Pressemitteilung

Redebeitrag des Präses des Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland, Dr. Jürgen Schmude beim Sozialpolitischen Aschermittwoch der Kirchen am 08. März 2000 in Oberhausen

Solidarisch handeln: Den Ausgeschlossenen Arbeit geben!

  • 13.3.2002

Man kann sie leicht übersehen, die Arbeitslosen. Denn von ganz anderem ist in den Wirtschaftsberichten die Rede. „Den Deutschen geht es so gut wie nie zuvor,“ war ein entsprechender Bericht der Süddeutschen Zeitung zum Jahresende überschrieben. „Exportvolumen steigt auf 1 Billion Mark“, hieß es im Wirtschaftsteil einer anderen Zeitung im Oktober und, vor kurzem: „In Deutschland stehen die Zeichen klar auf Konjunktur-Aufschwung.“


Keine Probleme also in diesem glücklichen Land. Für wen trifft das zu?
Bestimmt nicht für Aktienbesitzer, die sich am Höhenflug des „DAX“ begeistern. In den Rundfunknachrichten erfahren wir dazu täglich Näheres, als sei das ganze Volk interessiert und beteiligt. Alle wurden über Wochen in auffälligen Zeitungsanzeigen herzergreifend-absurd oder anreißerisch in die Übernahme der Firma Mannesmann durch Vodafone einbezogen. Unternehmen der Informationstechnologie führen den wirtschaftlichen Höhenflug an. Und so voll ist „das Boot“ auf einmal doch nicht, dass man nicht noch ausländische Computerfachleute ins Land holen könnte.


Probleme für Arbeitslose? In Nebensätzen zu den Erfolgsmeldungen finden sich gelegentlich Andeutungen darauf. Etwa unter der Schlagzeile, „Unternehmensgewinne ziehen kräftig an,“ in dem Zusatz: „Arbeitsmarkt profitiert kaum.“ Und die Erfolgsmeldung von der Bildung des größten Energiekonzern Deutschlands – aus RWE und VEW – ist von der Ankündigung begleitet, dass mindestens 10 000 Arbeitsplätze gestrichen werden.


Man kennt das aus vielen Ergebnisberichten: Unternehmensgewinn rauf, Arbeitsplätze runter! Beides scheint sich prächtig zu ergänzen. Die Euphorie bleibt ungetrübt. Die 4 Millionen registrierten Arbeitslosen und weitere darüber hinaus spielen für die Einschätzung der wirtschaftlichen Lage keine Rolle. Die vielen Langzeitarbeitslosen nicht und auch nicht die Jugendlichen. Vom Arbeitsleben sind sie ausgeschlossen. Von der öffentlichen Beachtung anscheinend auch.


„Solidarisch handeln: Den Ausgeschlossenen Arbeit geben!“ heißt mein Thema. Ja, Arbeit – aber zunächst einmal Beachtung. Aus dem gut verdeckten Abseits wollen wir sie herausholen und ins allgemeine Bewusstsein heben. Sie selbst schaffen das nicht. Sie sind schwach, ohne öffentliche Wirkung. Wer sich ihrer annimmt, gewinnt keine Verbündeten von Gewicht.


Christen wissen sich als schwache Menschen – ohne jede Gegenleistung – von Gott angenommen. Von Jesus Christus selbst sind sie darauf verwiesen, schwachen und hilfsbedürftigen Menschen zu helfen. Deshalb sind die Kirchen bei ihrer höchsteigenen Sache, wenn sie öffentlich und beharrlich für die Arbeitslosen eintreten. Nehmt sie zur Kenntnis, nehmt Anteil an ihrem Ergehen, bedenkt das Notwendige und handelt, so lautet die kirchliche Botschaft.


