Pressemitteilung

„Reform der Reformation kann leicht zum Schlagwort degenerieren“

Vortrag des Präses in Wuppertal zum Reformationstag

  • Nr. 171 / 2007
  • 30.10.2007
  • 21121 Zeichen

Achtung: Sperrfrist 30. Oktober 2007, 19.30 Uhr – Es gilt das gesprochene Wort!

Ecclesia semper reformanda – die Kirche muss sich immer wieder reformieren. Dieser Satz stammt zwar nicht von Luther oder den anderen Reformatoren, wird aber in der evangelischen Kirche vielfach zitiert. Im Rahmen einer Reformationsfeier heute Abend in der Evangelischen Kirche Vohwinkel in Wuppertal-Vohwinkel, Gräfrather Straße, 19.30 bis 21.30 Uhr, beschreibt Nikolaus Schneider, Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, den Kontext dieses berühmten Satzes und beschreibt die Gefahr, ihn falsch zu verstehen: „Reform der Reformation kann leicht zum Schlagwort degenerieren, kann Oberflächliches in den Vordergrund stellen und scheinbare ‚Reförmchen‘ soweit aufblasen, dass dem nüchternen Kritiker das abschließende Urteil überlassen wird, dass der Kaiser eigentlich nackt dasteht.“

Nachfolgend finden Sie das Original-Redemanuskript des Präses zu Ihrer Verwendung (bitte die Sperrfrist beachten). Im Anschluss an den Vortrag findet ein Gespräch unter Einbeziehung des Publikums statt. Nähere Informationen zu der Veranstaltung sind erhältlich bei Pfarrer Manfred Alberti, Telefon 0202/712602, oder in der Pressestelle des Wuppertaler Kirchenkreises, Telefon 0202/97440-888.

Hier das Manuskript:

Die Reform der Kirche der Reformation

I.

Über die Reform der Kirche der Reformation haben Sie mich am Vorabend des Reformationstages zu sprechen gebeten. Eine Reflektion über eine Reform der Reformation kann nicht ohne einen gründlichen Blick auf die Reform erfolgen, die Martin Luther vor nun bald 500 Jahren angestoßen und gewagt hat.

II.

Konkret bedeutet ein solcher Ansatzpunkt: Reform der Reformation kann leicht zum Schlagwort degenerieren, kann Oberflächliches in den Vordergrund stellen und scheinbare „Reförmchen“ soweit aufblasen, dass dem nüchternen Kritiker das abschließende Urteil überlassen wird, dass der Kaiser eigentlich nackt dasteht.

Selbstverständlich wird gerne der Satz von der Kirche zitiert, die sich immer wieder neu reformieren muss – ecclesia semper reformanda. Von Luther stammt dieser Satz nicht, auch die übrigen Reformatoren haben ihn nicht geäußert, auch wenn er natürlich im Duktus dessen steht, was die Kirche Jesu Christi darstellen soll.

Sie ist das Objekt der Reformation. Deshalb sollten wir auch nicht von der Reform der Reformation reden, sondern von einer reformatorischen Reform. Dies ist nicht spitzfinderisch formuliert, sondern insistiert darauf, dass die Reformation ein Beiwort trägt, das ständig auf Reformation drängt und sich an Bibel und verfasster Kirche vermittelt durch Wort und Sakrament orientiert. Die Reformation war und ist kein Menschenwerk, sondern ist Sache Gottes, sie ist nicht aus Angst, Depression oder Wut über Zustände gespeist, sondern geschieht von der Verheißung Gottes her, seine Kirche zu bauen, zu bewahren und zu erhalten.

III.

