Pressemitteilung

Ökumenischer Gedenkgottesdienst für die Opfer der Brühler Zugkatastrophe. Sonntag, 13. Februar 2000, Pfarrkirche St. Margareta, Brühl

Ansprache von Nikolaus Schneider, Vizepräses der Evangelischen Kirche im Rheinland, zu 2. Korinther

  • 25.3.2002

„Denn Gott, der sprach: Licht soll aus der Finsternis hervorleuchten, der hat einen hellen Schein in unsere Herzen gegeben, dass durch uns entstünde die Erleuchtung zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes in dem Angesicht Jesu Christi.


Wir haben aber diesen Schatz in irdenen Gefäßen, damit die überschwengliche Kraft von Gott sei und nicht von uns.


Wir sind von allen Seiten bedrängt, aber wir ängstigen uns nicht. Uns ist bange, aber wir verzagen nicht.


Wir leiden Verfolgung, aber wir werden nicht verlassen. Wir werden unterdrückt, aber wir kommen nicht um.


Wir tragen allezeit das Sterben Jesu an unserm Leibe, damit auch das Leben Jesu an unserm Leibe offenbar werde.“


 


Wir sind irdene Gefäße, zerbrechlich wie Tontöpfe, liebe Gemeinde, das ist wahr. Diese Erfahrung haben die Todesopfer, die wie ein auf den Boden gefallenes Tongefäß völlig zerbrochen sind, in besonderer Weise gemacht.


Auch die Verletzten haben unmittelbar gespürt, wie gefährdet und zerbrechlich ihr Leid und ihr Leben sind. Retterinnen und Retter haben sich der Erfahrung hilflosen, zerstörten und amputierten Lebens ausgesetzt und wurden mit ihrer eigenen Begrenztheit und Verletzbarkeit konfrontiert – auch mit den Grenzen ihrer Fähigkeiten und Möglichkeiten zur Hilfe.


Seelsorger, Freundinnen und Freunde, Verwandte und alle, die sich im Gespräch um die von den schrecklichen Erfahrungen gezeichneten und verwirrten Menschen gekümmert haben, wurden mit ihrer eigenen Verletzlichkeit konfrontiert. Und auch die Anwohner der Gleisstrecke mussten erfahren, dass ein intimer und durch Mauern geschützter Raum durchbrochen werden kann.


Wir sind irdene Gefäße, das gilt für jede und für jeden von uns. Wir sind empfindlich und sensibel gegenüber äußeren Einflüssen, wir zeigen Risse und Absplitterungen bei Erschütterungen, und wir können zerbrechen. Das ist unser menschliches Maß – begrenzte Kraft, begrenzte Einsicht, begrenzte Fähigkeiten und Möglichkeiten, Grenzen des Lebens, die uns ganz elementar vermitteln, dass wir Geschöpfe sind.


Und trotzdem tragen wir als irdene Gefäße einen Schatz in uns: ein helles Licht in unseren Herzen, von Gott gegeben. Gott selbst hat für seine Selbstoffenbarung ein irdenes Gefäß gewählt: den Menschen Jesus von Nazareth. Im Angesicht Jesu Gott erkennen heißt deshalb heute: Unser Lebenssinn liegt nicht in unseren bahnbrechenden Erkenntnissen und Leistungen. Es ist vielmehr begründet in der Liebe und Gegenwart Gottes, die uns vorbehaltlos und grenzenlos zugesagt ist. Lebenssinn kann nur konkret gefunden und gestaltet werden in der Liebe von und zu unseren Mitmenschen – im Mitleiden, im Vergeben, im Trösten – aber auch im Aufklären von Schuld und Versagen, in der Vorordnung der Würde eines jeden Menschen vor materiellen Interessen.


Die Beziehungen, in denen und von denen wir leben, sind das Wichtigste für uns. Das wird deutlich zwischen Liebenden, in der Verantwortung der Eltern für die Kinder und der Kinder für die Eltern, im Kreis der Verwandten, der Freundinnen und Freunde. Das gilt aber auch für den weiten Bereich des gesellschaftlichen Lebens: im Zutrauen zu der Verlässlichkeit von Feuerwehr, Polizei und Rettungswesen, zu der Kompetenz und Verantwortungsbereitschaft zum Beispiel der Bahnverantwortlichen und der Politikerinnen und Politiker. Und das bleibt richtig angesichts der Katastrophe von Brühl und der Affären unserer Tage. Denn auch in den grundlegenden Beziehungen unseres Lebens werden die Grenzen der Geschöpflichkeit erfahren. Es gibt kein menschliches Bemühen, dass nicht mit Fehlerhaftigkeit, Versagen und Schuld behaftet und belastet ist.


Unbedingt zuverlässig steht aber Gott, unser Schöpfer und Vater unseres Bruders Jesu Christi zu uns. Viele von Ihnen werden diese Zusage grenzenloser Nähe und Liebe Gottes heute nicht nachvollziehen können. „Wir tragen allezeit das Sterben Jesu an unserm Leibe“, das heißt: Wir müssen uns in diesem Gottesdienst nicht schämen, wenn Zweifel an Gottes Gegenwart und Nähe unser Herz gefangen halten. „Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ – In diesem Schrei des sterbenden Jesus am Kreuz sind unsere lauten und unseren stummen Schreie, Zweifel und Fragen gut aufgehoben.


Deshalb gilt jetzt und heute: wie Tongefäße sind wir. Wir sind verletzlich und können zerbrechen. Der Schatz unseres Lebens aber geht nicht verloren. Unser Leben ist bewahrt in der Liebe Gottes zu uns. So, wie er Jesus Christus nicht im Tode gelassen hat – so wird er auch uns im Tod nicht allein lassen.


Gott mache uns gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel, noch Mächte, noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes, weder unsere Traurigkeit noch unser Zorn oder Zweifel, weder unser Versagen noch unsere Schuld uns scheiden kann von deiner Gegenwart und Liebe, die uns in Jesus Christus erschienen ist und auf die wir über unseren Tod hinaus hoffen.


Amen.