Es ist die zentrale Botschaft des unverändert aktuellen gemeinsamen Wortes zur wirtschaftlichen und sozialen Lage, das beide großen Kirchen vor drei Jahren veröffentlicht haben. Die vielfältige Zustimmung zu diesem Wort zeigt, dass die Hörer, auch kirchenferne Menschen seinen Wert für das gedeihliche Zusammenleben bemerkt haben. Ob man danach handelt oder nicht, – die Erkenntnis ist verbreitet, dass die öffentliche Moral vor allem von dem Umgang mit den Schwachen geprägt wird. Fehlentwicklungen dabei können durch Wertediskussionen nicht korrigiert werden. Die Kirchen möchten und sollen nicht allein bleiben bei ihrem Engagement. Dass die Starken in der Gesellschaft sich der Schwachen annehmen, liegt, wie das gemeinsame Wort sagt, im „langfristigen Interesse des Gemeinwesens und damit auch der Starken“ selbst .


Für die Arbeitslosen heißt das: Sie zu ignorieren und beiseite zu schieben, beeinträchtigt das Gemeinwohl, läuft den Interessen aller zuwider. Und wenn dann die Kirche sich der Arbeitslosen annimmt, eindringlich auf ihre Not hinweist und energisch für Abhilfe plädiert, tut sie es nicht nur für die Betroffenen; es ist ein Dienst zum Wohl der ganzen Gesellschaft.


Und darum gilt: Grenzt die Arbeitslosen nicht aus, sondern nehmt sie mit auf dem erfreulichen Weg eurer politischen und wirtschaftlichen Entwicklung! Gebt ihnen, was sie brauchen: Arbeit!


Arbeit? Sie scheint im öffentlichen Bewusstsein dem Gewinn hoffnungslos unterlegen zu sein. Der Gewinn zählt, sonst erst mal nichts. Auch namhafte Manager klagen öffentlich über den Druck, den Kapitalvertreter auf sie ausüben, um den Gewinn weiter steigen und den Personalbestand weiter sinken zu lassen. „Das wirtschaftliche Klima ist durch die Macht der Fonds frostiger geworden“, sagt einer und ein anderer spricht vom „kalten Kapitalismus“, der zu einer Krise unseres Systems führen müsse.


Es gibt also durchaus Verbündete für das Bemühen der Kirchen um eine Wirtschafts- und Sozialkultur, die die Erwerbsarbeit und die Menschen zusammenbringt und zusammenhält. Solche Kultur stabilisiert die demokratische Gesellschaft und hält die soziale Marktwirtschaft akzeptabel. Die von hektischer Spielermentalität bestimmte Unkultur des Profits aus Kurssprüngen an den Aktienbörsen hingegen ist ein Schaden.


Was hat die Kirche vorzuschlagen? Die große Patentlösung, durch die allen mehr gegeben und niemandem etwas genommen wird, ganz gewiss nicht. Diese Lösung gibt es nicht. Sie kann von Beteiligten und Betroffenen auch nicht darin gesucht werden, dass man stets von den anderen Entgegenkommen und Leistungen erwartet, bei eigenen Positionen und Rechten aber zu Abstrichen nicht bereit ist.


Was aber dann? Sehr einfach: Wenn Handlungsfreiraum eröffnet werden soll, um Veränderungen zu bewirken, dürfen Besitzstände und Tabugrenzen nicht einfach bestehen bleiben. Sie müssen sich in Frage stellen lassen. Um Veränderung irgendwohin geht es dabei nicht. Und schon gar nicht um solche Veränderungen, die offensichtlich einseitigen Interessen dienen und trotzdem als mutiger Fortschritt angeboten werden. Nein, wohin die Reise geht, muss sich nach der Gerechtigkeit bestimmen. Nach jener Gerechtigkeit, in der das Sachgerechte und das Menschendienliche sich für die unmittelbar und die mittelbar Betroffenen verträglich verbinden.


Erbarmen gehört dazu. „Den Blick für das fremde Leid zu bewahren ist Bedingung aller Kultur,“ sagt das Kirchenwort. Nicht um Beliebigkeit oder unvernünftige Emotionen geht es dabei, sondern um eine vom Erbarmen beeinflusste Gerechtigkeit.


