Pressemitteilung

Predigt im Fernsehgottesdienst am Ostermontag, Evangelische Johanneskirche in Saarbrücken

Präses Manfred Kock, Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland

  • 3.4.2002

(Predigttext: 1. Korinther 15, 50-58)

Predigt:

Der Friede Jesu Christi sei mit euch!


Liebe Gemeinde hier in der Johanneskirche zu Saarbrücken und an den Fernsehschirmen!


(1.) „Der Tod ist verschlungen vom Sieg.“


Ein jubelnder, triumphierender Satz: Der letzte Feind, der Tod ist besiegt. Das ist die Botschaft der Christenheit von Anfang an.


Unsere Osterlieder sind jubelnde Gesänge. Unsere Gebete danken für den Sieg des Lebens.


Der auferweckte Christus ist der Anfang und die Grundlage, der Erste der Auferweckten. Das Ende des Todes ist besiegelt seitdem.


Paulus, aus dessen 1. Korintherbrief wir die Lesung hörten, will uns helfen, in den Jubel einzustimmen. Nicht nur mit Worten und Liedern und Gebeten, sondern mit unserem Leben.


Wir brauchen diese Hilfe. Denn unser Osterjubel wird immer wieder erstickt von der Welt des Todes, die uns umgibt und in die wir gebunden sind.


Klage und Schreien, Tränen und Seufzen, stumme Ergebenheit und wilde Verzweiflung, das ist die Stimme der Welt. Menschliches Miteinander bricht immer wieder zusammen. Hunger und Sterben, Gewalt und Folter, Vernichtung und Tod sind die Kennzeichen unserer Welt. Nicht das Leben scheint zu triumphieren, sondern die Bosheit, die Sünde und die Schuld.


Unser Leib, jede unserer Körperzellen trägt das Programm des Sterbens in sich. Die Gräber lieber Menschen sind die Dokumente von Trennung und Abschied.


Vom Triumph des auferweckten Christus spricht der Apostel Paulus; die Realität der Todeswelt steht dagegen.


Diesen Gegensatz gilt es auszuhalten. Alle Versuche, die Realität des Todes zu vertuschen, verpassen den Sieg über den Tod.


Zu solchen Versuchen lockt uns vor allem die Sehnsucht, den Tod zu verdrängen. Am liebsten hätten wir, es ginge immer weiter mit uns, vielleicht weniger mühsam, ohne Schmerzen – aber weitergehen sollte es schon. Das ist natürlich unerfüllbar. Darum suchen viele Trost in Berichten von Leuten, die schon an der Todesschwelle gewesen sind und noch mal ins Leben zurückgerufen wurden. Sie berichten oft von einem hellen Licht, das sie gesehen, von schöner Musik, die sie gehört haben, von Wärme und wohltuender Umgebung. Das erweckt den Eindruck, als sei Sterben die natürlichste Sache der Welt und bei richtiger Einstellung eine angenehme Reise.


Für manche sind Vorstellungen von Seelenwanderung und Wiedergeburt so attraktiv. Dass das verbunden ist mit dem Risiko, eine viel mühsamere Stufe als die jetzige zu erreichen, wird dabei meistens verdrängt.


Von alters lockt auch die Vorstellung von Wiedererwachen der Natur nach hartem Winter. Frühlingssprießen und Osterspaziergänge vermitteln vielen die tröstende Vorstellung, der Tod sei wie Schlaf, aus dem es erlöstes Erwachen gebe. Ein verlockender Schlaf sogar, wenn die Qual des leidenden Lebens überhand nimmt. Dann erscheint der Tod wirklich als ein Freund, der die Sterbenden in die Arme nimmt und vom Leiden des Lebens erlöst.


Meistens aber erscheint der Tod jedoch als eine unerbittliche Macht. Die Herrschaft des Todes ist Gewaltherrschaft, sie zerreißt, was zusammengehört. Der Tod ist grausam, er quält und zerstört.


