Pressemitteilung

Die Wurzeln und das Werden einer profilierten Landeskirche

Kirchengeschichtsbuch erscheint pünktlich zum „60. Geburtstag“

  • Nr. 133/2008
  • 30.10.2008
  • 4875 Zeichen

Säkularisierung, Individualisierung – mit diesen Begriffen werden oft die Modernisierungsschübe der vergangenen Jahrzehnte beschrieben. Im Wortsinn neutraler benennt der Historiker Dr. Uwe Kaminsky diesen Prozess für die rheinische Kirche: Transformation. „Kirche in der Öffentlichkeit – Die Transformation der Evangelischen Kirche im Rheinland (1948-1989)“ heißt seine Geschichte der Evangelischen Kirche im Rheinland. Das heißt, der Berliner Historiker, gebürtig aus Mülheim/Ruhr, beschreibt die Entwicklung der heutigen Landeskirche, die 1948 aus der preußischen Provinzialkirche entstand.

Und die Kernthese Kaminskys zum Verwandlungsprozess lautet: Aus der nationalprotestantischen, ethnisch exklusiven, autoritären, gemeindezentrierten Kirche ist zur Zeitenwende 1989 eine ökumenisch und multi-ethnisch engagierte, demokratische, volkskirchliche und gesellschaftszugewandte Kirche geworden. Was sich auf der ersten Landessynode im November 1948 in Velbert-Langenberg gründete, sei zunächst einmal ein Produkt der sich nach dem Ende der NS-Zeit durchsetzenden Bekennenden Kirche gewesen, so Präses Nikolaus Schneider. In der folgenden Zeit habe sich die rheinische Kirche zu einem Erfolgsmodell fortentwickelt. Durch den Zuzug überwiegend protestantischer Flüchtlinge und Vertriebener stieg die Zahl der Gemeindeglieder auf fast vier Millionen im Jahr 1970. Die Integration der vielen Flüchtlinge sei eine wichtige Aufgabe der Kirche gewesen, betonte der Präses bei der Vorstellung des Buchs im Düsseldorfer Landeskirchenamt.

Nicht nur eine Erfolgsgeschichte

Dabei hat die Landeskirche nicht nur eine Erfolgsgeschichte. Auch hier gerieten einfache, unreflektierte Glaubensformen in die Defensive, entstanden distanzierte Mitgliedschaften. Der Mentalitäts- und Generationenwechsel der sechziger Jahre berührte auch die Kirche. Neue Formen des Gottesdienstes, Reform der Kirchenordnung, Pluralisierung des Engagements, Gleichberechtigung von Frauen im Pfarramt veränderten die Evangelische Kirche nicht nur im Rheinland.

In der Pressekonferenz zur Buchvorstellung räumte der Präses auch „peinliche Ausrutscher“ ein. Damit meinte er insbesondere die „Bücherverbrennung“. Damit meinte er wohlgemerkt die gleichnamige Aktion im Oktober 1965 auf den Düsseldorfer Rheinwiesen einer Gruppe des „Entschiedenen Christentums“. In den Flammen gingen neben Sexfotos und „Schundheften“ auch Bücher von Günter Grass, Erich Kästner und Albert Camus auf.

Nur wer die eigenen Wurzeln kenne, könne selbstbewusst sein, so der Präses. Dies diene der Zukunft als profilierte Landeskirche. Er dankte dem Autor, dass er „eine entscheidende Phase unserer Kirche“ beschrieben hat.

Mit dem Buch liegt erstmals eine Geschichte einer Landeskirche vor, die in den historischen Gesamtzusammenhang eingebettet ist. Dabei ist Kaminsky drin in der Materie: Der Zeitgeschichtler hat bereits verschiedene Themen rheinischer Kirchen- und Diakoniegeschichte aufgearbeitet, darunter die Verwicklungen in Zwangssterilisation und „Euthanasie“ sowie Zwangsarbeit während der NS-Zeit. Er schrieb mit an der neuen rheinischen Kirchengeschichte „Evangelisch am Rhein“.

Im Augenblick arbeitet Kaminsky an der Ruhr-Universität Bochum im Fachbereich Evangelische Theologie in der Forschergruppe der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) über die „Transformation der Religion in der Moderne“ sowie einem Projekt zur Erforschung der Geschichte der konfessionellen Heime in den fünfziger und sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts.

Vier Bände bis zum Jahr 2011

Der letzte ist der erste: „Kirche in der Öffentlichkeit“ ist zugleich Band 5 der „Evangelischen Kirchengeschichte im Rheinland“, deren erste vier Bände bis 2011 erscheinen werden. Mit dieser Reihe wird die rheinische Kirchengeschichte vom Spätmittelalter bis zur 1989 beschrieben. Der Landschaftsverband Rheinland hat das Buch finanziell unterstützt.

„Kirche in der Öffentlichkeit“ – mit diesem Titel ist die neue Richtung nach der Zeit des Nationalsozialismus auf den Punkt gebracht: Die Kirche wirkt in der Öffentlichkeit, wie es in der Barmer Theologischen Erklärung vorgesehen ist. Und das hat die rheinische Kirche umgesetzt, so Kaminsky: „Der Wandel erfolgte in Form einer Öffnung der Kirche zur Welt, eines Hineintretens der Kirche in die Öffentlichkeit.“

 

 

Uwe Kaminsky: Kirche in der Öffentlichkeit – Die Transformation der Evangelischen Kirche im Rheinland (1948-1989), Band 173 der Schriftenreihe des Vereins für Rheinische Kirchengeschichte herausgegeben von Dr. Stefan Flesch, Dr. Beate Magen und Prof. Dr. Andreas Mühling, 2008, Verlag Dr. Rudolf Habelt GmbH, E-Mail verlag@habelt.de