Im Blick auf die Arbeitslosen fordert solche Gerechtigkeit, sie in das Erwerbsleben einzubeziehen, so, dass sie mitgestalten können, was im Wirtschaftsleben geschieht, und dass sie dabei ihren Lebensunterhalt verdienen können. Gewiss bestimmt sich der Wert des Menschen nicht danach. Auch hat die Diskussion über die bessere Anerkennung ehrenamtlicher Tätigkeit viel für sich. Der Lebenswirklichkeit – heute und auf absehbare Zeit – entspricht es aber, dass, wenn nicht triftige allgemein anerkannte Gründe das zwingend ausschließen, vor allem die Teilhabe an der Erwerbsarbeit zählt. Wer davon ausgeschlossen bliebt, gerät auch sonst leicht an den Rand der Gesellschaft.


An den zahlreichen Arbeitslosen gehen diese Angebote durchweg vorbei. Die Qualifikation stimmt nicht, die Lernfähigkeit ist nicht unbegrenzt. Und doch: viele Lücken an Wissen und Können lassen sich schließen. Die Umschulungs- und Weiterbildungsmaßnahmen der Arbeitsverwaltung sind im ganzen erfolgreich. Gleiches gilt für die Weiterbildung junger Menschen, die Nachholung von Schulabschlüssen und den Erwerb zusätzlicher Fachkenntnisse. Viel mehr könnte in dieser Hinsicht geschehen. Weit energischer könnte es betrieben werden.


Aber das kostet Geld und noch mal Geld. Die Arbeitslosen selbst haben es nicht. Der Staat ist da gefordert, und auch die Unternehmen sind es. Unzureichende Ausbildungsplatzangebote haben Folgen.
Diesen sollte nicht einfach dadurch ausgewichen werden dürfen, das man ausgebildete Fachkräfte anderen Ländern abwirbt, wo sie dringend gebraucht werden. Ausbildungs- und arbeitslose Menschen bei uns werden dabei noch ein Stück weiter abgeschoben.


Bei vielen aber geht es mit Aus- und Weiterbildung nicht. Begabungen sind unterschiedlich. Auch für das Leistungsvermögen gilt das. Oft verändert es sich im Laufe des Arbeitslebens. Das Ergebnis: Es geht voran, es geht aufwärts, aber Millionen bleiben zurück.


Wir dürfen sie nicht zurücklassen. Sie müssen, mit ihren je eigenen Begabungen und Fähigkeiten, aufschließen können und ihr Auskommen finden. Ein Auskommen, das notfalls durch öffentliche Förderung der Arbeit auf ein angemessenes Niveau gebracht wird.
Manchmal für eine Übergangszeit, manchmal auf Dauer.


Das gemeinsame Kirchenwort hat dieses vorgeschlagen. Arbeitgeber, Gewerkschaften und vor allem der Staat halten sich da zurück. Lösungen , die die Mitnahmeeffekte und anderen Missbrauch ausschließen, scheinen schwer erreichbar zu sein.


Dann muss jedenfalls das allgemeine Sozialleistungssystem so ausgebaut und gestärkt werden, dass es Geringverdienern das nötige Einkommen gewährleistet. Bei der Berücksichtigung von Kindern sind im Steuerrecht und beim Kindergeld gute Schritte getan worden.
Weiteres wird gebraucht und ist möglich. Z.B. für die Unterstützung alleinerziehender Elternteile.


Das Wohngeld z.B. kann ausgeweitet werden. Das lässt sich sogar kostenneutral erreichen, wenn man gleichzeitig die milliardenschwere Förderung des Wohnungsbaus und des Wohnungsbesitzes zurücknimmt. Sie kommt vielfach den Falschen zugute. Diese Fehlsteuerung hat das Kirchenwort ausdrücklich angesprochen. Seither mehren sich skeptische Stimmen in der gleichen Richtung. Der praktische Fortschritt aber ist auch hier eine Schnecke.


Jedenfalls, ob mit zusätzlichen oder anderweitig ersparten Mitteln, den Menschen mit geringem Erwerbseinkommen lässt sich helfen. Wirksam und doch weit billiger als mit Arbeitslosengeld und Sozialhilfe. Das Wichtigste dabei: Sie bleiben nicht ausgeschlossen von dem, was normales Leben in Wirtschaft und Gesellschaft bei uns bedeutet.