Gegen diese Gewalt des Todes steht die Botschaft der Auferweckung. Der Stachel des Todes ist überwunden. Der Sieg über den Tod – das ist das Ende der Herrschaft des Todes. Es ist ein völliger Neu-Anfang!


 


(2.) „Ich sage euch ein Geheimnis“, sagte der Apostel Paulus.


„Wir werden verwandelt“, lautet das Geheimnis. Unser verweslicher Leib trägt die Unverweslichkeit nicht in sich selbst.


Fleisch und Blut werden nicht bleiben, was sie sind; sie werden vergehen. Wir werden verwandelt. Plötzlich geschieht das, heißt es im Bild, das Paulus entwirft, „mit dem Schall der Posaune“.


Nur in Bildern lässt sich davon sprechen.


Das Geheimnis ist noch nicht enthüllt. Es bleibt ein Geheimnis, solange wir leben. Denn Fleisch und Blut, unsere biologische Existenz entschlüsselt das Geheimnis nicht.


Unser Leib wird verwandelt. Unser ganzes Menschsein, wir in unserer Beziehung zur Welt, zum anderen. Wir bleiben das Gegenüber, das Bild Gottes.


Dieses Geheimnis möchten wir gerne deutlicher verstehen.


Es gibt sehr schöne und anschauliche Bilder, die uns dabei helfen. Mit ihnen können wir das Geheimnis nicht wirklich lösen, aber wir bekommen vielleicht eine Ahnung davon.


Wir werden verwandelt: Wie ein Weizenkorn, das in die Erde gelegt wird und stirbt – und dann wächst es und bringt neue Frucht. Oder noch anschaulicher für mich: Dieses Leben, unser irdisches, ist vergleichbar einer Raupe, sie lebt eine Zeit, wächst, bis sie an ihr Ende kommt. Und dann enthüllt sich aus der Puppe, dem Sarg der Raupe, ein schöner Schmetterling. Der lebt eine total andere Existenzweise, die von der Raupe nichts mehr weiß.


Unzulängliche Bilder sind das, aber sie lassen ahnen, welches Geheimnis uns bevorsteht.


 


PAUSE – MUSIK


 


„Ich sage euch ein Geheimnis“, heißt es bei Paulus. Der Gekreuzigte und Auferweckte ist das Modell, ist der Grund für unsere Hoffnung über den Tod hinaus.


Noch widerspricht die Wirklichkeit der Welt der Botschaft vom Sieg über den Tod.


Darum versuchen die Menschen, wie zu allen Zeiten, Krankheit und Tod zurückzudrängen. Man versucht, sich die Natur zu unterwerfen, entwickelt Arzneien und Apparate zur Verlängerung des Lebens, bekämpft den Hunger durch Züchtung neuer Getreidesorten und Tierrassen. Das ist segensreich, denn Leiden können gelindert werden. Mindestens in den Industrieländern gelingt es, die Sterblichkeit der Kinder und der jungen Menschen erheblich zurückzudrängen.


Aber noch längst nicht beherrschen wir alle Krankheiten.


Immer noch sterben junge Menschen im Straßenverkehr.


Längst noch nicht sind die Erfolge der Medizin für alle Länder der Erde erreichbar. Gerade erst sehen wir wieder die Bilder der verhungernden Kinder in Äthiopien.


Aber selbst die größten Erfolge der Medizin, die höchste Sorgfalt im Umgang mit den Gefahren des Verkehrs und die erfolgreichste Weltwirtschaftspolitik werden den Tod letztlich nicht besiegen.


Wirklich überwunden wird der Tod erst durch Verwandlung – wenn die neue Wirklichkeit uns ergreift und vollendet.


 


(3.) „Eure Arbeit ist nicht vergeblich“.


So tröstet Paulus seine Gemeinde in Korinth. Zum Dank an Gott ruft er sie auf. Auch ohne, dass das Geheimnis des Lebens wirklich gelöst ist für sie.


„Eure Arbeit ist nicht vergeblich“, sie macht Sinn, auch wenn die Realität des Sterbens dagegen zu sprechen scheint. Denn die Wirklichkeit des neuen Lebens hinter der Todeswirklichkeit dieser Welt stärkt schon jetzt das Leben in der alten Wirklichkeit.