Eine weitere Vorbemerkung ist dazu wichtig. Luthers Reformation der Kirche wurde wesentlich angestoßen durch die von ihm als Universitätslehrer der Theologie vertretenden Thesen, gemeinhin als Thesenanschlag von Wittenberg bezeichnet. In der ersten These gibt Luther darin einen wesentlichen Impuls, der von seinen Zeitgenossinnen und Zeitgenossen ebenso gern übersehen wurde wie von uns heute. Luther beginnt die erste These nämlich mit den Worten, dass unser Leben eine einige Buße sei. Dies geschieht keinesfalls, um sich oder auch uns von vornherein in den Staub zu drücken und jegliche Reformansätze im Keim zu ersticken, sondern um einer bestimmten menschlichen Lebenshaltung, nämlich der Demut eine zentrale Rolle im Reformprozess zu geben. Wie Luther damals können auch wir heute der menschlichen Überheblichkeit verfallen, zu wissen, was nötig an Reformen ist und was nicht. Vielmehr geht es um einen kommunikativen Streit um die Wahrheit, welcher in kirchlichen, politischen, sozialen und historischen Kontexten geführt werden muss. Nur im Miteinander kann die reformatorische Reform der Kirche stattfinden und auch nur in der Gewissheit, dass alles menschliches Tun von der Vergebung des lebendigen Gottes lebt. Im Vertrauen auf die gegenwärtige Leitung durch Gottes Geist ist die reformatorische Kirche auf dem Weg durch die Zeit.

IV.

Ein erstes wesentliches Kennzeichen einer reformatorischen Reform der Kirche lautet: die biblische Überlieferung darf nicht zur Ankündigung oder zum Bericht vom Heil erstarren, sondern sie ist nach Luthers Worten wesentlich mündliches Wort, die lebendige Stimme des Evangeliums. Dieses Evangelium verheißt die Vergebung der Sünden durch den Namen Christi. Das Evangelium kann so verstanden nicht allein zum geschriebenen Buchstaben werden, es wird vielmehr ausgeteilt und zugesprochen. Die Verheißung der Sündenvergebung ist bei Luther ein Schlüsselwort. Er bezeichnet nicht eine Verheißung, die erst irgendwann in der Zukunft realisiert werden müsste, sondern die feste Zusage Gottes, durch die jeder Mensch, der sich im Glauben an sie hält empfängt, was sie sagt, denn es ist ja Gott der verheißt: er kann nicht lügen.“ ….

Luther selber formuliert es so: Welches Wort der Mensch muss dankbarlich aufnehmen und der festen göttlichen Zusagung (promissio) treulich glauben und ja nicht daran zweifeln, es sei und geschehe also, wie zugesagt. Diese Treu und Glaub ist der Anfang, Mittel und End aller Werke und Gerechtigkeit. Denn dieweil er Gott die Ehre tut, dass er ihn für wahrhaftig hält und bekennt, macht er ihm einen gnädigen Gott, der ihn wiederum ehret und wahrhaftig bekennt und hält“. (WA 6,356).

Dieses Wort von der Verheißung, das lebendig wird im Hören der Predigt des Evangeliums, ist als ein Gnadenmittel im Wortsinn zu verstehen.

V.

Das zweite wesentliche Kennzeichen einer „reformatorischen Reform“ gehört zum gerade Gehörten essentiell dazu: Der Glaube, durch welchen das lebendige Wort Gottes angeeignet werden kann. Nach Luther ist der Glaube in diesem Zusammenhang nicht verstanden als eine allgemeine Gläubigkeit oder ein für wahr halten von Glaubensartikeln oder von einer Heilgeschichte. Glaube ist vielmehr Annehmen und Festhalten des ihm zugesprochenen Wortes. Dieser Glaube ist darum auch keine Bedingung im Sinne einer Vorgabe zum Verständnis des Wortes. Vielmehr: das Wort selbst schafft den Glauben, in dem es ihn herausfordert. Der Glaube ist also keine menschliche Leistung, ich kann mich nicht einfach entschließen zu glauben. Glaube gibt es nur, wo mir das Wort entgegen kommt und mir Glauben ermöglicht.

