit und Liebe begleitetes Leben ist uns nur verheißen, wenn wir nach Gerechtigkeit und Liebe für unsere Mitmenschen fragen und suchen.
Und die konkreten Worte der alttestamentlichen Propheten sind noch immer aktuell, weil ihre konkrete Welt sich gar nicht grundlegend von der unsrigen unterscheidet: die Habsucht, die Genusssucht, die Wucherökonomie, die Ausbeutung der Armen durch Reiche, falsche Priester, die nicht Gott dienen, sondern ihrer eigenen Eitelkeit und Geltungssucht – alles das gab es in Israel vor 2500 Jahren, und alles das gibt es bei uns bis heute.
Hören wir also auf den Propheten Jesaja, der im 58.  Kapitel seines Buches schreibt:
„Soll das ein Fasten sein, an dem ich gefallen habe, ein Tag, an dem man sich kasteit, wenn ein Mensch seinen Kopf hängen lässt wie Schilf und in Sack und Asche sich bettet? Wollt ihr das ein Fasten nennen und einen Tag, an dem der Herr Wohlgefallen hat?
Das aber ist ein Fasten, an dem ich Gefallen habe: Lass los, die du mit Unrecht gebunden hast, lass ledig, auf die du das Joch gelegt hast! Gib frei, die du bedrückst, reiß jedes Joch weg!
Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entziehe dich nicht deinem Fleisch und Blut!
Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des Herrn wird deinen Zug beschließen.
Dann wirst du rufen und der Herr wird dir antworten. Wenn du schreist, wird er sagen: Siehe, hier bin ich. Wenn du in deiner Mitte niemanden unterjochst und nicht mit Fingern zeigst und nicht übel redest,
sondern den Hungrigen dein Herz finden lässt und den Elenden sättigst, dann wird dein Licht in der Finsternis aufgehen, und dein Dunkel wird sein wie der Mittag.“
So weit der Prophet, liebe Gemeinde. Dreierlei will er uns einschärfen:
1. Spiritualität, die Gott gefällt, ist nicht der abgehobene Höhenflug der Seele über den Niederungen menschlicher Not – 
Spiritualität, die Gott gefällt, kann den Hunger der Menschen und die verletzte Gerechtigkeit nicht  außer Acht lassen.
Liturgische Feiern, gottesdienstliche Rituale, erhebende Kirchenmusik, Tage der inneren Einkehr, Fasten und Beten – alles das kann unser Leben bereichern. Alles das mag sehr eindrucksvoll sein, qualitätsvoll gestaltet und ästhetisch überzeugend – nur diese Spiritualität verfehlt Gott, sie ist ihm geradezu ein Ärgernis, wenn sie einer gesellschaftlichen Realität entspringt, die von Ungerechtigkeit, Ausbeutung, Korruption und Gewalt geprägt ist. Das machte der Prophet Jesaja den Menschen seiner Zeit klar.
Übrigens keine Zeit wirtschaftlichen Niedergangs. Ganz im Gegenteil: die Wirtschaft prosperierte – aber gleichzeitig wuchs die Zahl der Armen, Gewalt durch unfaire Arbeitsverträge beherrschte das Bild, Unrecht blieb folgenlos und die Macht- und Wirtschafteliten sorgten dafür, dass sie durch günstige Geschäfte nicht zu kurz kamen. Sie spalteten die Gesellschaft, schotteten sich von den Armen ab und – sie hielten sich für fromme Leute! 
Die Riten eines liturgisch frommen Lebens hielten sie ja ein, sie wussten sie zu zelebrieren, und sie waren sogar bereit ihr Wohlleben durch Fastenzeiten zu unterbrechen.
Aber diese Spiritualität, dieses Fasten stellt der Prophet im Namen Gottes in Frage!
So spricht Gott: „Das ist ein Fasten, wie ich es liebe, dass du ungerechte Fesseln öffnest, dass du Misshandelte freilässt und jedes Joch zerbrichst, dass du Nackte bekleidest und mit den Hungrigen dein Brot brichst. Brich dem Hungrigen dein Brot, das ist ein Fasten wie es mir gefällt.“
2. Gerechtigkeit und Barmherzigkeit sind die entscheidenden Grundmelodien für das Gelingen unseres Lebens –  für das Leben der einzelnen Menschen und für das Leben unserer menschlichen Gemeinschaft.