Die biblischen Geschichten bieten dafür tröstende Bilder. Sie sind geformt vom Glauben an den Gekreuzigten und Auferstandenen: Baum des Lebens, Wurzel Davids, helles Licht, Morgenstern, Wasser des Lebens.


Diese Bilder helfen, die Mächte der Finsternis zu benennen und im Widerstand gegen sie stark zu bleiben.


Diesem Trost können wir uns anvertrauen. Denn Ostern beginnt schon unsere Siegesgeschichte.


Mag der Tod auch auf uns lauern, der Sieger über den Tod wartet ja auch auf uns. Ihn kann der Tod nicht mehr überwinden.


Das tröstet uns für unsere Sterbestunde. Das trägt uns aber auch schon für das Leben in der Gegenwart.


Die Gemeinde in Korinth, an die Paulus damals schrieb, war eine begeisterte Gemeinde. Sie lebte, als sei der Tod keine Realität mehr. Die Menschen dachten, das Paradies habe schon begonnen.


Denen stellt Paulus vor Augen: Ihr seid nicht aus den Händen des Todes entnommen. Seht den Christus an. Er hat ihn ja auch durchlitten. Darum müsst ihr den Tod nicht verdrängen. Ihr könnt seine Ratlosigkeiten aushalten.


„Eure Arbeit ist nicht vergeblich!“ Das ist die Osterbotschaft auch für uns heute. Wir fassen Mut für unser eigenes Leben. Und wir können uns an die Seite derer stellen, die aufbegehren gegen die Todesmächte dieser Zeit. Sie sind kein blindes Schicksal – sie sind vielmehr die Ausgeburten der Schuld, nicht nur Schuld anderer, auch unserer eigenen.


Darum lasst uns aufstehen gegen die Fanatiker in vielen Ländern, die Menschen verfolgen, weil sie anderen Glaubens sind.


Lasst uns zusammenstehen und aufstehen gegen die, welche sich anmaßen, Menschen zum Tode verurteilen zu dürfen.


Lasst uns gegen die zusammenstehen und aufstehen, die Schwache vom Arbeitsmarkt verdrängen und sie durch den Zwang zu jahrelanger und hoffnungsloser Untätigkeit zerstören.


Vor einigen Wochen erschien die Shell-Studie 2000. Sie hat untersucht, was Jugendliche denken und glauben, wie sie eingestellt sind zu Kirche und Religion. Erschrocken sind viele darüber, wie verbreitet Ausländerfeindlichkeit unter jungen Leuten ist. Die Studie hat deutlich vor Augen geführt: Diese Einstellung lässt sich nicht durch Reden und Gespräche auflösen.


Junge Leute brauchen Boden unter ihren Füßen, brauchen Chancen, den eigenen Weg zu gehen. Sie brauchen Ausbildungschancen und die Gewissheit, gebraucht zu werden.


Ostererfahrungen brauchen die jungen Leute, also Menschen, die sich an ihre Seite stellen, das Brot mit ihnen teilen und die Erfahrung vermitteln: Wir nehmen euch wahr!


Sie brauchen glaubwürdige Partner, die das Elend dieser Welt deshalb aushalten, weil sie wissen, dass der Tod besiegt ist.


So erkennen wir die Osterverheißung für uns.


Können JA sagen zu unserem Leben,


dürfen nehmen, was es uns schenkt,


Freude und Schmerz,


Gutes und Böses.


Wir brauchen unser Leben nicht krampfhaft festzuhalten und müssen es auch nicht leichtfertig aufs Spiel setzen.


Wir können zufrieden sein mit der Zeit, die uns bemessen ist.


Der Tod ist verschlungen vom Sieg!


„Dank sei Gott, der uns den Sieg gibt durch unseren Herrn Jesus Christus. Darum seid fest und unerschütterlich: Denn ihr wisst: Eure Arbeit ist nicht vergeblich.“


Amen


Der Friede Jesu Christi bewahre eure Herzen und Sinne.