Doch gibt es auch ein abweisendes Wort. Wo der Herausforderung des Wortes nicht durch den Glauben entsprochen wird, da tritt Verstockung ein. Das Wort des Evangeliums ist also immer wirksames, wirklichkeitsveränderndes Wort, d.h. es verändert die Situation des Menschen immer, sei es zum Heil, sei es zum Unheil. Luther selber bringt es so zum Ausdruck:

„Wo nämlich das Wort des verheißendes Gottes ist, da ist nötig der Glaube des Menschen, der es annimmt, also dass es klar ist, Anfang unseres Heiles sei der Glaube, der am Wort des verheißenden Gottes hängt, welcher ohne alle unsere Arbeit mit freier unverdienter Barmherzigkeit uns zuvor kommt und das Wort seiner Verheißung anbietet…. Das Wort ist von allem das Erste, ihm folgt der Glaube, dem Glauben die Liebe und die Liebe alsdann tut alles gute Werk, denn sie wirket nichts Böses, nein, sondern ist des Gesetzes Erfüllung (Röm 13,10). Und der Mensch kann mit Gott auf keinem anderen Wege übereinkommen oder handeln als durch den Glauben. Das ist, dass nicht der Mensch mit irgendwelchen Werken, die er tut, sondern Gott mit seiner Verheißung der Urheber des Heils sei, dass alles hange und getragen und bewahret werde im Wort seiner Kraft, mit dem er uns bezeugt hat, dass wir Erstlinge seien seiner Kreatur“ (WA 6,514).

VI.

Das Hören der Verheißung und seine Annahme und sein Festmachen im Glauben zielen aber auf noch mehr. Das ist das dritte wesentliche Kennzeichen einer „reformatorischen Reform“: Das Tun guter Werke aus der Liebe heraus.

Dass die Rechtfertigung nicht ohne Heiligung bleiben, der Glaube nicht ohne Werke sein kann, bezeugt Luther immer wieder, wenn er darauf zu sprechen kommt. Er hat nichts so sehr als Verkehrung seiner ganzen theologischen Intension verstanden, als die Behauptung, es genüge für den Christen zu glauben, die Werke seien unnötig oder unwesentlich. Wo diese These als Behauptung oder Lebenshaltung sichtbar wurde, hat Luther immer wieder bestritten, dass verstanden sei, was rechter Glaube meine. In der Kirchenpostille von 1522 sagt er z.B.:

„Die Gnade liegt nicht, wie die Traumprediger fabulieren, in der Seele und schläft oder lässt sich tragen, wie ein gemalet Brett seine Farbe träft. Nein, nicht also, sie träget, sie führet, sie treibet, sie zeucht, sie wandelt, sie wirkt alles im Menschen und lässt sich wohl fühlen und erfahren. Sie ist verborgen, alle ihre Werke sind unverborgen. Werk und Wort seien, wo sie ist, gleich wie die Frucht und Blätter des Baumes Art und Natur ausweisen. Darum wird zu wenig und zu gering von ihr gepredigt, so dass man ihr nicht mehr gibt, denn dass sie die Werke schmücke und helfe vollbringen…. Sie hilft nicht allein die Werke tun, sie tuts alleine, ja nicht allein die Werke, sie wandelt und erneuert die ganze Person und ihr Werk ist vielmehr, wie sie die Person ändere, denn wie sie die Werke der Person vollbringe. Sie will ein Bad, eine Wiedergeburt, eine Erneuerung machen nicht allein der Werke, sondern des ganzen Menschen (WA 10/I,1, 115,1ff).

Und an anderer Stelle sagt er: Dass die guten Werke aus dem Glauben fließen und nur gut sind, wo sie aus dem Glauben fließen, weil der Glaube den ganzen Menschen, samt seinen Werken gut macht, bedeutet nicht, dass der Glaube von Anfang an in Vollkommenheit im Gerechtfertigten da sei. Der Glaube, wenn er denn wirklicher Glaube ist, wird vielmehr in Christen wachsen, solange dieser lebt. Glauben „ist nicht eine solche Kunst, die sich auf einmal gar lässet auslernen. Ich bin nun ein alter Doktor, habe viel davon gepredigt, geschrieben und gelesen, und kann sie dennoch nicht“, sagt Luther 1530 (WA 32,98).