Frömmigkeit ist mehr als Treue zu  liturgischen Formen und Gerechtigkeit ist mehr als die Treue zu Recht und Gesetz.
Gerechtigkeit richtet sich aus am Wohl aller und erlässt insbesondere Schutzrechte für die Armen, die Benachteiligten, die Behinderten. Gerechtigkeit achtet auf die grundlegenden Menschenrechte, auch der Fremden in einem Land. Gerechtigkeit sucht nach einer staatlichen Ordnung, die dem sozialen Ausgleich und dem Zusammenhalt der Gesellschaft verpflichtet ist.
Ein besonders eindruckvolles Beispiel solcher Ordnungen haben ich kürzlich in Namibia kennengelernt: ein Pilotprojekt, Basic Income Grant genannt, das allen Mitglieder bis 60 Jahren einer verelendeten Siedlung ein bedingungsloses Grundeinkommen garantiert. Vom täglichen Überlebenskampf befreit wird Entwicklung der Einzelnen und der Gemeinschaft auf diese Weise möglich.
Aber über alle sozialstaatliche Gesetzgebung hinaus spricht der Prophet uns ganz persönlich an: Brich dem Hungrigen dein Brot….
Wir alle werden vom Propheten aufgefordert, unser Brot zu teilen, unsere Zeit, unsere Fähigkeiten. Und das fordert uns heraus, nicht auf andere zu verweisen, die zuständigen Stellen anzurufen, sondern uns auch persönlich in die Pflicht zu nehmen. Unmittelbare Hilfe an der eigenen Haustür ist gemeint, aber auch der freiwillige Einsatz an den Orten des Elends dieser Welt.
Gerade aus Costa Rica zurück habe ich Freiwillige vor Augen, die ein Jahr ihrer Lebenszeit verarmten Familien und von Verwahrlosung bedrohten Kindern widmen auf der Grundlage eines Freiwilligen Programms, wie wir es von Aktion Sühnezeichen kennen, oder unseren Missionswerken oder neuerdings auch vom Programm „Weltwärts“ der Bundesregierung.
Wir sind Gott wichtig. Wir werden gebraucht von Gott. Gott braucht dich!
Deine Hände sollen Fesseln lösen, Brot brechen und Nackte kleiden. Und wenn du das tust, dann gilt dir die große Verheißung:
„Deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen und die Herrlichkeit des Herrn wird deinen Zug beschließen!“


3. Gott verspricht uns: Wenn wir Gerechtigkeit und Barmherzigkeit untereinander suchen und tun, dann lässt er sich von uns finden!
Wenn du in deiner Mitte niemanden unterjochst und nicht mit Fingern zeigst und nicht übel redest, sondern den Hungrigen dein Herz finden lässt und den Elenden sättigst…
Dann wirst du rufen und Gott wird dir antworten. Wenn du dann nach Gott schreist, wird er sagen: Siehe, hier bin ich!
Unser Fragen und Suchen nach Gott findet nach dem Propheten nicht Erfüllung und Antwort in geistreichen theologischen Gedankengebäuden, auch nicht in feierlichen und bewegenden Gottesdienstzeremonien – so bereichernd auch beides für unser Leben sein mögen. Unser Fragen und Suchen nach Gott findet nach dem Propheten Erfüllung und Antwort in unserem Tun des Gerechten und im Üben der Barmherzigkeit.
So gelingt unser Leben, weil es ein Leben in Beziehung mit Gott für alle ist! Weil es ein Leben in Gerechtigkeit und mit Barmherzigkeit ist.
So können wir „selig“, also von Gott begleitet, leben und sterben.
Selig seid ihr, wenn ihr hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit! Ihr werdet satt werden!
Selig seid ihr Barmherzigen! Ihr werdet Barmherzigkeit erlangen!
Wenn ihr Gerechtigkeit sucht und Barmherzigkeit übt, dann leuchtet euer Leben, dann wird euer Licht in der Finsternis aufgehen und zu einer Orientierung für das Gelingen des Lebens aller Menschen.
125 Jahre Bestehen der ESR – eine Zeit, in der zum „Beten und zum Tun des Gerechten“ ermutigt und so zum Gelingen des Lebens gerufen, in Bindung an Gottes Wort der Gottesdienst im Alltag unserer Welt geübt wurde.
Herzlichen Glückwunsch dazu, und: Mit Gottes Geleit und Segen weiter so!
Amen