Im Idealfall gelingt das alles durch Umgruppierung und Neueinsatz der bisherigen Ausgaben für Sozialleistungen. Der Idealfall ist auf absehbare Zeit nicht zu erwarten. Auch dazu hat die Kirche keine Patentlösung anzubieten nach dem Motto: Macht es nur alles ein bisschen anders, und es kostet euch nichts.


Es kostet. Vor allem Geld aus der Staatskasse. Dort muss es verfügbar sein, um gestalten und helfen zu können.


Es ist immer wieder populär, einer Begrenzung der Staatsausgaben und Steuererleichterungen in großem Umfang das Wort zu reden. Die Praxis zeigt, – auch bei den jetzt geplanten Steuerreformen – dass die Bewegungsräume dafür eng sind. Jedenfalls, solange die Pflichten des Sozialstaats ernst genommen werden. Das müssen sie; der Weg von Jericho nach Jerusalem, auf dem der Samariter seinen Hilfsbedürftigen traf, führt heute durch die Sozialpolitik. Anders geht es nicht.


Wer zahlt das Geld, das die Gemeinschaft braucht, um die Zurückbleibenden aufschließen zu lassen, um den Arbeitslosen aus ihrer Lage herauszuhelfen? In unserer Gesellschaft große Gruppen, nicht nur Spitzenverdiener. Auch die mittleren Einkommen stehen – bisher und künftig – zur Aufbringung der Lasten an.


Da gibt es immer wieder Illusionen und Irrtümer. Die Illusion, es genüge, den wirklich Reichen mehr wegzunehmen, und den Irrtum man, sei keinesfalls selbst betroffen, wenn es um Gutverdienende und ihre Steuern geht. Wohl noch deutlicher und drastischer als bisher müssten die Kirchen allen diesen Menschen sagen: Doch um euch, die ihr euch geschickt und beredt zu wehren wisst und viel Einfluss in der Gesellschaft habt, um euch geht es. Ihr seid es, bei denen wir uns als Anwalt der Schwachen aber auch als Anwalt der Vernunft melden und aufzeigen, dass es ohne eure Opferbereitschaft nicht geht . Sie liegt in eurem eigenen langfristigen Interesse.


Gerechtigkeit fordert einen Ausgleich zwischen Stärkeren und Schwächeren. Gerechtigkeit muss auch die Aufbringung der Lasten unter den Stärkeren bestimmen. Die Kirchen haben dazu beherzt einen Streitpunkt angesprochen und heftige Kritik geerntet. Aber es bleibt aktuell, dass die Sozialpflichtigkeit des Eigentums in einer wichtigen Beziehung drastisch eingeschränkt oder sogar aufgehoben ist, wenn die durch große Vermögen verkörperte Leistungsfähigkeit nicht zur Finanzierung der gemeinsamen Lasten genutzt wird.


Bei der Aufhebung der Vermögenssteuer müsse es aus praktischen und verfassungsrechtlichen Gründen bleiben, hören wir. Selbst dann aber bleibt der Gerechtigkeitsmangel bestehen. Er darf nicht verschwiegen werden und nicht in Vergessenheit geraten. Insofern ist es gut, dass wenigstens die Forderung der Kirchen nach einem Reichtums- neben dem Armutsbericht von der Bundesregierung aufgegriffen werden soll. Entsprechende Zusagen liegen für das nächste Jahr vor.


Bleiben die Grundtatsachen der wirtschaftlichen Entwicklung unverändert, so wird die alte Hoffnung auf Automatisierung, Erleichterung und Verringerung der Arbeit zum Angsttraum. Denn nicht allen kommen diese Vorteile zugute. Die einen haben weiterhin Arbeit im alten Umfang und sogar im Überfluss. Die anderen haben nichts und gelten mit ihrem Bedarf als Last, die den Schaffenden die Freude an der Arbeit mindert. Und wieder wäre es schön, wenn die Kirche einen Weg wüsste, wie den einen alles belassen und zusätzlich den anderen das Erforderliche gegeben werden könnte. Den Weg gibt es nicht. Statt dessen werben die Kirchen für die Einsicht, dass Abgeben und Teilen auch bei Arbeit und Lohn unverzichtbar sind.