Im Glaube gibt es nach Luther auch Rückschritte, wie es Fortschritte gibt, ja jeder Stillstand ist ein Rückschritt:

„Wenn man auf dem Wege Gottes stille steht, ist es ebenso viel, als wenn man zurückgehet. Wer angefangen hat, ein Christ zu sein, der ist schuldig zu gedenken, er sei noch kein Christ, sondern er suche es dahin zu bringen, dass er ein Christ werden…. Wehe demjenigen, der schon ganz erneuert ist, das ist, der sich einbildet, er sei schon erneuert. Selbiger hat ohne Zweifel noch nicht angefangen, erneuert zu werden, und noch niemals geschmecket, was da sei, ein Christ zu sein“ (WA 38, 568f).

Ich folgere aus dem bisher Gesagten: Das Hören auf das Wort Gottes, die Annahme und das Wachsen im Glauben und die sich aus dem Glauben ergebenden Werke und Früchte sind wesentlicher Kern einer „reformatorischen Reform der Kirche“. Sie werden von Gott geschenkt, ohne Ansehen der Person und unverdient; und sie senden uns in den Dienst an der Welt und den Geschöpfen. Aber, so muss hinzugefügt werden: Dieses Geschenk Gottes ist kein Schatz, den wir aufbewahren und aus dem wir uns bei Bedarf bedienen können. Dieses Geschenk kennt Zweifel und Fragen, Ängste und Anfechtungen.

Deshalb ist ein weiteres Kennzeichen einer „reformatorischen Reform“ der Kirche das Gespräch mit Gott in Form des Gebetes. Das Gebet ist dabei keine Selbstreflektion des eigenen Tuns und des eigenen Lebens. Das Gebet ist vielmehr das Verbindungsglied zu Gottes Wort und zum Glauben und damit ist es eine Konkretion dessen, was Gott uns geschenkt hat. Untrennbar gehört das Gebet zu denjenigen Dingen, die Gott von uns hören und haben will.

Das rechte Gebet muss wie der Glaube nicht auf das eigene Tun und Werk schauen, sondern sich an die Verheißung und das Wort Gottes hängen.

Luther schreibt: „Darum schau darauf: Nicht ist das Gebet gut und recht, das viel ist, andächtig, süß, lang, um zeitlich oder ewig gut, sondern das fest bauet und trauet, es wird erhört (wie gering und unwürdig es sei in ihm selbst) um des wahrhaftigen Gelübdes und der Verheißung Gottes Willen. Gottes Wort und Verheißung macht dein Gebet gut, nicht deine Andacht, denn derselbe Glaube, auf sein Wort gegründet, ist auch die rechte Andacht, ohne welche andere Andacht lauter Trügerei und Irrtum ist“ (WA 2, 127,36-128,2). Und an anderer Stelle schreibt Luther: Dass niemand etwas von Gott erlangt, seiner oder seines Gebets Würdigkeit halber, sondern allein aus Abgrund göttlicher Gütigkeit, der allen Bitten und Begierden zuvorgekommen, durch sein gnädig Zusagen und heißen uns bewegt zu bitten und begehren, auf dass wir erlernten, wie gar viel mehr er für uns sorgt und mehr bereit ist zu geben, denn wir zu nehmen und suchen bereit sind, damit wir kühn werden, tröstlich zu bitten, sintemal er… mehr darbeut als wir bitten mögen. Zum andern ist not, dass man ja nicht zweifle an der Zusagung des wahrhaftigen und getreuen Gottes. Denn eben darum hat er Erhörung zugesagt, ja zu bitten befohlen, dass man ja Gewissen und festen Glauben habe, das Gebet werde erhört, wie er sagt“ (WA 2,175,4-22).

VII.

