Pressemitteilung

Ratschläge für den Umgang mit Patientenverfügungen

Arbeitskreis für Medizinische Ethik stellt vor:

  • 2.4.2002


Düsseldorf – Patientenverfügungen gewinnen in Deutschland immer mehr an Bedeutung. Sie dokumentieren den Willen eines Menschen für den Fall, dass er sich nicht mehr selbst äußern und sein Selbstbestimmungsrecht bei Krankheit oder Alter nicht mehr ausüben kann. Der Arbeitskreis für Medizinische Ethik der Evangelischen Kirche im Rheinland hat jetzt Tipps für den Umgang mit Patientenverfügungen veröffentlicht und geraten, die „Fiktion von der durchgehenden Planbarkeit des Lebens“ aufzugeben. Mit einer Patientenverfügung könne nur für bestimmte Teilbereiche des Lebens und der medizinischen Behandlung vorgesorgt werden, heißt es in dem Text.


Die Theologen und Mediziner des Arbeitskreises warnen vor Patientenverfügungen, denen „Lebensunwerturteile“ zugrunde liegen und die z.B. die Unterlassung lebens-erhaltender Maßnahmen bei schweren hirnorganischen Schäden empfehlen. Als hilfreich betrachten sie aber die Möglichkeit, durch Patientenverfügungen das eigene Leben vor unerwünschten Behandlungen zu schützen. Auf persönliche Gespräche mit der in der Patientenverfügung benannten Person des Vertrauens sollte aber keinesfalls verzichtet werden. Patientenverfügungen sollten die Unterschrift der Vertrauensperson tragen. Ärzte sollten gegenüber der Vertrauensperson ausdrücklich von der Schweigepflicht entbunden werden.


Die Ratschläge „Patientenverfügungen – Chancen und Probleme“ enthalten weitere Hinweise für den Umgang mit Patientenverfügungen, auch für Angehörige, Ärzte und Krankenhäuser. 



Im Wortlaut: 


Patientenverfügungen (PV) – Chancen und Probleme


Vom Arbeitskreis für Medizinische Ethik der Ev. Kirche im Rheinland


I. Zum weltanschaulichen Hintergrund von PV


PV werden oft mit der Wunschvorstellung verbunden, ein selbstbestimmtes Leben bis zum Lebensende abzusichern. Dies entspricht der Fiktion von der durchgehenden Planbarkeit des Lebens. Durch PV kann aber nur für bestimmte Teilbereiche des Lebens und der medizinischen Behandlung vorgesorgt und vorweg entschieden werden. Die Fiktion von selbstbestimmten Behandlungen und dem selbstbestimmten Sterben ist vor allem bei „Gesunden“ ohne längere Krankheits- und Krankenhauserfahrung vorherrschend. Sie impliziert, dass ein nicht selbstbestimmtes Sterben „menschenunwürdig“, wenigstens aber „minderwertig“ ist. Sie ist insofern ethisch äußerst problematisch. Aus christlich-seelsorgerlicher Sicht ist das Sterben nicht der Ort, seine „Autonomie“ und das „Herr-Sein“ über sein Leben zu erweisen, sondern es stellt vor die Herausforderung, sich mitsamt seiner Autonomie in die Fürsorge Gottes und der Mitmenschen loszulassen.
Viele PV-Formulare enthalten Bestimmungen, denen Lebensunwerturteile zugrunde liegend, wie die, dass im Falle bleibender schwerer hirnorganischer Schäden alle lebenserhaltende Maßnahmen unterlassen werden sollen (z.B. Christliche PV der Ev.-Lutherischen Kirche in Bayern, 2. Fassung). Derartige negative Urteile über den Lebenswert und entsprechende Bestimmungen in PV sind ethisch äußerst problematisch. Solche PV-Formulare sollten auf keinen Fall weitergegeben werden.
 