Arbeitszeitverkürzungen und Teilzeitarbeit waren mehrfach Inhalt kirchlicher Appelle – und sind übrigens auch Inhalt kirchlicher Praxis.
Damit werde die Arbeitslosigkeit nicht beseitigt, sondern verteilt, hat jemand spöttisch gesagt. Geteiltes Leid ist halbes Leid, lässt sich mit einem deutschen Sprichwort antworten. Hier ist es sogar abgeschafftes Leid, denn es sind, wenn auch mit geringerem Einkommen eben mehr Menschen in Arbeit.


Arbeitszeitverkürzungen, um die sich die Gewerkschaften in Deutschland energisch bemüht haben, waren lange belastet mit der Forderung, es dürfe dann nicht weniger Lohn geben. Inzwischen ist auch von Gewerkschaftsführern offen erklärt worden, dass es bei kürzerer Arbeitszeit ohne Auswirkungen auf den Lohn nicht abgehen wird.


Den Arbeitgebern hat dieser Weg nie gefallen. Bei den Gewerkschaften scheint man ihn auch nicht mehr in Betracht zu ziehen. Wahrscheinlich deshalb, weil es herbe Abfuhren bei den Kollegen für die Vorsitzenden und Vorstände gegeben hat. So richten sich die neuen Tarifforderungen auf Einkommensprozente, von denen es allenfalls zugunsten eines früheren Rentenalters gewisse Abstriche geben soll. Von Arbeitszeitverkürzungen und Arbeitsumverteilung ist nicht die Rede.
Verantwortliche in der kirchlichen Diakonie berechnen vorsorglich schon jetzt, wieviele Arbeitsplätze bei ihnen eingespart werden müssen, wenn sie ohne zusätzliche Mittel die aktuell geforderten Tariferhöhungen zu verkraften haben.


Das gemeinsame Kirchenwort sagt demgegenüber:
„Arbeitszeitverringerungen ohne vollen Lohnausgleich können dazu beitragen, neue Arbeitsplätze zu schaffen und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Männer und Frauen zu erhöhen.“ Das bleibt aktuell. Es ist auch richtig, wie die im einzelnen berechneten Auswirkungen früherer


Arbeitszeitverkürzungen gezeigt haben. Populär ist es gegenwärtig überhaupt nicht.


Vielleicht ist ja der andere Weg praktikabler, den der DGB mit seiner Initiative für mehr Teilzeitarbeitsplätze einschlägt.


Zweierlei ist dabei zu bedenken. Wo Teilzeitarbeit aus familiären oder sonst gewichtigen persönlichen Gründen geboten ist, um jemanden in Arbeit zu halten, der sonst ganz ausschieden müsste, müssen unzumutbare Einkommensverkürzungen anderweitig abgefangen werden. Der DGB hat darauf hingewiesen.


Und das alte Problem bleibt und fordert stärkere Zuwendung. Es darf nicht dabei bleiben, dass Lasten und Chancen der Teilzeitarbeit vor allem den Frauen zugedacht sind. Das Kirchenwort spricht gleichermaßen die Männer an. Sagen lässt sich das leicht und plausibel. In den Köpfen angekommen ist es noch längst nicht.


Das alles könne man sich bei voller Entscheidungsfreiheit ja noch vorstellen, hören wir sagen. Die Globalisierung aber lasse es nicht zu.
Ihren Handlungszwängen könne sich niemand entziehen. So stark sei der Standort Deutschland nicht.