Heißt die eine Stelle, wo wir uns Gottes Gegenwart vergewissern dürfen, das Gebet, so haben wir nach Luther noch ein anderes Wort der Gewissheit: Jesus Christus. Einen anderen Grund kann niemand legen, außer dem, der gelegt ist, hatte der Apostel Paulus schon im 1. Korintherbrief geschrieben und damit jegliche menschliche Vermittlung zwischen Gott und Mensch ausgeschlossen. Für Luther schloss dies auch das Papstamt aus. Und damit haben wir ein weiteres wesentliches Kennzeichen einer „reformatorischen Reform“: Jesus Christus, der als wahrer Gott und als wahrer Mensch zu uns gekommen ist und zu uns spricht. Dabei soll in diesem Falle besonders der Akzent auf dem Menschen Jesus von Nazareth liegen.

Luther schreibt: „Mein Glaube haftet nicht allein … an der Gottheit, sondern auch dem, der da heißet von Maria geboren, und ist derselbige: Ich will sonst von keinem Sohne wissen, er heiße denn auch geboren von der Jungfrau Maria, der gelitten habe. Dass der Sohn Gottes eingewickelt sei in die Menschheit und eine Person sei, dass ich nichts voneinander solle trennen und sagen: die Menschheit sei kein nütze, sondern allein die Gottheit. Viele Lehrer haben also gelehrt und ich bin vor Zeiten auch ein solcher Doktor gewesen, dass ich habe die Menschheit ausgeschlossen und es dafür gehalten habe, ich täte wohl, wenn ich Christ, Gottheit und Menschheit voneinander scheidete. Das haben vor Zeiten die höchsten Theologen getan, dass sie von der Menschheit Christi geflohen sind zu der Gottheit und sich alleine an diese gehängt und gedachten, man müsse die Menschheit Christi nicht kennen…. Nimm einen solchen Prediger nicht auf und höre ihn nicht, sondern sage: ich weiß von keinem Gott oder Gottes Sohn, denn da der christliche Glaube von sagt…. Ists nun nicht der Mensch, der von Maria geboren ist, so will ich ihn nicht haben. Kannst du dich nun demütigen und hängen mit dem Herzen an dem Worte und bleiben bei der Menschheit Christi, so wird sich die Gottheit wohl finden und der Vater und der Heilige Geist und die ganze Gottheit dich ergreifen. Dieser Artikel lässt sich nicht irren“ (WA 33, 154f).

Das Menschsein Jesu im Zuge einer „reformatorischen“ Reform ist deshalb notwendig, weil er der Maßstab für uns ist, um das Maß des menschlichen in unserer Welt zu bewahren und zu behalten. Er verspricht den Armen das Ende des Elends, er heilt und verkündet, dass Leid und Tod nicht das letzte Wort haben, er verstößt die Sünder nicht, sondern wendet sich ihnen fürsorglich zu. Er fordert uns auf, andere nicht zu betrügen oder zu übervorteilen, er lehnt Gewalt als letztes Mittel ab. Wie viel könnten wir davon in unserer Welt und in unserer Kirche gebrauchen.

VIII.

Konkret werden Gottes Verheißungen und sein Wort schließlich in der Kirche, die der Herr der Kirche selber schafft, baut und erhält. Und deshalb hat auch sie bei einer „reformatorischen Reform“ die Hauptrolle zu spielen, besonders was ihre Heiligkeit und ihre Zusammensetzung angeht.