II. Zu den ethisch hilfreichen Aspekten von PV


Zur Bedeutung von PV für den Patienten
PV stellen eine gute Möglichkeit dar, das eigene Leben vor unerwünschten Behandlungen zu schützen. Bestimmungen in PV haben rechtlich verbindlichen Charakter, sofern sie nicht gegen die Rechtsordnung und das ärztliche und pflegerische Standesethos verstoßen. Ärzte und Pflegekräfte sind nicht bloße „Vollzugsgehilfen“ der Wünsche der Patienten, sondern eigenständig handelnde und für ihr Handeln verantwortliche „sittliche Subjekte“.
Die Abfassung einer PV fordert dazu heraus, sich ernsthaft mit möglicher schwerer Krankheit und seinem Sterben auseinander zu setzen und darüber mit vertrauten Personen zu sprechen. PV bedürfen meist der Interpretation im Sinne der Lebensvorstellungen des Betroffenen. Daher ist eine Abfassung einer PV ohne ein ausführliches Gespräch mit den nächsten Angehörigen (bzw. Person des Vertrauens) ethisch nicht zu vertreten, selbst dann nicht, wenn man diese – z.B. um sie nicht emotional zu sehr zu belasten – nicht als vorsorgebevollmächtigte Personen benennt. Das besagt auch, dass die alleinige Ausstellung einer PV ohne Nennung und Unterschrift einer Person des Vertrauens in der PV selbst nicht sinnvoll ist.
Die gesonderte Ausstellung einer Vorsorgevollmacht ist nicht unbedingt nötig, wenn in der PV ausdrücklich eine Person des Vertrauens benannt ist, mit der Ärzte sich über die Bedeutung der PV für die jeweilige Situation verständigen können.
Ärzte sollten gegenüber in der PV angeführten Personen des Vertrauens ausdrücklich von der Schweigepflicht entbunden werden.
Ein Gespräch mit dem Hausarzt über die PV ist ebenso anzuraten, da er am ehesten in der Lage ist, den in der PV bekundeten Willen im Kontext medizinischer Behandlungen sachgerecht zu deuten und so nicht gewollte Behandlungen zu verhindern.


Zur Bedeutung von PV für Angehörige und Bevollmächtigte
Für die Fälle, in denen ein Patient sich nicht mehr äußern kann, ist rechtlich gesehen, sein mutmaßlicher Wille für die Behandlung ausschlaggebend. Er kann in der Regel nur in Rücksprache mit nahe stehenden Personen ermittelt werden. Eine PV, die eingebettet ist in ein ausführliches Gespräch mit diesen Personen des Vertrauens, stellt für diese wie auch für Vorsorgebevollmächtigte eine entscheidende Hilfe und eine seelische und gewissensmäßige Entlastung dar, insbesondere wenn sie bei Entscheidungen der Ärzte einbezogen werden.


Zur Bedeutung von PV für Ärzte und Pflegekräfte
Die vorsorglich ausgestellte PV stellt für Ärzte in erster Linie eine Herausforderung zum Gespräch über die in der PV geäußerten Behandlungsvorstellungen und die dahinter stehenden Lebensvorstellungen dar. Deshalb sollte eine PV auch den behandelnden Ärzten im Krankenhaus möglichst rechtzeitig vorgelegt werden.
PV mit Nennung von Personen des Vertrauens ermöglichen eine dem Willen des Betroffenen möglichst entsprechende einvernehmliche Entscheidung zwischen ihnen und den Ärzten in Fragen medizinischer Behandlung.
PV sind geeignet, unterschiedliche Behandlungsvorstellungen unter Ärzten und zwischen Ärzten und Pflegekräften zu vermeiden oder zu entschärfen.
PV sind geeignet, in der Notfallmedizin „unsinnige“ und dem Willen und Wohlergehen des Menschen nicht entsprechende Behandlungen zu vermeiden. Voraussetzung ist allerdings, dass die PV den Notärzten bekannt gemacht wird. Und hilfreich ist, wenn sie durch medizinische Erläuterungen des Hausarztes ergänzt ist.
 


III. Konkrete Empfehlungen zum Umgang mit PV


Es gibt eine erhebliche Diskrepanz zwischen dem öffentlichen Interesse an PV-Formularen und der Zahl der tatsächlich ausgefüllten PV.


PV-Formulare haben gegenüber persönlich verfassten PV den Vorteil, dass sie Missverständnisse weitgehend ausschließen.


Zum Umgang mit PV in der Öffentlichkeit
PV-Formulare sollten nur im Rahmen von beratenden Gesprächen über eine PV weitergegeben und keinesfalls öffentlich (z.B. über Schriftenstände) angeboten werden. Nur so ist ein sachgerechter Umgang mit der PV in der angeführten Weise gewährleistet.


Zum Umgang mit PV in Krankenhäusern
PV sind überwiegend nur sinnvoll, wenn sie in einen kommunikativen Zusammenhang eingebettet sind, sie so in Krisenfällen bekannt, zuhanden und den behandelnden Ärzten zur Kenntnis gebracht werden können.
Für den Fall, dass der Inhalt von PV den ethischen Überzeugungen der behandelnden Ärzte und Pflegekräfte widerspricht, ist zu klären, wie mit der PV umgegangen wird.
Patienten und Angehörige müssen wissen, an wen sie sich im Krankenhaus mit einer PV wenden können. Daher ist der Träger des Krankenhauses verpflichtet, für alle mit PV möglicherweise befassten Berufsgruppen (Verwaltungsangestellte, Ärzte, Pflegekräfte, Seelsorger, Sozialarbeiter) entsprechende Fortbildungen anzubieten. Insbesondere Pflegekräfte haben hierin eine vermittelnde Funktion.
Geeignete Ansprechpartner sind insbesondere nötig, wenn Patienten erst im Krankenhaus eine PV ausfüllen möchten.
Patienten und Angehörige sollten durch das Krankenhaus informiert werden, in welcher Weise es eine Beachtung von PV gewährleistet.