Diesen Standort solle man nicht schlechtreden, heißt es im Kirchenwort. Die Erfahrungen der drei Jahre seither haben es bestätigt:
Sicherheit, Stabilität, Ausbildungsstand und Leistungsfähigkeit, sichtbar in hoher Produktivität und geringen Störungen, begründen bei uns ein leistungsfreundliches Klima. Die Attraktivität dieses Standorts kann schwerlich davon abhängen, das er in seiner Besteuerung – und auch in den Kosten für seine soziale Sicherheit – Länder zu unterbieten versucht, die solche Vorzüge nicht haben. Von diesem Standort aus ist die Globalisierung, noch ehe dieser Begriff geläufig wurde und bis heute, von deutschen Unternehmen beim Export ausgiebig genutzt worden. Es ist dieser Standort, in den sich ausländische Investoren – so oder so – einkaufen. Allerdings: Als das vor kurzem spektakulär bei Mannesmann erfolgte, jubelten die wirtschaftsliberalen Kommentatoren im In- und Ausland. Nun sei die Globalisierung richtig bei uns angekommen, hieß es, die „Bastion Deutschland“ sei gefallen, der harte Kapitalismus angelsächsischer Prägung habe nun auch in Deutschland Einzug gehalten.


Und doch: Ohne Gestaltungsspielraum sind die Entscheidungsträger in Politik, Unternehmen und Gewerkschaften in Deutschland nicht. Furcht vor dem Wähler oder Mitglied, Verteidigung von Besitzständen und Errungenschaften, regelrechte Propaganda für erlaubte und unerlaubte Tricks beim Ausweichen vor der Steuerpflicht, – das und vieles anderer hat seinen Platz und die Verantwortlichen in Deutschland.


Somit ist die Globalisierung nicht jener übermächtige Mechanismus, in dem schlechthin nur noch Reagieren möglich ist, aber keine eigene Reaktion. Es wäre ja schon ein Riesenfortschritt, wenn wenigstens in jedem Einzelfall der angeblich zwingend notwendige Grausamkeiten Rechenschaft darüber gegeben würde, dass man die Alternative sozial schonender, z.B. arbeitsplatzerhaltender Maßnahmen wenigstens geprüft hat.


Und übrigens: Holland unterliegt der Globalisierung mindestens genauso sehr und hat in der Überwindung der Arbeitslosigkeit weit größerer Erfolge erzielt als wir Deutschen. Es mag ja nicht alles wünschenswert und übertragbar sein, was dort praktiziert wird. Eine Zone des Elends, vor deren Ansteckungsgefahr wir uns bewahren müssen, beginnt aber einige Kilometer westlich von hier bei Venlo und Arnheim ganz bestimmt nicht.


Solidarisch handeln: Den Ausgeschlossenen Arbeit geben! Das ist keine illusionäre Forderung. Es ist ein realistisches Arbeitsprogramm.
Die Kirchen haben dieses Programm im gemeinsamen Wort von 1997 entfaltet und treten für seine Verwirklichung ein, auch heute. Mag sein, das hätte energischer und mutiger geschehen sollen. Wirkungslos war es nicht. Politiker können inzwischen eine Reihe von Maßnahmen vorweisen, in denen sie Forderungen des gemeinsamen Wortes aufgenommen haben.


Drei Jahre sind für eine gewaltige und komplizierte Aufgabe keine lange Zeit. Und mit den drei Jahren ist der kirchliche Kampf für die Schwachen und das heißt auch: für die Arbeitslosen in unserer Gesellschaft, nicht beendet. Er wird weitergehen, wie der kirchliche Auftrag, Anwalt der Schwachen zu sein, weiterbesteht.


Vielleicht werden die Formen wechseln, neue Anstöße und Texte werden hinzukommen, hoffentlich wieder gemeinsam evangelisch-katholisch. Unpopuläre Forderungen, wo sie nötig sind, sollten ohne Scheu vor Widerspruch und Streit deutlicher ausgesprochen werden. Damit einer Gesellschaft lästig zu fallen, die – heute und früher – stets in Gefahr ist, die Menschlichkeit gegenüber ihren schwächeren Gliedern zu kurz kommen zu lassen, das ist die Pflicht der Christen und der Kirche. Wir werden diese Pflicht weiterhin verlässlich erfüllen.