Pressemitteilung

Auftrag an die christlichen Kirchen: „In katholischer Weise evangelisch sein“

Präses Schneider am Vorabend des Reformationstages in Remscheid:

  • Nr. 175/2009
  • 2.11.2009
  • 4972 Zeichen

Die Kernbotschaft der Reformation hat auch nach fast 500 Jahren nichts von ihrer Kraft und Bedeutung verloren. Das hat Präses Nikolaus Schneider am Vorabend des diesjährigen Reformationstages unterstrichen: „Mag sein, dass sich die Fragen der Menschen seit Luthers Zeit verändert haben. Wir werden nicht mehr – wie der junge Martin Luther – umgetrieben von der Frage ,Wie bekomme ich einen gnädigen Gott?’. Uns beschäftigt eher die Frage: ,Wie bekommt mein Leben einen Sinn?’ Sinnlosigkeit, Leere, sich überflüssig fühlen, als Arbeitsloser keine Aufgabe haben – das sind die heute viele Menschen bedrängenden Fragen“, so der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland. „Vielleicht“, so warb der 62-jährige Theologe beim Jahresempfang des Kirchenkreises Lennep in Remscheid, „sollten wir so mutig sein, die reformatorische Botschaft für heute umzuformulieren“. Sonst antworten wir als Kirche auf Fragen, die die Menschen gar nicht mehr stellen.“ Die reformatorische Antwort bleibe sich – so oder so – in etwa gleich: „Du kannst und Du brauchst Dir den Sinn deines Lebens nicht selbst zu schaffen. Gott selbst schenkt Dir den Sinn. Er hat einen Plan mit Deinem Leben. Gib Dich ihm vertrauensvoll hin. Dann wirst du ganz von selbst das Richtige – nämlich das Dir wahrhaft Gemäße – tun.“

Unterschiede und Gemeinsames der Konfessionen

Heute sei es schwer vorstellbar, dass die Botschaft von der Gerechtigkeit Gottes allein aus dem Glauben das ganze Mittelalter aus den Angeln gehoben und – von Luther ganz ungewollt – zu einer Kirchenspaltung geführt hat, so Nikolaus Schneider: „Die Unterschiede, die einst Kriege entfacht und ganze Landstriche entvölkert haben, haben sich weitgehend eingeebnet. Sicher: Wir sind noch unterschiedliche Kirchen. Wir sind unterschiedlicher Meinung darüber, ob es in der Kirche ein Weihepriestertum geben muss. Es gibt Unterschiede im Verständnis von Abendmahl. Wir gehen mit dem Begriff des Sakraments sparsamer um. Und auch das päpstliche Leitungsamt mit der Vollmacht, in Lehr- und Lebensfragen unfehlbar zu entscheiden, ist für uns Evangelische nicht akzeptabel. Aber das, was einst Kirche, Gesellschaft und Politik auf den Kopf gestellt hat – die Gerechtigkeit Gottes (das vor Gott bestehen können und von ihm angenommen werden) – das versteht die katholische Kirche heute kaum anders als wir.“

Die eigentlichen Gräben seien heute „anders und womöglich tiefer“ gezogen, sagte Schneider. Als Beispiel nannte er „die Furchen zwischen den Gleichgültigen, die Gott bestenfalls als Garnitur für Weihnachten und Ostern benutzen, ihn aber sonst für überflüssig halten, und denen, die so etwas wie Nachfolge wagen. Dann die Gräben zwischen jenen, die Kirchenferne zum Verfassungsgrundsatz erheben und ihre Kinder in einem gottesfreien Umfeld erzogen wissen wollen, und den Christen, egal welcher Konfession, die ihren Kindern ihren Glauben zwar nicht oktroyieren, wohl aber als Angebot nahe bringen.“

„Die Gottesferne darf nicht zu unserem Schicksal werden“

Auch wenn möglicherweise ein Großteil der Deutschen heute bereits jenseits des Christentums lebe, „darf die Gottesferne nicht zu unserem Schicksal werden“. Dem entgegen zu arbeiten sei der gemeinsame Auftrag aller christlichen Konfessionen. Dazu bedürfe es nach Auffassung des obersten Repräsentanten der zweitgrößten Landeskirche in Deutschland keiner kirchlichen Uniformität, denn es gebe verschiedene Formen der Frömmigkeit: „Die einen brauchen meditative Bilder, mystisches Dunkel oder Weihrauch, um sich für Gottes Unendlichkeit zu öffnen. Die andern bevorzugen die kühle Strenge eines Gebetssaales und die Klarheit des Wortes. Es wird die Zeit kommen, wo wir die jeweils andere Konfession nicht auf dem falschen Weg vermuten, sondern wo wir einander dringend brauchen – als Stützen nach innen und als Bollwerk nach außen. Darum gilt es, schon jetzt gemeinsam zu bezeugen, was der gute Grund ist, auf dem wir stehen – wir evangelische Christen und Christinnen und unsere katholischen Geschwister, mit denen wir im gemeinsamen Zeugnis verbunden sind. Und darum gilt es schon heute, in katholischer – also allumfassender – Weise evangelisch – das heißt am Evangelium orientiert – zu sein.“

Dies bedeutet für Präses Nikolaus Schneider konkret: „Wir müssen unsere Kirchen und Gemeinden, ob katholisch oder evangelisch, als Freiräume für die tastenden und suchenden Menschen im dritten Jahrtausend gestalten und verteidigen. Als Freiräume für alle, die ihre Mitte suchen und im Licht des Evangeliums finden können. Und wir sind es anderen Menschen schuldig, uns zu unterscheiden: Für sie als Christen einsehbar und erkennbar zu sein.“