1520 schreibt Luther: „Alle Christen sind wahrhaft geistlichen Standes und es ist unter ihnen kein Unterscheid, denn des Amtes halben allein, wie Paulus 1. Kor 12 sagt, dass wir allesamt ein Körper sind, doch ein jegliches Glied hat sein eigenes Werk, damit es dem andern dient; das macht alles, dass wir eine Taufe, ein Evangelium, einen Glauben haben und sind gleiche Christen; denn die Taufe, Evangelium und Glaube, die machen allein geistlich und ein Christenvolk…. Demnach so werden wir allesamt durch die Taufe zu Priestern geweiht, wie St. Peter 2 sagt: ‚Ihr seid ein königliches Priestertum und ein priesterlich Königreich’…. Darum ist des Bischofs Weihen nichts anderes, denn wenn er anstatt und Person der ganzen Versammlung einen aus dem Haufen nehme, die alle gleiche Gewalt haben, und ihm beföhle, dieselbe Gewalt für die andern auszurichten…. Daher kommt es, dass in der Not ein jeglicher taufen und absolvieren kann, was nicht möglich wäre, wenn nicht alle Priester wären…. Dieweil denn nun die weltliche Gewalt ist gleich mit uns getauft, hat denselben Glauben und Evangelium, müssen wir sie lassen Priester und Bischof sein und ihr Amt zählen als ein Amt, das da gehöre und das mag nützlich sein der christlichen Gemeinde. Denn was aus der Taufe gekrochen ist, das mag sich rühmen, dass es schon zu Priester, Bischof und Papst geweiht sei, obwohl nicht einem jeglichen ziemt, ein solches Amt zu üben. Denn weil wir alle gleicher weise Priester sind, muss sich niemand selbst hervortun und sich unterwinden, ohne unser Bewilligen und Erwählen das zu tun, des wir alle gleiche Gewalt haben (WA 6,407,13ff.).

Die Kirche Jesu Christi kennt kein Oben und Unten, kennt keine geistliche Hierarchie oder Überordnung und Unterordnung. Weltliche Gewaltausübung in geistlichen Angelegenheiten findet nicht statt.

Natürlich darf in ihr auch keine Anarchie herrschen. Auch sie braucht Ordnungen, Vorgesetzte, Sprecher, Repräsentanten. Aber es gilt für alle nur eine Voraussetzung: sie müssen getauft sein. Und Dank dieser Qualifikation dürfen sie alles in der Kirche tun, vorausgesetzt, sie erfüllen die intellektuellen organisatorischen und menschlichen Fähigkeiten für das jeweilige Amt. Eine bestimmte Heiligkeit, eine gesonderte oder besondere Weihe, eine geistliche Höherqualifikation werden von Luther explizit abgelehnt.

Die Kirche Jesu Christi ist ein Ort von allen für alle gemacht. Wort und Sakrament werden dort ausgeteilt, es wird geglaubt und gebetet. In der Welt wird dieser Glaube gelebt und verantwortet. Und in die Kirche wieder hineingetragen.

Viel hätte ich an dieser Stelle erzählen können, von dem, was alles besser gemacht werden muss. Wo Änderungen her müssen. Wo Aktivitäten entfaltet werden sollten. Ich habe mich heute für das Stillesein und das Hören entschlossen. Die Besinnung auf unsere Kraft und auf unsere Botschaft ist das entscheidend Reformatorische. Hören wir dazu noch einmal Luther in der Auslegung zum Vater Unser.

„Lieber Vater, wir bitten dich, gib uns erstlich dein Wort, dass das Evangelium rechtschaffen durch die Welt gepredigt werde, zum andern, dass auch durch uns der Glaube angenommen werde, in uns wirke und lebe, dass also dein Reich unter uns gehe durch Wort und Kraft des Heiligen Geistes und des Teufels Reich niedergelegt werde, dass er kein Recht noch Gewalt über uns habe, so lang bis es endlich gar zerstöret, die Sünde, Tod und Hölle vertilget werde, dass wir ewig leben in voller Gerechtigkeit und Seligkeit (großer Katechismus DSLK 674,15ff).

Reformen sind also kein Selbstzweck, deren Sinn sich in materieller oder organisatorischer Nützlichkeit erschöpft.

Alle Reformen müssen auch heute darauf zielen, dass Gottes Wort gehört, Glaube entstehen und erklärt, Früchte der Liebe zum Mitmenschen wachsen und Gemeinschaft gebildet und geordnet werden kann.